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»Wenn es die Führung will«

Die Bundeswehr in der Klemme: Die deutsche Einheit verlangt eine Verkleinerung auf 370 000 Mann. Die Erfahrungen des Golfkriegs erfordern nach Meinung der Militärs eine neuartige Spezialisierung und hohe Mobilität. Verteidigungsminister Stoltenbergs Folgerung aus dem Dilemma: Er will mehr Geld für weniger Soldaten.
aus DER SPIEGEL 13/1991

Ob er denn aus seiner Sicht mal ein »Psychogramm der Bundeswehr« zeichnen könne, bat Admiral Ulrich Hundt den Bundeskanzler. Doch mit diesem Ansinnen war der Chef des Zentrums Innere Führung an den Falschen geraten.

Er werde, so Helmut Kohl Anfang März vor der 32. Kommandeurtagung in Bonn, »doch niemanden auf die Couch zwingen, der da nicht hin will«.

Nur soviel mochte der immer optimistische Christdemokrat den im »Maritim«-Hotel versammelten 480 Offizieren mit auf den Weg geben: Es gebe in der deutschen Gesellschaft eine »Tendenz zum Jammern«, und als »Spiegelbild« dieser Gesellschaft erscheine ihm auch die Bundeswehr bisweilen etwas »larmoyant«.

Folgerichtig und gehorsam beschloß Generalinspekteur Dieter Wellershoff die gut zweistündige Kanzler-Veranstaltung _(* Leutnantsbeförderung an der ) _(Heeresoffiziersschule Hannover 1988. ) vor seinen Offizieren mit dem Appell: »Stehen Sie auf von der Couch!« Da rief Kohl dazwischen: »Stehen Sie nicht auf von der Couch, sondern legen Sie sich gar nicht erst hin.«

Bundeswehr 1991 - ist sie ein Fall für den Psychiater?

Die Stimmung der Truppe ist zumindest diffus. Zu schnell, so scheint es, folgten Ereignisse aufeinander, die in ganz unterschiedlicher Weise ans soldatische Selbstbewußtsein rühren. Da kamen gleichsam über Nacht *___weitreichende europäische Abrüstungsvereinbarungen und ____mit ihnen das Ende des vertrauten Feindbildes; der ____Warschauer Pakt hat sich still aus der Weltgeschichte ____verabschiedet; *___mit der deutschen Einheit das Aus für die DDR und ihre ____Nationale Volksarmee (NVA) sowie zugleich ein Ende des ____Alptraums, daß in einem Ost-West-Krieg Deutsche auf ____Deutsche hätten schießen müssen; *___schließlich, als Kontrastprogramm zum europäischen ____Friedenspanorama, der Golfkrieg, der das geeinte ____Deutschland »kalt erwischt hat« (Hundt), das eben noch ____bei Nachbarn als »Viertes Reich« galt, das nun der ____Drückebergerei bezichtigt und wie selbstverständlich zu ____größerer weltpolitischer Verantwortung ermahnt wurde.

Vor allem der Waffengang in Nahost und der innenpolitische Streit um deutsche Militär- und Finanzhilfe hat die Truppe tief verunsichert. Allenthalben beklagen die Staatsbürger in Uniform - laut Eigenwerbung »mündig, kritisch und aufgeklärt« - ihre derzeitige »Orientierungslosigkeit«. Wegweisung aber erwarten sie, autoritätsgläubig wie eh und je, natürlich von oben.

Ihrem drögen Wehrminister Gerhard Stoltenberg nehmen sie übel, daß er lieber im Skiurlaub blieb, statt die in mehr (Türkei) oder weniger (Mittelmeer) gefährliche Randgebiete des Krieges entsandten Einheiten gebührend zu verabschieden. Auch der Kanzler bekam auf der Kommandeurtagung einschlägige Klagen zu hören. »Wir fühlen uns von den Politikern allein gelassen«, moserte ein General. Kohl: »Sagen Sie nicht ,die Politiker'', sagen wir lieber ,die Politik''.«

Ein anderer Spitzenoffizier wollte wissen, warum Kohl zum Golfkrieg nicht wie der amerikanische Präsident eine Rede an die Nation gehalten habe. »Das ist nicht meine Aufgabe«, erwiderte der Regierungschef, fügte aber mit dem Unterton des Bedauerns hinzu, daß er anders als George Bush nicht einfach Sendezeit beanspruchen könne. Welch günstige Gelegenheit für den Kanzler, eine allgemeine Schelte auf die Medien zu beginnen, die gern Negatives groß herausstellten. Da war die Welt der Militärs wieder in Ordnung, es gab heftigen Szenenapplaus.

