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USA / WEHRDIENSTVERWEIGERER Wenigstens waschen

aus DER SPIEGEL 40/1967

Sie haben weder gemordet noch vergewaltigt noch geraubt. Gleichwohl sind 177 Amerikaner vom Gefängnis bedroht. Ihre Namen wurden in allen Fahndungskarteien der amerikanischen Bundeskriminalpolizei FBI festgehalten.

Ihr Delikt: Sie wollten nicht unter die Soldaten, nicht nach Vietnam. Vergebens schickten ihnen die Wehrerfassungsbehörden Musterungsbescheid und Einberufungsbefehl ins Haus. Sie packten die Koffer und verschwanden mit unbekanntem Ziel.

Kehrt ein Wehrunwilliger in die USA zurück, drohen ihm selbst dann noch fünf Jahre Haft, wenn er inzwischen Staatsbürger eines anderen Landes geworden ist. Eine Verjährung gibt es für ihn nicht.

»Ich könnte die Tochter des amerikanischen Präsidenten vergewaltigen -wenn mich die Polizei nicht fassen würde wäre ich nach einigen Jahrzehnten frei von Verfolgung«, klagte ein 24jähriger New Yorker: » Aber wenn ich als Wehrflüchtling mit 99 Jahren in die USA zurückkehre, droht mir der Knast.«

Wer bereitwillig in die olivgrüne Uniform schlüpft, sie später aber aus Unmut über das Soldatensein oder aus Furcht vor Vietnam ebenso bereitwillig wieder auszieht, wird noch härter bestraft: mit drei bis zu zehn »Jahren Zuchthaus in Friedenszeiten und eventuell unehrenhafter Entlassung aus der Armee.

Gleichwohl verlassen allein in Europa »etwa 60 Soldaten monatlich unerlaubt ihre Einheit«, erklärte das Stuttgarter Hauptquartier der US-Truppen. 13 US-Soldaten wurden im vergangenen Jahr in Deutschland als Deserteure verurteilt und büßen im amerikanischen Zuchthaus Fort Leavenworth.

Die Londoner »Times« berichtete gar, daß »mehr als 1000 Soldaten im Jahr von den amerikanischen Streitkräften in Europa desertieren«. Vielen von ihnen, so das Blatt, helfe eine über Europa verzweigte Untergrundorganisation, »die wie die Widerstandsbewegungen in den Kriegsjahren arbeitet«.

Vor allem die Vietnamkriegs-Gegner nehmen sich der Militär-Müden an. In Holland verteilen langmähnige Provos am Amsterdamer Hauptbahnhof ihre Flugblätter an die Männer mit dem Bürstenschnitt.

Bei insgesamt mehr als 500 GIs, so behaupten die holländischen Vietnam-Protestanten, hätten sie durch Schrift und Wort bereits Erfolg gehabt. Die zumeist jungen Soldaten, auf Holiday im Tulpenland, lösten ihre Rückfahrkarten nicht ein, sondern versteckten sich bei ihren neuen Freunden.

Auch die Zahl der Verächter von Musterungsbescheiden und Einberufungsbefehlen nimmt ständig zu.

Für dieses gegenüber der Fahnenflucht leichtere Delikt büßen gegenwärtig rund 600 Amerikaner in den Haftanstalten ihres Landes.

Attraktivstes Reiseziel dieser Gruppe wehrunwilliger Amerikaner ist der Nachbarstaat Kanada. Mehrere tausend Wehrpflichtige, so schätzen die Führer der kanadischen Kriegsgegner-Organisationen, zogen bislang über die nördliche Grenze. Nach Meinung der amerikanischen Einberufungsbehörden sind es allerdings nur rund 400.

Die meisten Wehrunwilligen geben sich beim Grenzübertritt als Touristen aus. Dazu benötigen sie weder Paß noch Visum. Kanadas Grenzer notieren keine Namen, sie zählen nur die Köpfe. In Kanada droht den Flüchtlingen kein Kriegsdienst, denn dort stehen nur Freiwillige unter Waffen. Das Auslieferungsabkommen mit den USA erstreckt sich nicht auf Wehrflüchtige.

Lediglich waschen sollten sich die Amerikaner vor ihrer Kanada-Reise, empfiehlt die Kriegsgegner-Vereinigung »Student Union for Peace Action«. Sie »sollten sauber mit normaler Bekleidung und Frisur an der Grenze erscheinen«. Das rät auch das »Committee to Aid American War Objectors« den Interessenten in einem Leitfaden für Wehrunwillige.

Student John Mark Callender, 25, der mit Ehefrau Sandy nach Kanada kam, folgte den Empfehlungen: »Ich habe meinen Bart abrasiert, mich gepflegt gekleidet und den Wagen mit Touristen-Utensilien ausstaffiert, und alles verlief reibungslos.«

Wie in Europa sympathisieren auch in Kanada viele Bürger offen mit den Wehrdienstverweigerern. »Wir werden niemanden ermutigen, diesen Schritt zu tun«, erklärte der Generalsekretär des »Canadian Friends Service Committee«, einer Quäkervereinigung, »doch wenn sie kommen, werden wir ihnen helfen.«

In fast allen großen Städten Kanadas gründeten Kriegsgegner Hilfskomitees für die jungen Amerikaner. Eine Studentenorganisation in Quebec schleust Wehrunwillige über die Grenze, vermittelt Studienplätze und Arbeit. Fakultätsmitglieder von zwei Universitäten schlossen sich zu einer Hilfsgemeinschaft zusammen. In Montreal assistiert der Hamburger Kriegsgegner und Mitherausgeber des Pazifistenblattes »Sanity«, Hans Sinn, den Flüchtlingen.

In der St. Antoine Street 2271 zu Montreal eröffnete der Sinn-Freund John Callender eine Herberge für Wehr-Flüchtlinge, das »Gandhi-Haus Oft leben mehr als 30 Gleichgesinnte in den vier Räumen. Callender schmückte die Türen des Flüchtlingslagers mit Sprüchen wie »Peace and Love« -- Frieden und Liebe.

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