Zur Ausgabe
Artikel 91 / 124

ASIEN Wie Bambus im Wind

Sie waren der Motor des fernöstlichen Wirtschaftswunders, nun werden sie die Sündenböcke der Krise: Auslands-Chinesen, die von Thailand bis Indonesien zur reichen Elite gehören, ziehen den Zorn des Volkes auf sich.
aus DER SPIEGEL 8/1998

Zuerst kam das Gerücht, dann flogen die Steine. Als sich in der ostjavanischen Stadt Pasuruan die Nachricht verbreitete, ein chinesischer Kaufmann habe den Preis für Brennöl erhöht, rottete sich die Menge zusammen, zerschlug Scheiben, plünderte Geschäfte und schrie: »Ihr chinesischen Hunde, kommt heraus, wir legen euch um.«

Seit die Wirtschaftskrise Indonesien im Griff hält und die Lebensmittelpreise steigen, greifen Demonstranten immer häufiger Geschäfte chinesischstämmiger Mitbürger an, die auf dem Land den gesamten Einzelhandel beherrschen. In der Stadt Ende auf der Insel Flores flüchteten Dutzende in die Polizeiwache, während der Mob 21 Läden in Brand steckte.

Die Chinesen müssen nun als Sündenböcke für eine Misere herhalten, die sie nicht zu verantworten haben. Viele Bewohner des überwiegend muslimischen Landes neiden ihnen den Wohlstand: Obwohl sie nur 4 Prozent der Bevölkerung stellen, besitzen sie 70 Prozent des Privatvermögens.

Die Krawalle in Indonesien versetzen eine Bevölkerungsgruppe in Angst und Schrecken, die in den letzten Jahrzehnten entscheidend zum Aufschwung der asiatischen »Tigerstaaten« beitrug. Rund 55 Millionen Chinesen leben heute außerhalb des Reichs der Mitte. Viele von ihnen haben es zu enormem Reichtum gebracht. Unter ihnen finden sich die meisten Milliardäre Südostasiens, insgesamt kontrollieren sie etwa 3 Billionen Dollar und erwirtschaften jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 450 Milliarden Dollar - die Hälfte dessen, was ihre Landsleute in der Volksrepublik China produzieren.

In Indonesien führten sie Anfang der neunziger Jahre 17 der 25 größten Unternehmen. In Thailand stammen fast alle reichen Familien aus China, sie besitzen die wichtigsten Banken. Auf den Philippinen sind lediglich 2 Prozent der Bevölkerung Chinesen, die aber wickeln über ein Drittel aller Handelsgeschäfte ab. In Malaysia kontrollieren sie über 60 Prozent des Kapitals und sitzen in mehr als der Hälfte aller Chefetagen. Der Autor Sterling Seagrave nannte die Auslands-Chinesen deshalb die »Herren des Pazifiks«.

Manche zählen nach den Kursstürzen in Südostasien allerdings auch zu den großen Verlierern. Der malaysische Baumagnat Ting Pek Khiing zum Beispiel, der Anfang 1997 noch Aktien für 2,19 Milliarden Ringgit besaß, verlor im September fast die Hälfte seines Vermögens. Dem zigarreschmauchenden Bankenboß Quek Leng Chan erging es nicht viel besser: Der Wert seiner Papiere rutschte von 17,6 auf 9,5 Milliarden Ringgit.

Die meisten Auslands-Chinesen stammen aus den Küstenprovinzen Guangdong, Fujian oder von der Insel Hainan. Immer wenn im Mutterland Dynastien stürzten, Hungersnöte ausbrachen oder Aufständische brandschatzten, flohen Tausende übers Meer. Oft gehörten sie, wie der ehemalige Regierungschef von Singapur, Lee Kuan Yew, zu den südchinesischen Hakka.

Im 19. Jahrhundert holten Briten, Holländer und Spanier billige und fleißige Arbeiter aus China in ihre fernöstlichen Kolonien, ließen sie in Bergwerken und auf Plantagen schuften. Andere flüchteten vor politischer Verfolgung: Vor allem aus dem Handelszentrum Schanghai machten sich nach dem Sieg der Kommunisten unter Mao Tse-tung 1949 viele Kaufleute nach Hongkong auf. Sie sorgten für den ersten wirtschaftlichen Aufschwung der damaligen britischen Kronkolonie.