Mit dem Gemaule über mangelnde politische Führung, stets gefolgt vom obligaten Bekenntnis zum »Primat der Politik«, kaschieren immer mehr Offiziere Forderungen, die intern zunehmend als selbstverständlich gelten: daß nämlich deutsche Soldaten künftig jenseits ihrer obsolet gewordenen heimatlichen Gefechtsstreifen - womöglich sogar »out of area« des Nato-Gebiets - eingesetzt und folglich auch kriegsnäher ausgebildet werden müßten.

Das real existierende Risiko der Nato-Freunde am Golf, das Funktionieren westlicher Militärtechnik, der gründliche Sieg - all das hat bei deutschen Troupiers, die nicht dabeisein durften, obwohl sie ihr Handwerk doch mindestens ebensogut beherrschen, deutliche Minderwertigkeitskomplexe ausgelöst.

Da ist nicht nur der Offizier in Brüssel, der sich während des Kriegs kaum noch in Uniform ins Nato-Hauptquartier traute. Da ist auch der Hauptmann, der unlängst auf einem Lehrgang im Koblenzer Zentrum Innere Führung stöhnte: »Wenn ich diese Bundeswehr sehe, kann ich eigentlich nur noch weggehen.«

Der Tonfall wird martialischer. Er habe »nie Zweifel darüber aufkommen lassen«, bekannte Generalmajor Horst Albrecht, stellvertretender Kommandeur des II. Korps in Ulm in einem Leserbrief, »daß ich - wenn es die politische Führung unseres Vaterlandes so will - aus dem Stand heraus in den Krieg gehe«.

Es muß ja nicht gleich der Krieg sein, Hauptsache, daß jene, die vorm Türkei-Einsatz kniffen, das Bild der Truppe nicht prägen. »Für jeden Verweigerer«, so Hundt-Vize Friedrich Wilhelm Dickhoff, »haben sich fünf, zehn Freiwillige gemeldet.« Die Marine registriert derzeit großen Andrang für die Golf-Mission der Minensucher.

Im Übereifer fordern manche die heiligen Grundsätze des Bundeswehrkonzepts vom »Bürger in Uniform« heraus. Erschrocken registrierte Koblenz-Chef Hundt die Zustimmung, die ein Generalstabsoffizier für sein Verdikt erntete, die Innere Führung habe ausgedient, »das brauchten wir nur zur Umerziehung der ehemaligen Wehrmachtsoffiziere«.

Ähnlich klingt es quer durchs Führungskorps. Bei einer Kommandeurbesprechung der 11. Division in Oldenburg machte die große Mehrheit der anwesenden 25 Bataillonschefs klar, daß sie den Unterricht in politischer Bildung für überflüssig halten - er koste nur Zeit und schmälere die Kampfkraft.

Träumt da jemand von früher oder schielt neidisch auf die Kriegsfreunde in Großbritannien und USA?

Eher halbherzig suchen die Obersten gegenzusteuern. Die Innere Führung dürfe nicht »zum Prügelknaben« gemacht werden, warnte Wellershoff. Aber vor seinen Kommandeuren hatte sich der Generalinspekteur freudig zu etwas bekannt, was noch vor kurzem von Kritikern als Hang zum Militarismus oder als Verklärung soldatischer Tugenden gegeißelt worden wäre.

»Schneller und folgerichtiger als viele Deutsche« und auch »mancher prominente Politiker«, so der Admiral, habe im Irakkonflikt die »Völkergemeinschaft« die »machtpolitischen Folgerungen« aus der deutschen Vereinigung gezogen - »keine 100 Tage Einarbeitungsfrist in seine neue Rolle« seien Deutschland gewährt worden, »wie wir schmerzhaft erfahren haben«.

