RUNDFUNK / SAAR-SENDER Welle ohne Parallele
Saar-Ministerpräsident Franz Josef Röder philosophierte einst über reiche und arme Länder; »Der Unterschied besteht darin, daß die armen sich etwas einfallen lassen müssen.«
Da Röders Saarland das ärmste Bundesland ist, hat es denn auch zuweilen die tollsten Einfälle.
Röders Parteifreund und Landtagspräsident Dr. Hans Maurer (CDU) etwa ließ vor zwei Jahren in einer parlamentarischen Blitzabstimmung (Maurer: »Ich fürchtete, die SPD steigt wieder aus") das saarländische Rundfunkgesetz so verändern, daß im Saarland als erstem und bisher einzigem Bundesland eine kommerzielle Nutzung deutscher Funk- und Fernseh-Sender möglich wurde.
Die damals so eilig erstellten Kommerz-Paragraphen sollen nun erstmals praktisch erprobt werden: auf dem Sauberg bei Saarlouis, mit einer Leib-Welle aus dem Balkan und unter welscher Führung.
Die geplante Hörfunk-Station wird unter den 979 europäischen Sendern im überfüllten Mittelwellenbereich nicht sonderlich auffallen. Für die vorgesehene Art der Darbietungen -- leichte Musik, schnelle Nachrichten, laute Reklame -- gibt es längst Muster wie die Kommerz-Station Radio Luxemburg ("Die Welle ohne Parallele") oder die öffentlich-rechtliche Hansawelle Bremen ("Hansawelle Bremen prima").
Neu an dem Sauberg-Projekt indessen ist, daß erstmals Privatunternehmer einen deutschen Sender in die Hand bekommen sollen, Mit einer solchen Konstruktion würde das bisher einheitlich öffentlich-rechtliche System von Funk und Fernsehen in der Bundesrepublik durchbrochen, das heute in aller Welt Anerkennung findet und erst jüngst von »Time« wegen seiner »schneidend-scharfen Dokumentarsendungen« gerühmt wurde. Daß der Einbruch des Privat-Funks an der saarländischen Peripherie gelang, ist kein Zufall. Das Zwergland im Westen, das weniger Einwohner hat als München und seinen Etat (1969: eine Milliarde) nur rund zur Hälfte aus eigenen Steuermitteln decken kann, ist seit eh und je für kommerzielle Verlockungen anfällig.
Schon unter dem autonomen Nachkriegsregime des Ministerpräsidenten Johannes ("Joho") Hoffmann wurde im Saarland der französische Werbesender »Europa I« installiert, der heute täglich 15 Millionen Franzosen mit Musik, Nachrichten und Reklame versorgt, jährlich 100 Millionen Mark umsetzt, eine Dividende von 75 Prozent abwirft und in die Saar-Kasse zehn Millionen Mark an Konzessionsgebühren und Steuern zahlt.
»Europa I« wird von der »Europäischen Rundfunk- und Fernseh-AG« in Saarbrücken betrieben, deren Aktien fast zu 100 Prozent dem französischen Reklamefunk-Konzern » Images et Son« Radio Monte Carlo. Radio Andorra) gehören. Hauptaktionär bei »Images et Son« wiederum sind der französische Auto- und Flugzeugindustrielle Sylvain Floirat und die zu 99,8 Prozent in französischem Staatsbesitz befindliche Holdinggesellschaft »Société financière de radiodiffusion«.
Mit diesen französischen Partnern wollten die Gesetzes-Initiatoren an der Saar ursprünglich ein kommerzielles Fernsehen gründen, dessen Sender vom Nachbarland Rheinland-Pfalz aus in die Ballungsgebiete im Rhein-Main-Dreieck und an der Ruhr strahlen sollten und dessen Erträge eine flugs gegründete Aktiengesellschaft (Aufsichtsratsvorsitzender: Landtagspräsident Maurer) kassieren sollte, deren Anteile zu 58 Prozent den Landesverbänden von CDU, SPD und FDP zugedacht waren.
