Zur Ausgabe
Artikel 16 / 81

SPIEGEL Gespräch »Wer kuscht, hat keine Chance«

SEL-Vorstandsmitglied Roland Mecklinger zur deutschen Beteiligung an der Weltraum-Raketenabwehr *
aus DER SPIEGEL 47/1985

SPIEGEL: Die Bonner Koalitionspartner, voran Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher, streiten sich über die politischen Folgen einer staatlichen Vereinbarung über die Beteiligung der deutschen Industrie an der »Strategic Defense Initiative« (SDI). Sie, Herr Mecklinger, befürworten ein amtliches Rahmenabkommen. Was versprechen Sie sich davon?

MECKLINGER: Seit langem ist, unabhängig von SDI, zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten ein Rahmenabkommen für den Datenaustausch überfällig, das die Zusammenarbeit in hochtechnologischen Bereichen, zu denen SDI gehören wird, ermöglicht. Ein Rahmenabkommen nur zu SDI wäre nicht zwingend das, was wir suchen. Es wäre allerdings dann schon mehr als das, was im Augenblick vorhanden ist. Es wäre aber zu wünschen, daß die angestrebte Zusammenarbeit bei SDI nun als Katalysator für ein generelles Rahmenabkommen wirkt.

SPIEGEL: Die Frage, ob ein Abkommen geschlossen werden soll, ist allerdings auch eine hochpolitische Angelegenheit. Braucht die Industrie eine staatliche Absicherung wirklich so dringend?

MECKLINGER: Ja, einfach deshalb, damit es nicht zwischen den Industrien anschließend zu Streitigkeiten kommt. Unsere amerikanischen Partner haben das gleiche Interesse an einem solchen Rahmenabkommen wie die deutschen Unternehmen.

SPIEGEL: Die privaten oder die staatlichen Partner in Amerika?

MECKLINGER: Beide, wenn Sie beispielsweise die übliche Form der Kooperation, ein »Memorandum of Understanding«, nehmen: Für uns ist es vertragsrechtlich relevant, für die Amerikaner ist es oft nur eine Absichts- oder Willenserklärung, wenn der Inhalt des Memorandums nicht genau festgelegt ist. Auf einer solchen Basis können Sie in konkreten Projekten nicht zusammenarbeiten.

SPIEGEL: Das von Ihnen gewünschte Datenaustausch-Abkommen bezieht sich auf den Austausch ziviler Daten. SDI ist aber in erster Linie ein militärisches Projekt und die Alternative der Amerikaner zur bisherigen Abschreckungsstrategie.

MECKLINGER: Für mich ist SDI im Augenblick ein Forschungsprojekt. In den Vereinigten Staaten werden die modernsten Technologien erforscht, die aus meiner Sicht in den vor uns liegenden Jahren einen derartig hohen Spin-off _(Anfallende Nebenprodukte. )

haben, daß es allein schon aus diesem Grund für die deutsche Industrie und für die deutsche Volkswirtschaft wichtig ist, daran zu partizipieren. Für mich ist SDI - lassen Sie mich das ganz präzise sagen - kein militärisches Projekt.

SPIEGEL: Noch mal: Wir und viele Politiker verstehen unter SDI in Übereinstimmung mit dem US-Präsidenten eine alternative militärische Strategie.

MECKLINGER: Bis es zu einem militärischen Projekt kommt, vergehen noch viele, viele Jahre. Vor 1992/93 ist die Entscheidung nicht fällig. Erst dann werden die Ergebnisse vorliegen. Ob man daraus dann überhaupt ein militärisches System, das der Abwehr dienen soll, machen kann, steht im Augenblick noch in den Sternen. Das ist der einzige für mich relevante Bezug zum sogenannten Sternenkriegs-Programm.