Und weil ihm die »neue Rolle« jenseits der Bündnisgrenzen längst als ausgemacht gilt, schob Wellershoff die rhetorische Frage nach, ob in der Vergangenheit »deutlich genug« gesagt worden sei, »daß zum Soldatsein nicht nur das ,treue Dienen'', sondern im Ernstfall auch das ,tapfere Verteidigen'' gehört«, ja mehr noch: »ob wir nicht den Gedanken an Krieg, Tod und Verwundung zu weit in den Hintergrund geschoben haben«.

Die 208 Tage zwischen der Besetzung Kuweits und dem alliierten Triumph über den Aggressor Saddam Hussein haben in der Tat das Bewußtsein zumindest der Bundeswehrführung so sehr verändert, daß sie eine Gesellschaft mit ausgeprägter Skepsis gegen jede Art von Gewaltanwendung kaum noch widerspiegelt. Dabei hatte die von Kohl in der Nachrüstungsdebatte als »größte Friedensbewegung« gefeierte westdeutsche Wehr zusammen mit den Nato-Kameraden kurz zuvor den denkbar größten militärischen Sieg eingefahren - die unblutige Kapitulation des Warschauer Pakts.

Und es schien, als seien die von Sowjetführer Michail Gorbatschow mit der Einheit beschenkten Deutschen nun auf Jahre mit nicht minder schönen militärischen Aufgaben beschäftigt: dem Zusammenführen von Bundeswehr und Ex-NVA zu einer auf 370 000 Mann reduzierten Truppe, dem Verschrotten riesiger Mengen von Kriegsgerät und der Suche nach neuem Selbstverständnis in einem auf kollektive Sicherheitsstrukturen angelegten Europa.

Das Verteidigungsministerium hatte der neuen Lage schnell Rechnung getragen. Die an der überkommenen Aufgabe der Abschreckung orientierte technokratische Werbung der »starken Truppe« ("Wir produzieren Sicherheit") wurde eingestellt. Mit idyllischer Dorfkulisse auf bunten Stickern präsentiert sich die Streitmacht seither unter dem Motto: »schön friedlich«.

Tatsächlich erweist sich die friedliche Vereinigung der beiden deutschen Armeen als »gewaltige Aufgabe« (Wellershoff). Denn wie in Wirtschaft und Verwaltung ist auch die militärische Hinterlassenschaft des SED-Staats eine schwere Hypothek - freilich mit dem Unterschied, daß die NVA eher im Geräte- und Materialüberfluß als im DDR-üblichen Mangel gelebt hatte.

Die »psychologische Lage« der Truppe in den neuen Bundesländern, berichtete Generalleutnant Jörg Schönbohm, der »Befehlshaber Bundeswehrkommando (Ost)«, auf der Kommandeurtagung seinen Kameraden, sei »immer noch schwierig«. In einer wahren Flut von Eingaben an den Wehrbeauftragten, den CSU-Mann Alfred Biehle, schimpfen Angehörige der ehemaligen Nationalen Volksarmee, die Bundeswehr behandele sie als »Soldaten zweiter und dritter Klasse«.

Wohl wahr: Für Berufssoldaten gibt''s nur 35 Prozent des Gehalts des gleichrangigen Kameraden aus dem Westen, der obendrein für die Dienstzeit, die er im Osten verbringt, eine saftige Zulage bezieht. Die Wehrpflichtigen maulen, ein »Ossi« bekomme nach einem Jahr Wehrdienst gerade 500 Mark Entlassungsgeld, der »Wessi« hingegen 2500.

Ein Drittel der gut 2200 Eingaben, die Biehle in den letzten elf Wochen erhielt, stammten von Ost-Soldaten. Fast alle klagten über die ungleiche Behandlung - vom Gehalt bis zur Zahl der Urlaubstage: »Sind wir nun eine Bundeswehr oder nicht? Es gibt nur einen Eid, ein Grundgesetz, eine Bundesrepublik.«

Wellershoff hätte die »Parteiarmee« NVA im vorigen Jahr am liebsten ganz aufgelöst: »Das Wort Kameraden möchte ich in diesem Zusammenhang nicht hören.« Ein Heeresgeneral in der Hardthöhen-Spitze zollte Beifall: »Wir lassen unsere Uniform nicht von diesen Leuten beschmutzen.«

