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Wenn Männer bluten

aus DER SPIEGEL 43/1996

ANNETTE MEYHÖFER

Auf dem Sterbebett verlangte der Schriftsteller Erich Maria Remarque seiner Frau Paulette Goddard ein Versprechen ab: »Du mußt wieder heiraten.« Sie lehnte heftig ab, das könne sie um alles in der Welt nicht; er beharrte: »Aber du mußt mir versprechen, einen Mann zu heiraten, der reicher ist als du.« Darauf die Goddard: »Das ist unmöglich.«

Es wäre zumindest schwierig gewesen. Denn Paulette Goddard war nicht nur eine der erfolgreichsten Schauspielerinnen der dreißiger und vierziger Jahre, sie war auch eine der reichsten. Aus drei Scheidungen - unter anderem von einem Industriellen und von Charlie Chaplin - hatte der Star aus »Moderne Zeiten« ein Vermögen angesammelt. Als sie 1990, 20 Jahre nach dem Tod Remarques (ihres vierten Ehemanns), starb - ohne sich wieder verheiratet zu haben -, hinterließ sie der New Yorker Universität 20 Millionen Dollar.

Eine lumpige Summe, verglichen mit jenen 1,5 Milliarden Pfund, die sich Soraya Kaschoggi, Spitzenreiterin im »Guinness-Buch der Rekorde«, angeblich nach der Scheidung von dem arabischen Tycoon Adnan Kaschoggi verdient hat; mit den dreistelligen Millionenbeträgen, die heutzutage Scheidungsgewinnlerinnen sich erkämpfen.

Spätestens wenn sie enden, sind Ehen wieder das, was sie immer schon waren: Versorgungsinstitute. Nur daß in neueren Zeiten darüber der Dunst von Liebe zu liegen hat. Aber auch die sogenannte Liebesheirat, diese Erfindung der Romantik, war nie etwas anderes als ein kapitalistisches Märchen.

Wer könnte es jenen, die viel zu lange, jahrhundertelang, von Ehe-Tröpfen abhingen, also verdenken, daß sie sich nun nehmen, was sie kriegen können? Wenn der Markt es hergibt ...

Und es sind ja keineswegs nur die Frauen, diese Räuberbräute, die dafür kassieren wollen, daß sie ihre eheliche Pflicht hinter sich gebracht haben. Obwohl er jene nur unzureichend erfüllte ("Er hat mich vernachlässigt, ist nie gekommen, wenn ich ihn auf mein Zimmer bat"), forderte der frühere Bauarbeiter Larry Fortensky 5,2 Millionen Dollar Abfindung von Liz Taylor, der er wiederum vorwarf, daß sie stundenlang mit Michael Jackson telefonierte.

Früher, früher einmal wurden Ehen im Himmel geschieden. Umtausch ausgeschlossen. Inzwischen ist die Scheidung ja fast der Normalfall, nur bereiten sich die Beteiligten noch immer die Hölle auf Erden: dafür, daß sie den Bund fürs Leben einst schlossen. Dafür zahlen viele, auch wenn dieser längst zerbrochen ist, ein Leben lang; der Volksschullehrer oder der Fabrikant knapp die Hälfte seines Einkommens monatlich.

Dafür zahlen auch all die anderen, die niemals in den Ring sich wagten: ihre 80 Pfennig täglich, um sich ein Bild zu machen über Lolita ("Während mein Sohn spielte, schlief Lothar") und Lothar ("Ich hab' Loris gewickelt, während sich Lolita geschminkt hat"); und ein wenig mehr darf's sein für Dieter Bohlens bunte Gala in Verona ("Wir haben in meinem Jaguar 36 Stunden lang nur gequatscht! Wir standen auf dem Feld, oben war ein ganz einsamer Stern"). Der Dichter Loris, bekannter als Hugo von Hofmannsthal, schrieb einst: »Tobt der Pöbel in den Gassen, ei, mein Kind, so laß ihn schrei'n.«

Früher starben Männer auf dem Feld der Ehre. Und manchmal starben sie für ein Bagatellchen; selten taugten Ehen zu Tragödien. Früher verbrannte sich die Verlassene, siehe Dido und Äneas, oder sie war wenigstens gesellschaftlich verbrannt, siehe Effi Briest. Oder die ganz Entschlossenen, siehe Klytämnestra, beförderten ihre Gatten ganz einfach vorzeitig ins Jenseits; heutzutage landen diese allenfalls im Abseits.

Aber wenigstens bleiben sie heute am Leben, wofür sie dann dies Leben lang büßen; es wird einem doch nichts geschenkt, am allerwenigsten die Liebe. »Man braucht eine Ehe, eine lange, um ein Monster zu werden«, heißt es bei Max Frisch. Dabei genügen schon vier Wochen. Dabei genügt eine Affäre.