Der TV-Plan der Saar-Politiker scheiterte nicht nur aus technischen und rechtlichen Gründen. Auch der heutige Ministerpräsident Helmut Kohl (CDU) von Rheinland-Pfalz, der vor der Gesetzesnovellierung interfraktionellen Kontakt zur Saar-CDU gehalten hatte ("Wir wollten nur mal den Fuß in der Tür haben"), wollte bald von Kommerz-Fernsehen in seinem Land nichts mehr wissen.
Die rundfunkpolitischen Saar-Fighter blieben am Boden. Nachdem Frankreichs Pompidou die Zulassung privater Sender avisiert hatte und Emissäre von »Europa I« die Konsequenz ausgemalt hatten, sie könnten dann ja ihre Sendetürme vom deutschen Sauberg nach Frankreich versetzen und von dort aus massive Werbung in Richtung Deutschland ausstrahlen, sah sich die Maurer-AG unversehens in einer Zwangslage. Um die Konzessionsgebühren im Lande zu halten und das Eilgesetz von 1967 nun wenigstens im Hörfunk zu nutzen, will Maurers »Freie Rundfunk AG« diesmal nicht nur »Europa I« und dessen Generaldirektor Frédéric Billmann (zusammen mit 26 Prozent) beteiligen. Billmann hat schon letzte Woche für den neuen Sender gegen eine Umsatzbeteiligung das Gastrecht auf der Mittelwelle 917 Kilohertz ("Radio-Televizija Ljubljana") eingehandelt.
Am Montag dieser Woche sollen die Anteile der Parlamentarier-AG verteilt werden an die »Allfunk GmbH« (regionale Zeitungsverleger), die »Presse-Rundfunk AG« (Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger) und die »Zeitschriften-Funk-Union GmbH« (Burda, Gruner + Jahr, SPIEGEL). Ein Rest von 26 Prozent soll für eine spätere Verflechtung mit ARD-Anstalten oder neuen privaten Gruppierungen offengehalten werden.
Schon nach der vorläufigen Anteils-Verteilung ist freilich die Zahl der eigentlichen Unternehmer nicht mehr auszumachen. Neben der verschlungenen französischen Gesellschaft stehen etwa in der »Presse-Rundfunk AG« Verlage wie der Springer-Konzern treuhänderisch für die gesamte Zeitungsverlegerschaft.
In die »Zeitschriften-Funk-Union« können laut Gesellschaftervertrag später weitere Zeitschriftenverlage aufgenommen werden. Und der SPIEGEL-Verlag bekundete Beteiligungsbereitschaft nur unter der Bedingung, daß er 50 Prozent seines Anteils an seine Belegschaft weitergeben kann. Chefredakteur Günter Gaus, ein erklärter Gegner von Funk- und Fernseh-Kommerz: »Wenigstens ein neues Eigentumsmodell.«
SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein hält die Kommerzialisierung von Funk und Fernsehen »für verfrüht«. Was ihn dennoch bewegen könnte, mitzumachen, formuliert er so: »Wir haben diese Kommerzialisierung nicht gewollt, aber wir haben sie auch nicht verhindern können.« Wichtig sei, daß diesmal nicht -- wie einst bei Springers Fernsehplänen -- eine »Monopolisierung« drohe: »Dafür sind es an der Saar zu viele, die funken wollen.«
Ob freilich die vielen Träger des Sauberg-Senders in absehbarer Zeit mehr als die Investitions- und Betriebskosten sowie die obligatorische Konzessionsabgabe (acht Prozent der Brutto-Werbeeinnahmen, mindestens drei Millionen Mark jährlich) erwirtschaften können, ist ungewiß.
Gleichwohl drängen neue Interessenten an die Saar. Der Handeiswert der »Saarbrücker Zeitung«, die zur Zeit aus Staatsbesitz an einen Privatverleger verkauft werden soll, zog letzte Woche sprunghaft um zehn Millionen Mark an: Das Blatt ist über die »Allfunk GmbH« mit sechs Prozent am Sauberg-Sender beteiligt.