»Wen suchen wir denn eigentlich?«
Wir werden den Mördern keine Chance lassen. Sie werden nicht mehr zur Ruhe kommen.
Regierungssprecher Bölling am 19. Oktober 1977, nach der Ermordung von Hanns Martin Schleyer
Das Wort der Terroristen steht gegen das Wort der Regierung. Sie haben Rache angekündigt für »die Massaker von Mogadischu und von Stammheim«. Sie wollen zuschlagen, so die eigenen Worte, mit viel »Liebe, also Haß und Phantasie«.
Daß das ernst zu nehmen ist, bezweifelt keiner der Bonner Spitzenpolitiker. Sie befürchten, vom Kanzler bis zum Hinterbänkler, neue Anschläge, brutaler, abgefeimter womöglich noch als das, was bislang geschah. Und kein Fahnder von Rang zweifelt daran, daß die Terroristen die Gelegenheit dazu finden können -- da hat Regierungssprecher Bölling, wenn er meinte, den Mördern werde nun die Chance zum Morden verwehrt, wohl nur moralische Aufrüstung betrieben.
Aber daß sie es schwerer haben werden, daß ihre Risiken wachsen, ist
*In Nürnberg verteilen Polizistinnen Flugblätter an Passanten.
gleichfalls absehbar. In Ruhe gelassen, da war der Regierungssprecher wiederum ganz präzise, werden sie gewiß nicht mehr. Zumindest unternimmt die Polizei im In- wie Ausland die bislang intensivsten Anstrengungen, den Tätern auf die Spur zu kommen. Vor allem aber: Die westdeutsche Kripo rüstet um.
Letzte Woche konstitutierte sich eine »Bund-Länder-Kommission Zielfahndung« aus Kriminalisten des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Länderkriminalämter (LKA), die das dringlichste Polizeiziel, die Ergreifung der durchweg bekannten Täter, befördern soll. Damit schaltet sich das BKA, nach dem Gesetz eigentlich nur zuständig für Ermittlung und Koordinierung, erstmals in die direkte Terrorismus-Fahndung ein, die normalerweise Ländersache ist.
Die Neuorganisation, von BKA-Chef Herold seit langem angeregt, möglich aber erst unter der Schockwirkung der jüngsten Terroranschläge, soll die sogenannte Zielfahndung verstärken.
In der vertraulichen, bundeseinheitlichen Polizeidienstvorschrift gibt es das Wort »Zielfahndung« nicht. Da ist lediglich von »Großfahndung« die Rede ("Nach schweren oder die Bevölkerung erheblich beeinträchtigenden Straftaten"), von »Alarmfahndung« ("Eine ländermäßig vorbereitete, aus akutem Anlaß schlagartig durchgeführte örtliche oder überörtliche gezielte Fahndungsaktion nach Personen und Sachen") oder auch von »Ringalarmfahndung«, wie sie etwa nach dem Mordanschlag auf Generalbundesanwalt Buback in Karlsruhe und der Entführung von Arbeitgeberpräsident Schleyer in Köln angeordnet wurde (in beiden Fällen ohne Erfolg).
Gleichwohl ist »Zielfahndung« seit zwei Jahren ein gängiger Begriff in deutschen Polizeiämtern geworden: Unter dieser Arbeitsbezeichnung firmieren die Anstrengungen vor allem der Landeskriminalämter, mit kleineren Gruppen von Spezialisten, drei bis fünf Mann, die Suche nach den »Zielpersonen«, den Top-Terroristen, zu forcieren.
Jede dieser Fahndungsgruppen hat nur eine Zielperson. Alles, was aus anderen Bereichen der Fahndung an Spuren oder Erkenntnissen anfällt, landet auf dem Tisch der jeweiligen Zielfahnder -- oder sollte wenigstens dort landen: Computer-Ausdrucke und die Ergebnisse kriminaltechnischer Untersuchungen, Zeugenbeobachtungen und Geheimdiensthinweise.
Die Zielfahnder in den Ländern haben, das ist unter Fachleuten unumstritten, in monate- ja jahrelanger Recherche gründliche Personagramme ihrer Fallpersonen erstellt. Welche Zigarettenmarke ihr Terrorist raucht, welche Mädchen lesbische Beziehungen unterhalten, wer mit wem kreuz und quer wann und wo gewesen ist -- alles nur irgend Zugängliche, Bekanntgewordene ist verzeichnet, ebenso wie die in Schaubildern registrierten Beziehungen zu Kontaktpersonen, Verwandten, früheren Freunden.
Die Kriminalisten kennen die Stimme (vom Band), die Blutgruppe, das Zahnschema ihrer Zielperson. Was die früher einmal im Seminar an der Uni geschrieben hat, haben ihre Zielfahnder wohl gelesen. Den Sprachduktus zu kennen, ist wichtig bei der Identifizierung von Erpresserbriefen; typische Kommafehler in einem Text wären schon eine Spur, Fachwörter, etwa aus der Elektronik, ein Element fürs Fahndungsraster.
