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AUS SPIEGEL 44/1993 »Wen provoziere ich denn?«

SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein über den SPIEGEL
aus DER SPIEGEL 2/2007

SPIEGEL: Herr Augstein, 1967 haben Sie gesagt: »Der SPIEGEL wird fortlaufend weniger mein Kind sein. Das wäre schrecklich, wenn der SPIEGEL auf mich angewiesen wäre.« Ist er noch Ihr Kind?

Augstein: Das wäre ja ein ziemlich dickes, großes Kind. Nein, das ist alles cum grano salis zu nehmen. Der SPIEGEL wird schon ohne mich können. Jederzeit.

SPIEGEL: Warum sieht man Sie so wenig im SPIEGEL?

Augstein: Ich arbeite lieber zu Hause. Wenn ich aber da sein muss, komme ich. Und auch solange ich was Nützliches bewirken kann oder zumindest den Gedanken habe, ich könnte es.

SPIEGEL: Wie sieht dieser Nutzen aus?

Augstein: Kann man erst ermessen, wenn ich gar nicht mehr bin.

SPIEGEL: »Sturmgeschütz der Demokratie« hat der junge Rudolf Augstein sein Blatt einst genannt. Beim Lesen Ihrer Kommentare entsteht mitunter der Eindruck, dass Sie heute nur noch mit der Schrotflinte schießen.

Augstein: Entschuldigen Sie mal, Sturmgeschütze sind doch nur in Zeiten ange-

bracht, wo es etwas zu stürmen gibt. Das

ist heute nicht mehr der Fall.

SPIEGEL: Wie bitte?

Augstein: Das Land ist im Kern gesund. Mit den Problemen, die wir jetzt haben, können wir langfristig wohl fertig werden. Wenn wir denken, wir könnten es nicht, werden wir zu Recht als wehleidig gescholten.

SPIEGEL: Der SPIEGEL schreibt Woche für Woche das Gegenteil: Umweltzerstörung, Staatsverschuldung auf Rekordniveau, Massenarbeitslosigkeit. Wie passt das zusammen?

Augstein: Wenn ich sage, Deutschland ist ein kerngesundes Land, dürfen Sie die Ironie, die dabei mitschwingt, da das Zitat schließlich von Heine stammt, nicht außer Acht lassen. Ich bin wie Sie der Meinung, dass es Probleme gibt, für die man im Augenblick keine Lösung hat. Was Schopenhauer einen »ruchlosen Optimismus« nennt, können Sie mir wirklich nicht vorwerfen. Den hab ich nicht.

SPIEGEL: Ist es nicht Ausdruck einer Art präsidialer Gleichgültigkeit, dass der Herausgeber diese Probleme als nicht mehr so brennend empfindet? Ein politisches Blatt, haben Sie früher einmal gesagt, muss Opposition betreiben.

Augstein: Aber nur zu 51 Prozent. Von der Opposition allein kann man doch nicht leben, noch dazu, wenn man Rezepte gar nicht anzubieten hat. Wer nichts zu sagen hat, soll keine Kommentare schreiben.

SPIEGEL: Was ist aus dem Kämpfer Augstein geworden, der vor noch nicht allzu langer Zeit gesagt hat: »Kohl bleibt Kohl, da hilft auch kein Zylinder«?

Augstein: Gilt heute auch noch.

SPIEGEL: Heute lesen wir aber: »Kohl ist kein schlechter Politiker.«

Augstein: Wenn ein Mann diese Durchsetzungsfähigkeit und diesen Fleiß hat und alles niederbügelt, dann ist er doch ein guter Politiker. Er mag eine schlechte Politik machen. Das ist etwas anderes.

SPIEGEL: Kann der Herausgeber Augstein seinem Blatt diese Bewertung des Politikers Kohl zumuten?

Augstein: Ich hab eins gelernt: Man kann politische Gegner nicht wegschreiben.

SPIEGEL: Aber gegen sie anschreiben.

Augstein: Auch nicht.

SPIEGEL: In Ihren Kommentaren sind Sie oft ein ressentimentgeladener Provokateur.

Augstein: Wen provoziere ich denn?

SPIEGEL: Uns.

Augstein: Schadet nichts. Die Wahrheit muss ja doch ans Licht.