Heutzutage werden Ehen auf dem Boulevard geschieden und Duelle in Illustrierten und Talkshows ausgefochten. Denn nichts ist so tröstlich wie das Unglück der anderen, für die Wirtschaftswundergattin in ihren Chanelketten auf Sylt oder die Ehepaare, die wieder zusammenfanden; das büßen die Männer nun mit den Bösartigkeiten ihrer Frauen.

Es ist der Trost des Banalen: auch für die anderen, die es versäumten, sich beizeiten scheiden zu lassen: »Man hofft ja stets, daß sie einen Neuen findet«; nun fürchten die Männer, von ihrer Rente abgeben zu müssen. Also machen sie weiter bis zur Silberhochzeit - der beinahe 30jährige Krieg.

Nachdem man in den siebziger Jahren das Gejammer der männlichen Gefallenen, von Botho Strauß bis Peter Handke, zu lesen hatte, nachdem später zwischen Michael Douglas (er zersägt ihre Pumps und pinkelt ins Essen) und Kathleen Turner (sie nimmt ihn in die Beinschere und demoliert seinen Sportwagen) der »Rosenkrieg« unentschieden, nämlich tödlich endete: Da scheint es recht und billig, daß sich nun das -- immer noch überwiegend weibliche - Scheidungsproletariat an den neuen Rachegöttinnen erfreuen darf. Kein Film ist derzeit in den USA so erfolgreich wie »The First Wives Club«, worin drei abservierte Gattinnen ihre ehemaligen Männer um alles bringen, Vermögen und Ansehen und sogar die Nachfolgerin, ex und hopp.

Wer jetzt von der Sozialhilfe lebt, mag sich damit trösten, daß auch Maya Flick sich schon bald das Hundefutter nicht mehr leisten kann, immerhin 4000 Pfund im Jahr verschlingt ihr Labrador. Weshalb sie nun einen Nachschlag fordert zu den neun Millionen, mit denen Mick Flick sie abzuspeisen gedachte. Wer jetzt sein Eigenheim verkaufen muß und in die Einzimmerwohnung zieht, ist wenigstens live dabei in Lothars Bungalow oder Bohlens Park: Eigenhändig, mit blutenden Händen, eingebuddelt hat er sie, Tausende von Pflanzen, und Verona, mit bürgerlichem Namen Feldbusch, wollte, daß er all das verkaufte für eine Schweinefarm am Amazonas. Und schließlich hat sogar Prince Charles, der einst ein Tampon sein wollte und lieber mit den Pflanzen spricht, sich das Geld für Dianas Abfindung leihen müssen, seiner Mutter wurde dazu eine Bankbürgschaft abverlangt. Wenn Männer bluten ...

Theodor W. Adorno, der sein ganzes Leben mit seiner Frau Gretel zubrachte (die auch die Kasse verwaltete), schrieb übers Allzumenschliche: »Sobald Menschen, auch gutartige, freundliche und gebildete, sich scheiden lassen, pflegt eine Staubwolke aufzusteigen, die alles überzieht und verfärbt, womit sie in Berührung kommt ... Professoren brechen nach der Trennung in die Wohnung ihrer Frau ein, um Gegenstände aus dem Schreibtisch zu entwenden, und wohldotierte Damen denunzieren ihre Männer wegen Steuerhinterziehung.« Und die Entwürdigung wird um so »abscheulicher, je 'großzügiger' die Vermählten ursprünglich zueinander sich verhielten«. Was sich übersetzen läßt: Liebe macht dumm, Haß gierig.

Um der Liebe willen verlieren Menschen den Verstand, so will es die Liebe. Wenngleich darum noch nicht gilt, daß sie, je weniger sie dabei zu verlieren haben, desto mehr zahlen müssen hinterher. Läppische 15 000 im Monat sollte Dieter Bohlen an Verona Feldbusch zahlen; die Miss American Dream 1995 verdient inzwischen schon mehr, wenn sie »Peep« macht.

Aber nun ist Deutschland in Sachen Scheidung ohnehin Entwicklungsland. Während im prüden Großbritannien beinahe täglich Politikergeliebte sich enthüllen und im noch prüderen Amerika Bill Clinton für jeden Blow Job öffentlich zu büßen hatte, indem er sich sogar von Hillary an die Hand nehmen lassen mußte, blieb es hierzulande lange bei Klaus von Dohnanyis Bekenntnis, daß Ulla Hahn auch den Wirtschaftsteil schätze.

Inzwischen präsentiert immerhin Theo Waigel seine Neue, die ehemalige Skiläuferin Irene Epple, bei Gottschalk und einige Tage später Margarete Schreinemakers die bitteren Tränen der verflossenen Frau Waigel. Die ehemalige Frau Lafontaine, Nummer zwei, Margret, klagte auf Rückzahlung eines Bausparvertrags. Und ganz Deutschland konnte im Frühjahr darüber abstimmen, ob ein Mann wie Gerhard Schröder daheim seine Currywurst braucht oder nicht. Auch in Deutschland zerfleischt man sich, aber eben nach Hausmannsart.