Die Fahnder können sich dabei auf kriminaltechnische Untersuchungen der Landeskriminalämter und vor allem des BKA stützen, deren Qualität nach Meinung internationaler Fachleute »als einmalig in der Welt« gilt; nur das amerikanische FBI sei in »einigen Spezialbereichen« vergleichbar. Spurensicherung, Computer-Identifizierung -- »alles prima, nur«, so ein Fahnder keineswegs ironisch, »gefangen haben sie damit kaum einen«.
Im Zugriff liegt die Schwäche, beklagt nicht nur von Politikern wie Franz Josef Strauß ("Der Polizeicomputer in Ehren"), sondern auch von Fahndern selber. Der Ermittlungsperfektion steht ein Fahndungsdefizit gegenüber, und die Errichtung der neuen Kommission Zielfahndung ist der Versuch, dieses Manko zu beheben oder wenigstens zu verringern.
Es ist eine konzertierte Aktion von Bund und Ländern: Alle bisherigen Zielfahnder in den Landeskriminalämtern werden »binnen 14 Tagen«, wie BKA-Chefermittler Gerhard Boeden ankündigt, in den Bonner BKA-Gebäuden an der Koblenzer Straße zusammengezogen, neu formiert -- und kombiniert mit 50 Kriminalisten vom BKA, die bislang in der Sicherungsgruppe Schutz und Begleitung gewährt haben und dort nun von Oberbeamten des Bundesgrenzschutzes ersetzt werden. Die neue Truppe bekommt damit den Charakter einer kriminalistischen Spezialeinheit von Bund und Ländern.
»Sicherlich das Beste, was wir unter den derzeitigen rechtlichen Umständen machen können«, meint ein Leitender aus dem Bonner Innenministerium; wohl die wesentlichste Neuerung im bundesweiten »Security Check-up« den sich nach Beobachtungen des US-Nachrichtenmagazins »Newsweek« die ganze westdeutsche Gesellschaft neuerdings verpaßt hat; »von Wirkung eben auch dann«, wie ein BKA-Mann hofft. »wenn die derzeitige öffentliche Fahndung verebbt«.
Noch geht sie hoch. Noch prägt das Bild, was an jenem Abend begann, an dem die getötete Geisel Schleyer aufgefunden wurde -- die optisch allfällige Suche mit Straßensperren, Razzien und TV-Spots vom Bundeskriminalamt.
Allein in den ersten fünf Tagen nach Entdeckung des Schleyer-Mordes wurden im Bundesgebiet eine Dreiviertelmillion Personen und ebenso viele Kraftfahrzeuge überprüft. 3462 Kontrollstellen wurden allein in der Zeit zwischen dem 22. und 25. Oktober eingerichtet. Zeitweilig gab es keine grünen Grenzen mehr, in den Küstengewässern kreuzte Polizei, Grenzschutzbeauftragte schwärmten zwecks Personenkontrolle selbst zu ausländischen Urlauber-Flugplätzen aus, gegen den Terrorismus von oben.
Am Grenzübergang Helmstedt-Marienborn setzte es bis zu sechs Stunden Wartezeit; ein Sprecher des Bundeskriminalamts, am ersten Fahndungstag von Norddeutschland nach Wiesbaden per Auto unterwegs, mußte auf der Strecke nicht weniger als 22mal den Ausweis zeigen.
Anzeigenkampagnen und Mithilfe-Aufrufe des Bundeskriminalamtes flankierten die Großaktion von zeitweilig über 80 000 Polizeibeamten, allein Nordrhein-Westfalen sandte 18 000 auf Terroristenjagd. In Ländern wie Hessen, Rheinland-Pfalz und Saar prüften Beamte jeweils an die 40 000 Bürger. Kaum geringer das Pensum in Schleswig-Holstein, wo auch noch die Wasserkante im Sucher lag -- 182 Sportboote wurden gefilzt.
Um den Stuttgarter Dornhalden-Friedhof legte die Polizei beim Terroristenbegräbnis vorletzte Woche einen Kordon. Trauergäste, die sich vor den Kameras der Fahnder unter palästinensischem Feudel-Kopfputz zu verbergen hofften, mußten am Ende das karierte Tuch lüpfen: Alle 1200 Grabgänger wurden auf dem Abmarsch polizeilich überprüft.
Hochbetrieb auch im polizeilichen Innendienst: Über 15 000 Hinweise steckte die Bevölkerung den Beamten, und Akt für Akt mußte alles über den Amtstisch, so sorgsam es ging und rund um die Uhr. Die Gewerkschaft der Polizei beklagt mittlerweile die »7-Tage-Woche« der Kollegen: »Wenn sie frei haben, haben sie Rufbereitschaft. Es wird bis zum Umfallen gearbeitet.« NRW-Polizisten summierten bis Mitte letzter Woche 1,2 Millionen Überstunden, 120 000 davon allein in Köln.
