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OLYMPIA Wie eine Windel

Münchens Olympia-Verwaltern steht ein Monsterprozeß ins Haus: Olympia-Architekt Behnisch klagt ausstehende Millionen-Honorare ein. Derweil verfärbt sich sein Zeltdach.
aus DER SPIEGEL 34/1973

»Die Gesellschaft«, so klagt der Stuttgarter Architekt Günter Behnisch, 50, »überschätzt einfach den Faktor Geld in der Arbeit hochqualifizierter Architekten.«

Bei Behnisch selber, so scheint es, kann man diesen Faktor kaum hoch genug ansetzen. Der Schwabe verlangt eine Gage von 21,2 Millionen Mark, allerdings für ein von ihm selber so genanntes »architektonisches Wunderwerk": für das Riesenzeltdach auf dem Münchner Oberwiesenfeld, das »Behnisch und Partner« samt den darunter verstreuten Sportarten für die Olympischen Sommerspiele an der Isar projektiert haben.

Die Forderung gehört zu den finanziellen Restposten der Münchner Spiele, deren Gesamtkosten aus »bescheidenen« Ansätzen schier unaufhörlich auf zwei Milliarden Mark klettern konnten, weil es -- so Ex-OB Hans-Jochen Vogel bei der Übergabe der Spiel-Plätze -- »Freiräume geben muß, die von den ökonomischen Prinzipien und den landläufigen Nützlichkeitserwägungen ausgenommen sind.

Was Wunder, daß der Architekt derartige Freiräume zumindest bei seinem Zeltdach nutzte, das im Modell aus Damenstrümpfen noch billig schien (ursprünglich geschätzte Kosten: um 20 Millionen), dann aber zum »größten und teuersten Dach der Welt« (letztgenannte Kosten: 188 Millionen) geriet -- und nun, da die Spiele sich bereits jähren, von Tag zu Tag nur immer teurer wird.

Denn seit starke Sommerhitze auf der mit 80 000 Quadratmeter Acrylglas bespannten Zeltkonstruktion lastet. tritt zusehends ein, was schon vor zwei Jahren an offen gelagertem Material zu beobachten (aber wegen Zeitdrucks nicht mehr zu ändern) war: Die zur Hitze-Isolierung notwendige Unterhangdecke verfärbt sich bei Wärmestauungen bis zu 90 Grad -- Gutachter hatten maximal 60 Grad angenommen -- »braun wie eine Kinderwindel« (so ein TV-Reporter), schmort und schrumpft zusammen und verliert mithin ihre Isolierfähigkeit.

Die nacholympische Verfinsterung beeinflußt freilich vorerst nicht die Honorarerwartungen des Dacharchitekten, der die Genesis seines Werkes so rekapituliert: »Was wir damals mit 18 Millionen taxiert hatten, das war so etwas wie ein kleiner Volkswagen. Und das, was jetzt gebaut worden ist, das ist eine Staatslimousine.« Behnischs Fazit: »Der Appetit wächst mit dem Essen. Das ist für uns Architekten ein ganz normaler Vorgang.«

Gleichwohl sind die Stuttgarter Normalverbraucher an ihrem Olympia-Brocken noch lange nicht satt geworden. Im Gegenteil: Sie glauben, daß man »uns am ausgestreckten Arm verhungern lassen« wolle (Behnisch-Mitarbeiter Erhard Tränkner). Denn ihr Vertragspartner, die aus Konsorten von Bund, Freistaat Bayern und der Stadt München zusammengesetzte Olympia-Baugesellschaft (OBG). hat ihnen bislang erst 11,2 Millionen Mark Honorar statt der geforderten 21,2 zukommen lassen, und für OBG-Chef Carl Mertz sind »höchstens 13 Millionen drin«. Mertz, nach monatelangen Reibereien und vergeblichen Vergleichsversuchen mit den Architekten: »Jetzt muß es zum Schwur kommen.« --

Es kommt, vor dem Landgericht München I, 35. Zivilkammer. Überzeugt von der Korrektheit seiner ebenso umfangreichen wie umstrittenen Honoraraufstellung, die der OBG teilweise »völlig absurd« vorkommt, will Behnisch dort seine Außenstände -- vorerst einen Teil -- per Zahlungsklage eintreiben. Er fordert »keinen Pfennig mehr, als wir geleistet haben«, aber auch keinen weniger: fürs erste 4 003 616,91 Mark. Weitere Teilforderungen von rund 5,7 Millionen Mark hält Behnisch noch aus der Klagemasse heraus.

Doch so akribisch Behnischs Buchführer die Millionen-Gage errechnet haben mögen, so widersprüchlich erscheint andererseits die Rechts- und« mithin die Berechnungsgrundlage im Streit um das Mammuthonorar. So stützt sich Behnisch in der Haupt-Streitsache, dem Dach, auf den Grund-Vertrag, den er 1968 mit der OBG abgeschlossen hatte. Danach würde sich sein Honorar nach den »insgesamt aus der Ausführung resultierenden Kosten« bemessen.

Die OBG hingegen baut auf einen 1969 fixierten Kostenanschlag von 60 Millionen Mark, der nach der Gebührenordnung für Architekten (GOA) verbindlich sei, »da kann«, so OBG-Prokurist Peter Hefter, »im Vertrag drinstehen, was will«.

Und wie beim Dach, so hält es die OBG auch bei anderen Teil-Projekten, die »der Regie Behnischs entglitten« seien, mit den GOA-Bestimmungen: Mehrkosten wirken sich nur dann auf das Honorar aus, »wenn damit eine

* Analog zum Bundesbeamtengesetz heißt es im Soldatengesetz: »Verletzt ein Soldat schuldhaft seine Dienstpflichten, so hat er dem Bund den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Hat er seine Dienstpflicht in Ausübung von Hoheitsbefugnissen, im Ausbildungsdienst oder im Einsatz verletzt so hat er den Schaden nur insoweit zu ersetzen, als ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt«

entsprechende Mehrleistung des Architekten verbunden ist«.

So verweigert die OBG beispielsweise 713 000 Mark Honorar-Nachforderung für die planerische Gestaltung der Olympia-»Außenanlagen« (künstlicher See, Brücken, Parks), weil dafür nicht Behnischs Büro, sondern das des Gartenbauers Günther Grzimek »die Knochenarbeit geleistet« habe. Behnisch-Anwalt Martin Habdank hingegen: »Das sind doch keine erfundenen Zahlen.«

Bei derart konträren Positionen wird das. Gerangel um die Gage vermutlich länger währen als die Ansehnlichkeit des Olympia-Baldachins. Nach monatelangen Reparaturen und Experimenten an dem befleckten Glasgebilde meldete sich letzte Woche auch der Dach-Schöpfer zum Thema: Die jüngsten Versuche der Olympia-Verwalter, die gefährdete Wärme-Isolierung durch eine Glaswolleschicht zu ersetzen, würde sein Konzept der Lichtdurchlässigkeit zerstören.

Und schon droht er auch in diesem Fall mit gerichtlichen Schritten. Denn wenn es nun dunkelt, sieht Behnisch einen »Eingriff in meine Urheberrechte«.

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