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ZIMMERMANN Wie eine Ente

Innenminister Zimmermann hat auch nach Ansicht von Partefreunden als oberster Strahlenschützer versagt. *
aus DER SPIEGEL 21/1986

Hans-Dietrich Genscher kamen nach der Katastrophe in Tschernobyl Erinnerungen an sozialliberale Zeiten. Der damalige Kanzleramtsminister Horst Ehmke habe ihn 1972 gefragt, so berichtet er, ob er nicht noch mehr Zuständigkeiten brauchen könnte. »Immer ran«, hatte seine Antwort gelautet. So wurde Innenminister Genscher zuständig auch für Reaktorsicherheit.

Als ihn dann aber, erzählt er weiter, seine Beamten in die neue Materie einweihten, befielen ihn »tiefe Skrupel, ob ich die Verantwortung tragen kann«. Denn Genscher merkte sogleich, daß er »als Laie in die totale Abhängigkeit von Sachverständigen« geriet. Da wurde ihm mulmig zumute, »weil ich nicht mehr selber nachprüfen konnte, ob mir einer Käse aufbindet«.

Innenminister Friedrich Zimmermann bekam Jahre später zu spüren, wie berechtigt die Sorgen seines Vorgängers waren. Das Reaktorunglück in der Ukraine stürzte unversehens die-Bonner Regierung in eine schwere Krise; Gegner und Freunde einigten sich schon bald auf einen Schuldigen: Der CSU-Minister Friedrich Zimmermann steht mit dem Rücken zur Wand.

Die Katastrophe von Tschernobyl, suchte er sich letzten Dienstag vor der CDU/CSU-Fraktion zu rechtfertigen, habe »ganz Europa wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen«. Es sei daher »unvermeidbar«, meinte er, »daß ein Ereignis dieser Größenordnung Probleme administrativer und politischer Art mit sich bringt«.

Mit dieser Meinung freilich steht der Innenminister ziemlich allein. Zwar will ihn niemand für die verwirrenden Ratschläge aus der ganzen Republik verantwortlich machen, welche Speisen genießbar sind oder ob nun Kinder im Sandkasten buddeln dürfen. Niemand bestreitet auch, daß die wandernde radioaktive Wolke die Zuständigen in der Bundesrepublik vor gewaltige Probleme stellte.

Aber Zimmermann hat wenig zu ihrer Bewältigung beigetragen. Schlimmer noch: Selbst in den Reihen der Koalition haben viele den Eindruck, der CSU-Minister habe sie gar nicht begriffen. »Der wirkt wie 'ne Ente«, staunt der FDP-Abgeordnete Burkhard Hirsch, »an der das Wasser abläuft.«

Zimmermann hat sich in einer der schwierigsten Krisen seiner an Turbulenzen reichen Amtszeit wieder nach altem Muster verhalten: Erst bleibt er unsichtbar, dann gibt er forsche Erklärungen ab, die nicht lange zu halten sind. Zum Schluß fertigt er alle Kritiker mürrisch ab.

Vergeblich versuchten die Parteifreunde am vorletzten Wochenende, als »die Bevölkerung«, wie Kanzlersprecher Eduard Ackermann spürte, »bis tief ins konservative Lager hinein von menschlichen Urängsten erfaßt wurde«, den Innenminister zu erreichen. Er blieb unauffindbar, besuchte, wie sich nachträglich herausstellte, ein Schützenfest in Niedersachsen und eine Sportveranstaltung in Berlin.

Erst am Montagmittag, klagte Forschungsminister Riesenhuber, sei der meistgefragte Ressortchef in Bonn wie üblich zum Dienst erschienen. Es reiche nicht, Meßergebnisse auf den Tisch zu leger, rügte Riesenhuber den Kollegen. Auch die »psychologischen Faktoren« müsse er bedenken. Zimmermann bedankte sich für den Rat, fand seine Informationspolitik aber völlig in Ordnung.

