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SEKTEN Wenn Baba fummelte

Die Therapien der Hamburger Psychologin Heide Fittkau-Garthe, die ihre Jünger zum Selbstmord auf Teneriffa angestiftet haben soll, waren immer skurril - und nicht immer legal.
Von Annette Bruhns und Jörn Kruse
aus DER SPIEGEL 4/1998

Am 18. November 1994 erhielt Angela Sieber-Kaiser einen Brief von Gott. Der war offenbar nach Diktat verreist, denn seine Unterschrift fehlte. »Dein ewiger Freund Shiv Baba« hatte seine Sekretärin am Ende getippt. Der weltliche Absender: Dr. Heide Fittkau-Garthe, Psychologisches Trainingszentrum, Agnesstraße 10, Hamburg.

»Liebe Angela«, schrieb der Ewige, »Heide behält das wahre Bewußtsein Deiner tiefen Liebe zu ihr in ihrem Herzen, und den Brief von Dir hat sie gemäß meines Auftrages aus ihrem Bewußtsein gelöscht.«

Kein Wunder. Die »liebe Angela« hatte nämlich nicht nur die Erstattung von 12 000 Mark Gebühr für eine ausgefallene Schulung auf Teneriffa gefordert, sondern darüber hinaus äußerst brisante Vorwürfe erhoben: Die Psychologin bringe Menschen in psychische Abhängigkeit und stifte sie zum Sex an. Und das sogar mit Minderjährigen, mit Kindern.

Mehr als drei Jahre lang hat Angela Sieber-Kaiser, 53, geschwiegen, aus Angst vor einem Skandal. Jetzt ist er da. Die Psychologin Fittkau-Garthe wurde am 7. Januar auf Teneriffa festgenommen. Sie habe sich, behauptet die spanische Polizei, gemeinsam mit 13 Männern, 14 Frauen und 5 Kindern auf dem Vulkan Teide das Leben nehmen wollen.

Die Ordnungshüter durchsuchten mehrfach das Sektenparadies unter Palmen und Zitronenbäumen, stiegen in die raumfüllenden Betten, fahndeten überall nach giftigen Substanzen. Die toxikologischen Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Die Ermittler sind solange auf Zeugen und sekteneigene Schriften angewiesen.

Schon damals, 1994, behauptet Sieber-Kaiser, habe die Psychologin »mit dem Leben anderer gespielt«. Ulrike P. etwa, ihre treuste Vasallin, soll »bereit gewesen sein, sich jederzeit für Fittkau-Garthe vom Felsen zu stürzen«. Völlig hörig sei Ulrike gewesen, bestätigt ein anderer Gast der Finca. Und das nicht ganz zufällig: Heide Fittkau-Garthe, zu der Ulrike »Mami« sagte, habe der Zuckerkranken gelegentlich Insulin entzogen. Als Ersatz gab''s Babas Energie. Für Ulrike waren die Bewohner der Finca »eine fröhliche Gruppe«, sagt sie heute, sie sei weder »depressiv« noch »selbstmordgefährdet«.

Auch den Weltuntergang sagte die Hamburger Göttin damals schon voraus, wovon aber ihre Finca auf Teneriffa verschont bleiben würde; ebenso ihr deutsches Landhaus im Ostseebad Ahrenshoop.

Teilnehmer von Managerseminaren bei Heide Fittkau-Garthe im Maritim Seehotel am Timmendorfer Strand kannten schon lange das Datum. Die Göttin habe den 8. Januar 1998 genannt, sagt ein Geschäftsmann aus Bielefeld, den die Sitten der Trainerin eher befremdeten. »Sie faßte mir zum Gruß mit einer Hand an die Hoden und mit der anderen an die Stirn«, sagt er. Das war »die Begrüßung der Götter«.