SPIEGEL: Die Gegner eines Rahmenabkommens innerhalb der Bundesregierung argumentieren, die politischen Kosten seien zu hoch, zumal das Volumen an Aufträgen, die der deutschen Wirtschaft aus der SDI-Forschung zufielen, höchstens 50 bis 80 Millionen Dollar - über fünf Jahre - betragen werde. _(Im Bonner SPIEGEL-Büro mit Redakteuren ) _(Richard Kiessler und Klaus Wirtgen. )

MECKLINGER: Ich höre diese Zahl jetzt zum zweiten Mal. Nach meinem besten Wissen ist es so, daß über eine Zahl zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten überhaupt noch nicht gesprochen wurde. Vielmehr wurde nur erwähnt, daß die Amerikaner an gewissen Vereinbarungen zur Technologie Interesse haben. Fest liegt im Augenblick, daß in den Vereinigten Staaten - aber nicht nur in dem Büro des SDI-Bevollmächtigten General Abrahamson, sondern gleichermaßen natürlich im Pentagon - Gelder zur Verfügung stehen. Es sind nach meinem Wissen für das Jahr 1986 ungefähr vier Milliarden Dollar. Bis jetzt sind ungefähr 800 Aufträge an amerikanische Firmen in den Vereinigten Staaten erteilt.

SPIEGEL: Was fällt für deutsche Firmen ab?

MECKLINGER: Ich weiß nur, daß es relativ einfach ist, einen SDI-Auftrag zu bekommen. Man muß hingehen - Abrahamson hat uns ja alle eingeladen - und sagen, was man kann. Dann stellen die fest, ob sie das für ihre Speisekarte benötigen. Und dann haben Sie einen Auftrag oder nicht. Ob die Menge, die aus Deutschland kommen kann, bei 80 Millionen Mark - dieser Betrag ist fast schon lachhaft - zu Ende sein wird? Das stimmt sicher nicht.

SPIEGEL: Die Schätzungen stammen aus dem Auswärtigen Amt.

MECKLINGER: Ich weiß nicht, auf welcher Basis solche Schätzungen gemacht werden. Aus meiner Sicht: Der Teil, den die deutsche Technologie und Industrie hier beitragen kann, und die Entwicklungsleistungen, die hier erbracht werden können, werden im Laufe der nächsten Jahre sicher in die 500, 600, 700 Millionen Dollar insgesamt gehen.

Es ist doch nicht so, daß SDI in irgendeiner Form ein fertiges Produkt ist, bei dem der das und der jenes macht. Im Augenblick sollen Technologien erforscht werden, mit denen man unter Umständen ein solches Abwehrsystem bauen kann.

SPIEGEL: Fest steht, es gibt keine Quotenzusagen für Ausländer. Die Engländer hofften vergeblich auf eine Zusage, für 1,5 Milliarden Dollar forschen zu dürfen.

MECKLINGER: Das ist völlig unmöglich. Sie können als Firma nur hingehen - eine Regierung kann auch das nicht, es sei denn, die Industrie ist total verstaatlicht - und sagen: Das kann ich. Und dann werden die sagen, ob sie das brauchen oder nicht. Wenn sie es brauchen, kriegen Sie einen Auftrag.

SPIEGEL: Dazu genügt doch wohl eine normale Kooperation von Unternehmen auf der Grundlage bestehender Abkommen?

MECKLINGER: Nein, weil es keine Datenaustauschvereinbarung gibt. Bei Vereinbarungen zwischen Industrie und Industrie können die Amerikaner einseitig jedes erreichte Ergebnis als vertraulich erklären und damit den Deutschen jede Zugangsmöglichkeit sperren.

SPIEGEL: Könnte diesem Schaden nicht durch ein verbessertes deutschamerikanisches Geheimschutzabkommen vorgebeugt werden?

MECKLINGER: Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung, würde aber ein Rahmenabkommen nicht ersetzen. Der Geheimschutz ist ja nur ein Teil unserer Ansprüche. Das Rahmenabkommen muß ja sehr viel weiter gehen. Sehen Sie, bei einem Gespräch, das wir in Bonn mit Unterstaatssekretär Richard Perle vom Pentagon hatten, hat er uns gesagt: »Machen Sie sich doch keine Sorgen; 80 Prozent der ganzen Geschichte sind allemal nicht vertraulich oder nicht ''classified''.« Doch was »classified« ist, bestimmen allein die Amerikaner im Verlauf eines Projekts.