Unbeteiligte bekamen bei soviel Einsatz auch was ab -- wie jener Motorradfahrer beim hessischen Großkrotzenburg, der, unbescholten, doch durch Polizeiverfolgung geängstigt, vor dem Peterwagen in einen Acker fuhr. In Bad Soden krachten Polizisten, die mit Blaulicht und Sirene einen versehentlich Verdächtigten verfolgten, in den Gegenverkehr.
Unverhofften Polizeikontakt hatten in den letzten Wochen zahlreiche Bundesbürger; mancherorts wurden ihnen hernach amtlich vorgedruckte Entschuldigungszettel zugesteckt, anderswo nicht. Ohne Satisfaktion blieb etwa der Beatmusiker Manfred Ritter ("Freddy Knight") aus dem rheinlandpfälzischen Dudeldorf. Mit seinen »Camelots« geriet der Bandleader nächtens vor die MP-Läufe eines Kripo-Kommandos. Ritter führt nun Klage, er sei vom Polizeihund gebissen, vom Herrchen »Scheißkünstler« tituliert und erst nach langer Prozedur auf dem Polizeipräsidium Kaiserslauterns vom Verdacht befreit worden; und kein Wort der Entschuldigung.
Sonderbare Fänge waren zu vermelden: ein fünfzehnjähriger Autofahrer mit einem Pkw voller Diebesgut (Rendsburg), ein Justizvollzugsbeamter, der auf eigene Faust einen Terrorverdächtigen sistiert hatte ("Du kommst sofort in den Knast!") und mit seinem Gefangenen erst am Anstaltstor gestoppt werden konnte (Butzbach).
Allerdings erleichterte mancher Fehlgriff bei der Vollkontrolle den Polizisten anderwärts wiederum die Arbeit. In Hildesheim stoppten sie sogar zwei Ganoven, die mit Perücken, Gesichtsmasken und zwei abgesägten Kleinkalibergewehren unterwegs zum Bankraub waren.
»Die Einbrecher gehen »ne Weile nicht auf Tour.«
Sonst noch im Netz: kleine Rauschgiftinhaber, flüchtige Zahlväter. die wegen Alimentenrückständen ausgeschrieben sind, immer wieder auch Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis und Autodiebe. Allein in Bayern wurden 216 als gestohlen gemeldete Autos von Terroristenjägern entdeckt.
Auch unter den 80 Bürgern, die schon in den ersten Stunden der Großfahndung in Nordrhein-Westfalen festgenommen wurden, war nicht ein einziger Terrorverdächtiger, so auch in Schleswig-Holstein, wo die Polizei andererseits auf »zwölf normale Festnahmen« kam. Kein Zweifel: An dem vom BKA-Chef Horst Herold beklagten »Ergreifungsdefizit« der Terroristenjagd änderte sich vorderhand nichts wie erwartet.
Denn kalkulierter Zufall ermöglichte es diesmal nicht, jedenfalls nicht bis zum letzten Wochenende, unter Zehntausenden von Hinweisen schnell genug wirklich harte auszusondern und umgehend in Fahndungserfolg zu münzen. Nirgends weit und breit der goldene Tip »eines alten Weibes«, wie er -- so Franz Josef Strauß höhnisch -- den Fahndern nach dem Buback-Mord aus der Patsche half und zur Festnahme der Verdächtigen Sonnenberg und Verena Becker führte.
Was Wunder auch: Die Fahnder vermuteten die 16 gesuchten Spitzenterroristen und etliche ihrer Helfer und Helfershelfer ohnedies im Ausland. Immerhin, soviel Staat überall auf den Straßen nahm auch fürs erste den Spielraum für terroristische Racheaktionen.
Und unbestreitbar erfüllte sich ein anderer Nebenzweck der polizeilichen Herbstmanöver: Die herkömmliche Kriminalität ließ vorübergehend nach. Vor allem überregional tätige Ganoven, die für ihre Geschäfte freie Bahn brauchen, schrecken wohl derzeit von Aktivitäten zurück -- da »man nicht einmal mehr einen geklauten Fernsehapparat beiseite schaffen kann«, wie der Sprecher des Düsseldorfer Innenministeriums meint.
Die schleswig-holsteinische Kripo berichtet von »nicht unerheblichem Rückgang« der allgemeinen Kriminalität im Vorjahresvergleich; in Stuttgart beispielsweise notierten Kripostellen speziell weniger Auto- und Wohnungseinbrüche als sonst. Ebenso in bevorzugten Anlaufgebieten der Terroristen, denen besondere Fahndungsaktivität galt. Fazit im Raum Rhein-Main: »Die Einbrecher und so gehen halt für »ne Weile mal nicht auf Tour.«
Davon abgesehen aber brachte die Großfahndung Negatives von Belang. Wieder einmal zeigten sich die Schwachstellen solcher Fahndungen überhaupt: technische Unzulänglichkeiten des polizeilichen Fahndungsapparates, mangelhaftes Training, schließlich die Geographie der großen Räume, die mit noch so hohem Personalaufwand, noch so peniblen Fahndungskonzepten schwer in den Polizeigriff zu bekommen ist. So zeichnet sich die Umgebung von Kontrollstellen nach wie vor durch rege Betriebsamkeit auf den Funkfrequenzen ab. Wer außer der Polizei noch auf Empfang ist, kann den Fahndungsort von weitem ausmachen und nach Belieben umfahren.