SPIEGEL: Haben Sie etwas dagegen, wenn man Sie einen Nationalisten nennt?

Augstein: Ich denke national, daraus habe ich nie ein Hehl gemacht. Wir können nicht darauf verzichten, unsere nationalen Interessen wahrzunehmen, wenn alle anderen das auch tun. Wir müssen uns doch wehren dürfen gegen diesen dauernden Verdacht, wir wollten hier noch irgendwas erobern. Wir wollen nichts erobern. Wir verteidigen unsere Besitzstände. Das tun die anderen auch. Wir dürfen uns aber nie erlauben, das zu tun, was die Franzosen tun.

SPIEGEL: Ansichten eines Provinzlers, wie Sie sich selbst mal genannt haben?

Augstein: Ja, aber eines weitgereisten Provinzlers.

SPIEGEL: Bei vielen Themen hat die Redaktion schon gegen Sie angeschrieben, in Sachen Maastricht sogar sehr demonstrativ.

Augstein: Sehr dämlich allerdings auch.

SPIEGEL: Wie weit darf sich ein Herausgeber von seiner Redaktion entfernen?

Augstein: Rein rechtlich bestimmt der Herausgeber die geistige Richtung des Blattes.

Dies war natürlich immer Makulatur. Ich bin doch keine Verhinderungsmaschine. Aber der Herausgeber muss sich nicht allem anpassen, was in dem Blatt, das er herausgibt, gedruckt wird. Ich schreibe, was ich denke, weil das die einzige Richtlinienkompetenz ist, die mir verblieben ist. Und nach der muss sich niemand richten.

SPIEGEL: Alles ist möglich?

Augstein: Wir müssen den Lesern gute Geschichten liefern. Lesbar und informativ müssen sie sein, und vergnüglich dürfen sie auch sein.

SPIEGEL: Finden die Leser auch im »Playboy«.

Augstein: Wir müssen aber politisch kenntlich sein. Wir können allerdings nicht sagen, wir sind ein Blatt, das nur linke Positionen vertritt, wo es linke Positionen in dem Sinne wie früher gar nicht mehr gibt. Es geht ja jetzt alles immer quer durch alle Reihen. Aber aus der Entstehungsgeschichte des SPIEGEL ergibt sich doch, dass bestimmte Dinge bei uns nicht möglich sind.

SPIEGEL: Zum Beispiel?

Augstein: Ich würde nur von einem Autor, der nicht der Redaktion angehört, eine Geschichte wollen, die etwa den päpstlichen Standpunkt in der Abtreibungs- und Pillenfrage befürwortet. Als Meinung des Blattes könnte es nicht erscheinen.

SPIEGEL: In wichtigen Fragen reden auch die Mitarbeiter mit. 1974 haben Sie ihnen 50 Prozent der Anteile am SPIEGEL geschenkt, die Mitarbeiter bestimmen seither bei allen wichtigen Entscheidungen mit. Sie wollten dann 1989 dieses Modell wieder rückgängig machen. Warum?

Augstein: Ich hatte Zweifel. Ich war unsicher, ob wir uns dadurch nicht zu sehr blockierten. Ich dachte mir, dass wir unbeweglicher seien als andere. Es geht oft darum, dass wir gerne Rücklagen bilden würden, anstatt die Gewinne auszuschütten. Da sind die Mitarbeiter natürlich ein bisschen schwerhörig.

SPIEGEL: Das heißt, Sie haben Ihre Großzügigkeit bereut?

Augstein: Zwischendurch habe ich es bereut. Heute tue ich das nicht mehr. Wir sind zwar etwas unbeweglicher als andere, aber das wird durch das größere Selbstbewusstsein der Mitarbeiter kompensiert.

SPIEGEL: Sie haben Ihren Erfolg selbst ja mal so definiert: »etwas Sein, etwas Schein, etwas Schwein«. Könnten Sie das ein bisschen gewichten?

Augstein: Zumindest nicht mehr scheinen als sein.

SPIEGEL: Und das Schwein?

Augstein: Ja, Schwein muss man haben. Glück eben. Und das hatte ich, und nicht zu knapp.

SPIEGEL: Herr Augstein, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

* Susanne Koelbl, Marianne Wellershoff, Hajo Schumacher, Gabor Steingart in Augsteins Urlaubsort Innsbruck.

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