Der Exodus der »Kinder des Drachens«, wie sich die Chinesen gern selbst nennen, geht auch heute noch weiter. Im Norden Burmas und in Laos siedeln sich gegenwärtig zahlreiche Händler aus der Volksrepublik an. Sie eröffnen Geschäfte, Werkstätten und Hotels, karren auf staubigen Straßen Textilien, Schuhe und Lebensmittel aus der chinesischen Südprovinz Yunnan heran. Mittlerweile sind sie so zahlreich geworden, daß Laoten chinesisch sprechen müssen, wenn sie sich im Norden ihres Landes mit der Empfangsdame im Hotel verständigen wollen. Sogar im russischen Fernen Osten, rund um Wladiwostok, lassen sich Chinesen nieder, heiraten einheimische Frauen, kaufen Land und bringen den Grenzhandel unter ihre Kontrolle.

Ob in Phnom Penh, Rangun oder Bangkok - an Läden und Restaurants prangen wie in der Heimat chinesische Schriftzeichen, in den Straßen glimmen die roten Lampen der Ahnenaltäre, in den Tempeln qualmen die Räucherstäbchen, und die Apotheken verkaufen heimische Heilkräuter nach alter Tradition. Der Erfolg der Auslands-Chinesen erzeugt immer wieder Unmut in den Gastländern. Neben harter Arbeit, Bescheidenheit und Verläßlichkeit, so sagen die Einheimischen, würden Skrupellosigkeit und Habgier die Einwanderer treiben.

Simon Murray, früher Manager bei der Deutschen Bank in Singapur, sieht in dem hemmungslosen Streben nach Wohlstand dagegen vor allem den »Drang nach Schutz, den nur Geld verschaffen kann«. Wie die europäischen Juden wurden Chinesen in der Diaspora immer wieder Opfer von Haß und Neid. 1914 etwa verdammte Siams König Maha Vajiravudh sie als »Schädlinge«, die vorhätten, die Reisernte zu zerstören.

Das Ergebnis solcher Hetze gegen die »Juden des Ostens« waren - wie in Europa - Pogrome. Im 17. Jahrhundert metzelten auf den Philippinen die spanischen Kolonialherren und Filipinos über 30 000 Chinesen nieder. Die Holländer töteten 1740 in Batavia 5000 chinesische Arbeiter und Händler. Die Verfolgung der Kommunisten in Indonesien Mitte der sechziger Jahre, als Suharto an die Macht kam, richtete sich auch gegen die vermeintliche »Fünfte Kolonne Pekings«. Das Militär schlug die Unruhen nieder, über 500 000 Menschen verloren ihr Leben.

Mißtrauen schwelt nach wie vor. Um die von der Regierungspropaganda beschworene »Harmonie der Rassen« nicht zu stören, durften Chinesen in Indonesien bis vor wenigen Jahren ihre Schriftzeichen nicht an Läden schreiben. Unternehmen mußten ein Viertel ihrer Aktien an Einheimische verkaufen. In den letzten Jahren verbot die Regierung den Chinesen sogar, ihr Neujahrsfest auf der Straße zu feiern.

In Malaysia, wo 29 Prozent der Einwohner chinesische Ahnen haben, kam es schon Ende der sechziger Jahre zu Ausschreitungen. Noch immer klaffen tiefe Gräben zwischen den Volksgruppen. Die bildungsbegierigen Chinesen beklagen sich, daß Malaien bevorzugt Plätze in Schulen und Universitäten erhalten.

Gewehrt haben sich die Drangsalierten gegen die Schikanen fast nie. »Wie der Bambus sich im Wind biegt«, sagt die Historikerin Teresita Ang See in Manila, hätten sie sich stets »demütig niedergebeugt«.

Ihren Erfolg verdanken die Auslands-Chinesen dem sogenannten Bambus-Netzwerk aus Familien, Clans, Gilden, Clubs, Bruderschaften und Geheimbünden, über das sie Kontakte schaffen, Informationen austauschen und Verträge schließen. Lange vor den Einheimischen beherrschten sie die Kunst der Buchhaltung. Schon in den letzten Jahrhunderten gründeten sie »Hui": Vereine, die ihre Mitglieder finanziell flüssighielten.

In vielen chinesischen Geschäften Malaysias hängen noch heute die Maximen des Kaufmanns Tao Zhugong aus dem 3. Jahrhundert vor Christus, nach denen sich Generationen von Auslands-Chinesen richteten: »Bei Geschäften müssen harte Arbeit und ein Gefühl von Dringlichkeit herrschen. Spare bei den Ausgaben. Gib nur Leuten, die du kennst, Kredit. Konten müssen überprüft werden. Stelle nur ehrliche Menschen an. Sei sorgfältig mit Quittung und Bezahlung. Sei besonnen, wenn du Entscheidungen triffst.«

Chinesische Kaufleute, die denselben Dialekt sprechen, kontrollieren heute die meisten Lebensmittelgeschäfte in Südostasien. Der milliardenschwere Malaysier Robert Kuok und der reichste Indonesier, Liem Sioe Liong, knüpften schon deshalb enge Geschäftsbeziehungen, weil beider Familien aus dem ostchinesischen Fujian stammen.

Wie ihre Vorväter kleine Läden und Werkstätten führten, regieren viele Chinesen nun auch riesige Konzerne. Der Beschluß des Familienoberhaupts ist unantastbar. In der mächtigen thailändischen Charoen Pokphand-Gruppe (CP) wurde Dhanin Chearavanont, 58, von den Verwandten zum Boß gewählt. Er und sein älterer Bruder Sumet entscheiden in allen wichtigen Fragen allein. »Alle Weisungen kommen von oben. Sie haben die Visionen. Wir führen aus«, berichtete Generalmanager Ronald Zhao der »Far Eastern Economic Review«.

Mit dieser Methode können die Tycoons schnell auf die Marktlage reagieren und, wenn nötig, Beschlüsse ebenso unvermittelt wieder umwerfen. Die patriarchalisch organisierten Firmen, sagt der Hongkonger Managementprofessor Gordon Redding, »sind schnelle und extrem effiziente Maschinen, wenn es darum geht, Gelegenheiten zu ergreifen«.

Der Thailänder Dhanin allerdings hat den Vorwurf, daß Auslands-Chinesen »lieber einer vorüberfliegenden Gans eine Feder ausrupfen als eine Geflügelfarm gründen«, im wahrsten Sinne des Wortes widerlegt: Dhanin besitzt ein Konsortium aus 250 Firmen in 20 Ländern mit über 100 000 Angestellten. Sein persönliches Vermögen wird auf 4,2 Milliarden Dollar geschätzt. Gewachsen ist das Imperium aus einem kleinen Saatguthandel, den Dhanins Vater 1921 nach seiner Ankunft in Thailand gründete. Mit einer wöchentlichen Produktion von 25 Millionen Hühnchen ist das Unternehmen mittlerweile Asiens Marktführer in der Geflügelbranche. CP betreibt zudem Immobilienfirmen, Garnelenfarmen, Düngemittelfabriken und Supermarktketten.

Vor wenigen Jahren gründete Dhanin die »Telecom Asia« und verlegte in Thailand ein Glasfasernetz für 2,6 Millionen Telefonanschlüsse. Seitdem will er auch im High-Tech-Geschäft mitmischen. Dhanin, der in seinem Bangkoker Büro alte Telefonapparate sammelt: »Menschen brauchen Nahrung, aber auch Nahrung für das Gehirn wie Kabelfernsehen, Bildung, Nachrichten.«

Noch immer ist die Chance, in die Chefetage eines solchen Familienunternehmens zu gelangen, für Außenstehende nahezu gleich Null. Europäische, amerikanische und auch asiatische Manager klagen, daß die Patriarchen wie zu alten Zeiten, als sie den Preis für Muskatnüsse, Mais oder Mehl aushandelten, Geschäfte per Händedruck abschließen. »Transparenz«, stellte der britische »Economist« fest, gilt bei Auslands-Chinesen als »unasiatisch«.

Entscheidend für den Erfolg in der Fremde ist das gute Verhältnis zu den Mächtigen - »guanxi«, die gutgeschmierten Beziehungen zu Politikern und Militärs. Oft stehen hohe Staatsdiener auf den Gehaltslisten ihrer Unternehmen. Thailands Dhanin soll sogar in die Affäre um angeblich illegale Wahlkampfspenden für den US-Präsidenten Bill Clinton verwickelt sein.

»Überseechinesen hielten es immer für wichtig, Schutz und Patronage von den regierenden Eliten und hohen Militärs zu kaufen, die bereit waren, in ihren Vorständen zu sitzen oder an ihren Profiten teilzuhaben«, sagt Autor Seagrave.

Beispielhaft ist der Aufstieg des Chinesen Liem Sioe Liong (indonesischer Name: Soedono Salim), der mit seiner Salim-Gruppe zu einem der reichsten Unternehmer der Welt wurde. Ohne einen Pfennig kam er einst aus Fujian ins indonesische Semarang auf der Insel Java. Dort fing ihn der gutetablierte Familienclan auf - jeder achte Chinese in der Stadt hieß Liem.

Mit seinem Bruder verkaufte er zunächst in einem kleinen Laden des Onkels Erdnußöl, später handelten die beiden mit Gewürznelken. Während des indonesischen Unabhängigkeitskampfes lernte Liem einen jungen Leutnant kennen, der für die Versorgung der Truppe verantwortlich war. Die Bekanntschaft sollte sich als wichtigste Investition in die Zukunft erweisen, denn aus dem Leutnant wurde Präsident Suharto. Der übertrug Liem das Management der holländischen Handelshäuser und Fabriken.

Liem errichtete ein Firmenimperium - und bedankte sich, indem er den Suharto-Clan großzügig beteiligte. Mehrere Suharto-Kinder besitzen Anteile seiner Bank Central Asia (BCA). Sie ist mit 400 Filialen die größte Privatbank des Inselstaats.

Seit der wirtschaftlichen Öffnung Chinas Ende der siebziger Jahre gehören die Übersee-Chinesen auch zu den wichtigsten Investoren in der Heimat ihrer Väter und Großväter. 1996 trugen sie rund 34 Milliarden Dollar in das Land der Ahnen. Zum Vergleich: In ganz Lateinamerika investierten Unternehmen aus aller Welt 1996 nur 24 Milliarden Dollar.

Sorgfältig pflegen die Bosse ihre »guanxi« mit den kommunistischen Machthabern in Peking. Der verstorbene Hongkonger Reeder Y. K. Pao stiftete der Stadt Ningbo eine Universität, der Indonesier Liem baute in der Fujian-Provinz Autobahnen, Apartments, Fabriken, Hospitäler und Hotels. Liems Cousin Cheng, der noch im Haus der Großvaters lebt, versichert treuherzig: »Die Investitionen sind nicht auf Profit ausgerichtet. Er will nur einen Beitrag für seine alte Heimat leisten.«

Der Thailänder Dhanin, der fließend Mandarin spricht, kennt in der Volksrepublik »vom Staatschef bis zum Pförtner« jeden, der nützlich sein könnte, sagt sein deutscher Geschäftsfreund Harald Link.

Die fleißig gepflegte Nähe zur Macht zahlt sich nicht nur im Geschäftsalltag aus. Wenn, wie jetzt in Indonesien, die Chinesen die Wut der Massen fürchten, bekommen die »guanxi« zur Regierungselite beinahe existentielle Bedeutung.

»Hartes Durchgreifen« forderte Präsident Suharto gegen die »Unruhestifter«, als Demonstrationen gegen Preiserhöhungen erneut in rassistische Übergriffe umschlugen. Am vergangenen Freitag zündeten randalierende Massen wiederum in vier Städten chinesische Geschäfte, Häuser und selbst eine Kirche an. Unter den Chinesen gibt es viele Christen, manche haben die Flucht schon vorbereitet.

Ohne die Anschläge gegen die chinesische Bevölkerung ausdrücklich beim Namen zu nennen, befahl der besorgte Staatschef dem Militär »strikte Maßnahmen gegen Gesetzesbrecher, die mit verfassungswidrigen Aktionen die Einheit der Nation spalten könnten«.

[Grafiktext]

Anteil der chinesischen Bevölkerung in Staaten Südostasiens

[GrafiktextEnde]

[Grafiktext]

Anteil der chinesischen Bevölkerung in Staaten Südostasiens

[GrafiktextEnde]

Zur Ausgabe
Artikel 91 / 124
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten