CDU Wie aus dem Katalog
In Bonn hat sich Clemens Schwalbe, Bundestagsabgeordneter aus Weißenfels im neuen Bundesland Sachsen-Anhalt, schon ganz gut eingerichtet. Ein Lebkuchenherz mit der Zuckerguß-Aufschrift »Herzlich willkommen« verschönert sein Büro im Südflügel des Parlamentsgebäudes. Und als einer der Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion konnte der Neue aus dem Osten sogar ein kleines Stück von der Macht am Rhein ergattern.
Doch der schöne Schein vom deutschdeutschen Frieden in der 319 Köpfe zählenden Fraktion trügt. Die Lebkuchenherzen haben Schwalbe und die anderen Neulinge nicht etwa von aufmerksamen Unionschristen aus dem Westen bekommen - sie sind ein Präsent des Deutschen Schaustellerbundes. Und bei den Neuen hat sich längst die Erkenntnis breitgemacht, daß sie noch für lange Zeit den Polit-Profis aus dem Westen nicht gewachsen sind.
»Die Stimmung ist sehr schlecht«, hat Schwalbe bei seinen Anhaltiner Parteifreunden erkundet. Unter den 65 Neulingen aus dem Osten geht der Frust um: »Bonn ist nun mal sehr weit weg von der ehemaligen DDR«, klagt etwa der Sachse Manfred Kolbe.
Das Dilemma der Fraktionsnovizen: Als Newcomer sind sie abgeschnitten von Informationen und orientierungslos im Bonner Polit-Alltag. Vorurteile kommen hinzu. Die Wessis mokieren sich über Sprache und Outfit der Neuen (Kollegenspott: »Wie aus dem Quelle-Katalog"); die anderen stört die Arroganz, das Machtbewußtsein und der »Selbstdarstellungsdrang« (ein ostdeutsches Kabinettsmitglied) der alteingesessenen Parteifreunde.
Wie weit Ost und West noch auseinanderklaffen, zeigt die Koalitionsvereinbarung. Wochenlang lieferten sich die Matadore von CDU, CSU und FDP publikumswirksam Schaukämpfe. Zur Lösung der Probleme der Ex-DDR aber können die Ergebnisse des Rituals kaum etwas beitragen. Das Papier, kritisiert der Thüringer CDU-Abgeordnete Arnulf Kriedner, enthalte dazu nur »in sehr vagen Worten Hinweise«, die Sprache der Koalitionäre sei »teilweise mehr philosophisch als praktisch«.
Den Unmut über das flaue Ergebnis versuchte der Taktiker Kohl im Gespräch mit den Ossis abzufangen. Drei Stunden lang setzte er sich mit den Ost-Abgeordneten seiner Partei im Kanzleramt zusammen, vier Minister - neben den Ossis Günther Krause und Angela Merkel auch Norbert Blüm und Rudolf Seiters - hatte er mitgebracht.
Es wurde eine Audienz am Hofe Helmuts des Großen. Eine halbe Stunde, schätzte hinterher ein Kabinettsmitglied, sei allein durch »Ergebenheitsadressen« der Zonis draufgegangen, »eine Zeitverschwendung«. Ein anderer Kohl-Minister spottete anschließend über »die völlig falsche Taktik« der neuen Kollegen. Er weiß aus eigener Erfahrung: Wer nicht kräftig droht und poltert, der wird abgespeist.
Doch woher sollten die »gelernten DDR-Bürger« (Ost-MdB Paul Krüger) das wissen? Darauf gedrillt, ergeben an die Spitze der Partei zu schauen, redeten sie sich ein, der Kanzler sei ihr »größter Befürworter«; alle anderen seien nicht so »sensibilisiert«. Der Kanzler ließ die Neubürger mit ihrem Wunsch hängen, in der neuen Bundesregierung möglichst stark repräsentiert zu sein. Kohl, so versichern Vertraute, hätte gern mehr Minister aus dem Osten in seinem Kabinett gehabt, auch einen im Kanzleramt - nur wen? Lothar de Maiziere, den der Stasi-Verdacht aus dem Rennen warf, kam für Repräsentatives nicht mehr in Frage.
Auch Sabine Bergmann-Pohl, vormals Volkskammerpräsidentin und dann Kohls Ministerin ohne Aufgabe, sollte nicht herausgestellt werden. Als Parlamentspräsidentin sei sie überfordert gewesen, als CDU-Dame habe sie »sehr schnell abgehoben«, kritisiert ein Kabinettsmitglied: Ihre politische Naivität und zum Hamburger CDU-Parteitag im Oktober die Forderung nach drei Chauffeuren für sie allein nährten an Parteispitze wie -basis die Abneigung.
Die Ärztin mit den legendären Faltenröcken wurde immerhin noch Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium. Außer ihr konnten nur zwei Ost-Konservative einen der Posten ergattern, die wenig Macht, aber viel Annehmlichkeiten bringen: Titel, Dienstwagen, Fahrer und Referenten, dazu ein Einkommen von rund 30 000 Mark, von dem die sehr viel kompetenteren beamteten Staatssekretäre nur träumen können. Gottfried Haschke, schon zu Stalins Zeiten Mitglied der »Blockflöten«- CDU, geht ins Agrarministerium; der Facharzt Bertram Wieczorek ins Umweltressort.
Das magere Ergebnis auch bei den »Juniorministern« macht deutlich: Im innerparteilichen Kräftespiel sind die Ostdeutschen für Kohl eine zu vernachlässigende Größe. Er macht sich nicht einmal die Mühe, auf die regionale Ausgewogenheit im Postenschacher. Während alle Ost-Minister aus Mecklenburg-Vorpommern stammen, kommen außer der Berlinerin Bergmann-Pohl alle Parlamentarischen aus Sachsen. Eine Sächsin war es am Dienstag voriger Woche auch, die für den einzigen Zoni-Triumph bei der Postenverteilung sorgte: In einer Kampfabstimmung wurde Maria Michalk gegen die Kandidatin der West-Frauen, Irmgard Karwatzki, zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt.
Dabei war die 41jährige mit der Berufsbezeichnung »Ökonom« gar nicht zum Wahlgang erschienen - sie hatte den Flieger verpaßt. Mitstimmen hätte sie sowieso nicht können: Sie gehört der Fraktion, an deren Spitze sie jetzt steht, noch gar nicht an, soll erst Mitte des Monats für ihren Landsmann Hans Geisler nachrücken, der in Dresden Sozialminister wurde. o