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HANDEL / QUELLE-BRILLEN Wie beim Juwelier

aus DER SPIEGEL 43/1969

Wie kommt es, daß der Konsul Schickedanz aus Fürth, der Inhaber von Quelle, sein Herz für die Augenoptik entdeckt hat?«, fragte Deutschlands Brillenhandeis-Postille »Der Augenoptiker«. Der Kommentator des Blattes mutmaßte: Sicher sind es die Gewinne, denn »Unternehmen wie Quelle machen nichts aus Altruismus

Mißtrauisch wird der Versandgroßhändler (Jahresumsatz 1968: 2,8 Milliarden Mark) von den Branchenvögten umlauert, weil er den Deutschen neuerdings Brillengestelle und Augengläser bis zu 50 Prozent billiger als die Konkurrenz anbietet. Anfang dieses Jahres erteilte der Versandhaus-König seiner Konzern-Tochter Foto-Quelle GmbH (Jahresumsatz 1968: 107,2 Millionen Mark) Order, in den größeren Städten der Bundesrepublik moderne Augenoptik-Fachgeschäfte einzurichten.

Die erste Brillen-Dependance eröffnete Schickedanz in der Frankfurter Kaiserstraße. Käufer können dort unter 50 Brillenmodellen in Preislagen zwischen 13 und 50 Mark wählen. Quelle-Schlager sind 15 scharf kalkulierte Krankenkassen-Brillen, für die der Kunde keinen Pfennig aus eigener Tasche zuzahlen muß. Bisher gab es auf dem Optiker-Markt nur zwei zuschußfreie Kassenmodelle.

Die Idee, aus der Augenschwäche der Deutschen Kapital zu schlagen, kam Schickedanz schon Anfang der zwanziger Jahre. Damals schickte er ambulante Händler mit billigen Nickelbrillen über die Dörfer. Das Geschäft brachte dem fränkischen Damenwäsche-Händler aber so wenig Profit, daß er es bald wieder aufgab.

Schickedanz, selbst Brillenträger, verlor den optischen Markt jedoch nie ganz aus den Augen. So entging ihm nicht, daß sich die 4000 westdeutschen Augenoptiker-Geschäfte nach der Währungsreform zu wahren Goldgruben entwickelten. Über ihre piekfeinen Tresen verkauften die in weiße Arztkittel gehüllten Zunftmeister mit Vorliebe immer teurere Modelle (Branchen-Slogan: »Besser sehen -- besser aussehen"). Die Kundschaft ließ sich vor allem von den auf Samt gebetteten Luxusgestellen blenden und zahlte willig Handelsspannen wie bei orientalischen Juwelieren: bis zu 500 Prozent.

Welche Chancen im Brillenhandel stecken, erfuhr Schickedanz aus einer Marktstudie. Danach geben die Deutschen jährlich rund 600 Millionen Mark für Augengläser aus. 45 Prozent aller westdeutschen Erwachsenen (25 Millionen) tragen bereits eine Brille, und jedes Jahr werden es mehr.

Den letzten Anstoß zur Brillen-Offensive von Schickedanz gaben einige Krankenkassen, die dem Konzernchefin Aussicht stellten, Quelle-Brillen für Krankenschein-Inhaber zuzulassen. Die Barmer Ersatzkasse und die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Frankfurt liierten sich sofort mit dem Brillen-Preisbrecher, andere Versicherungen wollen zuerst die »fachgemäße Ausstattung« der Quelle-Optikerläden abwarten.

Die ungestüme Aktivität der Nürnberger Brillen-Manager alarmierte inzwischen den Zentralverband der Augenoptiker. Die Verbandsfunktionäre kündigten an, sie würden Schickedanz mit Handwerksordnung und Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb unter die Lupe nehmen. Dennoch sieht die Fachzeitschrift »Der Augenoptiker« für die Zukunft schwarz: »Jetzt fehlt eigentlich nur noch Herr Neckermann, um den Tanz um die »Goldene Brille« zu vervollständigen.«

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