Titel Welt-Streit ums Töten
Soldaten im Afghanistan-Einsatz haben neuerdings die Chance, einen Camcorder zu gewinnen. Die Nato-Führung hat einen Wettbewerb ausgeschrieben zum Thema: »Warum es auf Afghanistan ankommt.«
»Das ist Ihre große Chance, Ihr Talent zu zeigen. Machen Sie ein Video, mindestens drei Minuten lang, das erklärt, warum es auf Afghanistan ankommt, und senden Sie es zum Joint Force Command.«
Das Bundesverteidigungsministerium rät den deutschen Soldaten jedoch ab, an dem Talentwettbewerb teilzunehmen. In Berlin befürchtet man, die Truppe am Hindukusch könne von der Aufgabe »überfordert« sein.
Überfordert sind sie alle. Niemals in der kurzen Militärgeschichte der Bundesrepublik Deutschland war die Lage so verfahren wie jetzt am Hindukusch. Weil es mächtigen Kriegsherren auf Afghanistan ankam, hat dort das sowjetische Weltreich seine Macht verloren und das amerikanische zumindest seine Glaubwürdigkeit. Nun kommt es beinahe jeden Tag für die Deutschen darauf an: Wie weit sollen, wie weit dürfen Bundeswehrsoldaten im Bürgerkrieg gegen die Taliban gehen? Wann dürfen sie straflos töten?
Das ist kein Talentwettbewerb: Unter Zeitdruck und oft in Todesangst müssen junge Leute, herausgerissen aus dem friedlichen Leben in der Wohlstandsrepublik Deutschland, Knall auf Fall entscheiden, ob sie töten, bomben, mitmachen beim mörderischen Videospiel des »targeted killing«, des ferngesteuerten Ausschaltens von Menschen, die als Feinde der westlichen Ordnung gelten.
Überfordert sind sie in Berlin von den Berichten über das Desaster von Kunduz: Das Flammenmeer um zwei bombardierte Tankwagen, die Leichen von Zivilisten, der Vater, der weinend ein verkohltes Stück Fleisch nach Hause trägt und hofft, die sterblichen Überreste seines Sohnes in der Hand zu halten. Die Bilder sind nicht auszuhalten: Mein Gott, das hat ein deutscher Oberst getan.
Wie auf Erlösung warten im Berliner Bendlerblock nun alle auf Nachricht aus Karlsruhe: Der Generalbundesanwalt soll den Krieg erklären. Mitten im Frieden der badischen Residenzstadt prüfen die Experten der obersten Anklagebörde die Konditionen, unter denen deutsche Soldaten am Hindukusch antreten.
Offiziell geht es um die rechtliche Beurteilung der Rolle, die Oberst Georg Klein beim Bombardement der Tanklastzüge hatte: War sein fataler Befehl ein Verstoß gegen die Strafgesetze, ein Tötungsdelikt, Mord womöglich? Oder gilt in Afghanistan das Recht des Krieges, wonach Töten nicht nur erlaubt, sondern manchmal geradezu geboten sein kann? Oberst Kleins entschlossener Angriff wäre dann als militärische Aktion zu werten, in der - wo gehobelt wird, fallen Späne - auch Zivilisten zu Tode kommen können. Das bleibt meist für die Täter folgenlos, es sei denn, es handelt sich um Kriegsverbrechen.
Bald nach dem 11. September 2001, dem Tag, an dem aus amerikanischer Sicht ein Weltkrieg gegen den Terrorismus begann, haben die Deutschen ein Völkerstrafgesetzbuch in Kraft gesetzt. Da hat der Bund demonstrativ vor der Weltgemeinschaft den Fall geregelt, dass ein deutscher Soldat absichtlich im Kriegsfall gegen die Mindestregeln verstößt, die in den humanitären Genfer Konventionen festgelegt sind.
Dass ein deutscher Soldat Kriegsverbrechen begeht - das war ein rein theoretischer Fall, für den der Bundestag symbolische Gesetzgebung betrieben hat. Und die ersten Versuche von Kritikern des US-Krieges gegen den Terror, das deutsche Gesetz gegen den Washingtoner Kriegsminister und mutmaßlichen Kriegsverbrecher Donald Rumsfeld ins Feld zu führen, wurden vom Generalbundesanwalt vor vier Jahren mit windelweicher Begründung zurückgewiesen: Wenn etwas gegen Herrn Rumsfeld vorzubringen sei, würden das die USA schon selbst machen.
Nun aber kommt es drauf an. Am Fall des unseligen Obersten muss sich die Karlsruher Anklageinstanz zugleich mit der Kernfrage des deutschen Engagements in Afghanistan auseinandersetzen: Was dürfen Soldaten, was darf der Staat, der sie schickt, im Kampf gegen Aufständische und Terroristen unternehmen? Darf ein deutscher Oberst für die Sicherheit seines Vaterlandes den Tod zahlloser Zivilisten am fernen Hindukusch riskieren? Darf der Staat in Afghanistan vermeintliche Terroristen überhaupt töten? Müssen sie nicht als Kriminelle vor Gericht?
Einige Fragen, das lässt sich jetzt schon sagen, werden die Karlsruher Juristen beantworten können: So rechnen Experten fest damit, dass Generalbundesanwältin Monika Harms Fälle wie den des Oberst Klein als Angelegenheit des Völkerstrafrechts betrachtet. Wenn beim Bundeswehreinsatz in Afghanistan Menschen getötet oder verletzt werden, ist das dann nicht mehr - wie bislang - Sache des bundesdeutschen Strafrechts und der nicht minder überforderten Staatsanwaltschaften, sondern wird nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch nur noch dann verfolgt, wenn es ein vorsätzliches Kriegsverbrechen war. Da man Oberst Klein sicher nicht vorwerfen kann, dass er willentlich harmlose Dorfbewohner hat bombardieren lassen, kann er kaum als Kriegsverbrecher gelten.
Doch was ist damit gewonnen? Ein Freispruch des Obersten wegen Kriegsverbrechen macht die Sache nur komplizierter. Denn sein Verhalten an jenem schwarzen Freitag war ein Verstoß gegen fundamentale Einsatzregeln der Nato, gegen zentrale Vorsichtsregeln auch des Kriegsrechts. Hätte Klein nicht wissen können, müssen, dass da zumindest auch Zivilisten um den Lastzug herumstanden? Hätte er darum nicht den US-Jagdbombern erlauben müssen, die Zielpersonen zu warnen, etwa durch vorherige Überflüge? War der Angriff überhaupt militärisch zu rechtfertigen?
Durfte der Oberst töten lassen? Die Frage wird mit dem Bescheid aus Karlsruhe erst richtig heiß: Soll das Desaster tatsächlich ungeahndet bleiben? Wollen die Deutschen ernsthaft auf der voreiligen Erklärung des neuen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) beharren, der Einsatz sei »militärisch angemessen« und notwendig geworden? Darf sich Deutschland, dessen Grundgesetz den Einsatz der Bundeswehr ursprünglich streng auf die »Verteidigung« des Vaterlandes begrenzt hatte, eine weltweit umstrittene Militäraktion von exemplarischer Aggressivität zur militärischen Notwendigkeit erklären?
Auf Afghanistan kommt es an: Der Krieg am Hindukusch ist zu wichtig, als dass man ihn Strafrechtlern in Karlsruhe überlassen könnte.
Das Recht des Tötens in Afghanistan ist schließlich keine Sache allein der deutschen Rechtsordnung. Weltweit quälen sich Völkerrechtler, Diplomaten, Militärs mit derselben Frage: Wann darf der Staat in der globalen Auseinandersetzung mit militanten Terroristen töten? Ist der von Präsident George W. Bush nach dem 11. September 2001 ausgerufene »War on Terror« nicht vielmehr eine gigantische Verbrecherjagd?
Worauf kommt es wirklich an in Afghanistan? Aus dem Kampf gegen al-Qaida ist dort längst ein Bürgerkrieg mit den Taliban geworden. Schon mahnt US-Präsident Barack Obama, mitten in der Debatte um weitere Truppenentsendungen, das ursprüngliche Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, »nämlich al-Qaida zu kriegen, also die Leute, die 3000 Amerikaner getötet haben«.
Dabei sind es vor allem die Vereinigten Staaten, die abschreckendes Beispiel dafür geworden sind, wozu die Staatsgewalt fähig ist, wenn sie im Kampf gegen den Terror die Grenzen zivilisierter Staaten im Umgang mit ihren Feinden missachtet. Killerkommandos der CIA, so enthüllte das »Wall Street Journal«, seien unter George W. Bush zur Ausschaltung von Qaida-Kriegern aufgestellt worden. Sie kamen allerdings nicht zum Einsatz.
Doch immer häufiger schlagen am Hindukusch die tödlichen Raketen ein, mit denen die USA und mit ihrer Hilfe auch die Isaf-Truppen gesuchte Terroristen und Taliban-Führer ferngesteuert liquidieren. Auch die Deutschen sind bei diesem Todesspiel dabei.
Das staatliche Töten droht grenzenlos zu werden.
Seit immer mehr Staaten in gewaltsame Auseinandersetzungen mit Rebellen oder Terroristen, oft genug den eigenen Bürgern, verstrickt sind, haben sich nicht nur die Grenzen von Krieg und Frieden verschoben, sondern ebenso die Normen, was Menschen im Frieden und im Krieg angetan werden darf. Vor allem deutsche Sicherheitspolitiker aller staatstragenden Parteien - von einem in der Bonner Republik gereiften Grundkonsens über strikte Grenzen für den Einsatz deutscher Soldaten geprägt - sind in ein Dilemma geschliddert. Hineingezogen in den Kampf gegen den Terror, geraten sie ins Hintertreffen, wenn sie den weitreichenden Erwartungen der Bündnispartner an offensiver Kriegführung gegen die Taliban und ihre Verbündeten auszuweichen versuchen.
Lange haben die Deutschen versucht, sich herauszuhalten aus dem organisierten Töten. Als »German Attitude« wurde das unter den Militärs der Kampfpartner am Hindukusch belästert: Die Deutschen haben keinen Mut, die töten nicht.
Dahinter steckte das Dogma des verantwortlichen Ministers Franz Josef Jung (CDU). Er klammerte sich an den ursprünglichen Auftrag, den der Uno-Sicherheitsrat einst der Isaf-Schutztruppe erteilt hatte: Die »Sicherheit« rings um die Hauptstadt Kabul zu garantieren. Darum beharrte Jung: Es sei kein Krieg, was die Deutschen da in Afghanistan führen, das K-Wort setze einen »völlig falschen Akzent«. In Wahrheit gehe es um einen Polizeieinsatz, um den »Aufbau vernetzter Sicherheit«. Die Folge: Töten ist - wie im Polizeirecht, also im Frieden - nur in Situationen der Notwehr und Nothilfe gegen einen konkreten, nicht anders abwendbaren Angriff zulässig.
Eine der ersten Amtshandlungen des Jung-Nachfolgers Guttenberg war es, das Offenkundige klarzustellen: Die Deutschen befinden sich in einem »bewaffneten Konflikt«, genauer, in einem »nichtinternationalen« Krieg, vulgo Bürgerkrieg.
Es wurde auch Zeit. Schon spottete der US-Afghanistan-Beauftragte Richard Holbrooke über die deutschen Sprachstörungen: »Wie bezeichnet denn der SPIEGEL die Vorgänge in Afghanistan?«, fragte er im Interview. Antwort der SPIEGEL-Fragesteller: »Krieg«. Holbrooke: »Eben«.
Eben. Es kann sich niemand aussuchen, ob er Krieg führen will oder nicht. Die meisten anderen Bündnispartner des von der Nato geführten Einsatzes in Afghanistan sehen keinen Grund, ihr Vorgehen gegen die Taliban nicht als einen Krieg zu betrachten, in dem das Gesetz des Tötens gilt: Wer nicht anders zu besiegen ist, muss eben gezielt angegriffen, notfalls erschossen werden. »Wenn die Deutschen mitmachen«, sagt der Kölner Völkerrechtler Claus Kreß, »dann sind sie drin im Bürgerkrieg, ob sie wollen oder nicht.«
Weil es die Militärbürokratie so wollte, war der Job der Bundeswehrsoldaten zu lange ein Polizeieinsatz. Was es bedeutet, ins Recht des Friedens und sein grundsätzliches Tötungsverbot eingebunden zu sein, mussten deutsche Soldaten zuletzt immer wieder erleben: wenn sie - so wie mehrfach an Kontrollstellen - irrtümlich tödliche Schüsse abgaben, weil sie sich angegriffen fühlten. Dann bekamen sie es bislang mit dem Staatsanwalt in Deutschland zu tun. In 61 Fällen ermittelte die für Straftatverdacht im Auslandseinsatz zunächst zuständige Staatsanwaltschaft in Potsdam. Vom letzten und größten Fall schließlich fühlten die Ermittler sich überfordert und gaben ihn weiter an den Generalbundesanwalt: Es war der Fall Klein.
In Afghanistan, so die herkömmliche Logik deutschen Friedensrechts, gilt für Soldaten nichts anderes als für Polizisten bei der Verbrecherjagd im Inland: Die irrtümliche Annahme einer Notwehrsituation ist da allenfalls als »Putativ-Notwehr« entschuldigt. Für die betroffenen Soldaten waren solche Ermittlungsverfahren »wg. vorsätzlicher Tötung«, auch wenn sie regelmäßig mit Einstellung endeten, ein Nervenkrieg. Für den Dienst an der Afghanistan-Front kann das erwartete Machtwort aus Karlsruhe Entlastung bringen.
Du sollst nicht töten: Das Gebot des Rechts im Frieden, das die Deutschen auch
in Afghanistan hochzuhalten versuchten, ist weich geworden. Spätestens seit die Bundeswehr vor gut einem Jahr die Aufgabe einer »Quick Reaction Force« übernahm, geriet sie mit ihrer Haltung in die Klemme. Richtig Ärger gab es, schon als sie im März 2008 mit ihren rechtlichen Bedenken eine der wichtigsten Zugriffsaktionen der Isaf gegen den Talibankommandeur Mullah Yonus vermasselte. Der Mann sollte nach monatelanger Beobachtung von deutschen Spezialisten ausgeschaltet werden. Doch die Deutschen zögerten, ihn zu töten. Sie versuchten stattdessen, den Top-Taliban zu umstellen und festzunehmen. Ehrenwert, aber vergebens.
Mit ihrem Eigensinn, wütete hinterher ein hoher Nato-Offizieller gegen die Verantwortlichen im Berliner Verteidigungsministerium, hätten die Deutschen »Leib und Leben« der Kameraden und der Zivilbevölkerung in Afghanistan in Gefahr gebracht: Der Bösewicht könne seine Aktivitäten nun ungehindert im Lande fortführen.
Nun machen sie mit - wenn auch ohne klare Linie. Das Töten im Krieg wird immer neu zur Feuerprobe für die Streitmacht Deutschland. Ratlos berichtete der »Rechtsberater« für das unter deutscher Führung stehende Isaf-Regionalkommando Nord in einer vertraulichen Notiz an die Berliner Regierung: Das gezielte Töten sei mittlerweile »Schwerpunkt der operativen Rechtsberatung«. Es fehle »an einer klaren Weisung, ob und inwieweit sich Deutschland an dem Targeting-Verfahren beteiligen kann.
Militärisch gilt das Targeting im Krieg gegen den Terror durchaus als Erfolg. Ein Großteil der Taliban-Nomenklatura, inzwischen weit über 150 Kommandeure, seien so »neutralisiert« worden, heißt es aus dem Isaf-Hauptquartier in Kabul. »Wir schützen auf diese Weise unsere Soldaten, dazu gehört auch, auf der Grundlage von Geheimdienstinformationen Terroristen aufzuklären, sie zu fangen und zu töten, bevor sie unsere Leute töten«, so ein hochrangiger General im Isaf-Hauptquartier.
Das klingt einleuchtend. Doch solche Erklärungen verdecken, dass die Waffe, die so erfolgreich gegen den transnationalen Terrorismus einzusetzen ist, in fast allen westlichen Demokratien umstritten ist. Beim Targeting erweist sich, wie wackelig die Rechtfertigungen fürs harte Vorgehen gegen die »Schlimmsten der Schlimmen« (Ex-Präsident Bush) sind.
Es sind nicht nur moralische Bedenken gegen diese Art der Menschenjagd, die bei vielen Kritikern des Afghanistan-Feldzugs auftauchen. Auch für Völkerrechtler ist das Liquidieren mutmaßlicher Top-Terroristen im Kampf gegen das Böse das zentrale Problem der neuen, der sogenannten asymmetrischen Kriege, in denen wie in Afghanistan hochgerüstete staatliche Kämpfer auf skrupellose und von keinem Staat legitimierte Gegner treffen. So einfach wie in einem richtigen Krieg kann man es sich mit den Terroristen nicht machen.
Es ist der Grund des Tötens, der das Handwerk der Nato-Soldaten am Hindukusch vom klassischen Kriegshandwerk unterscheidet. Tödliche Geschosse werden im Krieg auf andere Menschen gelenkt, weil diese Menschen, so sagt man, »zum Feind« gehören. Nicht die einzelnen, oft harmlosen gegnerischen Soldaten sind der Grund für die tödlichen Operationen, sondern der Staat, die feindliche Macht, die hinter ihnen steht. Ihn niederzuwerfen ist das Ziel klassischer Kriege, der Feind soll ja gar nicht vernichtet sein, er soll schließlich am Ende einen Friedensvertrag unterschreiben und bestenfalls zum neuen Freund werden. Dass dafür Menschen, auch Soldaten, sterben müssen, die oft unschuldig sind, ist tragisch, aber in der unmenschlichen Logik des Krieges leider unvermeidbar.
Grund und Voraussetzung des Targeting aber ist die Überzeugung der Befehlshaber, ihr Ziel sei ein böser Mensch, eine einzelne Person, die den Tod persönlich verdient habe. Terroristen werden gejagt, weil sie Verbrecher sind, die sich kriegerischer Mittel bedienen.
Der wichtige Unterschied zwischen einem bewaffneten Konflikt und dem, was die Völkerrechtler »law enforcement« - Verbrecherjagd - nennen: Im Falle der Verbrecherjagd gelten die Menschenrechte, dazu gehört ganz besonders das Recht zu leben, das nur im Falle der Notwehr eingeschränkt ist.
Dass es genau genommen nicht um Krieg gehe, sondern um eine besonders weitreichende Form der Verbrecherjagd, hat gleich nach den Terroranschlägen vom 11. September George W. Bush gesehen, der die Gejagten daraufhin zu »unlawful enemy combatants« erklärte, unrechtmäßige feindliche Kämpfer - mit der Konsequenz, dass sie rechtlos sein sollten. Solche Terroristen durften wie Soldaten als Feinde getötet werden und genossen nicht mal den Schutz, den das Völkerrecht dem Feind zugesteht, wenn er, zum Beispiel, als Kriegsgefangener versorgt werden muss und keinesfalls gefoltert werden darf.
Bis heute wird auch bei deutschen Militärs die Bush-Doktrin gepflegt. Das zentrale Argument, warum das Verteidigungsministerium sich so lange weigerte, vom Krieg zu sprechen, war laut Jung dies: Dann seien die Taliban »Kombattanten und können auch in berechtigter Weise auf uns schießen. Sie sind aber Verbrecher, sie sind Terroristen. Es ist kein Krieg.«
Das muss Jung vom ehemaligen Generalinspekteur Klaus Naumann aufgeschnappt haben, der noch im August verbreitete: Die Taliban wollen, »dass der Kampf gegen sie Krieg genannt wird, denn dann wären sie Kombattanten nach dem Kriegsvölkerrecht und könnten als Konfliktpartei beanspruchen, auf einer Stufe mit der Regierung Afghanistans zu stehen«.
Die Ansicht, dass im Bürgerkrieg die nichtstaatlichen Kämpfer irgendwelche Privilegien als Kombattanten erhalten, ist völkerrechtlich Unfug. Völkerrechtler sind sich einig, dass Bürgerkrieger, anders als ihre staatlichen Gegner, am Ende der Auseinandersetzung wie gewöhnliche Kriminelle bestraft werden können.
Doch die Idee, dass der Krieg in Afghanistan anders ist als andere Kriege, lässt die Juristen nicht los. So entwickelten sie die These, dass es in der Völkerrechtsordnung eine »dritte Spur« gebe, die zwischen der Polizeiordnung der Staaten und dem humanitären Recht des klassischen Krieges verläuft und auf der sich die Outlaws des internationalen Terrorismus herumtreiben.
Im von Terrordrohungen geplagten Deutschland, das seine Rolle in Afghanistan suchte, machten solche Überlegungen schnell Karriere. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble berief 2007 sogar ein internationales Expertentreffen ein, um zu beraten, wie sich in der Grauzone zwischen Krieg und Frieden ein neues Recht über den Umgang mit Terroristen, eine Art Völkerpolizeirecht, etablieren ließe.
