NACHRUF WHITTAKER CHAMBERS 1. IV. 1901 - 9. VII. 1961
Geheimniskrämerisch, wie sein Leben begonnen hatte, verglühte es: Erst als der Verbrennungsofen des Krematoriums den Leichnam zerstört hatte, erfuhr die Nation, die ihre längst unter der Erde wähnte, daß er tot sei. Whittaker Chambers, Schriftsteller, Gentleman-Farmer und Denunziant, hatte bestimmt, sein Ableben dürfe erst nach der Einäscherung bekanntwerden.
Selbst noch im Tode wollte der dicke Mann, der stets wirkte, als sei er ein Tramp und habe im Anzug unter Brücken geschlafen, seiner Umwelt die Urteilsfindung erschweren. Denn der antikommunistische Apostel und eigentliche Erfinder des McCarthyismus hatte allen Grund, sein Leben wie seinen Tod zu verschleiern. Dabei steht das Urteil längst fest, ein Urteil zudem, das ihn zu einem, Phänomen der politischen Massenhysterie stempelt: Whittaker Chambers, von Kindheit an in den Fesseln eines krankhaften Verfolgungswahns, unterwarf ein ganzes Volk dem gleichen Wahn.
Schon die Schreckensjahre in seinem Elternhaus hatten Chambers den Glauben an Dämonen gelehrt. Ein Messer unter das Kopfkissen geschoben, lauerte der Knabe nächtens auf das Tappen der wahnsinnigen Großmutter, die mit einem Beil durch das Haus geisterte - heimlich beobachtet von dem trunkenen Vater, der ewig unzufriedenen Mutter und dem todessüchtigen Bruder.
Der Selbstmord des Bruders trieb den kleinbürgerlichen Graphiker-Sohn aus dem Elternhaus und nach Kreuzfahrten durch Europas Kneipen und Bordelle in die Arme des Kommunismus. Die neuen Genossen bestärkten ihn nur in seinem Wahn, versteckt unter der Oberfläche wirke eine Gruppe von gespenstischen Verderbern zum Unheil der Menschheit.
Der Gespensterglaube blieb, nur die Gespenster wechselten. Zunächst führte er als inoffizieller Boß des kommunistischen »Daily Worker« einen fanatischen Kampf gegen die bürgerliche Gesellschaft. Seinen größten Erfolg errang er freilich als Schriftsteller: Er veröffentlichte eine Novelle über eine amerikanische Farmerrevolte, die ihm in Moskau höchstes Lob eintrug.
Dieses Lob verstrickte ihn noch tiefer in sein Dämonenreich; denn seine literarischen Erfolge veranlaßten den sowjetischen Geheimdienst, ihn als Kurier und Agenten anzuheuern. »Carl« - dies sein Deckname - veränderte sein Äußeres derartig, daß selbst Freunde später schworen, sie hätten ihn für einen Russen gehalten. Dann aber geschah, was nicht einmal der Psychiater zu erklären vermag: Über Nacht verließ Chambers den kommunistischen Apparat und wandelte sich zum rabiaten Antikommunisten. Stalin nahm in seiner Vorstellungsweit die Rolle der wahnsinnigen Großmutter ein.
Von nun an war er entschlossen, die neuentdeckte Verschwörung des kommunistischen Weltfeindes zu entlarven. Als Chambers der amerikanischen Regierung erste Hinweise auf sowjetische Agenten in höchsten Staatsstellungen gab, lachte ihn der Sowjet-Verbündete Roosevelt aus; in seinem Stolz getroffen, sagte Chambers auch dem Linksdemokraten Roosevelt, ja dem ganzen amerikanischen Liberalismus den Kampf an. Chambers verbündete sich mit dem republikanischen Verleger Luce, avancierte zum Auslands-Ressortchef von »Time« und verwandelte das Magazin in ein erstes Sprachrohr bitterster Russenfeindschaft. Er schrieb Tag und Nacht die Berichte seiner Korrespondenten (Chambers: »Ein Redakteur muß auch brutal sein") derartig um, daß
sich später eines seiner Opfer, Charles Wertenbaker, mit dem »Time« -Schlüsselroman »Die Herren der öffentlichen Meinung« an dem Intriganten Griswold alias Chambers rächte.
Aber erst als der Machthunger des sowjetischen Verbündeten dem amerikanischen Volk den ersten Schock versetzte, wurde der antikommunistische Drachentöter Chambers zur nationalen Figur. Im April 1948 denunzierte er den längst pensionierten Beamten Alger Hiss als kommunistischen Spion und zerrte, als Hiss von einem Geschworenengericht zunächst freigesprochen wurde, aus einem Kürbis auf seiner Farm Geheimdokumente hervor, die er einst selbst als kommunistischer Agent »Carla von Hiss zur Weiterleitung an Moskau erhalten hatte und mit denen er Hiss zur Strecke bringen konnte.
Mit diesem Spektakel lieferte er nicht nur den Republikanern die entscheidende Wahlmunition gegen die Demokraten, sondern gab auch einem ganzen Jahrzehnt amerikanischer Massenhysterie das Stichwort. 150 Millionen Menschen lernten in wenigen Wochen, daß sie von Verrätern und Verschwörern umstellt seien. Der Verfolgungswahn wurde zum Programm einer Nation.
Erst mit dem Erlöschen seines gelehrigsten, ihm über den Kopf gewachsenen Zauberlehrlings, des Hexenjägers McCarthy, brach der Bann des Whittaker Chambers. Bevor ihn eine Herzattacke an seine Farm in Maryland fesselte, hatte sich schon erfüllt, was der konvertierte Quäker in seiner Autobiographie »Zeuge« prophezeit hatte: »Ich weiß, daß ich die verlierende Partei gewählt habe.«