Ich habe ihn gefragt: »Was würden Sie denn an unserer Stelle tun?« Da wurde er sehr nachdenklich und sagte dann: »Eigentlich haben Sie recht, das muß geklärt werden, und das ist auch das Interesse der Amerikaner.«

SPIEGEL: Was begründet Ihren Optimismus, ein Abkommen könne Sie vor US-Willkür schützen? Selbst in dem Bericht des Kanzler-Beraters Horst Teltschik wird festgehalten, daß sich die amerikanische Regierung das Recht vorbehält, alle Nutzungs- und Verwertungsrechte aufzuheben oder jederzeit die Stufe der Klassifizierung zu ändern.

MECKLINGER: Die Amerikaner haben vielleicht vorher das gar nicht so gesehen, wo die deutsche Industrie der Schuh drückt. Sie sind hier ja nicht bösartig, sondern sie haben das einfach in dieser Form nicht begriffen. Ich glaube - das ist mein Vertrauen in die Demokratie und in unabhängige Regierungen -, daß man sich, wenn zwei Regierungen etwas vereinbaren, als Industrie darauf berufen kann. Ich erinnere daran, was vor wenigen Monaten hier in Deutschland mit dem militärischen »Freund-Feind-Erkennungssystem« für die Luftwaffe passiert ist. Da gab es eine vage Vereinbarung, daß die deutsche und die amerikanische Entwicklung verglichen werden, bevor die Einführung erfolgt.

SPIEGEL: Die Amerikaner haben sich nicht daran gehalten. Das Siemens-System war besser, aber die US-Lobby war stärker. Meinen Sie, ein Abkommen hätte Siemens geholfen?

MECKLINGER: Das hätte man durch eine Vereinbarung sicherlich nicht heilen können. Aber immerhin sind die Positionen vorher klarer. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie schwierig es

ist, wenn wir mit amerikanischen Firmen in einem Detailstreit sind und die Amerikaner dann sagen: »Sorry, hier ist ein Gesetz.« Dann können wir künftig sagen: »Wir schließen auf der Basis eines solchen Austauschvertrages einen Vertrag.« Dann wissen beide Seiten, wo es Probleme gibt.

SPIEGEL: Im Rüstungsbereich wurde 1978 eine Vereinbarung geschlossen, doch trotzdem gab es die feierlich verkündete Zweibahnstraße, also einen gerechten Beschaffungsaustausch, nicht.

MECKLINGER: Richtig. Aber noch nie wurde ein solches Datenaustausch-Agreement so hoch diskutiert wie im Augenblick. Noch nie hatte ein Bundeskanzler diese Möglichkeit, seinem amerikanischen Counterpart, auch den betreffenden Ministern zu sagen: »Das ist es, was wir wollen.« Ich glaube fest daran: Wenn ein solch klares Verständnis dagewesen wäre, wäre die Zweibahnstraßen-Diskussion anders ausgegangen.

SPIEGEL: Der amerikanische Kongreß hat 1983 das Pentagon ermächtigt, sogar die Freigabe öffentlich verfügbarer Daten abzulehnen, wenn sie für die militärische Rüstung verwendet werden können. Nach einem Präsidentenerlaß aus dem Jahre 1982 können Regierungsstellen Informationen zum Schutz der nationalen Sicherheit als geheim einstufen. Erwarten Sie allen Ernstes, die Amerikaner würden sich in einem Abkommen dieser Rechte begeben, vielleicht sogar Gesetze ändern?