Wiederholt berichtete Fittkau-Garthe erstaunten Zuhörern von einem verdunkelten Planeten, dessen Bewohner sie abholen würden. Science-fiction-Serien im Fernsehen und das Space-Shuttle-Programm würden die Menschheit schon heute darauf vorbereiten. Mit diesem Glauben war Heide Fittkau auf Teneriffa in bester Gesellschaft: Sechs Gruppen von Lichtschwestern und Lichtbrüdern treffen sich regelmäßig auf drei Plateaus des Teide, um Kontakt zu Außerirdischen aufzunehmen.

Daß die Psychologin mit dem Angebot ständig wechselnder Partner ihre Seminare auf Teneriffa schmackhaft machte, ließ den Bielefelder Geschäftsmann noch schmunzeln. Als Fittkau-Garthe auch Morde damit erklärte, daß die Opfer nur für ihre Untaten in einem früheren Leben bestraft würden, und schließlich auch den Holocaust damit begründete, hatte er genug.

Doch die Psychologin hatte keine Mühe, neue Jünger zu akquirieren. Als Angela Sieber-Kaiser 1994 ihre frühere Meditationsschwester zufällig nach Jahren erstmals wiedertraf, »breitete Heide die Arme aus, drückte mich an sich und sagte: ,Dich hat Baba geschickt''«, erinnert sich die Massagetherapeutin.

Baba in Gestalt der Göttin schlug Angela einen Deal vor: Sie solle mit nach Teneriffa kommen und Heides rechte Hand am »Atma-Institut« in Santa Cruz werden. 6500 Mark netto pro Monat seien drin - vorausgesetzt, Angela absolviere in den ersten drei Monaten in Spanien den »Hoffmann-Prozeß«, ein Psychotraining bei Fittkau-Garthe. Preis: 12 000 Mark. Nur zwei Monate später steigt Angela hoffnungsvoll mit 14 000 Mark in bar in den Flieger zur Sonne.

»Blumen, Palmen, lächelnde Menschen und weit unten der Ozean«, erinnert sich Sieber-Kaiser an die Ankunft auf der Finca. Nur eines macht sie stutzig: Eine Frau unter den 20 anwesenden Gästen darf nicht am gemeinsamen Mahl teilnehmen. Anna* habe sich »mit schwarzer Magie eingelassen«, erklärt Fittkau-Garthe. »Sie muß allein bleiben, um zu Baba zu finden.«

Am nächsten Tag muß Angela mit den anderen Steine schleppen, um einen Wasserfall anzulegen. Auch Garten Eden entsteht von Menschenhand. Zuvor hat sie 12 000 Mark in »Babas Kasse« gelegt. »Als ich nach drei Tagen Sklavenarbeit wieder im Topf nachguckte, war das Geld weg.«

»Ich blieb nur noch, um das Unglaubliche besser zu verstehen«, sagt Sieber-Kaiser. Da war der Fall Anna. Die Funkerin aus Kiel hatte unerlaubt eine Liebschaft mit einem anderen Seminarteilnehmer begonnen. Daraufhin wurde die Mutter zweier Teenager tagelang von der Gruppe und ihren Kindern isoliert. »Keiner durfte sie angucken oder grüßen«, sagt Sieber-Kaiser. Mitternachts wurde Anna ins Gebirge geschickt, um dort »Satan loszuwerden«.

Anna bleibt verstockt. Sie bricht erst zusammen, als sie erfährt, daß die wohlleibige Gruppenmutter unterdessen ihren Freund verführt habe. »Dem redete sie ein, Anna kralle ihn. Das leuchtete ihm ein.«

Schließlich ist Annas »Dämon gebrochen«, sie »gesteht« Heide ihre Verfehlungen, gibt zu, eine »Hexe« gewesen zu sein,

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

und verspricht, künftig wieder zu »100 Prozent Baba zu gehören«. »Baba« (Vater) ist überwältigend weiblich und hört auf den Vornamen Heide. Am liebsten steht sie nackt in der Küche, wo sie zum Morgengruß den - unbekleideten - Männern zupackend zwischen die Beine greift.