Daß »jeder, der will, mithören kann und sogar unsere taktischen Vorbereitungen mitbekommt, ist«, so Niedersachsens Kriminalamtschef Waldemar Burkhard, »natürlich ein großes Handikap«. »Zerhacker« oder »Sprachverschleierer«, die in jedes einzelne Funkgerät eingebaut werden müßten, um den Sprechverkehr zwischen Einsatzzentralen, Streifenwagen oder Observationspatrouillen für Mithörer am privaten UKW-Koffer oder am Fluchtauto-Radio unkenntlich zu machen, waren den Beschaffern bislang zu teuer.
Funktechnik gibt lichtscheuen Verkehrsteilnehmern einen weiteren Vorteil: Über CB-Funk lassen sich verschlüsselt und unkontrollierbar Botschaften austauschen: ein gesuchter Terrorist könnte also, wie ein Wiesbadener Kriminalist durchspielt« einen Helfer vorausfahren lassen, der zunächst einmal »abcheckt« ob die Strecke auch cool ist«.
Nach zwei Wochen großer Lage in der Bundesrepublik käme das Mißverhältnis von Überprüfungen und Ergebnissen derzeit etwa auf die Formel Kontrollen : Sistierungen = 2500 : 1. Praktiker halten der vom BKA angeregten Schleppnetzfahndung nun den alten Kriminalauer entgegen, wonach »Täter meist dort zu finden sind, wo sie sich aufhalten, und nicht, wo sie vorbeikommen könnten« (so ein Pfälzer Kripomann über die Serien von Straßensperren). Mit dem Schleppnetz, so ein anderer Länderkripomann, könne »doch allenfalls nur eines gemeint sein, daß nicht die Karpfen aus dem Teich, sondern die alten Stiefel und rostigen Eimer vom Teichgrund zutage gefördert werden«.
Auch die dem Worte nach gestrenge Ringalarmfahndung garantiert keinen Erfolg. Sie soll speziell dann durchgreifen, wenn zwischen der Tat und ihrem Bekanntwerden nicht mehr als eine halbe Stunde verstrichen ist: Auf der »Kontrollstellenkarte«, auf der die im Alarmfall an Straßenkreuzungen, Brücken oder Autobahneinfahrten einzurichtenden Straßensperren und Beobachtungsposten eingetragen sind, hat der Fahndungs-Einsatzleiter dann eine durchsichtige Schablone mit vier konzentrischen Kreisen so anzulegen, daß sich ihr Mittelpunkt mit dem Tatort deckt
Jeder der Kreise begrenzt eine Fahndungszone -- einen inneren »Ring 20«, der eine Fläche von 20 Kilometer Radius rund um den Tatort abdeckt, einen »Ring 30«, der das Gebiet zwischen 20 und 30 Kilometer Entfernung umfaßt, einen »Ring 40« sowie einen »Ring 50«.
Je nach verstrichener Zeit und der danach zu errechnenden Entfernung, die der Täter mittlerweile zurückgelegt haben könnte, löst die Einsatzleitung nun für einen der Ringe Alarm aus, Lind die Funkstreifen der Region besetzen die ihnen im »Kontrollverzeichnis« zugewiesenen Positionen.
Das gesamte Bundesgebiet ist mittlerweile mit einem Netz von Kontrollstellen überzogen« doch längst nicht so dicht, daß es über Nebenstraßen oder Feldwege keine Schlupflöcher aus den Ringen mehr gäbe: In entlegenen, dünnbesiedelten Gebieten muß sich die
* Mit der Maschinenpistole, die bei der Ermordung des Generalbundesanwalts Buback benutzt wurde.
Polizei mit den taktisch wichtigsten Kontrollstellen begnügen, weil im Alarmfall gar nicht mehr Funkstreifen rechtzeitig zur Verfügung stünden. In Ballungsräumen ist zwar die Polizei-Präsenz höher, aber auch das Straßennetz dichter und unübersichtlicher.
Chancen, einer Ringalarmfahndung zu entgehen, hat ein Täter allerdings auch, wenn er gar nicht erst versucht, Distanz zum Tatort zu gewinnen, und statt dessen noch im inneren Ring zuwartet, bis die Fahndung eingestellt wird. In einem Lokal der oberen Preisklasse etwa sitzt er dort nach Einschätzung eines westdeutschen Polizeilehrers ziemlich sicher: »In gute Restaurants geht die Polizei nämlich nicht rein.«
Denn eine »Polizisten-Schwäche und damit eine Fahndungs-Schwäche« ist nach Erfahrung des Fachmanns, daß Polizisten bei der Sortierung nach böse und gut zu »tief ansetzen« und sich noch immer von dem »Zerrbild« leiten lassen, wonach Verdächtige und potentielle Straftäter vornehmlich in der unteren Unterschicht zu suchen sind.