Dennoch schlüpften zum Vereinigungstag am 3. Oktober 103 000 von vormals 173 000 NVA-Soldaten ins Nato-Oliv der Bundeswehr (West). Der Rest war von DDR-Wehrminister Rainer Eppelmann entlassen worden - oder desertiert. Tausende Offiziere machten von der Möglichkeit Gebrauch, zum Jahresende zu kündigen. Sie wollten sich nicht den demütigenden Prozeduren unterwerfen, die Bonner Bürokraten erdacht hatten: Wer in der Armee bleiben will, mußte peinliche Fragebögen ("Haben Sie Angehörige im kommunistischen Machtbereich?") ausfüllen. Nach einer zweijährigen »Probezeit« (Stoltenberg) wird erst, wie weiland zwischen 1955 und 1957 bei Offizieren aus Hitlers Wehrmacht, von einem »Personalgutachterausschuß« entschieden, wer auf Dauer in der gesamtdeutschen Streitmacht bleiben darf.

Die Ost-Armee ist mittlerweile auf 69 000 Mann geschrumpft. Nach Ende der Umstrukturierung sollen es nur noch 50 000 sein. Er habe, stöhnt _(* Bei der 10. Panzerdivision in Stetten. ) Schönbohm, »viel zuviel« Offiziere, aber keine Unterführer. Tausende von Unteroffizieren müßten aus dem Westen kommen.

Der Andrang hält sich in engen Grenzen. Die Soldaten (West) mögen nicht für längere Zeit umsiedeln. Es fehlt an Wohnungen, Kindergartenplätzen, Jobs für die Ehefrauen. »Soll ich meiner Tochter etwa einen alten SED-Lehrer zumuten?« ist eine Frage, die Schönbohm immer wieder hört.

Der Dienst im Osten ist nicht attraktiv: Bis zu 40 Prozent ihrer Zeit müssen die Soldaten mit dem in jeder Armee ungeliebten Wachdienst verbringen. In der Bundeswehr gilt als »Richtwert« ein Zehntel - vier Prozent.

Die Kasernen sind verrottet: In den Unterkünften nistet der Schwamm, in Speisesälen bröckelt der Putz. Rekruten, die aus dem Osten zur Grundausbildung in Einheiten der »Original-Bundeswehr« (Ost-Jargon) kommandiert sind, erleben bei der Rückkehr »einen Kulturschock« (Biehle): In Schlafstuben und Kantinen gibt''s für Wehrpflichtige nur Hocker. Stühle mit Lehnen waren in der NVA den höheren Chargen vorbehalten. In alten NVA-Depots stehen zwar Tausende von Stühlen. Aber die aus dem Westen angereisten Bürokraten der zivilen Wehrverwaltung mögen sie nicht herausrücken, solange alte NVA-Bestimmungen gelten. Schönbohm: »Die sind bescheuert.«

Um »menschenwürdige Verhältnisse« (Schönbohm) zu schaffen, sollen in diesem Jahr 430 Millionen Mark in die Sanierung der Kasernen zwischen Elbe und Oder gesteckt werden. Ein magerer Betrag im Vergleich zu den 310 Millionen, die Stoltenberg allein für Bauten im Freistaat Bayern aufwenden will.

»Für die Menschen«, so Brigadegeneral Klaus Peter von Kirchbach, Chef der 9. Panzerdivision in Eggesin nahe der polnischen Grenze, »hatte das alte Regime wenig übrig.« Für die Pflege des angehäuften Wehrmaterials um so mehr: »Das war alles in Top-Zustand.«

Und es waren gewaltige Mengen: 2334 Kampfpanzer, 6469 Schützenpanzer, 2216 großkalibrige Artilleriegeschütze, über 400 Kampfflugzeuge, mehr als 1,2 Millionen Handfeuerwaffen und rund 350 000 Tonnen Munition fanden Bonner Experten in den Depots der Volksarmee, der Stasi und der inzwischen aufgelösten Betriebskampfgruppen. »Dazu ein Ersatzteilvorrat«, so Luftwaffenoberst Dieter Müller-Gerhardt, »der für 10 bis 15 Jahre Friedensbetrieb gereicht hätte.«

Eine Million Mark pro Woche kostet es nach internen Berechnungen der Hardthöhe, das alte NVA-Material zu bewachen. Weil Wachsoldaten fehlen, wird das »Großgerät« nun aus den Kasernen abgezogen und in einigen Großdepots »konzentriert«.