Einstmals galt die Liebe als Kunst. In jenen Zeiten, längst vergangen, als eine Kurtisane Flora durch großzügige Schenkungen das Römische Reich vor dem finanziellen Ruin rettete oder, nicht ganz so fern, als eine Ninon de Lenclos, »Notre-Dame des Amours« (wie ein Schriftsteller sie nannte), den Kardinal Richelieu abwies, weil sie nur mit ihm plaudern wollte. Da waren nicht nur Liebe und Ehe streng voneinander getrennt, die Ehe war sogar Voraussetzung für die Liebe - zu einem anderen. Und zur Liebe gehörte das Wissen um ihre Vergänglichkeit.

Noch im Rokoko, jenem ersten großen Experiment mit der Liebe, da um ihretwillen die schlimmsten Grausamkeiten gerechtfertigt waren, schrieb der Dichter Crébillon: »Mag man sich, so nimmt man sich ... Freilich, die Liebe hat mit alledem nichts zu schaffen, aber war denn Liebe je mehr als ein Begehren, das zu überschätzen man sich gefiel, eine Regung der Sinne, aus der die Eitelkeit der Männer eine Tugend zu machen beliebte? Heute weiß man, daß einzig die Lust existiert; und wenn man einander noch sagt, man liebe sich, so geschieht das weit weniger, weil man es glaubt, als weil es eine höflichere Form ist, voneinander das zu verlangen, was man nötig zu haben scheint.«

Aber selbst die romantische Liebe - da einer dem anderen nun die Welt zu bedeuten hatte (vornehmlich der Mann der Frau), bis daß der Tod sie schied -, selbst diese wahre, ideale Liebe, da man einander ganz und gar besitzen wollte, verlieh doch gerade dem Besitzanspruch seinen schönsten Sinn: Stets sind, bei Jane Austen etwa, die Leser genau informiert über die Jahresrenten ihrer Heldinnen.

Und sogar im bürgerlichen 19. Jahrhundert - zumindest in jenen Ländern, die mehr auf Kultur hielten - adelte es den Mann, wenn er sich die Gunst gewisser Damen erwarb und damit bewies, daß er über Geld und Zeit genug verfügte. Und meistens auch über die Billigung der Ehefrau: »Machen Sie Schulden«, fleht in Balzacs »Glanz und Elend der Kurtisanen« der töricht verliebte Baron Nucingen seine Frau an, die ihm gute Ratschläge erteilt, in Sachen Mode und Amour.

So hatte die Liebe schon immer ihren Preis. Mit den süßen Mädels ging man statt in die Oper ins Séparée, dafür setzte man ihnen die schönsten Denkmäler in Kunst und Literatur. Vorüber auch die Zeiten der Goodtimegirls à la Jackie O. oder Schwester Lee, jener kostspieligeren Variante der Playgirls.

Und wenn die Liebe nun doch eine Himmelsmacht sein soll, die einzige Metaphysik, die uns geblieben ist? Man zahlt auch seine Kirchensteuer und, wer will, sonntags in die Kollekte.

Aber der Irrtum der meisten ist doch, daß sie irgendwann die Einmaligkeit ihres Empfindens damit verwechseln, daß jene oder jener, bei dem sie dies empfanden, nun für sie die einzigen und ihr Eigentum werden müßten. Nur ward Emma Bovary durch schlechte Romane verdorben, heutzutage lesen Ehefrauen und Ehemänner Ratgeber, oder sie sehen Hollywoodfilme.

Und seit inzwischen dank Ilona Christen und Hans Meiser Sigmund Freud auf jeder Wohnzimmercouch angekommen ist, seit ein jeder öffentlich zu beichten hat, wie er im Privaten liebt, scheint sogar der gnädige Ausweg der Lüge verschlossen. Inzwischen ist das Glück längst mehr als nur eine Obsession, zum Zwang geworden, und das Glück verlangt Einzigartigkeit. Weshalb die Umtauschjagd immer weitergeht: jünger, blonder, blöder.

An das Prinzip Hoffnung glauben heutzutage vor allem die falschen Fünfziger: Gerhard Schröder Hand in Hand im Englischen Garten mit seiner blonden Trophäe. Weil man dem Glück doch nie recht trauen kann, muß man die ganze Welt zu Zeugen rufen, und noch einmal mehr, wenn das Glück zerbricht.

Joschka Fischer, dem seine Claudia seit dem letzten Toskana-Aufenthalt nicht mehr grün ist, ist inzwischen nur noch eine halbe Portion. Vielleicht schreibt er demnächst einen Ratgeber: »Scheidungsdiäten. Oder: Trennung ist das beste Rezept«. Seit Princess Di ist ja auch die Bulimie öffentlich geadelt. Prince Charles hingegen hat gerade einen Liebesgarten für Camilla gepflanzt, Vergißmeinnicht und Tränende Herzen.

Spätestens wenn sie geschieden sind, werden Ehen zu bürgerlichen Lustspielen. »Nur mit dem Tod entstehn wiederum reinliche Beziehungen zwischen den Menschen«, wußte der Theaterkritiker Alfred Kerr.

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