Daß beispielsweise Bankräuber überwiegend aus der oberen Unterschicht und der unteren Mittelschicht kommen, belegten bereits kriminologische Untersuchungen der 60er Jahre. Daß die Terroristen zumeist aus gutbürgerlichen Kreisen stammen, ist eines der meist beschriebenen Gegenwartsphänomene.
Offensichtlich sind aber selbst Polizeiobere noch in Vorurteilen befangen. Als letzten Monat an Deutschlands Polizisten Informationskärtchen über das »Fahndungsraster konspirativer Wohnungen« mit der Empfehlung verteilt wurden, »zur Erlangung von Fahndungshinweisen« unter anderem auch bei »Immobilienmaklern« oder »Energielieferungsunternehmen« nachzufragen, lief über westdeutsche Polizeifernschreiber im Zusammenhang mit der Terroristensuche auch der heiße Tip, Nachforschungen in Lokalen anzustellen, in denen sich Straftäter »normalerweise« aufhalten. Große Fahndung aus Gründen der Staatsraison.
»Bei einer großen Fahndung«, so sieht es ein norddeutscher Polizei-Oberbeamter, »bricht immer auch die große Hektik aus. Und oft stellt sich dann unseren Leuten die simple Frage: Wen suchen wir denn eigentlich?« Fahndungsphotos« auch jetzt wieder reichlich unter Bevölkerung und Polizei gebracht, zeigen Gesuchte meist nicht, wie sie tatsächlich aussehen. Ohnehin pflegen Terroristen, wie das BKA weiß, »komplett in die Haut eines Unterstützers zu schlüpfen«, mit dessen kompletter Legende, dessen Ausweis, Abiturzeugnis, Krankenkassennummer«. Und so »ist bereits das erste Tätigwerden falsch gelenkt«.
Von den Sichtmeldungen, die nicht von Kennern und früheren Bekannten der Gesuchten kommen, führen nach Fahndererfahrungen über 95 Prozent von vornherein irre. In Berlin beispielsweise wurde immerfort Angelika Speitel gemeldet. Eine Frau, die wegen entfernter Ähnlichkeit mit ihr mehrmals aufkam, ging nach der dritten Sistierung ausgiebig zum Friseur.
Dilemma der Fahndung: Die meisten Flops sind nach Anlage der Aktion unvermeidbar. Quasi programmiert ist der immer wieder verzeichnete blinde Alarm nach angeblicher Sichtung von Top-Terroristen. Die meisten Meldungen lauten auf Willy Peter Stoll, Christian Klar, Susanne Albrecht und Angelika Speitel. »Was Wunder«, meint ein süddeutscher Fahnder: »Stoll sieht ja aus wie ein Ministerbeschützer, die Speitel wie eine Friseuse -- Allerweltsgesichter.«
Das macht: Deutsche Polizisten sind in aller Regel nicht speziell darauf trainiert, langhaarige und bartlos abgebildete Gesuchte anhand unveränderlicher Merkmale wie hervortretende Backenknochen oder Mundform auch mit Kurzhaar und Lippenbart zu identifizieren. Für die Lehrstoffe »Gegenüberstellen« und »Wiedererkennen«, Bestandteile des Fachs Kriminaldienstkunde, werden an Polizeischulen höchstens fünf Stunden aufgewendet. Das reicht allenfalls, so ein Ausbilder, »den Leuten klarzumachen, wie schwer es ist, einen Menschen überhaupt zu beschreiben«.
Keine Frage denn auch unter Fachleuten, daß die große öffentliche Fahndung in Sachen Terrorismus nicht das erfolgversprechende Mittel ist, eher das aus Gründen der Staatsraison gebotene
obwohl auch dies einen gegenteiligen Effekt haben könnte: dann nämlich, wenn bei anhaltendem Mißerfolg die mächtig gestreute Polizeipräsenz immer mehr zur Darstellung staatlicher Hilflosigkeit geriete.
Schlimm andererseits, daß das Mittel der Zielfahndung -- die diskretere, konzentriertere Form -- über lange Zeit nicht voll ausgespielt werden konnte: die Operation kleiner Kripo-Trupps mit großem Schwung, wie ihn sonst vor allem Sonderkommissionen aufbringen.
Die Parallelität kommt nicht von ungefähr, Zielfahndung ist gewissermaßen klassische kriminalistische Schwerpunktarbeit unter umgekehrten Vorzeichen: Auch eine Mordkommission, die zusammengezogen wird, um beispielsweise eine Sexualmordserie aufzuklären, betreibt bei ihrer Ermittlungsarbeit ein ähnliches Puzzlespiel. »Als Verräterin durch Kopfschuß liquidiert.«
Nur wird dort aus den einzelnen Puzzlestückchen -- einer am Tatort gefundenen Kippe, die auf Rauchgewohnheiten des Täters schließen läßt; ein verräterischer Schifferknoten, mit dem die Opfer gefesselt wurden -- das Persönlichkeitsbild eines noch Unbekannten zusammengesetzt. Der Zielfahnder aber kennt seinen Täter, er muß ihn finden.
Diese Form der Recherche, bei der Bekämpfung von Rauschgift- oder Bandenkriminalität durchaus üblich, gewann mit dem Terrorismus zwangsläufig Gewicht -- wenn auch anfangs nicht genügend, weil föderalistische Strukturen der Polizei im Wege standen und die Innenminister sich zudem noch Umständlichkeiten von Format leisteten.
Erst seit April 1975 kann das Bundeskriminalamt in den Ermittlungsverfahren gegen Terroristen, die auf Länderebene geführt werden, »alle Nachrichten und Unterlagen sammeln und auswerten« (Innenministerkonferenzbeschluß), erst seit zweieinhalb Jahren können BKA-Herold und BKA-Boeden zentral die Priorität von Polizeieinsätzen festlegen, eigene BKA-Spezialisten in regionale Sonderkommissionen entsenden und -- vor allem -- »die Zielpersonen der verdeckten Fahndung und der Zielfahndung bestimmen« (so der entsprechende Beschluß der Innenministerkonferenz der Länder).
Zielpersonen bestimmen -- das war noch einfach. Die Art und Weise aber, wie dann, oft zufällig und willkürlich. die Täter zur Suche an die einzelnen Landeskriminalämter verteilt wurden, führte zu manchen Querelen und Informationsverlusten zwischen der TE-Abteilung des Bundeskriminalamts in Bad Godesberg und den Ländern.
Ein fünfköpfiges Zielfahndungskommando in München zum Beispiel, das dem freigepreßten Terroristen Rolf Heissler auf den Fersen bleiben sollte, hatte seine Ermittlungen mit der Ziel-Fahndungsgruppe »Gabriele Kröcher-Tiedemann« im fernen Düsseldorf zu koordinieren -- denn beide waren im Südjemen zu vermuten. Koblenzer Fahnder, denen die Suche nach dem mutmaßlichen Terroristen Peter Boock aufgegeben worden war, mußten sich in langwierigen Prozeduren mit Godesberger BKA-Beamten abstimmen, denen Rolf Clemens Wagner zugeteilt war -- obgleich beide Täter, wie längst erkennbar war, gemeinsam operierten und möglicherweise von dem schwäbischen Ex-Anwalt Jörg Lang geführt wurden, den wiederum Stuttgarter Zielfahnder suchen sollten.
Manche Zielfahnder« so in Rheinland-Pfalz, hatten Flaute: Ihre Bezugsperson Ingeborg Barz gilt als tot -- spätestens seit Meinhof-Begleiter Gerhard Müller die RAF-Version kolportierte, sie sei »als Verräterin auf Betreiben Baaders durch Kopfschuß liquidiert« worden, und die Polizei einen Brief des Anarchisten Götz Tilgener an Baader abfing, der das zu bestätigen schien: »Was ich über ihr (Ingeborgs) Ableben in Erfahrung bringen mußte, erfüllt mich mit Haß und Trauer.« Auch eine Spur im irischen Belfast, wo später in einem Hotel eine Schachtel Antibabypillen mit Ingeborg Barz« Fingerabdrücken gefunden wurde, führte nicht weiter.
Hessische LKA-Fahnder, die sich um Opec-Attentäter Hans-Joachim Klein zu kümmern hatten, konnten keinerlei Spur von ihm in der heimischen Szene ausmachen; vorletzten September tauchte ihr Mann dann in Jugoslawien auf, als »Peter Klarsen«, in Begleitung eines »Georg Sharen« (alias »Carlos") vermutlich, der mit einer Maschine aus Algier in Belgrad zwischengelandet war und drei Tage später (Flugnummer JAT JU 654) nach Bagdad jettete. Das Wiesbadener LKA konnte derlei Geheimdienst-Tips nur zu den Akten nehmen, für die Fahndung vor Ort taugten sie nicht.
Und in Stuttgart waren, umgekehrt, die Zielfahnder bald überfordert, als mit Folkerts, Klar, Sonnenberg und Genossen immer neue Filbinger-Landsleute in den Untergrund abtauchten. Es fehlte nun nicht an Hinweisen. Nur erwies sich der Dezentralismus wiederum als beschwerlich. Oft war nur in einer LKA-Akte festgehalten, was in einem anderen LKA vielleicht zu einem frisch eingegangenen Hinweis gepaßt hätte.
Die Zuordnung der Mosaiksteine in einem grandiosen Puzzle der Polizei, das wohl noch jahrelang großflächige weiße Felder haben wird, war in so dezentraler Ermittlungsarbeit zuletzt kaum mehr möglich. Das Instrument Zielfahndung als Waffe gegen Terror war schon stumpf, als es am dringlichsten vonnöten gewesen wäre: als die Anschlagserie Buback/Ponto/Schleyer über Volk und Fahnder hereinbrach.
Freilich, Vorwürfe wurden intern auch gegen das Bundeskriminalamt erhoben. So zirkulierte letzte Woche in diversen Länderbehörden ungewöhnlich massive Kritik in Form einer 18seitigen anonymen Studie ("Überlegungen zum Bund-Länder-Verhältnis im Sicherheitsbereich"), deren Verfasser in Bayern zu vermuten sind.
Das Bayern-Papier beklagt »Mängel« in der Zusammenarbeit von BKA und Länderpolizeien bei den letzten Terroranschlägen. Obwohl das BKA »im Fall der Entführung Schleyer ... über Möglichkeiten des Einsatzes der Sicherheitsbehörden ... verfügte ... wie sie bisher keine Polizeibehörde besaß«, so monieren die Autoren, sei »in keinem Falle bisher ein wesentlicher Fahndungserfolg auf Grund eines Ermittlungsergebnisses des Bundeskriminalamtes erzielt« worden. Und überhaupt, so wird enthüllt: »Alle namhaften terroristischen Gewaltverbrecher wurden durch die Länderpolizeien festgenommen, ohne daß konkrete Hinweise der Zentralstelle (BKA) vorlagen.«
Für »bedenklich« halten die Kritiker aus Bayern, daß »ohne Rücksicht auf bestehende Führungs- und Verantwortungsbereiche« die zentrale Einsatzleitung bei der Schleyer-Fahndung dem BKA-Chef Herold übertragen wurde, dem »die speziellen gesamtpolizeilichen Führungsaufgaben ... fremd« seien. Folge: »Angeordnete Maßnahmen« hätten sich »wiederholt ... als nicht vollziehbar erwiesen und aufgehoben bzw. abgeändert werden« müssen.
Die Autoren meinen, daß das BKA an »einem großen Mangel an fachlich qualifizierten ... Ermittlungsbeamten« leide, daß in Wiesbaden und Godesberg Beamte in den höheren Dienst befördert worden seien, denen »in den Ländern hierfür die fachlichen Voraussetzungen gefehlt hätten«, und daß die im BKA jetzt »eingeleitete Planstellenexplosion« das »gesunde Anwachsen« einer solchen Behörde »verhindert«.
Links: Fahndungsphoto
Öffentlich meldete zwar auch der nordrhein-westfälische Innenminister Burkhard Hirsch (FDP) »Zweifel an der Wirksamkeit von Maßnahmen des BKA« an, versagte sich aber jede Erläuterung. Derweil nannte Hessens Innenminister Ekkehard Gries »die Zusammenarbeit mit dem BKA gut, in Vergangenheit wie in Gegenwart«, und der niedersächsische LKA-Chef Waldemar Burkhard formulierte:
»Wenn man nachträglich solche Aktionen wie die Schleyer-Fahndung aufbereitet, dann ergeben sich natürlich »ne Menge Dinge, die man anders oder vielleicht sogar besser hätte machen können.« Auch er sei, wie Herold, bei allem, was er als Einsatzleiter tue, der Kritik ausgesetzt:« Da liegen dauernd ein paar tausend Beamte auf der Lauer und warten darauf, was ich hätte anders machen können.«
In der Tat: So föderalistisch selbstbewußt sich manche Landespolitiker gegen »weitere Kompetenzverlagerungen ... im Sicherheitsbereich« (so das Bayern-Papier) sträubten, weil damit »die polizeiliche Effizienz« gemindert würde, so sehr kam es Kripo-Praktikern gelegen, zusammen mit dem BKA die Zielfahndung zu reformieren.
Das Festnahmeergebnis Null war auf diese Weise nur noch zu verbessern, und daß sich Neues tun würde, deutete sich schon vorletzte Woche an, als Innenminister Maihofer in der Terrorismus-Debatte des Bundestages Initiativen ankündigte, um
die klaren gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß der Bund mit seiner Bundeskriminalpolizei im BKA und seiner Bundesvollzugspolizei im BGS, mit seinen Spezialkräften bis hin zur Tatortarbeit und zu den Fahndungseinsätzen vor Ort, ebenso wie mit seinen Spezialeinheiten bis hin zur GSG 9 seinen vollen selbstverantwortlichen Beitrag im engen Zusammenwirken der Polizeien von Bund und Ländern zu leisten vermag. Wir halten gar nichts von einer Hin- oder Herverlagerung der Kompetenzen der Polizeien auf die eine oder auf die andere Seite allein, sondern allenfalls etwas von einer schwerpunktmäßigen Stärkung der Zuständigkeiten für diese oder jene Bereiche auf der einen oder anderen Seite. Wo die »schwerpunktmäßige Stärkung« liegen mußte, war angesichts der begrenzten Befugnisse des Bundeskriminalamtes -- zuständig für die Bekämpfung von Rauschgift- wie Waffenhandel sowie für die Koordinierung der Terror-Bekämpfung -- klar. Maihofer plädierte für das, was Herold für das BKA so dringlich fordert: »volle Polizeirechte sowohl bei der Tatortarbeit als auch hei Fahndungseinsätzen«. Daß dies alles etwas nützt, ist schiere Hoffnung.
Was das in der Praxis bedeuten sollte, darüber hatten zumindest BKA-Chef Herold und Maihofer-Mitarbeiter klare Vorstellungen. Ihnen schwebte vor
* zum einen: die Aufgaben der Bonner Sicherungsgruppe (SG) des Bundeskriminalamtes, die sich vorwiegend um den Personenschutz von Politikern kümmert, dem Bundesgrenzschutz (BGS) zu übertragen, der ohnedies schon für dem Objektschutz zuständig ist -- praktisch hieße das, daß die Bundesvollzugspolizei, eben der BGS, sämtliche Sicherungsaufgaben übernimmt;
* zum anderen: die auf diese Weise freigesetzten BKA-Leute der Sicherungsgruppe unter Leitung des derzeitigen SG-Chefs Günter Scheicher in einer neuen BKA-Abteilung »Terrorismus Fahndung« (TF) zusammenzufassen, die dann zusammen mit den LKA-Gruppen insbesondere Zielfahndung betreiben soll.
Beide Pläne, letzte Woche von diversen Blättern schon voreilig als Tatsache verkündet, scheiterten fürs erste an Bedenken des BKA-Personalrats. So mußte das BKA anstelle der ursprünglich geplanten Abteilung TF die Organisationsform einer »Sonderkommission« wählen, freilich mit gleichen Aufgaben, wenn auch zunächst mit einem anderen Chef, dem Leitenden Kriminaldirektor Jürgen Jeschke aus der Wiesbadener BKA-Zentrale. Diese BKA-Sonderkommission repräsentiert gewissermaßen die Bundeshälfte in der neuen »Bund-Länder-Kommission Zielt ahndung«.
Gleichwohl halten Sicherheitsexperten des Bonner Inneriministeriums und insbesondere BKA-Chef Herold an den ursprünglich gehegten Plänen fest. Danach soll, sobald die Personalratsbedenken ausgeräumt sind, der jetzige SG-Chef Scheicher die neuzugründende BKA-Abteilung TF übernehmen, die ihrerseits die Zielfahndung mit den Ländern koordiniert.
Wie auch immer die Organisationsform letztlich aussehen mag: Daran, daß das BKA ab sofort direkte Fahndungsaufgaben übernimmt, ändert sich nichts mehr -- und den Länder-Kripos ist das schon deshalb gar nicht unwillkommen, weil damit die Verantwortung für eine etwa erfolglose Fahndung nicht mehr, wie bislang, vornehmlich bei ihnen selber liegt.
In der neuen Bund-Länder-Kommission sollen die Fahndungsaufgaben neu formuliert, die Einsatzgruppen neu formiert werden. Die Zielfahnder sollen flexibler als bislang auf das veränderte Täterverhalten reagieren und -- wenn"s denn möglich ist -- gleichsam erahnen, welche Terrortaten nun fällig sind. Dabei soll ein Teil der Beamten im klassischen »handwerklichen Zweig« der Fahndung eingesetzt werden, eine andere Gruppe soll, wie ein BKA-Mann erläutert, »auf Grund unseres empirischen Wissens neue Methoden gebären«.
Täglich operative Besprechungen, rasche Verwertung von Erkenntnissen aus dem Ausland, bessere Koordination von Einsätzen ist das Ziel. Vor allem aber: Anders als früher, als die Zielfahndungskommandos der Landeskriminalämter umständlich miteinander telephonierten oder von Amt zu Amt reisen mußten, wenn sie à jour sein wollten, soll der Mann aus Bayern nun mit dem Mann aus Kiel Tür an Tür sitzen und auch sofort erfahren, was dem Mann aus Stuttgart im Zimmer gegenüber soeben an neuen Hinweisen auf den Schreibtisch kam. Wo immer sie ihren Mann vermuten ohne polizeiinternen Papierkrieg sollen die Zielfahnder ihn suchen können, heute in Hannover, morgen in Saarbrücken. Von der Flexibilität der Kommandos erhoffen sich Kriminalisten ebensoviel wie von ihrer gleichzeitig engen Anbindung an die Zentrale, »wo man halt einfach stets weiß, was gerade läuft«.
Daß dies alles etwas nützt, ist fürs erste schiere Hoffnung der Kriminalisten. Denn bislang gelangten westdeutsche Zielfahnder nur zweimal bis ans Ziel: einmal, als sie holländischen Kollegen nach langer Observation in der Bundesrepublik sagen konnten, wann und wo Anarchist Helmut Lülf in den Niederlanden zu verhaften sei. Ein andermal in Berlin:
Lebensgewohnheiten, Eigenarten, Gesten und Vorleben des mutmaßlichen Lorenz-Entführers Till Meyer waren den ihm zugeteilten nordrheinwestfälischen Beamten nach fallbezogenen Studien im Homo-Milieu so gegenwärtig, daß sie sich fern aller Zweifel wähnten, als er in einer U-Bahn-Station plötzlich vor ihnen stand. BKA-Fahnder Boeden bezeichnet selbst diese Festnahme eher als »Zufall«. Immerhin, der Zugriff wäre kaum möglich gewesen, wenn die Beamten ihren Mann nicht genau gekannt hätten.