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SÜDAFRIKA Wie ein Schaf

Winnie Mandela wehrt sich selbstbewußt gegen die Zerstörung ihrer Heldenlegende.
Von Birte Schwarz
aus DER SPIEGEL 50/1997

Alle lügen, außer Winnie, glaubt man Winnie. Im dezenten blauen Kostüm betrat der Star des Dramas am vergangenen Donnerstag Punkt 8.30 Uhr die Bühne: den Zeugenstand der Wahrheitskommission, die seit April 1996 politisch motivierte Verbrechen während der Apartheid-Zeit untersucht.

Acht Tage lang hatte Winnie Madikizela-Mandela, wie sich die geschiedene Ehefrau Nelson Mandelas heute nennt, auf diesen Auftritt gewartet. Schweigend hatte sie den Aussagen zwielichtiger Totschläger und verdienter Apartheid-Gegner lauschen müssen, die sie - die einst gefeierte Ikone des Befreiungskampfes - der Lynchjustiz und des Mordes bezichtigten.

Sobald sich Belastungszeugen in Widersprüche verstrickten, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Meist jedoch blieb sie ungerührt, selbst dann noch, wenn Eltern sie flehentlich um die sterblichen Überreste ihrer verschwundenen Kinder baten.

Die Wahrheitskommission hatte 18 Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen nachzugehen, darunter 8 Morden, die Ende der achtziger Jahre angeblich im Auftrag Winnie Mandelas begangen worden waren. Doch trotz der Bemühungen, das Gespinst aus Lügen, Halbwahrheiten und ehrlicher Entrüstung zu entflechten, kam die Kommission der Wahrheit am Ende kaum näher.

Die Zeugen phantasierten und halluzinierten, lautete Winnies kühle Replik:

Nicodemus Sono etwa, der Vater, der seinen Sohn Lolo zuletzt am ganzen Leib zitternd und voller Blutergüsse im Minibus der Widerstandsführerin gesehen haben will. Winnie soll ihn angeherrscht haben: »Diesen Hund nehme ich mit«, die Bewegung werde entscheiden, was mit ihm zu tun sei. Dazu Winnie: »Er phantasiert.«

Oder die junge Frau, die aussagte, fünf Stunden lang von Mitgliedern des »Mandela United Football Club«, eines von Winnie mit Spendengeldern finanzierten Schlägertrupps, verprügelt worden zu sein. Sie war damals im dritten Monat schwanger, wegen der Mißhandlung sei ihr Sohn heute geistig behindert. Winnie: »Sie spinnt.«

Und die Entführung des später mit schweren Kopfverletzungen und Stichwunden tot aufgefundenen 14jährigen Stompie Seipei? Das war gar keine Entführung, so Winnie und umarmte Stompies Mutter freundschaftlich.

Alle lügen - zumindest immer dann, wenn ihre Aussagen schädlich für Winnie Madikizela-Mandela sind. Die Wahrheit sage dagegen der Trainer der vermeintlichen Fußballmannschaft, Jerry Richardson, wenn er behaupte, Stompie mit anderen Clubmitgliedern gefoltert und schließlich ermordet zu haben. Dafür sitzt er noch heute ein. Dabei kann sein Geständnis, er habe den Jungen »geschlachtet wie ein Schaf«, laut Obduktionsbericht nicht der Wahrheit entsprechen.

Einen Zeugen gibt es, der gesehen haben will, wie die »Mutter der Nation« selbst den mutmaßlichen Polizeispitzel erstach. Das, so die Gerichtsmedizinerin, die Stompies Leiche untersuchte, würde die Einstichwunden erklären. Doch dieser Augenzeuge sei »ein Irrer« und obendrein ein Spitzel, befand Winnie.

Nach neun Tagen vergeblicher Wahrheitsfindung mutet die Saga der Winnie Madikizela-Mandela an wie eine Mischung aus Horror und Soap-opera, aus Polit-Thriller und Tragödie. Mit ihrem Charme und ihrem Mut war die Freiheitskämpferin zu einer Art Jeanne d'Arc der Townships und zum Darling der Weltpresse geworden.

Doch wenn auch nur ein Teil der Erzählungen über die Gewalttaten im Hof ihres Hauses stimmt, dann haben Polizei, Justiz und Nelson Mandelas Afrikanischer Nationalkongreß (ANC) jahrelang an der Vertuschung mörderischer Taten mitgewirkt, um ein Trugbild aufrechtzuerhalten.

Viel zu spät hatte ein aus Spitzenleuten des ANC und des südafrikanischen Kirchenrats zusammengesetztes Krisenkomitee eingegriffen gegen das Terrorregiment, das »Mummy's boys« in Soweto ausübten. Noch heute scheint vielen der Ruf der Bewegung und ihrer einstigen Heldin wichtiger als die Wahrheitsfindung. Und so könnte Winnies riskantes Pokerspiel aufgehen - mit kaltblütigem Bluff.

Ihre Selbstdarstellung als Opfer einer von Widersachern angezettelten Verleumdungskampagne überzeugt viele in den Elendsvierteln. Bei den Armen und Ohnmächtigen, die in Winnie die Heilige der schwarzen Vorstädte sehen, schürt sie den Eindruck, hier habe ein politisches Tribunal stattgefunden, um ihre politischen Ambitionen zu zerstören.

In den Slums, wo es kaum Arbeit, dafür aber eine Menge Verbrechen gibt und die Menschen sich von Nelson Mandelas Regierung vergessen fühlen, ist eine wie Winnie populärer als jeder andere Politiker.

Deshalb kandidiert sie für den stellvertretenden ANC-Vorsitz; damit verbunden wäre der Posten des Vizepremiers. Trotz aller Zweifel an Winnies Wahrheitsliebe ist das Rennen keineswegs entschieden. Die Abstimmung ist geheim, und die Basis könnte ihr durchaus den Sieg bescheren. Denn Winnie, so Winnie, ist das Gewissen der Nation.

»Ich bedaure nicht«, sagt sie über jeden Selbstzweifel erhaben am Ende ihrer Anhörung, »daß ich immer dafür gesorgt habe, daß unsere Politiker und unser Volk von einem Gewissen aufgefangen werden.«

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