Der Kölner Völkerrechtler Kreß entwickelte Vorschläge für ein spezielles Recht im Umgang mit Terroristen, eine Art Weltpolizeirecht, das den Staaten, die in Auseinandersetzungen mit Gruppen wie al-Qaida verwickelt sind, als Grundlage dienen sollte. Weil es, so auch Kreß, »im Kern nichts anderes als kriminelle Gruppierungen sind«, müsse die Befugnis, solchen Leuten mit militärischen Mitteln beizukommen, zumindest »rechtsstaatlich gebremst« und polizeirechtlichen Grundsätzen unterworfen werden.
Töten ist nach einem solchen Konzept nur als »Ultima Ratio« erlaubt, um unmittelbar bevorstehendem Unheil entgegenzutreten. Ein Bombardement wie das des Oberst Klein wäre danach ausgeschlossen.
Die Frage ist noch immer offen: Darf der Staat Menschen töten, nur weil er sie für gefährliche Terroristen hält? Schäuble dachte im SPIEGEL-Gespräch laut darüber nach: »Nehmen wir an, jemand wüsste, in welcher Höhle Osama Bin Laden sitzt. Dann könnte man eine ferngesteuerte Rakete abfeuern, um ihn zu töten. Aber seien wir ehrlich: Die Rechtsfragen dabei wären völlig ungeklärt.«
Die Befugnis eines Polizeiministers, am anderen Ende der Welt tödliche Raketen auf mutmaßliche Schwerverbrecher zu feuern, könnte auf lange Sicht in einer Art Weltpolizeistaat enden. Wenn die Polizei eines jeden Staates, der vom Terror be-
droht zu sein glaubt, sich das Recht herausnimmt, weltweit auf Verdächtige zu schießen, lösen sich die Grenzen des Rechts, schließlich die Grenzen der Staaten auf. Kein Gericht kann mehr überprüfen, was über Tod und Leben der Bürger entschieden wird. Ob einer sterben muss, entscheidet hinter verschlossenen Türen die Internationale der Geheimdienste.
Dann schon lieber Krieg: Im Kriegsrecht gelten immerhin humanitäre Mindeststandards, ist der gezielte Angriff gegen unbeteiligte Zivilisten ein Verbrechen, das vor internationalen Strafgerichten oder nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch geahndet werden kann.
Die Amerikaner selbst halten an ihrer Rechtsschöpfung der »unlawful enemy combatants« nicht mehr fest. Auf Initiative des ehemaligen Völkerrechtsberaters im Außenministerium, John Bellinger, haben sich Vertreter von Justiz, Verteidigung und aus dem Außenamt mit ihren Kollegen aus Deutschland, Kanada, Australien, Großbritannien, Holland und Dänemark zusammengesetzt, um die Befugnisse im Krieg gegen den Terrorismus neu zu vermessen. Weil sich die Expertenrunde beim ersten Mal in der US-Militärakademie in West Point traf, werden unter Völkerrechtlern die Verhandlungsrunden als »West-Point-Prozess« bezeichnet. Vom »enemy combatant« ist dort nicht mehr die Rede. Stattdessen tauschen sich die Teilnehmer jetzt darüber aus, in welchem Umfang die Menschenrechte im Terror-Krieg respektiert werden können.
Doch von zwei Essentials im Krieg gegen den Terror lassen sich die amerikanischen Verhandlungspartner nicht abbringen. Erstens: Das »Schlachtfeld« im Krieg gegen den Terror sei die ganze Welt, jeder Ort, an dem sich die Feinde Amerikas verstecken. Zweitens: Amerika habe das Recht, seine Feinde an jedem Ort der Welt zu töten.
Die Konsequenz: Wo immer der lange Arm der CIA hinreicht, können Tötungsbefehle vollstreckt werden. In den Rahmen dieser Ideologie würde es nahtlos passen, eine »Hellfire«-Rakete in Neu-Ulm einschlagen zu lassen: Dass dort in unheimlicher Anzahl brave Bürgersöhne zu Islamisten konvertierten und häufig in den Fängen des ortsansässigen Multikulturvereins verschwanden, ist auch im Weißen Haus bekannt.
Das Tötungsprogramm der Weltmacht jenseits des Atlantiks ist so ambitioniert wie die Hightech-Ausrüstung ihrer Langstrecken-Drohnen, die tagelang am Himmel in Lauerstellung über ihren Zielpersonen kreisen können. »Wo soll das enden?«, fragt der ehemalige CIA-Anti-Terror-Fachmann Robert Baer: »Die können das ebenso gut morgen in Großbritannien oder in Deutschland tun.«
Baer kennt die unheilvolle Eigengesetzlichkeit des Targeting: Es ist so einfach. »Niemand fragt ernsthaft einem Killing hinterher. Wenn sie aber jemanden als Gefangenen nehmen, fangen die Kopfschmerzen an.« Die zynische Logik scheint sich durch die Probleme zu bestätigen, die Obamas Justizminister Eric Holder nun mit der Auflösung von Guantanamo hat: Hätte damals der kriegerische Pentagon-Kollege Donald Rumsfeld beschlossen, die »unlawful enemy combatants« gleich zu liquidieren, wären heute alle zufrieden.
Dabei hatten bereits zu Zeiten von Bill Clinton die Falken bei der CIA den Finger am Abzug. Die neuentwickelten »Predator«-Drohnen schienen schon früh die ideale Geheimwaffe gegen den unsichtbaren Feind. Die unbemannten Flugzeuge können sich in 15 000 Meter Höhe an die Zielpersonen anschleichen. Die Videokamera an Bord ist per ferngesteuertem Zoom in der Lage, selbst die Nummernschilder verdächtiger Autos am Boden zu lesen. Mit dem Joystick kann der Pilot im sicheren Container eines US-Stützpunkts den Angepeilten durch den unwegsamen Hindukusch, wenn es sein muss, bis ans Ende der Welt verfolgen. Im günstigen Augenblick ein Knopfdruck vom Büroschemel aus: Die »Hellfire« löst sich unter dem Flügel der Drohne und schlägt meist punktgenau ins Ziel ein.
»Capture or kill«, gefangen nehmen oder abschießen: Bei den Todesschützen der Isaf ist das zunächst offen. Es soll sich erst als Ergebnis umfangreicher Recherchen entscheiden, was mit der Zielperson zu geschehen hat. Voraussetzung für eine »Capture or kill«-Operation ist jedenfalls der eindeutige Nachweis, dass die Person eine wesentliche Rolle in der bewaffneten Aufstandsbewegung spielt. Nachrichtendienste und Militärs tragen über Wochen, zuweilen Monate Informationen in einem »Target Folder« zusammen. Das ist eine Art Beweissammlung in diesem Prozess ohne Richter.
Der Isaf-Kommandeur verteilt die Aufträge für die »Zielpersonen« auf der Todesliste an die Nationen in den vier Sektoren des Landes. Die Deutschen stehen im Norden, die Amerikaner im Osten, Briten und Holländer im Süden und die Italiener im Westen. Die Briten gelten neben den Amerikanern mit ihrer Delta Force als die professionellsten Spezialkräfte beim Kampf gegen »High-Value-Ziele«. Der britische Special Air Service verfügt bei derartigen Operationen über die meiste Erfahrung in feindlichem Gebiet.
Die Männer verstünden sich als Profis, als legale Ausführer und Diener ihrer Regierungen, die im Krieg »töten oder getötet werden«, sagt ein Brite. Es gehe schlicht darum, die »Zielperson« zu identifizieren, »aufzuklären« und »auszuschalten«.
Gibt es diese Informationen, dann muss das Isaf-Hauptquartier in Kabul die »Freigabe« für den Angriff erteilen. Dabei soll die Person mit Unterstützung der afghanischen Polizisten und Geheimdienstleute festgenommen werden. Die Beteiligung von Afghanen gilt als wünschenswert, aber auch als Risiko, weil die Operationen im Vorfeld oft verraten werden, weshalb Briten und Amerikaner meist ohne afghanische Unterstützung operieren. Effektiver seien deshalb natürlich die »Tötungs-Operationen«, erklärt ein Isaf-Offizier in Kabul.
Mit besonderer Konsequenz und unabhängig von den Isaf-Truppen spult die CIA ihr Tötungsprogramm gegen al-Qaida und die Taliban ab. Für US-Präsident Obama ist das gezielte Töten eine Chance, den geerbten Krieg gegen die Taliban mit überschaubaren Opfern für Amerika zu entscheiden. Gleich nach Amtsantritt hatte er angeordnet, den Beschuss der Gegner auch außerhalb Afghanistans fortzusetzen.
Ein grenzenloser Erfolg: US-Geheimdienstler jubeln, die Qaida-Führungsriege sei dezimiert, die Organisation gar an der Grenze »zur totalen Niederlage«. Die Drohnen töteten etwa Abu Chabab al-Masri, einen Experten für biologische und chemische Waffen, und Abu Laith al-Libi, einen der höchsten Qaida-Führer. Ende August erwischten sie so auch den Pakistani Baitullah Mehsud, der als der gefährlichste aller Taliban-Führer galt.
Entscheidend für den Erfolg sind oft geheime Helfer in Pakistan, die von Agenten angeworben wurden. Sie markieren den genauen Aufenthaltsort mutmaßlicher Terroristen per GPS - oder bringen gar Peilsender in Wohnungen und Autos an. Bei einem der Angriffe auf den Qaida-Führer Mustafa al-Misri, vor wenigen Monaten mitten im fast steinzeitlichen Nordwaziristan, schlug die Rakete im Haus des Qaida-Mannes ein, und zwar sogar genau im richtigen Zimmer des Lehmbaus. »Wir sind perplex«, sagte ein Talibanführer, der sich das zerstörte Haus anschaute.
Furcht und Schrecken herrscht mittlerweile in der Zivilbevölkerung Pakistans, versehentlich Opfer einer CIA-Markierung zu werden. In der angespannten Situation, schrieb die »New York Times«, mieden pakistanische Tee-Trinker die in der Region verbreiteten Lipton-Teebeutel. Deren leuchtend rote Papier-Anhänger, so befürchteten sie, seien ideale Markierungen für die scharfen Augen der Späher-Drohnen.
Die Erfolge sind auch der Grund, weshalb die Frage, ob die gezielten Todesschüsse eigentlich mit den Werten der Weltmacht vereinbar sind, in den USA kaum diskutiert wird. »Die Öffentlichkeit versteht nicht einmal, dass dies gezielte Tötungen sind - etwas anderes also als das Töten auf dem Schlachtfeld«, sagt der Militärrechtler Gary Solis. Der Rechtsprofessor in Washington hält das Töten im Kampf, der kein Krieg ist, für angemessen. »Die Terroristen sollten denselben Risiken ausgesetzt sein, die sie auch ihren Opfern zumuten.« Aber legal, räumt er ein, seien die Attacken nicht.
