CDU Welfen nach vorn
Drei Monate vor den Wahlen zum Niedersächsischen Landtag ist der Schlachtplan, mit dem die Christdemokraten nach den Worten ihres Landesvorsitzenden, Dr. Otto Fricke, endlich den »Durchbruch zur Führung« und die Ablösung der SPD-geführten Regierung erkämpfen wollten, plötzlich in sich zusammengefallen.
Kernstück des Plans: Der ehemalige DP-Chef Heinrich Hellwege, der einst vor Gram über die Uneinigkeit seiner Gefolgsleute zur CDU übertrat, sollte seiner neuen Partei jene 424 524 Wähler einfangen, die bei den letzten Landtagswahlen (1959) noch für die Deutsche Partei votierten.
Demonstrativ sollte Hellwege auf den zweiten Platz der CDU-Landesliste gesetzt werden. Den ersten Platz aber, und damit - im Fall eines Wahlsieges - die Anwartschaft auf den Posten des Regierungschefs, hatte der CDU-Landesvorsitzende Fricke rechtzeitig für sich selbst reservieren lassen.
Heinrich Hellwege, von 1949 bis 1955 Bundesratsminister und von 1955 bis 1959 niedersächsischer Ministerpräsident, winkte jedoch ab. Schon vor Monaten ließ er Fricke wissen, am zweiten Platz sei er nicht interessiert. Auch nehme ihn seine Tätigkeit als Repräsentant einer Hamburger Ölfirma allzusehr in Anspruch.
Fricke, den seine Parteigenossen »Kaiser Otto« titulieren, ging dennoch mit Hellweges angeblicher Zusage werben. Noch in der vorletzten Februar -Woche verkündete Fricke auf einer
Wahlkampfkonferenz der niedersächsischen CDU-Fraktion ungehemmt: »Hellwege hat angenommen.«
Anderntags - schon dementierte Hellwege höchsten Orts: Trotzig wiederholte er vor seinem Kanzler Adenauer in Bonn, er denke nicht daran, für Fricke die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
Der Kanzler hatte Hellwege zu einem Gespräch darüber gebeten, wie ein CDU-Wahldebakel in Niedersachsen abgewendet werden könne, und dem populären Welfen-Partisan nahegelegt, den zweiten Listenplatz zu akzeptieren. Der Knappe Hellwege ließ sich von seinem Ritter nicht beirren: »Ich bin auch dem Kanzler gegenüber so verblieben, daß ich nicht kandidiere.«
Frickes attraktivste Figur war damit ausgeschieden. Schlimmer noch: Die Adenauer-Hellwege-Konferenz wurde von »CDU-Kreisen, die anscheinend interessiert sind, daß ich irgendwie tätig werde« (Hellwege) zu einer Anti-Fricke -Kampagne hochgespielt.
So appellierte der christsoziale Informationsdienst »Aus erster Hand": »Für die CDU kommt es nun darauf an... Heinrich Hellwege klar an die Spitze... zu stellen.« Und die »Frankfurter Allgemeine« berichtete, »daß seit langem schon der Parteivorsitzende Adenauer Hellwege... in Niedersachsen nach vorn bringen« wollte. Nicht Fricke, sondern Hellwege solle daher CDU -Spitzenkandidat in Hannover werden.
Für den christdemokratischen Kaiser Otto war an diesen Meldungen besonders schmerzlich, daß sie in Niedersachsen unbesehen und gläubig aufgenommen
wurden. Erst ein Anruf beim CDU -Geschäftsführer Kraske
in Bonn enthob Fricke der Sorge, daß sich in diesen Meldungen die Absichten Adenauers spiegelten.
Hellweges Nein ist aber nicht der einzige Schlag, den der Niedersachsen-Otto so kurz vor dem Wahlgang einstecken mußte: Den DP-Wählern, die Hellwege zur CDU ziehen sollte, ist von der neu konstituierten Deutschen Partei eine Figur von ähnlich gewaltiger Zugkraft präsentiert worden: der Welfen -Prinz Welf Heinrich von Hannover, der für die neue DP auf dem dritten Listenplatz kandidieren wird.
Der 39 Jahre alte Prinz, ein Enkel des letzten deutschen Kaisers, nahm das DP -Angebot mit Erlaubnis seines ältesten Bruders, Ernst August, der als Chef des Welfenhauses fungiert, an: Ernst August befand, es sei
nötig, die heimatgebundenen Kräfte Niedersachsens zu stärken, und der DP sei es aufgegeben, die Tradition der alten Deutschhannoverschen Partei fortzusetzen.
Selbst in Frickes niedersächsischer CDU herrscht kaum Zweifel, daß die
prinzliche Kandidatur der DP zu mehr als fünf Prozent der Stimmen und damit in den nächsten Landtag verhelfen wird. Der Durchbruch der CDU zur Führung, der schon durch Hellweges Ausscheren fraglich geworden war,scheint damit schier unmöglich geworden.
DP-Kandidat Welf Heinrich: Der Bruder drängte
CDU-Chef Fricke
Der Kaiser bluffte
CDU-Gefährte Hellwege
Der Kanzler winkte