Das teure Kriegsgerät, vor gut einem Jahr von den Bonner Militärs als höchst bedrohlich dargestellt, soll zum Schrott. Denn für die gesamtdeutsche Armee heißt es, kräftig abzuspecken.

Helmut Kohl hat Gorbatschow vorigen Juli im Kaukasus versprochen, die Armee des geeinten Deutschland werde von damals weit über 600 000 Mann auf 370 000 Soldaten schrumpfen. Bei den Wiener Verhandlungen über die Abrüstung konventioneller Streitkräfte in Europa (VKSE) verpflichteten sich die Deutschen zudem, bestimmte Höchstgrenzen beim schweren Wehrmaterial einzuhalten: Von den 7133 Kampfpanzern der vormals zwei Armeen müssen 2967, das sind 42 Prozent, abgerüstet werden; von 9598 Schützenpanzern sollen 6152 weg (64 Prozent), maximal 900 von 1064 Kampfflugzeugen dürfen übrigbleiben.

Der Umbau der Streitkräfte, weiß Bundeswehrvorsteher Stoltenberg, »ist eine enorme Herausforderung«.

Statt 48 Herresbrigaden (West) wird es künftig nur noch 28 (gesamtdeutsch) geben. Nur ganze 6 werden »voll präsent« sein, also im Frieden 90 Prozent der Soldaten einsatzbereit in den Kasernen haben. Die Luftwaffe will ihre Alpha-Jet-Geschwader und die beiden mit Phantom-Jets ausgerüsteten Aufklärungsgeschwader auflösen, zwei Jagdgeschwader nach Osten verlegen: Flugplätze werden dichtgemacht. Die Marine will, so die Planung, von gut 180 Schiffen und Booten nur die Hälfte behalten, eines ihrer beiden »Tornado«-Jagdbombergeschwader auflösen und etliche Stützpunkte dichtmachen.

Das gibt Ungemach auch im Westen der Republik. »Jeden Tag«, so ein hoher Hardthöhen-Beamter, »rufen zehn Bürgermeister an.«

Ein jeder sei für Abrüstung, »aber muß es denn gerade bei uns sein?« Kleinere Kommunen fürchten den Kollaps der örtlichen Wirtschaft, wenn die Kaufkraft der Soldaten verlorengeht.

Mitten in die gigantische Um- und Abbau-Arbeit platzte der Golfkonflikt und lenkte - willkommene Abwechslung - das Augenmerk der Militärs wieder auf ihr eigentliches Metier. »Bisher haben wir darauf gewartet, daß der Krieg zu uns kommt«, beschreibt Oberst Dickhoff die neue Lage, »nun müssen wir uns darauf einrichten, daß wir zum Krieg hingehen.«

Fix stellten die Wehr-Strategen in einem vertraulichen Arbeitspapier »Überlegungen zum Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen« an. Kernthese: »Aufgrund der vor allem weltwirtschaftlichen Verflechtungen muß auch der Bundesrepublik Deutschland daran gelegen sein, daß die Völkergemeinschaft den gemeinsamen Willen aufbringt, notfalls Zwangsmaßnahmen anzuwenden, um Kriege zu verhindern oder zu beenden.«

Dabei verloren die Experten auch den von der Gefahr des großen Krieges befreiten Heimatkontinent nicht aus den Augen. Weil die »politischen Umbrüche in Ost- und Südeuropa« neue »Regional-, Nationalitäten- und Minderheitenkonflikte« auslösten, seien hier gleichfalls »multinationale Einsätze zur Begrenzung regionaler Krisen nicht auszuschließen«.

Um das neue Deutschland nicht auf Uno-Aktionen allein festzunageln und um »im Einzelfall die verzugslose Entsendung von Truppen« zu ermöglichen, schlagen die Planer eine sehr weitgehende Ergänzung des Grundgesetzes vor: »Die Streitkräfte können aufgrund einer Entscheidung der Bundesregierung auch zur Sicherung oder Wiederherstellung des Friedens eingesetzt werden, wenn dies ein internationales Organ beschließt, welchem die Bundesrepublik beigetreten ist.«

Über das Bild des weltweit agierenden Deutschen haben sich die Oberen schon Gedanken gemacht. »Charakterlich gefestigt, ausgeglichen, anpassungsfähig und tolerant« soll er sein, seine »persönlichen Schwächen unter Kontrolle halten können«, körperlich und geistig besonders fit sein und natürlich »das soldatische ,Handwerk'' beherrschen«. Ein Auseinanderfallen der Bundeswehr in eine professionelle Elitetruppe und die große Mehrheit, die daheim die Brücken bewacht, soll durch regelmäßigen Austausch der - freiwilligen - Eingreif-Soldaten verhindert werden.

Der politischen Diskussion einmal wieder weit voraus, könnten die Militärs bitter enttäuscht werden. Denn für eine Grundgesetz-Änderung nach Art des Arbeitspapiers, also für »keine windelweiche«, so General Hans-Henning von Sandrart unter dem Beifall seiner Mitkommandeure, ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nicht in Sicht.

Die SPD scheint sich derzeit nur mit einer Beteiligung der Bundeswehr an friedenssichernden Blauhelm-Aktionen der Uno anfreunden zu können. Parteichef Hans-Jochen Vogels vorsichtiges Angebot, die Opposition werde sich Gesprächen über Zwangsmaßnahmen unter Uno-Oberbefehl nicht grundsätzlich verschließen, ist allenfalls in der Fraktion mehrheitsfähig. SPD-Präside Gerhard Schröder: »In der Partei hat das keine Chance.«

Auf der Kommandeurtagung verband Kanzler Kohl sein Plädoyer für den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Bündnisgebiets mit dem warnenden Hinweis, die erforderliche breite Mehrheit sehe er noch nicht.

Im Vorgriff auf die erstrebte Verfassungsänderung haben die Regierungsparteien freilich schon Fakten geschaffen. Bei den Koalitionsgesprächen über die künftige Struktur der Bundeswehr beschlossen Unterhändler von Union und FDP kurz vor Kriegsausbruch am Golf, zwei »Divisionsstäbe zur besonderen Verwendung« einzurichten. Sie sollen die künftige Eingreiftruppe führen, die aus Fallschirm- und Gebirgsjägern, je zwei Staffeln von Jagdflugzeugen und Jagdbombern sowie der Hälfte der Zerstörerflottille der Marine zusammengestellt werden soll.

Die Bonner Pläne passen in die neue Nato-Strategie, die die Staats- und Regierungschefs im Sommer verkünden wollen. »Hochmobil« und »anpassungsfähig« sollen sich die Streitkräfte der West-Allianz künftig präsentieren. Mit einem »Höchstmaß an Flexibilität« will das Bündnis »Risiken« speziell an der »Südflanke« begegnen.

Und wie immer, wenn Militärs zu neuen Ufern aufbrechen, geht''s um neue Waffen. Schwere Kampfpanzer und Schützenpanzer sind out, leichte »luftverladbare« Ausrüstung wird jetzt verlangt. Mehr Transporthubschrauber sollen her. Weil die Bundesluftwaffe keine Flugzeuge besitzt, die Roland- und Hawk-Flugabwehrraketen in die Türkei schaffen konnten, ruft Stoltenberg nach einer europäischen Flotte von Großraumtransportern.

Die müssen bezahlt werden. Allein für die Sanierungsarbeiten im Osten, jammerte Stoltenberg, fehlen ihm in den nächsten Jahren 16,5 Milliarden Mark. 1988, klagt Wellershoff, habe die Bundeswehr noch gut elf Milliarden für »Investitionen«, sprich: Rüstungsgüter ausgeben dürfen. 1994 bleiben nur mickrige 3,7 Milliarden: »Die Finanzplanung ist katastrophal.«

Mehr Frieden heißt also im Soldatenjargon: mehr Geld. o

* Leutnantsbeförderung an der Heeresoffiziersschule Hannover 1988.* Bei der 10. Panzerdivision in Stetten.

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