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SPANIEN / ALLIANZEN Welle um Welle

aus DER SPIEGEL 7/1963

Kaum hatte Frankreichs General den Vorstoß der Briten nach Europa abgewehrt, stürzte er sich in eine neue Offensive, um Spaniens Generalissimus als Verbündeten zu gewinnen.

Von neuem kam de Gaulle dabei seinem mächtigen amerikanischen Alliierten in die Quere: In Brüssel hatte der französische Staatschef Mitte Januar das Europakonzept Washingtons zerstört; bei seinem Liebeswerben um Spanien rührte er Ende Januar an die strategische Konzeption der Vereinigten Staaten.

Im gleichen Augenblick, da die Regierungen in Madrid und Washington sich anschickten, ihr zweiseitiges Verteidigungsabkommen den neuen militärischen und politischen Verhältnissen anzupassen, begann de Gaulle, seine fähigsten Politiker und Militärs Welle um Welle über die Pyrenäen zu schicken, um den lange Jahre hindurch vernachlässigten Nachbarn im Süden für das Europa seiner Vorstellung zu gewinnen.

Als erster Sendbote des großen Galliers fuhr Ende Januar Innenminister Roger Frey nach Süden. »Privatbesucher« Frey (so er selbst über seine Mission) konferierte in Madrid mit seinem spanischen Kollegen Camilo Alonso Vega, sprach aber auch bei Franco vor. Gesprächsthemen: Erleichterung des Grenzverkehrs und die Sorgen mit den beiderseitigen politischen Emigranten - geflüchteten OAS-Terroristen und exilspanischen Republikanern -, deren Bewegungsfreiheit künftig von beiden Regierungen beschränkt werden soll.

Dem Innenminister folgte in der zweiten Februarwoche Frankreichs Generalstabschef Charles Ailleret, der mit seinem Kollegen, dem spanischen Vizepräsidenten und Generalkapitän Agustin Munoz Grandes, mit führenden spanischen Militärs und gleichfalls mit Francisco Franco konferierte.

Ailleret verhandelte über gemeinsame Manöver von Truppenverbänden beider Länder und einen gemeinsamen Luft- und Seestützpunkt auf den Kanarischen Inseln als Ersatz für die verlorenen Basen in Nordafrika. Als Gegenleistung offerierte der General Waffenlieferungen für die spanische Armee. Dem obersten Polizisten und dem obersten Militär de Gaulles sollen in den nächsten Wochen noch weitere französische Besucher folgen:

- Außenminister Maurice Couve de

Murville, der mit den Spaniern EWG- und Nato-Probleme besprechen will;

- Finanzminister Valéry Giscard

d'Estaing, der sich Spaniens Wirtschaftssorgen anhören wird, und

- Atom-Minister Gaston Palewski, der

sich für Spaniens Uranvorkommen

interessiert, die größten in Westeuropa.

Dieser Besucherstrom soll im Sommer in ein Treffen de Gaulles mit Franco in Madrid münden.

Das augenfällige Werben de Gaulles um die Gunst des spanischen Diktators bestärkte das amerikanische Nachrichtenmagazin »Newsweek« in dem Verdacht, daß der Präsident Spanien eine wichtige Rolle in seinem europäischen Konzept zugedacht hat«.

Wie ernst sich de Gaulle selbst mit dieser Frage beschäftigt, zeigt sein gleichzeitiges Bemühen um den Spanien -Nachbarn Portugal. Frankreichs Armeestabschef, General Louis-Jean de Puloch, konferierte vor kurzem in Lissabon; zum Gegenbesuch traf letzte Woche der portugiesische Armeestabschef, General Luis de Camara-Pina, in Paris ein. Dies - wie bei Spanien - zu einer Zeit, da Portugal mit den USA über die weitere Benützung des amerikanischen Luftstützpunktes auf den Azoren verhandelt.

»Beamte des State Department befürchten«, kommentierte die »New York Times« die iberische Reisewelle, »daß es im Kielwasser der französischen Rebellion gegen das atlantische Verteidigungskonzept zu ernsten Schwierigkeiten mit Spanien und Portugal kommen wird.«

Der behutsam agierende spanische Staatschef zeigt sich indes ob seines neuen Ansehens nach langer politischer Isolierung durchaus geschmeichelt und scheint auch zu Gesprächen mit Paris bereit, doch hat Spaniens Regierung keine Eile, in de Gaulles ausgebreitete Arme zu fallen. Ihr Hauptziel bleibt ein günstiges Abkommen mit Washington. »Das Zusammentreffen der französischen Besuche und der Gespräche mit den USA«, versicherte die Madrider Zeitung »ABC«, »ist purer Zufall.«

Frankreichs Werben kommt dem spanischen Staatschef freilich gelegen, da es seine Stellung in dem bevorstehenden

Disput mit Kennedy stärkt. Im Herbst läuft das 1953 in Madrid unterzeichnete amerikanisch-spanische Militärabkommen ab, das Franco-Spanien nach dem Kriege aus seiner Quarantäne herausführte und zu einem Glied der westlichen Verteidigung machte.

Spanien räumte in diesem Vertrag den USA drei Luftstützpunkte ein sowie die Flottenbasis Rota bei Cádiz. Franco erhielt dafür in den letzten zehn Jahren etwa 1,5 Milliarden Dollar (sechs Milliarden Mark) an amerikanischer Wirtschafts- und Militärhilfe.

Der Vertrag hatte eine zehnjährige Laufzeit und sah eine automatische Verlängerung um fünf Jahre vor, falls nicht einer der Partner den Wunsch nach Revision äußert.

Madrid drängt nun auf eine Änderung des Vertrages, die der spanische Außenminister am 14. Januar in einer Note vorschlug. Schon im November 1962 hatte der spanische Botschafter in den USA, Antonio Garrigues, öffentlich eine Vertragsrevision gefordert, »die

Spanien und seine Stützpunkte in die Organisation der Nato eingliedert«.

Bislang hat sich die Kennedy-Regierung diesen spanischen Wünschen gegenüber taub gestellt. Befand die »Washington Post": »Die USA verspüren keine Lust, viel von dem zuzugestehen, was auf dem spanischen Wunschzettel steht.«

Immerhin ist sich die US-Regierung darüber klar, daß die spanischen Stützpunkte für sie wichtiger denn je geworden sind. Nach der Aufgabe der US-Luftstützpunkte in Marokko gewinnen die spanischen Basen an Bedeutung, und dem Flottenstützpunkt Rota ist eine besondere Rolle in der Global-Strategie der USA zugedacht: Er soll jene Polaris -U-Boote beherbergen, die künftig im Mittelmeer operieren werden.

Washington scheint deshalb willens, Franco finanzielle Zugeständnisse zu machen und auch großzügigere Militärhilfe zu gewähren. Über Einzelheiten soll der stellvertretende Verteidigungsminister Roswell Gilpatrick in Kürze in Madrid verhandeln.

De Gaulles Vorstoß, der Franco zu einer wichtigen Schlüsselfigur gemacht hat, bietet Madrid die Chance, den Preis für die Stützpunkte zu erhöhen.

Spanien-Reisender Ailleret (1, mit Brille), Gastgeber Munoz Grandes (r): Franco wird teurer

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