Allerdings gibt es einen großen Unterschied zwischen CIA-Tötungen in Pakistan und Angriffen durch die US-Luftwaffe in Afghanistan. In der CIA, so beklagt der ehemalige Berater des Dienstes John Radsan, entschieden Leute, die weder gewählt, noch vom Senat bestätigt sind, über Tod und Leben. Diese Leute könnten gezielte Tötungen in einem Land veranlassen, mit dem die USA gar nicht im Kriegszustand seien. Das Militär hingegen ist extrem durchreglementiert. Bei jedem Schritt auf dem Weg zu einer Entscheidung über ein Ziel, so wissen Experten, sei ein Jurist zugegen.
Über die Frage, wann man Terroristen töten darf, ist in keinem demokratischen Staat so offen und so leidenschaftlich gestritten worden wie in Israel. Der von Feinden bedrängte Zwergstaat hat Jahre gebraucht, um zu einer klaren Antwort auf die Bombenanschläge der Selbstmordattentäter aus den Palästinenser-Gebieten zu kommen.
Als sich die Palästinenser im Jahr 2000 zur zweiten Intifada gegen Israel erhoben, begann das Land seinen offenen Krieg gegen den Terror. Am 31. Dezember 2000 töteten israelische Scharfschützen Thabit Thabit, den Führer des politischen Arms der Fatah in der Stadt Tulkarm im Westjordanland.
Das Entsetzen im eigenen Land war groß, als im Juli 2002 die israelische Luftwaffe eine 1000-Kilo-Bombe auf ein Haus in Gaza-Stadt abwarf. Sie galt dem Chef des militärischen Arms der Hamas, Salah Schahada. Die Bombe tötete neben Schahada mindestens 14 weitere Menschen, darunter neun Kinder. Mehr als 170 Nachbarn wurden verletzt. Eine 1000-Kilo-Bombe, um einen Gegner auszuschalten? 27 Piloten der Luftwaffe weigerten sich danach, Wohngebiete zu bombardieren.
In der Not der permanenten Bedrohung hatte Israel damals ganz offen die Grenzen zwischen Krieg und Frieden eingeebnet. Israels Militärspitze beauftragte den Oberst Daniel Reisner, Leiter der Völkerrechtsabteilung, eine Rechtfertigungsstrategie für die scharfen Schüsse seiner Militärs zu entwickeln.
Der Jurist Reisner stellte seinem kriegerischen Staat fünf Bedingungen, unter denen das Töten auf der Spur zwischen Krieg und Frieden erlaubt sein sollte:
* Nur direkt in den Terror verwickelte Palästinenser dürfen ins Visier genommen werden;
* nur in den »Palästinensischen Autonomiegebieten«, wo Israel keine direkte Kontrolle ausübt;
* nur wenn es keine Möglichkeit gibt, sie festzunehmen;
* die Operation muss dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgen, die Gefahr von Kollateralschäden muss auf ein Minimum reduziert werden;
* die Regierung selbst muss die Tötungsbefehle geben.
Reisners Regeln sollten alsbald um die Welt gehen: Könnte so das Kriegsrecht der neuen Generation aussehen? Völkerrechtler der westlichen Demokratien, erschreckt von Bushs »Krieg gegen den Terror«, verfolgten mit Spannung, was sich da in Nahost entwickelte. Und tatsächlich legte sich - nach einigem Zögern - auch der israelische Oberste Gerichtshof, auf Klagen von Menschenrechtlern hin, auf die klaren Grenzen im Kampf gegen den Feind fest. Ausgerechnet Israel, wegen seiner Härte im Krieg und der Grausamkeit seiner Vergeltungsaktionen gefürchtet und kritisiert, verordnete sich Grenzen des Tötens, die etwa vom deutschen Kriegsrechtsexperten Kreß als »klar menschenrechtlich geprägt« gelobt wurden.
Doch mit solchem Recht, zeigte sich schnell, lässt sich kein Frieden machen. Die Falken unter Israels Anti-Terror-Strategen halten seitdem die restriktiven Regeln für eine nützliche Legitimation, um umso erbitterter zu agieren. »Sikul Memukad« ("gezielte Vereitelung") nennt die Armee die Politik der Liquidierungen. Der Begriff soll eine moralische Überlegenheit zum Ausdruck bringen: Während der Terrorist ziellos vorgeht und so viele Zivilisten wie möglich umbringen wolle, so die Botschaft, konzentriere sich der Staat auf ein klares Ziel. Zudem werden die Tötungen als Präventivmaßnahme dargestellt, die Schlimmeres verhindern soll.
»Bevor der andere mich zum Abendessen frisst, esse ich ihn zu Mittag«, sagt der Ex-Polizeiminister Awi Dichter. Der 56-Jährige mit den kurzen grauen Haaren spricht die kantige Sprache der Geheimdienstler. Von 2000 bis 2005 führte er den Inlandsgeheimdienst Schin Bet.
In diesem Sinne handelt Israel bis heute: Anfang dieses Jahres, als Jerusalem auf breiter Front gegen Hamas-Terroristen im Gaza-Streifen Krieg führte, töteten die Israelis den Hamas-Führer Said Siam, 50, mit einem gezielten Luftangriff auf das Haus seines Bruders.
