Westlich infiziert - interessiert
Auf einer russischen Bühne wurde eine Komödie aufgeführt: »Komm nach Zvonkovoe«. Im Zuschauerraum saß ein Westeuropäer, Mr. Robert Waithman, diplomatischer Korrespondent der »News Chronicle«. Er beobachtete nicht nur das Geschehen auf der Bühne und die Physiognomie der Schauspieler; ihn interessierte die Anteilnahme der Zuschauer.
In dem Stück erscheint ein junges Mädchen. Früher gehörte sie zur Roten Armee. Jetzt ist sie von westlichen Ideen infiziert. Sie trägt einen zweiteiligen Strandanzug nach westlichem Vorbild. Auf der Bühne wird sie ausgelacht. Im Zuschauerraum lacht man auch. Aber es ließ sich nicht leugnen, das Mädchen sah auffallend sympathisch aus in seiner fremdländischen Aufmachung.
»Wenn ich Sowjetzensor gewesen wäre«, schreibt Mr. Waithman, »so hätte ich diese Szene gestrichen. Denn es war ein umstürzlerisches internationales Etwas um diese Frau, die das Beste aus sich gemacht hatte.«
»Der Lebensstandard der Russen liegt so weit unter dem unsrigen«, führt Waithman weiter aus, »daß man kaum einen Vergleich ziehen kann. Unsere Kultur ist reifer, unsere Erfahrung unendlich größer.«
Er berichtet von einem Engländer, der einigen Russen ein Photo seines Hauses zeigte. Alle waren sehr erstaunt und wollten nicht glauben, daß er mit seiner Familie alle Räume des Hauses benutzen durfte. Noch überraschter waren sie, als sie hörten, daß keine Regierung ihm vorschrieb, was er in seinem Garten anzupflanzen hätte.
Mr. Waithman ist der Meinung, die Sowjetpropaganda habe niemals versucht, das russische Volk gegen das britische Volk aufzuhetzen. »Aber die 195 Millionen Russen haben eine ziemlich einheitliche Meinung von England und vom Westen. Es ist die Meinung, die von der offiziellen Sowjetpropaganda durch Radio, Presse, Theater und Kino verbreitet wird.«
Allgemein heißt es, das britische Volk sei »in Ordnung«; aber wie das amerikanische Volk werde es von einer Gruppe gewissenloser Leute ausgebeutet. Diese übten eine unheimliche Macht auf die Regierung aus. Man will damit das kapitalistische System angreifen.
In Moskau erscheint die »Pionier Prawda«, eine Zeitung für russische Kinder. Eines Tages brachte diese Zeitung ein Bild von einem Mann im steifen Hut. Er trug ein Schild auf der Brust: »Will irgend jemand mir eine Stelle anbieten?« Es war ein Engländer, der eine Londoner Straße entlangspazierte.
Die »Pionier Prawda« führte dazu aus: »Das ist das Schicksal eines gewöhnlichen Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft. Sogar denjenigen, die den Krieg für das Vaterland geführt haben, ist nicht das Recht zugebilligt, in einer kapitalistischen Gesellschaft zu arbeiten.«
Mr. Waithman meint, daß die Engländer als gutmütige, aber irregeführte und manchmal komische Leute dargestellt werden. Allgemein sei man der Auffassung, daß sie durch leichtfertige und ausgefallene Gewohnheiten geschwächt worden seien.
Vor einigen Wochen ging in russischen Emigrantenkreisen in Paris eine amüsante kleine Geschichte von Generalissimus Stalin um. Als Josef, der alternde Diktator, fühlte, daß seine Tage gezählt seien, sah er sich nach einer Grabstätte um. Zuerst versuchte er es beim Grabe Peters des Großen. Aber der Zar war ungnädig. »Nein, nein«, sagte er, »ich habe für Rußland das Fenster nach Europa geöffnet, und du hast es wieder geschlossen.« Josef seufzte. Er ging zum Grabe Alexanders des Großen. »Kein Platz«, rief der Zar schon von weitem. »Ich habe die Sklaven befreit, und du versklavst sie wieder. Du kannst nicht bei mir bleiben »
Es blieb Stalin nun nur noch ein Grab. »All right«, sagte Katharina die Große müde, als er sich näherte. »So viele Männer haben bei mir geschlafen, da kommt es auf dich auch nicht mehr an.«
Westlicher Lebensstandard: Russische ZIS-Wagen warten auf Moskauer Delegierte