Wer schützt uns vor Arznei-Fehlschlägen?
Daß Industrieprodukte bisweilen tödliche Schwächen haben, ist bekannt. Großraumflugzeuge erhalten Startverbot, weil die Triebwerksaufhängung mangelhaft ist. Autos werden vom Hersteller in die Werkstätten zurückgerufen, etwa weil Mängel an der Lenkung oder an den Bremsen zu vorsorglichen Maßnahmen zwingen.
Geht es aber um Produkte zur Bewahrung des höchsten Gutes des Menschen, nämlich zur Erhaltung von Gesundheit oder zur Behandlung von Krankheit, stellt sich doch wohl die Frage: Welche Rückruf-Quote ist da hinnehmbar? Wie fehlerhaft dürfen Arzneimittel sein?
Tierversuche und ausgedehnte Erprobungen von Medikamenten in der Klinik sollen Risiken ausschließen oder minimieren. Wir erwarten, daß Arzneimittelsicherheit machbar und bezahlbar ist.
Die großindustrielle Herstellung von Medikamenten hat bei uns Tradition. Schon vor dem Ersten Weltkrieg stand Deutschland im Ruf, die Apotheke der Welt zu sein. Heute ist die Bundesrepublik der größte Arzneimittelexporteur der Welt. Unser Reichtum als eine der führenden Industrienationen erlaubt es uns, das luxuriöseste System der Krankenversicherung und -versorgung zu betreiben - zumindest im Hinblick auf die Kosten.
Dies vorausgesetzt, ist es verwunderlich, daß in der Bundesrepublik behördlich zugelassene und für unbedenklich erklärte Arzneimittel wegen unvertretbarer Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen werden müssen. Wozu gibt es ein neues Arzneimittelgesetz, das die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit aller neu auf den Markt kommenden Medikamente garantieren soll?
Oberste Kontroll- und Überwachungsinstanz ist das Bundesgesundheitsamt mit einem riesigen Personalapparat, mit Überwachungseinrichtungen für den wohl reichhaltigsten Arzneimittelmarkt der Welt; mindestens 70 000 industriell hergestellte Arzneifertigprodukte werden in der Bundesrepublik angeboten.
Jedes Bundesland besitzt dazu noch eine eigene pharmazeutische Überwachungsbehörde. Die pharmazeutische Industrie, dies lernen wir bei Betriebsbesichtigungen, investiert Milliarden von Mark in Arzneimittelforschung und Arzneimittelüberwachung, und schließlich verfügt auch die Standesorganisation der Ärzte über eine Arzneimittelkommission.
Nimmt man alles zusammen, was uns Arzneimittelsicherheit zu garantieren verspricht, ist der Arzneimittelmarkt der Bundesrepublik scheinbar besser gegen Zwischenfälle gesichert als ein Atomkraftwerk.
Der therapeutische Fortschritt, so hören wir, bewegt sich bei uns mit Siebenmeilenstiefeln. In der Bundesrepublik werden Arzneimittel verkauft, die in ihrem Ursprungsland noch nicht zugelassen sind. Sie kommen mit Verheißungen auf den Markt, die Ärzte und Patienten aufhorchen lassen.
Da scheint plötzlich die Volkskrankheit Nummer eins - Rheuma - gebannt zu sein. Mit dem Rheumamittel Coxigon gab es »neue Hoffnung für Rheumakranke«, »ein Schritt in Richtung Kausaltherapie« (Werbetext). Mit Amuno Gits und Osmogit brach sogar »eine neue Ära in der Rheumabehandlung« an.
Mit Zomax kam ein Schmerzmittel auf den Markt, das laut Hersteller »eben nur den Schmerz und nicht den Patienten« treffen sollte. Umlernen mußten wir bei Selacryn, der neuen »Weltsubstanz« von Smith Kline & French gegen Bluthochdruck. Laut Hersteller war es ein Medikament für die »behutsame« Blutdrucksenkung, »zuverlässig bei besonders guter Verträglichkeit«.
Der Traum eines nahezu nebenwirkungsfreien, gleichzeitig potenten Psychopharmakons schien mit Normud, dem »Ergebnis 20jähriger Forschung«, verwirklicht worden zu sein - einem »Serotonin-selektiven Antidepressivum« mit »ausgezeichneter Verträglichkeit« und »kausaler« Wirkung.
Normud, Osmogit, Zomax, Coxigon, Selacryn und Duogynon - jetzt erinnert sich vielleicht der Leser an Bruchlandungen
von Arzneimitteln nach dem 1. Januar 1978, dem Inkrafttreten des neuen Arzneimittelgesetzes. Diese Neuheiten kamen alle auf den Markt mit vollmundigen Werbebehauptungen, die wir heute mit einiger Sicherheit als unwahr und irreführend qualifizieren können - und mußten wegen schwerer Nebenwirkungen aus dem Handel gezogen werden.
Wir, ein Heer von 60 Millionen Arzneimittelverbrauchern in der Bundesrepublik, sind mit Verheißungen grob getäuscht worden. Einige von uns haben inzwischen den Glauben an den versprochenen Arzneimittelfortschritt mit dem Verlust der Gesundheit oder des Lebens bezahlt.
Keines der genannten Mittel kam indes durch Behördenakte aus dem Handel. Immer war es der Hersteller, der den Vertrieb freiwillig und »vorläufig« einstellte oder im Fall Duogynon sogar ein nicht minder unerwünschtes Nachfolgepräparat - das Cumorit - auf den Markt warf, das inzwischen ebenfalls verschwunden ist.
Wer nimmt die Nutzen-Risiko-Abwägung bei Arzneimitteln mit bis dahin unbekannten Wirkstoffen vor? Ist es das Bundesgesundheitsamt, der verordnende Arzt oder vielleicht die pharmazeutische Landesbehörde?
Oder sorgen sich etwa die Bundesverbände der Krankenkassen um unsere Gesundheit? Schließlich müßten doch die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ein Interesse haben, daß ihre Versicherten nur mit wirksamen und unbedenklichen Arzneien behandelt werden.
Noch nie war davon zu hören, daß sich eine Krankenkasse das Geld für die Entschädigung von Arzneimittelopfern vom pharmazeutischen Hersteller zurückgeholt hätte. Weder im Fall des Appetitzüglers Menocil noch im Fall des Schwangerschaftstests Duogynon oder jetzt bei Coxigon, Selacryn, Osmogit, Normud oder Zomax. Verluste werden bei Arzneimittelzwischenfällen von der Solidargemeinschaft der Versicherten getragen, wenngleich die Reichsversicherungsordnung vorschreibt, daß nur solche Arzneimittel in der kassenärztlichen Versorgung eingesetzt werden dürfen, die zweckmäßig und ausreichend wirken.
Wer schützt uns, die gläubigen Arzneianwender, vor Fehlschlägen? Haben wir eine Gesundheitspolizei zum Schutz vor Arzneimittelzwischenfällen?
Wer so naiv fragt, kann sich auch die Antwort selbst geben: Die Arzneimittelprüfung liegt in der Eigenverantwortung der pharmazeutischen Industrie. Sie bestimmt, welchen Wirkstoff welcher Arzt gegen welches Entgelt testen darf und welche Märkte im Sinne der Bedarfsweckung zu erschließen sind.
Die Klärung der Frage, ob die Testergebnisse einer materiellen Nachprüfung standhalten, überfordert anscheinend die Kompetenz des Bundesgesundheitsamtes. Das Amt nutzt nicht einmal im Gefahrenfall die Befugnis, ein Arzneimittel verbieten zu lassen.
Das wäre allerdings auch Sache der Länderbehörden, und die haben ein so tückisches Mittel wie Amuno Gits/Osmogit bis heute nicht mit einem Verbot belegt. (Der Hersteller verkündete am 2. September dieses Jahres eine »Vertriebspause« und am 13. September einen Rückruf der Vorräte aus dem Handel.)
Kommt es zur Bruchlandung eines Medikamentes, dann fehlt uns, was sich bei der Aufklärung von Flugzeugkatastrophen als unverzichtbar erwiesen hat: die Auswertung eines »Flugschreibers«. Wir Bundesbürger verbrauchen zwar alljährlich für über 20 Milliarden Mark Medikamente. Welche Folgen aber 700 Millionen Verschreibungen pro Jahr für die Volksgesundheit haben, vermag niemand zu sagen.
Bei nur drei Prozent Nebenwirkungen - von denen mindestens auszugehen ist - wären das 21 Millionen Fälle von Arzneimittelnebenwirkungen pro Jahr. Eine Meldepflicht selbst für schwere Arzneimittelzwischenfälle oder solche mit Todesfolge aber fehlt bei uns. Wir begnügen uns mit einem System der »Spontanerfassung« von Nebenwirkungen durch die Arzneimittelkommission der Ärzteschaft. Mit anderen Worten, wer als Arzt Neigung hat, seine Erfahrungen dieser Stelle zu melden, kann es tun.
Die Folge: Der Kontakt der Arzneimittelkommission erstreckt sich auf maximal vier Prozent der westdeutschen Ärzteschaft. 96 Prozent der Ärzte sind, wenn die Arzneimittelsicherheit bedroht ist, blind.
Seit der Contergan-Affäre 1961 hat sich da bei deutschen Ärzten wenig geändert. Damals war einem australischen Mediziner anhand von nur zwei Fällen mißgebildeter Kinder der Verdacht gegen das Schmerzmittel Contergan gekommen. Zur gleichen Zeit waren in der Bundesrepublik schon mehr als 2000 Contergan-geschädigte Kinder geboren worden - westdeutsche Ärzte aber hatten nichts bemerkt.
Auch kleine Länder - Belgien, Irland, Niederlande, Schweden, Neuseeland oder Australien - leisten sich EDVgestützte Systeme für die Erfassung von Arzneimittelzwischenfällen. Im Bundesgesundheitsamt gibt es so etwas wie ein funktionierendes System immer noch nicht. Wir leben auf dem Sicherheitsniveau eines Entwicklungslandes.
Das Unvermögen, unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln zu erkennen, findet in der Statistik Ausdruck. Am Tage, als das britische Komitee für Arzneimittelsicherheit über 200 Zwischenfälle - darunter mehrere Todesfälle - nach Verabreichung des Rheumamittels Osmosin (in Deutschland: Amuno Gits/Osmogit) ausgewertet hatte, gab es in der Bundesrepublik keine einzige Fallmeldung einer schweren Unverträglichkeit, obwohl seit April 1983 über 50 000 Patienten mit der Neuheit bei uns behandelt worden waren.
Wie das Sicherheitsventil Bundesgesundheitsamt den überquellenden Arzneimittelmarkt »reguliert«, wissen wir inzwischen. Die Behörde lebt nach der Devise: nichts sehen, nichts hören und vor nichts warnen.
Katastrophale Folgen der Arzneianwendung werden dem Amt aus der Tagespresse bekannt, nicht durch eigenes Zutun - so, wie es der ehemalige Präsident des BGA, Professor Georges Fülgraff, beschrieb: »Wir schauen morgens in die Zeitung; schauen, wo es brennt, und versuchen dann, Feuerwehr zu spielen.«
Bei keinem der zitierten Beispiele hatte die Bundesbehörde - sie ist mit einem
Jahresetat von über 140 Millionen Mark ausgestattet - Kenntnis des nicht vertretbaren Ausmaßes unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Entweder informierte der pharmazeutische Hersteller das Amt über besondere Risiken, oder aber das Amt mußte Warnhinweise der Behörden anderer Länder übernehmen.
Dabei waren in allen Fällen die Sicherheitsrisiken früh erkennbar. Erste Hinweise auf mögliche angeborene Mißbildungen durch den Schwangerschaftstest Duogynon beispielsweise gingen dem Bundesgesundheitsamt bereits 1962 zu - erst 1978 verschwand das Mittel vom Markt.
Das neue, im Herbst 1979 eingeführte Blutdruckmittel Selacryn mußte vier Monate nach seiner Zulassung vom Markt genommen werden, wegen Störungen der Leberfunktion und Gelbsucht. Längst dokumentierte Eigenschaften hatte das Bundesgesundheitsamt offenkundig im Zulassungverfahren übersehen.
Vom ehemaligen Abteilungsleiter für Arzneimittelsicherheit des Bundesgesundheitsamtes, Professor Peter S. Schönhöfer, der inzwischen wegen seiner kritisch-wissenschaftlichen Einstellung zum »Forschungskoordinator« degradiert wurde, stammt die Erkenntnis, daß zum Zeitpunkt der Zulassung des Rheumamittels Coxigon im Januar 1981 bereits besondere Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz des Verbrauchers angezeigt gewesen wären, weil die Substanz mit zusätzlichen, bis dahin nicht beobachteten unerwünschten Wirkungen belastet war und der Nachweis des erhöhten therapeutischen Nutzens fehlte.
Schönhöfer - in einem Aufsatz für die »Pharmazeutische Zeitung« vom 7. April 1983: »Zum Zeitpunkt der Zulassung war bekannt, daß ein besonderer therapeutischer Nutzen im Vergleich zu anderen nichtsteroidalen Antirheumatika nicht belegt war, daß aber zusätzliche unerwünschte Wirkungen wie Fototoxizität und Onycholyse (Lichtempfindlichkeit der Haut und Veränderungen an den Nägeln) sehr häufig eintraten.«
Das Mittel entwickelte sich zu einem Schnellstarter. Zwei Monate nach seiner Einführung waren bereits 45 000 Bundesbürger damit behandelt worden. Einer von ihnen, ein Verlagsangestellter aus Bad Salzuflen, litt, nachdem er 64 Tage das Medikament ununterbrochen eingenommen hatte, an heftigen Magenkrämpfen. Zwei vom Röntgenologen gesicherte Magengeschwüre waren die Ursache der Beschwerden - mutmaßlich ausgelöst durch Coxigon. Sein Hausarzt hatte ihm das neue Rheumamedikament verordnet, weil der Hersteller eine »hervorragende Magenverträglichkeit« herausgestellt hatte ("Die Magenschleimhaut bleibt geschützt").
Schmerzhaftes Brennen und Jucken nach einem 20minütigen Aufenthalt in der Sonne traten bei der Frau eines Essener Internisten auf, nachdem sie Coxigon eingenommen hatte. Die »unliebsamen Sensationen« gingen auf die von Coxigon provozierte Lichtempfindlichkeit der Haut zurück, an der mindestens jeder zehnte damit Behandelte litt.
Vorerst arbeitsunfähig schrieben Ärzte eine Hausfrau im bayrischen Bad Abbach am 6. April 1981, nachdem bei ihr unter Coxigonbehandlung ein rätselhafter Hautausschlag aufgetreten war. Am 16. Mai 1981 starb die Frau an einem sogenannten Lyell-Syndrom in der Münchner Universitätshautklinik. »Die Daten unserer Patientin« deuten »auf eine zumindest überwiegende Rolle von Coxigon hin«, kommentierte Professor Otto Braun-Falco in der »Münchener Medizinischen Wochenschrift« das Krankheitsgeschehen.
Für eine 70jährige Rentnerin aus Detmold begann das Unglück zunächst auch in Form eines Hautausschlags nach Coxigon. Etwa ein halbes Jahr nach Behandlungsbeginn starb sie an einem Leberversagen. Mindestens 72 weitere Todesfälle außerhalb der Bundesrepublik werden Coxigon angelastet.
Alle schädlichen Eigenschaften des Coxigon, die letztlich die spätere Vertriebseinstellung bedingt haben, waren dem Bundesgesundheitsamt und dem Hersteller Eli Lilly bereits im Juni 1980, also ein halbes Jahr vor der Zulassung des Mittels, bekannt.
Verantwortlich für das Unbedenklichkeitsattest zugunsten von Coxigon ist der heutige Präsident des Bundesgesundheitsamtes (BGA), Professor Karl Überla. Er war der Vorsitzende der Zulassungskommission.
Überla behauptet und steht mit dieser Behauptung in direktem Widerspruch zu seinem damaligen Abteilungsleiter Schönhöfer, daß die Ablehnung von Coxigon aufgrund des damaligen Wissensstandes nicht korrekt gewesen wäre. Nun zeigen aber interne Unterlagen des Herstellers Eli Lilly, welche brisanten Nebenwirkungen im Juni 1980, also ein halbes Jahr vor der Zulassung von Coxigon, bekannt waren.
Schon damals konstatierte das BGA ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis. Bekannt waren die Schädigung der Haut und Nägel, der Leber- und Nierenfunktion. Bereits drei Wochen nach der Einführung von Coxigon im Februar 1981 sandte Eli Lilly Deutschland fernschriftliche Hilferufe nach den USA, weil Unverträglichkeiten von Coxigon im Blickpunkt des Interesses standen. »We urgently need clear, practical statements to reassure doctors (and our salesmen)« (Telex vom 23. 2. 1981).
Auch daß nach der Coxigon-Zulassung englische Fachpublikationen das Sicherheitsrisiko des Rheumamittels dokumentierten, stört den BGA-Präsidenten nicht: »Wir müssen uns nicht am Risiko der Bevölkerung in England orientieren, sondern am Risiko der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland« - so Überla in einem Interview im September
1982. Machen Nebenwirkungen denn an Ländergrenzen halt?
Das Schmerzmittel Zomax - ein anderes Beispiel - bot von Anfang an ein Risiko; es war ungenügend erprobt. Seine Gefahren, darunter die eines allergischen Schocks, waren vom BGA im Zusammenhang mit Metamizol (Novalgin) ausführlich diskutiert worden. Die chemische Verwandtschaft von Zomax mit einem als Auslöser von Schockreaktionen bekannten Wirkstoff - dem Tolmetin (Tolectin) - hätte bei der Zulassung Zweifel wecken müssen.
Knöpfe auf den Augen muß das Bundesgesundheitsamt auch bei der Zulassung des Rheumamittels Amuno Gits/ Osmogit gehabt haben. Die Gefährlichkeit seiner Zusammensetzung wäre bereits im vorklinischen Test am Tier zu erkennen gewesen. Versuche mit wenigen Tieren hätten wahrscheinlich ausgereicht, das Leben von mindestens 51 Menschen (davon drei in der Bundesrepublik) zu retten. Im Marketing-Deutsch eines Pharmaunternehmens wird deutlich, worauf die Karriere dieser Rheumamittel hinauslief.
»Am weltweiten Marktanteil von 15,6 Prozent«, den das bis dahin führende Arzneimittelunternehmen Merck, Sharp & Dohme (MSD) im Rheumageschäft gehalten habe, sei eine »unaufhaltsame Erosion« eingetreten, wodurch das Unternehmen auf »Rang 4 mit einem Marktanteil von 8,9 Prozent zurückgefallen« sei. Man habe vergeblich versucht, diese Erosion durch Lancierung anderer Antirheumatika zu kompensieren. Amuno Gits/Osmogit sei auf den Markt gekommen, weil »das NSA-Geschäft für MSD von großer strategischer Bedeutung« sei, _(NSA: Firmenkürzel für Nichtsteroidale ) _(Antirheumatika. )
»dies illustriert zum Beispiel die Tatsache, daß dieses Segment 1982 einen Anteil von rund 30 Prozent der Bruttorendite der gesamten Firma hatte ...« - Auszüge aus dem firmeninternen Schriftverkehr.
Arzneimittel haben für die Pharma-Industrie »strategische Bedeutung«. Firmen müssen eine »Erosion ihrer Marktanteile« abwenden.
Wie ernst die Pharma-Industrie ihre Produkthaftpflicht nimmt, demonstrierte der Rechtsvertreter der Eli Lilly GmbH kürzlich vor dem Amtsgericht Lemgo, als dort ein Patient, der den Coxigon-Slogan von der »hervorragenden Magenverträglichkeit« wörtlich genommen hatte, wegen der durch das Rheumamittel erlittenen Magengeschwüre um Entschädigung klagte.
Wer behaupte, so der Anwalt, durch das Mittel Schmerzen erlitten zu haben, habe sich das selbst zuzuschreiben: _____« Hätte der Kläger beim ersten Auftreten der » _____« behaupteten stärkeren Schmerzen in Übereinstimmung mit » _____« der eindringlichen Empfehlung der Gebrauchsinformation » _____« ... nach Maßgabe der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt » _____« sofort einen Arzt aufgesucht, so wären ihm mit Sicherheit » _____« die behaupteten weiteren Schmerzen erspart geblieben » _____« (Schriftsatz vom 15. 12. 1982). »
Mit anderen Worten, wer ein risikoträchtiges Medikament wie Coxigon verwendet, den trifft nach Auffassung der Rechtsvertreter von Eli Lilly ein Mitverschulden.
Unter den Industrienationen steht die Bundesrepublik Deutschland in der Arzneimittelsicherheit an letzter Stelle. Trotz hinreichend belegter Gesundheitsgefahren sind beispielsweise die in anderen Ländern längst verschreibungspflichtigen oder verbotenen Schmerzmittel mit den Wirkstoffen Metamizol (wie etwa »Novalgin« oder »Novalminsulfon-ratiopharm") und Phenazetin ("Neuralgin«, »Quadronal") bei uns noch immer frei verkäuflich.
Schon heute zeichnen sich die nächsten Zwangsrücknahmen am Arzneimittelmarkt ab. In diesen Tagen ließ das Bundesgesundheitsamt das Antirheumatikum »Felden Tabs 10 und 20« zu, obwohl es von der Zulassungskommission des Amtes abgelehnt wurde und das Amt eine öffentliche Anhörung zur Nutzen-Risiko-Abschätzung der Wirkstoffe dieses Mittels gerade erst anberaumt hatte. Felden gilt als Problemmedikament auch bei den Gesundheitsbehörden in Großbritannien, Schweden, Dänemark und in den USA.
Existenzbedroht sind ferner (wegen der Gefahr eines anaphylaktischen Schocks) ein weitverbreitetes Rheumamittel der Firma Grünenthal sowie ein Antidepressivum mit zweifelhaftem Nutzen und gesichertem Risiko.
NSA: Firmenkürzel für Nichtsteroidale Antirheumatika.