Die weltweite Kritik am harten Vorgehen Israels im Gaza-Streifen, das rund 1400 Bewohnern das Leben kostete, kontert Dichter ungerührt: »Vergleichen Sie das mit dem Vorgehen des Westens in Afghanistan. Nirgendwo wägen Militärs und Politiker so sorgsam ab wie in Israel.« So massiv wie die Isaf-Truppen würde das kleine und unmittelbar bedrohte Israel niemals mit seinen Gegnern umspringen.
Wer ist der Gegner in den neuen Kriegen? Alles hängt nach Ansicht von Völkerrechtlern nun von dieser Frage ab. »Der entscheidende Weg, den Krieg zu begrenzen, ist eine scharfe Linie zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten zu ziehen«, fordert der amerikanische Philosoph Michael Walzer: »Dies ist die einzig moralisch relevante Unterscheidung, der alle am Krieg Beteiligten zustimmen können.«
Gerade an den umkämpften Grenzen Israels, so Walzer, zeige sich, dass der Terrorismus nichts anderes sei als der »konzentrierte Versuch, diese Unterschiede zu verwischen«. Der Staat, der gegen den Terror kämpfe, »sollte das nicht imitieren«.
Wen sollen wir töten? Die Frage stellt sich anders, wenn es nicht mehr um Konflikte zwischen Staaten geht, sondern um »asymmetrische Kriege« von Staaten gegen Gruppen von Befreiungskriegern, Räuberbanden oder Terroristen. Die Antwort suchen Völkerrechtler im Text einer Genfer Kriegsrechtskonvention von 1977. Das Übereinkommen, das die meisten Staaten - wenn auch nicht die USA - unterschrieben haben, entzieht in bewaffneten Auseinandersetzungen nur solchen Personen den humanitären Schutz für die Zivilbevölkerung, die sich an Feindseligkeiten »unmittelbar beteiligen«.
Die »direkte Teilnahme« ist nun weltweit zum Schlüsselbegriff des Völkerrechts für die Gewaltordnung gegen den Terrorismus geworden. Und die Regierungen fast aller westlichen Staaten schicken ihre besten Juristen auf immer neue Tagungen, um einen weltweiten Konsens über die Frage zu erzielen, was darunter zu verstehen sei.
Direkte Teilnahme: Dazu genüge es, sagen die Scharfmacher in den USA und in
Israel, dass die Zielperson mit einer festen Funktion in einer Terror-Gruppierung eingebunden sei. Das gehe viel zu weit, halten vor allem menschenrechtsorientierte Völkerrechtler dagegen: Ins Visier dürfe der Staat nur Aktivisten nehmen, soweit und solange sie an konkreten Terrorangriffen beteiligt sind. Das sei viel zu eng gefasst, sagen die Praktiker des Anti-Terror-Krieges: Dann gebe es keine Handhabe gegen die »Drehtür«-Terroristen, die tags als harmlose Bäcker am Pizza-Ofen stehen und nachts die Kalaschnikows hervorholen, um am bewaffneten Kampf teilzunehmen.
Eine »entscheidende Wende«, sagt der Kölner Experte Kreß, hat der Welt-Streit ums Töten durch ein Gutachten genommen, das im Sommer das »Internationale Komitee des Roten Kreuzes« (IKRK) in Genf vorgelegt hat. Die IKRK-Juristen sind die Hüter der Genfer Kriegsrechtskonventionen und gelten weltweit als wichtigste Instanz in allen Fragen des humanitären Völkerrechts.
Das IKRK kommt den Scharfmachern etwas entgegen - aber nur etwas: Nicht nur jene Personen, so die Experten, seien als direkte Teilnehmer am Kampf, als feindliche Kombattanten zu betrachten, die einzelne Gewaltakte begehen, sondern auch schon jene, die bei der Vorbereitung konkreter Anschläge helfen. Darüber hinaus müsse sich als bewaffneter Feind behandeln lassen, wer in einer Miliz- oder Terrororganisation eine feste Funktion innehabe.
Wen darf der Staat töten? Nicht nur die Täter, so die Völkerrechtler, auch die Funktionäre seien legitime Ziele. Doch die umfassende Erlaubnis, Raketen zu den Top-Taliban zu schicken, erfährt eine wichtige Einschränkung: Weil ein Krieg wie in Afghanistan eben doch kein richtiger Krieg ist, müssen sich die Militärs zurückhalten, solange die Probleme mit den Mitteln der Polizei zu lösen sind: Selbst ein Drahtzieher des Terrorismus darf nicht erschossen werden, wenn dies nicht nötig ist, weil er auch verhaftet werden könnte. »Capture« statt »kill« ist demnach die wichtigste Einsatznorm im »Krieg« gegen den Terror.
Warum es auf Afghanistan ankommt: Hier wird sich zeigen, ob ein neues Kriegsrecht der asymmetrischen Kriege funktionieren kann - und ob es durchsetzbar ist. Oberst Klein, so heißt es, habe die Möglichkeit, die Lastwagenfahrer verhaften zu lassen, nicht einmal erwogen - mangels Personal. THOMAS DARNSTÄDT, JOHN GOETZ,
SUSANNE KOELBL, CORDULA MEYER, CHRISTOPH SCHULT
* Links: Am 4. September 2009 in Kunduz; rechts: mitUS-Oberbefehlshaber Stanley McChrystal.* Oben: Im Mai in der afghanischen Provinz Lugar; Mitte: beider Amtseinführung im Januar mit Ex-Präsident George W. Bush (r.)und Vize-Präsident Joseph Biden.* Im August 2007 auf dem Flughafen Berlin-Tegel mit demdamaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (l.).