MECKLINGER: Ich erwarte zum Beispiel, daß ein deutsches Unternehmen, das an einem SDI-Projekt mitarbeitet, die Teile, die es einbringt, gleichermaßen nutzen und verwerten kann. Ich weiß nicht, ob die Amerikaner ihre Gesetzgebung verändern müssen. Wenn es im Sinne der amerikanischen Gesetzgebung ist, einen Partner in dieser Form auf den Leim zu führen, muß man tatsächlich die Gesetzgebung ändern. Alle meine Gesprächspartner in Amerika haben mir immer wieder bestätigt, daß dies nie und nimmer die Absicht der Amerikaner ist. Wenn das aber so ist, kann man doch ein solches Abkommen schließen.

SPIEGEL: Die Erfahrung, die deutsche Firmen mit der Bereitschaft der Amerikaner gemacht haben, Technologie in andere Länder zu transferieren, sind nicht gerade positiv. Die Amerikaner verhalten sich da ihren eigenen Verbündeten gegenüber sehr restriktiv.

MECKLINGER: Gut, aber das darf natürlich nicht in die Cocom-Diskussion führen. _(Cocom: Coordinating Committee, ein ) _(Gremium der Nato-Staaten und Japans, das ) _(festlegt, welche strategisch bedeutsamen ) _(Technologien nicht in Ostblockländer ) _(exportiert werden dürfen. )

Es wäre sicherlich falsch zu sagen, mit einer solchen Rahmenvereinbarung solle die Cocom-Vereinbarung außer Kraft gesetzt werden. Ich glaube, der Westen ist sehr gut beraten, an den vernünftig praktizierten Cocom-Regeln festzuhalten und den technologischen Vorsprung, den wir haben, auszubauen.

SPIEGEL: Das US-Verteidigungsministerium dringt auf eine Verschärfung der Cocom-Regeln: Es verlangt eine Oberaufsicht über das, was für geheim erklärt wird und was nicht.

MECKLINGER: Das Pentagon hat sich in neuester Zeit das letzte Wort ausbedungen. Aber die neuen Cocom-Regeln, die bis 1988 revidiert werden sollen, lassen für die moderne Technologie schon ein bißchen mehr Freiraum. Ich empfehle übrigens, den Amerikanern in diesen Dingen mit einem aufrechten Gang gegenüberzutreten und beim Verhandeln ganz klar zu sagen, was wir wollen. Das tun die Amerikaner uns gegenüber genauso. Wer kuscht, hat bei denen keine Chance.

SPIEGEL: So kann ein Manager argumentieren, der weiß, daß seine Produkte gebraucht werden. Die Bonner Politiker sind als Verbündete der westlichen Supermacht in einer schwächeren Situation. Ein aufrechter Gang scheint uns da seltener.

MECKLINGER: Wir haben in Deutschland nicht diese starken Produkte, die die Amerikaner dringend brauchen. Die wollen nicht unsere fertigen Produkte, sondern unser Know-how. Die sind bei SDI an unseren Köpfen interessiert, aber auf gar keinen Fall an unserem Geld. Dazu ist die ganze Bundesrepublik zu arm, um gegen diese Milliardenbeträge anstinken zu können. Das wollen wir auch gar nicht.

Es geht um die grauen Zellen unserer Ingenieure. Es ist die Pflicht der Industrie, dieses Knowhow zum richtigen, fairen Preis zu verkaufen. Und für mich ist der faire Preis ein technologisches Überleben. Wenn die Amerikaner den zivilen Spin-off von SDI und damit ihre Volkswirtschaft vorantreiben - das ist nämlich die Zielsetzung, und die militärische Fahne, die man darumgewickelt hat, ist für mich Augenwischerei -, wenn die Amerikaner das ganz allein tun, haben sie die Japaner überholt, aber die Europäer absolut abgehängt. Es ist unsere Aufgabe, dies als deutsche Wirtschaft zu verhindern. Und dafür brauchen wir politische Rückendeckung.

SPIEGEL: Wie soll denn eine Vereinbarung, die das abdeckt, aussehen?

MECKLINGER: Es muß in jedem Fall eine technologische Zweibahnstraße geben.

SPIEGEL: Die Amerikaner haben dem Kohl-Berater, Ministerialdirektor Horst Teltschik, keinerlei Gegenleistungen für die Nutzung deutscher Forschungsreserven angeboten. Sie haben Nutzungs- und Verwertungsrechte nur mit strengen Auflagen in Aussicht gestellt.

MECKLINGER: Um so wichtiger ist es, daß man nicht nur Absichtserklärungen schreibt, sondern tatsächlich ans Eingemachte geht.

SPIEGEL: Im Teltschik-Bericht über die Gespräche einer Reihe von Wissenschaftlern und Industrievertretern in den USA heißt es, daß die Amerikaner eine uneingeschränkte Nutzung gemeinsam finanzierter Forschung nur für militärische Zwecke zugesagt haben. Jede zivile Nutzung bedarf einer Sondervereinbarung zwischen den Regierungen.

MECKLINGER: Um so wichtiger ist eine vorherige Klärung. Ich glaube nicht, daß es einem deutschen Unternehmen jemals gelingen wird, wirklich eigenständig Subsysteme zu machen, wenn daraus

Verteidigungssysteme entwickelt werden sollen.

SPIEGEL: Der amerikanischen Regierung bleibt ein Zustimmungsrecht für den Export von Forschungsergebnissen. Die Amerikaner haben Teltschik lediglich zugesagt, daß sie die Exportgenehmigungen wohlwollend prüfen wollen. Reicht Ihnen das?

MECKLINGER: Nein. Ein wohlwollendes Prüfen ist unter Freunden eine Basis menschlichen Zusammenlebens, aber hier nicht ausreichend.

SPIEGEL: Als Vertreter einer Firma, die an der Teltschik-Kommission beteiligt war, meinen Sie, die bisherigen amerikanischen Versicherungen seien nicht ausreichend, ein Abkommen sei nötig. Teltschik selbst empfiehlt in seinem Bericht trotz dieser Einschränkungen offenbar ein Rahmenabkommen mit anderem Inhalt. Das, was Sie sich von einem Rahmenabkommen versprechen, und das, was die Regierung hofft, klafft meilenweit auseinander.

MECKLINGER: Man darf die Teltschik-Reise nicht zu stark mit dem Thema Rahmenabkommen vermischen. Daran arbeiten ja die Regierungen schon länger. Die Wunschvorstellungen, die wir jetzt haben, sind einfach, bedingt durch diese jetzt sehr heiße Phase der SDI-Diskussion, sehr viel präziser geworden.

SPIEGEL: Können Sie die Mängel nicht viel besser in direkten Verhandlungen mit den Amerikanern beheben, statt darauf zu hoffen, daß die Regierung etwas abschließt, was nachher doch alle wesentlichen Positionen offenläßt?

MECKLINGER: Bei aller Wertschätzung der Größe der Bundesrepublik haben wir quadratmetermäßig genau die gleiche Größe wie der Bundesstaat Oregon. Ich habe in meinem Büro ein Bild, wo ich das jeden Tag deutlich erkennen kann. Wenn wir von der deutschen Marktmacht sprechen, müssen wir sehr schnell Bescheidenheit lernen. Aber sie ist immerhin so groß, daß die Amerikaner auf einzelne Firmen zugehen.

SPIEGEL: Außenminister Genscher fürchtet das politische Signal, das von einem Abkommen ausgeht.

MECKLINGER: Für mich ist dies alles relativ unpolitisch. Ich arbeite in einem Bereich der Industrie, und ich weiß, was eine gewisse Führungsposition bedeutet, die wir in der Welt haben. Das ist der Grund, warum uns die Amerikaner auf diesem Sektor haben wollen. Diese Führungsposition nicht leichtfertig zu verspielen ist meine Pflicht und Aufgabe der deutschen Volkswirtschaft gegenüber.

SPIEGEL: Sind Sie sicher, daß die Amerikaner wirklich großzügiger werden, wenn ein Rahmenabkommen geschlossen ist?

MECKLINGER: Die Amerikaner werden die Deutschen nicht besser behandeln als die anderen Europäer. Aber mir hat sehr imponiert, daß der Europa-Experte Richard Burt, bevor er in Bonn Botschafter wurde, gesagt hat, daß Deutschland politisch und wirtschaftlich eine Weltmacht und damit der wichtigste Verbündete der Vereinigten Staaten geworden ist.

SPIEGEL: Nehmen Sie diesen Satz etwa ernst?

MECKLINGER: Den nehme ich sogar sehr ernst. Ich habe Herrn Burt kennengelernt, und ich glaube, daß er das nicht nur sagt, sondern auch meint.

SPIEGEL: Gegen ein Abkommen spricht nach Meinung Genschers, daß die deutsche Industrie doch nur als Subkontraktor aufteten würde. Ist das auch Ihre Meinung?

MECKLINGER: Sicherlich. Ich glaube, daß die deutsche Industrie unabhängig von einem Abkommen Subkontraktor sein wird. Das ist aber nicht schlimm.

SPIEGEL: Das behindert den aufrechten Gang nicht?

MECKLINGER: Nein.

SPIEGEL: Aber Sie bestehen auf den Nutzungs- und Verwertungsrechten?

MECKLINGER: Ja. Das ist ein Subkontrakt. Ich betrachte alle bis jetzt erteilten 800 Technologieaufträge als Subkontrakte. Was ist denn der Gesamtkontrakt. Den gibt es ja nicht.

SPIEGEL: Genügt es Ihnen, wenn Sie an der Erforschung bestimmter Teilbereiche des SDI-Programms beteiligt sind? Oder stellen Sie die Bedingung, daß Sie die - wie die Politiker es nennen - Gesamtarchitektur des SDI-Projektes kennen wollen?

MECKLINGER: Nein, das ist völlig unmöglich. Ich behaupte, daß es niemanden geben wird, der die gesamte Architektur kennt. Um Gottes willen! Mir reicht tatsächlich, daß Forschungsergebnisse, an denen wir mitwirken, für uns zugänglich sind.

SPIEGEL: Und auch die Politiker sollten sich mit dem Einblick in jene Bereiche begnügen, an denen die deutsche Industrie mitwirkt?

MECKLINGER: Ja. Das setze ich bei den Politikern gleichermaßen voraus.

SPIEGEL: Die Regierung soll also ihre politische Zustimmung zu einem Forschungsprojekt geben, dessen Gesamtkonzept und -struktur sie gar nicht kennt?

MECKLINGER: In dieser Phase der Forschung: ja.

SPIEGEL: Und das Argument des Auswärtigen Amtes, die Deutschen könnten das Gesamtprojekt sicher nicht beeinflussen, ist für Sie nicht stichhaltig?

MECKLINGER: Ja, das ist nicht stichhaltig.

SPIEGEL: Machen Sie denn wenigstens einen Unterschied zwischen Forschung, Entwicklung und Stationierung der Raketenabwehr-Systeme?

MECKLINGER: Sicherlich, wobei im Augenblick die Forschungsphase die entscheidende Phase ist. Eine mögliche Beteiligung an einer Entwicklung halte ich im Augenblick weder für diskussionsfähig noch für diskussionsreif. Dazu hätte ich dann wahrscheinlich eine dezidiert andere Meinung.

SPIEGEL: Welche?

MECKLINGER: Ich glaube, daß es der Bundesrepublik sehr gut zu Gesicht steht, in Richtung militärischer Produkte sehr zurückhaltend zu sein. Wir haben das Kriegswaffenkontrollgesetz und entsprechende andere Gesetze. Mehr wäre in Deutschland politisch überhaupt nicht durchsetzbar und auch von der Industrie her gar nicht wünschbar.

SPIEGEL: Manche in Bonn meinen, die Europäer sollten dem militärischen SDI-Programm lieber das zivile Projekt Eureka entgegensetzen.

MECKLINGER: Das ist überhaupt keine Alternative. Ich finde es eigentlich unredlich, zu sagen: SDI ist militärisch und deshalb böse, Eureka ist zivil und deshalb gut. Sie werden zwischen diesen beiden Projekten Identität feststellen, wenn Sie auf die Kerngebiete sehen: nämlich die der Optik, der Lasertechnik, der Optronik, der Supercomputer, der Software-Technologie, der künstlichen Intelligenz.

SPIEGEL: Alles militärisch verwertbar ...

MECKLINGER: ... Sie können jede Technologie militärisch und zivil verwertbar machen. Bei Eureka finden Sie dieselben Bereiche wieder. Die technologische Matrix ist im inneren Kern identisch.

SPIEGEL: Wenn die Bundesrepublik sich mit einem Rahmenabkommen an der SDI-Forschung beteilige, heißt es in Genschers Außenamt, sei mit Reaktionen des Ostblocks zu rechnen. Die Befürchtungen reichen von Problemen im Berlin-Verkehr bis hin zu Prophezeiungen, die Sowjets würden Großaufträge an deutsche Firmen stornieren.

MECKLINGER: Das kann ich mir nicht vorstellen. Das würde ja bedeuten, daß die Comecon _(Im Comecon, dem Rat für gegenseitige ) _(Wirtschaftshilfe, sind die Staaten des ) _(Warschauer Pakts sowie Kuba, Vietnam und ) _(die Mongolische Volksrepublik ) _(zusammengeschlossen. )

-Staaten einer Fortentwicklung der deutschen Volkswirtschaft und der deutschen Industrie einen Riegel vorschieben könnten, indem sie einfach sagen: Ihr dürft das nicht. Denkbar ist nur, daß es solche Drohgebärden gibt.

SPIEGEL: Wieviel Zeit geben Sie Bonn noch für einen Entscheid über das Rahmenabkommen?

MECKLINGER: Wenn diese Frage in den Wahlkampf gerät, sehe ich schwarz. Spätestens im nächsten Januar muß der Vertrag unter Dach und Fach sein. Wenn er nicht zustande käme, nähme die. Regierung der deutschen Volkswirtschaft die noch nie dagewesene Chance, den Amerikanern etwas abzuhandeln.

SPIEGEL: Was erhoffen Sie sich dabei für Ihr Unternehmen SEL?

MECKLINGER: Wir hätten schon Verträge unterschreiben können.

SPIEGEL: Herr Mecklinger, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
*KASTEN

Roland Mecklinger *

ist im Vorstand der Standard Elektrik Lorenz AG (SEL) in Stuttgart für den Geschäftsbereich Nachrichtentechnik zuständig. SEL, ein Konzern der Kommunikationsbranche, macht einen jährlichen Umsatz von rund fünf Milliarden Mark und ist 86prozentige Tochter des US-Konzerns ITT. Der 48jährige Dr. Ing. leitet unter anderem die deutsche Delegation der Nato Industrial Advisory Group (Niag), eines Beratergremiums der Industrie für Rüstungsfragen. Mecklinger nimmt für sein Unternehmen auch den Kontakt zur Bundesregierung wahr. Er zählt zu den engagierten Befürwortern einer deutschen Beteiligung an der amerikanischen SDI-Forschung. Auch sein Unternehmen war in der Kommission vertreten, die unter Leitung von Horst Teltschik vom Bundeskanzleramt im September die Chancen der deutschen Industrie prüfte, an dem auf 26 Milliarden Dollar veranschlagten Forschungsprojekt beteiligt zu werden.

Anfallende Nebenprodukte.Im Bonner SPIEGEL-Büro mit Redakteuren Richard Kiessler und KlausWirtgen.Cocom: Coordinating Committee, ein Gremium der Nato-Staaten undJapans, das festlegt, welche strategisch bedeutsamen Technologiennicht in Ostblockländer exportiert werden dürfen.Im Comecon, dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, sind dieStaaten des Warschauer Pakts sowie Kuba, Vietnam und die MongolischeVolksrepublik zusammengeschlossen.

R. Kiessler, K. Wirtgen
Zur Ausgabe
Artikel 16 / 81
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten