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»Wer schön theoretisieren kann, zählt mehr«

SPIEGEL-Interview mit dem SPD-Bezirksvorsitzenden Heinemann über Organisationsdefizite in der Parteizentrale Hermann Heinemann, 58, ist Vorsitzender der mitgliederstärksten SPD-Gliederung, des Bezirks Westliches Westfalen. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

SPIEGEL: Herr Heinemann, Sie gelten als einer der schärfsten Kritiker der SPD-Wahlkampfführung. Welche Fehler hat es Ihrer Meinung nach gegeben?

HEINEMANN: Wir müssen, da bin ich sicher, aus dieser Wahl eine Lehre ziehen. Die Organisation der Partei muß verbessert, vielleicht sogar völlig umgekrempelt werden, sonst sind wir im Bund für alle Zeiten vom Fenster weg. Organisation ist nicht alles, aber zum Umsetzen politischer Vorstellungen gehört sie nun mal.

SPIEGEL: Johannes Rau hat nach der Wahl erklärt, die Bonner SPD-Parteizentrale sei im Vergleich mit der Organisation der CDU um zehn Jahre zurück.

HEINEMANN: Das ist auch meine Meinung. Früher hatten wir die beste Parteiorganisation, heute hat uns die Union weit überrundet. Das Adenauer-Haus in Bonn ist mittlerweile wie eine Konzernzentrale aufgezogen. Da geht es nicht in erster Linie darum, die schönsten Papiere zu entwerfen, da wird bis auf Detailfragen alles genauestens geplant. Wer gut organisieren kann, ist dort ein angesehener Mann, bei uns wird heute die Organisation oft nicht ernst genommen.

SPIEGEL: Es geht Ihnen in Ihrer Zentrale nicht straff genug zu?

HEINEMANN: Genau. Als Kohl im Wahlkampf durch die Lande reiste, da wurden ihm von der Zentrale sogar noch die Blumentöpfe vorausgeschickt, da lief alles wie am Schnürchen. Bei uns zeigen sich gerade in solch wichtigen Detailfragen die großen Schwächen. Vor Ort fühlt sich die Partei oft von der Baracke allein gelassen. Die müßte mehr Hilfestellung leisten.

SPIEGEL: An den fehlenden Blumen lag es ja wohl nicht, daß die SPD verloren hat.

HEINEMANN: Es geht doch gar nicht um die Blumen. Einer so großen Partei wie der SPD darf es eigentlich nicht passieren, was in diesem Wahlkampf passiert ist. In München platzte ein Open-Air-Festival im Olympiastadion, in Nürnberg fiel eine Kundgebung aus. Die Vorbereitung stimmte nicht. Tausende von Rau-Briefen an Mitglieder wurden zurückgeschickt, weil die Adressen falsch waren, Info-Dienste erschienen mal, mal erschienen sie nicht.

SPIEGEL: Ist das alles?

HEINEMANN: Gewiß, das sind Einzelbeispiele. Aber solche organisatorischen Pannen demotivieren auch die Basis. Es geht um etwas Prinzipielles. Es ist Mode geworden, den Funktionär und den Apparat zu verachten. Wer schön theoretisieren kann, zählt leider mehr als der Sekretär, der organisiert. Wir brauchen Leute, die beides können und zudem jede Mark rumdrehen.

SPIEGEL: Im Dezember mußte die Partei noch rasch einen Kredit in Höhe von 9,4 Millionen Mark aufnehmen, sonst wäre der Wahlkampf im Januar ausgefallen. Der Rau-Wahlkampf war mit 59,7 Millionen Mark der teuerste aller Zeiten. Das sind rund 21 Millionen Mark mehr als 1983. Kann das so weitergehen?

HEINEMANN: Ich kann Ihre Zahlen nicht bestätigen, aber ich habe bereits im Parteivorstand beantragt, daß in einer der nächsten Sitzungen die Finanzsituation der Partei den Mitgliedern dieses Gremiums offengelegt werden muß.

SPIEGEL: Bei der Erstellung des Wahlkampf-Etats war mit 42 Stimmenprozenten kalkuliert worden. Jetzt fehlen rund zehn Millionen Mark, die schon veranschlagt waren.

HEINEMANN: Das bedeutet, daß wir noch mehr sparen müssen als vorgesehen.

SPIEGEL: Hat der ausscheidende Schatzmeister Hans Matthöfer Mißwirtschaft betrieben?

HEINEMANN: Ich kritisiere ihn nicht in seiner Arbeit als Schatzmeister, auch nicht als Mensch. Aber er hat seinen Wechsel vom Kassierer in die Spitze des Gewerkschaftskonzerns BGAG in der heißen Phase des Wahlkampfs entschieden und verkündet. Darüber habe ich viel Unmut in der Partei erlebt, auch ich hatte dafür keinerlei Verständnis. Schließlich hat er von einem Parteitag einen Auftrag für zwei Jahre bekommen den er nicht einfach wie einen geliehenen Regenschirm zurückgeben kann. Leider gab es in den letzten Monaten solche Schnitzer reihenweise.

SPIEGEL: Sie wurden als Nachfolger Matthöfers gehandelt ...

HEINEMANN: ... ich will in Düsseldorf bleiben.

SPIEGEL: Viel Kritik gibt es am Bundesgeschäftsführer Peter Glotz. Hat er zu wenig oder zu viel Macht?

HEINEMANN: Hier sehe ich erst mal eine Schwäche im System. Der Bundesgeschäftsführer darf nicht, wie bisher, quasi Privatsekretär des Vorsitzenden oder des Präsidiums sein. Er ist der gesamten Partei verantwortlich und müßte deshalb künftig auch von einem Parteitag gewählt werden. Das würde ihn stärken.

SPIEGEL: War Peter Glotz der richtige Mann dafür?

HEINEMANN: Ich schätze Peter Glotz als einen harten Arbeiter, der sich auch in diesem Wahlkampf abgerackert hat. Ich glaube aber, daß Peter Glotz kein Mann des Managements ist. Er ist ein hochintelligenter Mann, der blendende Essays schreiben und interessant denken kann.

SPIEGEL: Das wurde manchem Glotz-Vorgänger bescheinigt.

HEINEMANN: Genau das ist die Crux. Früher hat sich wenigstens Herbert Wehner als stellvertretender Vorsitzender erfolgreich um die Organisation der Partei gekümmert. Aber ihn haben wir nicht mehr. Was wir brauchen, ist eine Veränderung im System mit genauen Aufgabenzuweisungen.

SPIEGEL: Wer soll denn was übernehmen?

HEINEMANN: Unabhängig mal von Personen, ich stelle mir neue Modelle vor. Beispielsweise könnte der Parteitag einen Generalsekretär - oder wie immer er heißt - wählen, der für die Konzeption und die Organisation verantwortlich ist. Er muß der Partei von Konstanz bis Flensburg zur Verfügung stehen. Dieser Manager müßte sich einen hauptamtlichen Mitarbeiter aussuchen, der ihm allein unterstellt ist. Das könnte etwa ein Bundesgeschäftsführer sein.

SPIEGEL: So ähnlich ist es bei der Union. Wollen Sie das Modell CDU kopieren?

HEINEMANN: Es geht mir nicht ums Kopieren, sondern um die Effizienz. Nehmen Sie nur mal den letzten Wahlkampf. Da arbeiteten zwei Wahlkampfmannschaften aus Düsseldorf und Bonn ohne klare Kompetenzabgrenzung gegeneinander und durcheinander. Das führte zu erheblichen Irritationen. Oft wußte die Rechte nicht, was die Linke tat.

SPIEGEL: Die Kompetenzen hätten der Kandidat Rau oder der Vorsitzende Brandt abstecken müssen.

HEINEMANN: Da sind wir doch genau beim Thema. Mit einem gewählten Generalsekretär oder Geschäftsführer würde es solch ein Kuddelmuddel nicht geben.

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