»Ich bin Gott Shiv Baba«, erklärt die Psychologin eines Abends, »mein Name XDoktor Heide Fittkau-Garthe'' hat heilige Schwingung. Bald werden alle mich anbeten, es wird eine Völkerwanderung zu mir geben.« Angela denkt: »Jetzt dreht sie durch.«

Zwei Monate blieb die Masseurin auf Teneriffa, dann wußte sie genug: Daß dort Menschen einer größenwahnsinnigen Psychopathin gehorchten. Und daß dort fast jeder mit jedem - und auch jede mit jeder - schlief, meistens nach Babas Reglement. Und alle hätten gewußt und geduldet, daß auch Kinder in »Heides Liebesring« einbezogen wurden. So erzählen mehrere Aussteiger von einem Mann, der seine pädophile Neigung an einem Dreizehnjährigen auslebte. Es war der Sohn von Anna.

Für dessen minderjährige Schwester Mandy* hätte sich die Göttin, so Sieber-Kaiser, etwas besonderes ausgedacht. »Sie sollte Heide einen Sohn, den neuen Shiva, gebären.« Anonym gezeugt in einer Massenorgie. »Fittkau-Garthe predigte geradezu, daß Sex zwischen Eltern und Kindern zur Gesundheit beiträgt.« Ein Vorwurf, den die Gruppe auf Teneriffa als »absurd« verwirft.

Besorgt schickte Sieber-Kaiser nach ihrer Rückkehr einen 27seitigen Brief an »Brahma Kumaris«, jene Organisation, der Fittkau-Garthe und viele ihrer Jünger früher angehört hatten. Fittkau-Garthes Treiben sei »kriminell«, klagte Angela den alten Freunden, und flehte, »Dadi Kumarka«, die spirituelle Leiterin der Gemeinschaft in Indien, um Hilfe zu bitten.

Sieber-Kaisers Bericht deckt sich mit dem einer zweiten Augenzeugin: Johanna Z., Sekretärin aus dem Fränkischen, der Anfang 1993 erst beim dritten Versuch die Flucht aus der Teneriffa-Sekte gelang. »Alle redeten davon«, so die Aussteigerin, »daß auch Annas Kinder in Liebesspiele einbezogen wurden.« Eine Frau habe freimütig erzählt, daß die damals 12jährige Mandy ihr »den Tampon aus der Scheide gezogen« habe, weil sie »so kleine Finger« hatte.

»Ich kann es mir auch nicht erklären«, sagt Frau Z., »aber diese Frau schaffte es innerhalb von einer Minute, aus mir ein psychisches Wrack zu machen.« Am Sylvesterabend 1992 verkündete Fittkau-Garthe der Widerspenstigen, Baba habe ihr »eine Durchsage« gemacht, und jetzt wisse sie, daß sie, Johanna, früher Lenin war und Heides Familie ermordet habe: Heide war, sagt sie, Zar Nikolai II. Und nicht nur das. Sie war Aida, sie war Dschingis-Khan und der Papst. Und nun Baba.

Alle Probleme gingen nach der Inkarnationslehre Fittkaus auf Fehltritte in der Vergangenheit zurück. So berichtete sie in Timmendorfer Strand vor Managern, die mühsam ihr Lachen unterdrücken mußten, von ihrem engsten Mitarbeiter: Der sei sexuell verklemmt. Sogar als sie ihn in der Badewanne oral befriedigen wollte, habe er die Ejakulation verweigert. Die Ursache, nach Analyse der Psychologin: »Er war früher einmal Adolf Hitler.«

Heide Fittkau-Garthe arbeitete mit Suggestion und perfiden Psychotricks, erinnert sich ein Zahntechniker. Wenn sich ihr jemand entzog, habe sie schwerste Geschütze aufgefahren. Als er selbst die Finca verlassen hatte, habe sie einen seiner Freunde angerufen und behauptet, er habe einen Gehirntumor, den nur sie heilen könne.