Auch mit dem Angebot, Experten seines Hauses in den Arbeitsstab im Innenministerium zu schicken, konnte Riesenhuber nicht landen. Es gehe da »chaotisch« zu, hatte er sich berichten lassen, ohne Koordination, Innenstaatssekretär Franz Kroppenstedt habe die Organisation nicht im Griff.

Von ähnlich frustrierenden Erlebnissen berichtete der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth. Auch er bekam keine Verbindung zum Ressortchef, nur Innenstaatssekretär Franz Kroppenstedt war zu sprechen. Späth beschwerte sich bei Franz Josef Strauß. In zehn Minuten, versprach der CSU-Chef, habe er Zimmermann am Apparat. Gemeinsam mit Kroppenstedt mußte der Innenminister dann in München bei seinem Parteichef zum Rapport erscheinen.

Wo immer in den letzten beiden Wochen das Thema Tschernobyl zur Diskussion stand, war die Stimmung gegen Zimmermann gerichtet. Als er sich endlich öffentlich vernehmlich machte, sorgte er nur für neue Verlegenheiten oder

mußte sich gar revidieren. Die Bundesregierung sehe »keinen Anlaß, ihre eigene Kernkraftpolitik zu überprüfen«, verlautbarte er, hätten doch die Atommeiler in der Bundesrepublik die »höchsten Sicherheitsstandards« der Welt. Sein eigener Staatssekretär berichtigte letzte Woche den Chef: Natürlich könne man die Sache »immer noch sicherer machen«, so Kroppenstedt. »weil ja ein theoretisches Restrisiko verbleibt«.

Zimmermann, von seinen Wissenschaftlern instruiert beharrte darauf. eine »Gefährdung der deutschen Bevölkerung« sei »ausgeschlossen«, allenfalls »Vorsorge« angebracht. Aber solch technokratische Argumentation ließ Abgeordnete wie Wähler ratlos und verwirrte auch die Koalitionäre.

Im FDP Präsidium empörte sich Ex-Innenminister Gerhart Baum: Der Nachfolger habe »auf dem Kommandostand gefehlt«, habe »die Lage der Leute nicht ernst genommen«. Fazit: »Er hat erneut auf ureigenem Feld versagt« Als sich der Innenminister vor der Fraktion verteidigte, konnte er seine Kritiker nicht überzeugen, auch nicht mit einer fünfseitigen Liste seiner Aktivitäten.

Fürsprecher fand Zimmermann auch unter Parteifreunden nicht. Diese Informationspolitik sei verheerend, so der einhellige Tenor. Strauß befand öffentlich »die muß anders werden«. Aus dem fernen Ostasien bestellte Helmut Kohl seinen Hausmeier Wolfgang Schäuble zum Koordinator - nicht den eigentlich zuständigen Ressortchef.

Das ganze Thema Reaktorsicherheit müsse »neu aufgenommen werden«, gab Kanzler-Berater Horst Teltschik die neue Richtung an.

Letzte Woche, auf einer Tagung der CDU-Landtagsfraktion von Nordrhein-Westfalen, nahm auch Kurt Biedenkopf den Innenminister an. Einen »Kahlschlag an Vertrauensverlust« beklagte der Landesvorsitzende. Und: »Natürlich werden wir über Alternativen nachdenken« Der Chef der Jungen Union. Christoph Böhr, hatte die plausibelste Lösung parat: Zimmermann soll abgelöst werden.

Am meisten aber verstört den Innenminister, der sich so gern als starker Mann aufspielt, der Vorwurf, er habe in seiner Führungsaufgabe versagt. Um die bundesweite Verwirrung zu vermeiden, erläutert sein Vertrauter Wighard Härdtl, »hätte man Zeitungen verbieten, Rundfunk zensieren und die Landesregierungen vorübergehend verhaften müssen«. Jeder, der ihn kenne, so Zimmermann in der Fraktion, »weiß, daß ich lieber anordne als koordiniere«.

Verständnis fand Zimmermann nur im anderen Deutschland. Zimmermann habe die richtige Haltung, lobten DDR-Gastgeber vor einer FDP-Delegation in Rostock: »Alles andere ist Hysterie.«

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