KANZLER-STAATSSEKRETÄR Widrige Winde
Franke Ludwig Erhard hatte zum »Fränkischen Abend« am bayrischen Tegernsee gebeten. Im Kanzler -Heim wurden Bier und Nürnberger Rostbratwürste gereicht.
Vor dem Kamin plauderte Bonner mit Tegernseer Prominenz. Vizekanzler Erich Mende war mit Frau Margot erschienen. Auch Frau Gulbransson, Witwe des norwegischen Karikaturisten, hatte neben anderen See-Siedlern dem Kanzler die Ehre gegeben.
Nachbar Sep Ruf, Architekt des Bonner Amts-Bungalows und dem Kanzler seit vielen Jahren in Freundschaft verbunden, präsentierte der Runde einen Bonner Beamten als guten Bekannten: Ministerialdirektor Albert Pfitzer, Direktor des Bundesrats. Interessiert zog Ludwig Erhard den neuen Besucher ins Gespräch.
Das war Anfang August. Acht Wochen später - auf der Suche nach einem Nachfolger für seinen Kanzleramts -Chef Ludger Westrick - entsann sich Erhard seines Tegernsee-Gastes Pfitzer.
Am Sonntagmorgen letzter Woche weihte der Kanzler im Bonner Bungalow den CDU/CSU-Fraktionschef Rainer Barzel in seinen Plan ein, Pfitzer die Nachfolge Westricks anzutragen. Barzel äußerte keine Bedenken. Gegen Mittag ließ Ludwig Erhard im Freien Weg 14 in Godesberg-Schweinheim anrufen und den Hausherrn noch für den Abend desselben Tages zu sich bitten. Am Abend hatte Erhard einen neuen Chef des Bundeskanzleramtes: Albert Pfitzer, 54.
Reihenweise hatte sich der Regierungschef Körbe geholt. Dem Dienst für Ludwig Erhard versagten sich: EWG -Präsident Walter Hallstein, dem der Kanzler sogar die Ernennung zum Bundesminister in Aussicht gestellt hatte, der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Karl Maria Hettlage, der Wintershall-Generaldirektor und frühere Verteidigungs-Staatssekretär Josef Rust, der Bonner Nato-Botschafter Wilhelm Grewe und der Krone -Staatssekretär Reinhold Mercker.
Dem Vorschlag des CDU/CSU-Fraktionschefs Rainer Barzel, dessen Geschäftsführer Will Rasner ins Kanzleramt zu holen (SPIEGEL 40/1966), war Erhard selbst nur pro forma nähergetreten.
In seiner Not bat der Kanzler renommierte Personalstrategen um Rat: den Chef der Deutschen Bank. Hermann Josef Abs, sowie Adenauers Kanzleramts-Staatssekretär Hans Globke.
Westricks pensionierter, Vorgänger legte Erhard zwei Namen nahe: den Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Hermann Mosler, sowie den Bundesrats-Direktor Albert Pfitzer.
Der Bundesrats-Direktor strebte schon seit geraumer Zeit nach Staatssekretärswürden, bislang freilich in seiner alten Position in der Ländervertretung.
Ein Veto des Haushaltsausschusses hatte diesen Wunsch noch vor den Parlamentsferien vereitelt (SPIEGEL 29/ 1966). Nun eröffnete sich dem Beamten eine neue Chance, freilich unter schwierigeren Bedingungen.
Nach dem Improvisationskünstler Westrick wollte Erhard mit Pfitzer einen gediegenen Verwaltungsfachmann wie Globke an die Spitze des Kanzleramts setzen. Seit Kriegsende hat sich der in Kirchen, Kreis Ehingen (Donau), geborene Revierförster-Sohn und Volljurist in der Verwaltung umgetan: zunächst als stellvertretender Landrat in Ehingen, dann in Wangen (Allgäu).
1950 übernahm er die Bonner Vertretung des später im Südweststaat aufgegangenen Landes Württemberg -Hohenzollern und folgte eineinhalb Jahre darauf dem Geheimrat Hermann Katzenberger auf den Sessel des Bundesrats-Direktors.
Neben seiner Verwaltungspraxis bot Pfitzer für das Bundeskanzleramt, dem die Koordinierung der gesamten Regierungsarbeit obliegt, eine weitere Bundesrats-Erfahrung an: die Fertigkeit im Umgang mit Regierungschefs und Ministern. Seit 1951 hat Pfitzer 13 verschiedenen Herren gedient und sich jedes Jahr auf einen neuen Bundesratspräsidenten einstellen müssen.
Pfitzer überschaut aber nicht nur die Länder-Hierarchie; in 16 Jahren sind ihm auch alle Winkel der Bonner Szenerie vertraut geworden. Dabei half ihm ein von seiner Frau Erica, einer lebensfrohen Rheinländerin, noch gefördertes Faible für gesellschaftliche Kontakte, dein seine bisherige Tätigkeit genügend Raum ließ.
Traditioneller Höhepunkt von Pfitzers Society-Saison war bislang ein Frühsommer-Empfang, zu dem der Ministerialdirektor alljährlich etwa 200 Personen - Minister, Diplomaten, Abgeordnete und hohe Beamte - in den Garten seines Privathauses bat. Standard-Getränk der Pfitzer-Party: Erdbeer-Bowle.
Auf harte Arbeit bereitete Erhard seinen Staatssekretär in spe vor: Pfitzer sollte den unter Westrick leichter Desorganisation anheimgefallenen Apparat des Kanzleramtes überholen und wieder in Schwung bringen.
Pfitzer: »Ich weiß, daß mich im Kanzleramt ein widrigerer Wind empfangen wird, als er im Bundesrat wehte.«
Doch der Wind blähte sich zum Sturm, noch bevor Pfitzer das Palais Schaumburg hatte betreten können. Ehe Erhard Bundespräsident Heinrich Lübke die Ernennungsurkunde für den neuen Staatssekretär zur Unterschrift zuleiten konnte, wurde dem Präsidialamt kund: Pfitzers Weste hat braune Tupfer. Vorsorglich ließ Lübke mitteilen: Er werde »im Rahmen seines Ernennungsrechts« die Vergangenheit des Beamten prüfen.
Am Freitag stand das Prüfungsergebnis fest: Albert Pfitzer war im Herbst 1933 im Alter von 21 Jahren als Student in Tübingen der schwarzen SS und der NSDAP beigetreten.
Pfitzer zum SPIEGEL: »Um als Student zugelassen zu werden, mußte ich in eine NS-Organisation eintreten. Ich wählte die SS, weil die SA lauter und lärmender war. 1937 ließ ich meine Mitgliedschaft einschlafen.«
Pfitzer: Der Bundeskanzler kennt alle Fakten.«
Trotzdem ließ Erhard den Globke -Protegé Pfitzer wissen, daß er ihn immer noch als seinen Kandidaten an der Spitze des Kanzleramtes betrachtet.
Doch das letzte Wort hat Heinrich Lübke.
Bundesrats-Direktor Pfitzer
Vergangenheit wird geprüft