Aussteigerin Johanna Z. erfaßt noch heute eine »Mordswut«, wenn das gedunsene Gesicht der Führerin sie aus den Zeitungsseiten angrinst. »Dabei stand ich nur wenige Wochen in ihrem Bann.«

Gegen den Zauber der Hamburger Apokalyptikerin war offenbar auch die 1994 zu Rate gezogene Helferin im fernen Indien machtlos. »Heide hat unsere Lehre pervertiert«, behauptet Eleonore Jebens, 72, vom Raja Yoga Center der »Brahma Kumaris World Spiritual University« in Hamburg - ein helles Wohnzimmer in einem großbürgerlichen Mehrfamilienhaus.

Über 3500 solcher Filialen gibt es nach eigenen Angaben auf der Welt. Sogar beim »Wirtschaftlichen und Sozialen Rat der Vereinten Nationen« in New York hat Brahma Kumaris als esoterische »NGO« (Nicht-Regierungsorganisation) einen »konsultativen Status«. Als Ehrenvorsitzende von Brahma Kumaris'' globalem Ausschuß »For a better World« firmiert immerhin Marcela Pérez de Cuéllar, die Ehefrau des früheren Uno-Generalsekretärs.

»Jahrelang«, erinnert sich Jebens, »haben wir Heide zugeredet, sie solle sich in psychiatrische Behandlung begeben. Aber sie war nicht zugänglich, da mußten wir uns von ihr trennen.«

Das war Ende der achtziger Jahre. Bis dahin hatte Fittkau-Garthe zehn Jahre lang zu den »Seelen« gehört, »die sich mit der Höchsten Seele in Meditation verbinden«, war ein »Kind des Ozeans der Liebe« und vor allem: eine keusche »Tochter Brahmas«, die sich Sex, »dem allergrößten Feind« laut Babas Lehre, strikt enthielt. Sogar in der Ehe.

Das Zölibat, schreibt heute die Ex-Brahmanin Fittkau-Garthe in einem Papier für ihre »Kinder«, solle sich in einen »Fluß der höchsten und reinsten Energie« verwandeln. Und das passiere, »wo selbst die Berührung des Körpers zu einer großen Befreiung führt, wo es nur ein Fließen gibt, wo Gott der Geliebte aller wird«.

Als die Polizei in der Nacht vom 7. auf den 8. Januar die Wohnung stürmte, waren wieder Kinder unter den »Gästen« der Finca. Die Gerüchte um die Anschuldigung des Kindesmißbrauchs haben die auf der Insel verbliebenen Anhänger Heide Fittkaus in Unruhe versetzt. Sie fürchten, noch einmal festgenommen zu werden - dann käme es zum dritten Verhör in zwei Wochen. Die Teneriffa-Besucher bestreiten alle Vorwürfe: Weder hätten sie sich umbringen wollen, noch seien Kinder mißbraucht worden.

Diese Woche muß der Richter in Santa Cruz entscheiden, ob er dem Antrag des Verteidigers auf Haftentlassung für Fittkau-Garthe stattgibt. Bis dahin können die toxikologischen Untersuchungen abgeschlossen sein.

Die Beschuldigte scheint die Ungewißheit nicht zu beunruhigen. Heide Fittkau-Garthe wirke entspannt, heißt es im Gutachten des spanischen Gerichtspsychiaters. Psychotische Halluzinations- oder Deliriumssymptome zeige sie nicht. Und auch keine Anzeichen geistiger Verwirrung

Inzwischen habe seine Mandantin sich, so ihr Anwalt Enríque Porres, mit den Mithäftlingen angefreundet. »Die laden sie zum Kaffee ein und haben sie schon richtig gern. Sie hat eben Charisma.«

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

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