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»Welcome on board«

aus DER SPIEGEL 32/1996

Im Land der unbegrenzten Massenhysterie boomt das Geschäft mit privaten Sicherheitsleuten. »Atlanta ist während der Spiele der sicherste Ort des Planeten«, hatte Organisationschef Billy Payne getönt und auf die 10 000 eigens angeheuerten Hilfssheriffs verwiesen.

Doch seit Security Guard Richard Jewell, der nach dem Bombenattentat im Centennial Olympic Park tagelang als Hauptverdächtiger vom FBI verhört wurde, sind die Möchtegern-Polizisten ins Gerede gekommen.

Was Wunder. In Atlanta zum privaten Wachmann im Dienste Olympias zu werden war auch für einen SPIEGEL-Redakteur kaum schwerer, als bei McDonald's einen Hamburger zu bestellen.

»Olympische Sicherheitskräfte laufend gesucht« stand auf einem Zettel, der in einem Kaufladen hing, daneben die Telefonnummer 320 1111. Wer anrief, wurde gleich einbestellt in die Borg-Warner-Zentrale am Corporate Boulevard.

Zur Identitätsprüfung reichte der deutsche Führerschein, die fehlende US-Sozialversicherungsnummer wurde kurzerhand durch die Nummer des Reisepasses ersetzt. Dann waren 18 Formulare ordnungsgemäß auszufüllen und mit insgesamt 27 Unterschriften zu versehen. Als auch der Drogentest negativ ausfiel und der Dreitagebart auf der Stelle abrasiert wurde, war man zufrieden: »Gepflegtes Aussehen ist das Wesentliche in der Sicherheit.« Die Überprüfung der Personendaten geschah über Nacht. »Am Abend noch drei Stunden Training und die Prüfung«, hieß es, »dann bist du morgen Security Guard.« Das entspricht zwar nicht der in Georgia für private Wachdienste vorgeschriebenen achtstündigen Ausbildung. Aber anders waren die etwa 50 Bewerber pro Tag nicht abzufertigen.

Nur 7 Kandidaten saßen beim Abendkurs im Trainingszentrum der Firma vor einem Overheadprojektor und einem Fernseher. Für praktische Übungen standen zwei Metalldetektoren zur Verfügung. Ein Video erläuterte das oberste Prinzip der olympischen Sicherheitsmaßnahmen. »Verboten«, sagte die Moderatorin, »ist alles, was der Politik des Organisationskomitees ACOG zuwiderläuft.«

Zu beachten sei weiter, daß nur die Anreden »Sir« und »Ma'am« zu gebrauchen seien und auf keinen Fall - »ich betone, auf keinen Fall« - »Nein« gesagt werden dürfe oder »Ich weiß nicht«.

Dann übernahm ein Ausbilder, der seinen Namen verschwieg, den Unterricht. Er wies darauf hin, daß ein Wachmann bei Regen besonders aufmerksam sein müsse - denn Regen könne möglicherweise eine Panik auslösen. Dann zählte er auf, was Zuschauer nicht in die Stadien mitnehmen dürfen. »Senfgas zum Beispiel«, sagte er, »ist nicht erlaubt.«

Schließlich wurden die Fragen für die Aufnahmeprüfung verteilt. Soll man bei 40 Grad Hitze und einer Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent eher viel Wasser trinken oder viel fettreiches Essen zu sich nehmen? Oder was tut der Security Guard, wenn im Stadion eine fremde Nationalhymne ertönt? Läuft er rum und redet laut? Oder bleibt er still stehen und »beobachtet das Publikum mit den Augen?«

Auf ähnlichem Niveau wurden 40 Fragen gestellt, zum Security Guard sollte taugen, wer über 50 Prozent davon richtig beantworten konnte. Niemand, sagte der Ausbilder, sei durchgefallen, »aber manche brauchen vier Stunden für den Test«.

In der Tür gab es für jeden noch das Credo amerikanischer Sicherheitspolitik mit auf den Weg. »Wer sich verdächtig benimmt, der ist es auch. Wer sich nicht verdächtig benimmt, der ist es wahrscheinlich auch nicht.«

Am nächsten Morgen - die Computer hatten offenbar keinen Verdacht geschöpft, obwohl sie die Daten eines Arbeitsvisums für den Journalisten gespeichert haben müßten - wurden im Hauptquartier von Borg-Warner die schwarzweiße Uniform und ein prächtiges Dienstwappen ausgegeben.

Dienstbeginn war 22 Uhr vor dem Marriott Residence Inn, der Unterkunft des Nationalen Olympischen Komitees der Vereinigten Staaten; dort nächtigten insgesamt 134 zu schützende Personen. James, der Supervisor, erklärte knapp, wer Parkplatz und Hotel betreten dürfe und wer nicht. Ein mitgebrachter Beutel, so groß wie der Rucksack, in dem die Rohrbombe transportiert wurde, blieb unbeachtet. Nach einer letzten Einweisung am Walkie-talkie ("Immer mit ,over' und ,clear' beenden") begann die Nachtwache. »Welcome on board«, sagte James noch, ehe er in der Nacht verschwand.

Am folgenden Mittag schon bot der Einsatzleiter die Beförderung an. »Wenn es dir am Hotel zu langweilig ist, dann laß dich akkreditieren.« Das Plastikschild um den Hals ermöglichte mit einem Tagesbefehl auch den Einsatz in Sicherheitszonen wie dem olympischen Dorf, dem Olympiastadion oder dem Hotel des Internationalen Olympischen Komitees.

Die freundliche Dame im Akkreditierungsbüro bedauerte: »Sie sind im Computer nicht registriert.« Aber sie lenkte gleich ein. Die Uniform von Borg-Warner zeige ja, daß das eine Panne sein müsse. Die Unterschrift eines Angestellten der Wachfirma, der ohne weitere Nachfrage die Anstellung bestätigte, reichte für die Weiterbearbeitung aus.

Jetzt konnte nur noch der »Background-Check« durch das Organisationskomitee das Passepartout verhindern. Aber auch ACOG ließ die Vertrauenswürdigkeit der Sicherheitsdienst-Anwärter vorrangig vom FBI-Computer überprüfen. Dort sind etwaige Vorstrafen im Ausland nicht gespeichert.

Schon nach fünf Minuten kam das Okay. Im Kraft Warehouse waren die grüne Uniformhose, das weiße Hemd mit dem Emblem »Olympic Games Security« auf den Ärmeln und der beigefarbene Strohhut für den Einsatz in der Sonne abzuholen.

Damit war die offizielle Zugehörigkeit zum Sicherheitsheer des großspurigen Organisators Billy Payne auch optisch dokumentiert. Da Uniformen in den USA viel zählen, genoß jeder Träger eine gewisse Sonderbehandlung.

Vor dem Centennial Olympic Park stauten sich die Massen. 24 Stunden nach Wiedereröffnung wurden alle Besucher peinlichst untersucht, jede Tasche mußte geöffnet werden. An den mit je acht Polizisten besetzten Engpässen kam niemand vorbei.

Es sei denn, er war eine Sicherheitsfachkraft, wie sie der noch immer Verdächtige Richard Jewell war. Die grüne Hose, das weiße Hemd und die Akkreditierung schufen Vertrauen. Die prallgefüllte Bauchtasche, groß genug, um Sprengstoff oder eine Waffe zu transportieren, muß vom SPIEGEL-Mann nicht geöffnet werden. Es wäre ein Kinderspiel gewesen, ein zweites Mal ins Herz Olympias zu treffen.

Helmut Schümann
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