DDR Wie Monopoly
I n seiner Datscha auf der Krim redete Leonid Breschnew dem Genossen aus Ost-Berlin ins Gewissen. Als Erich Honecker Ende Juli vergangenen Jahres dem Sowjetführer seine Aufwartung machte, bekam er zu hören, was dem großen Bruder in Moskau seit geraumer Zeit schon am ostdeutschen Sozialismus mißfällt.
Die Eröffnung von immer neuen Intershop-Läden, in denen Einheimische Westwaren gegen Devisen erstehen können, so sorgte sich der Russe, schüre Neid und Unzufriedenheit im DDR-Volk wie im gesamten Ostblock. Wenn die SED das kapitalistische Westgeld als zweite Währung dulde, dann fördere das nicht nur Korruption und Schieberturn, sondern müsse auf Dauer auch zur ideologischen Aufweichung der Staatspartei führen.
Fast neun Monate zögerte der SED-Generalsekretär, bis er dem Druck aus Moskau und den Orthodoxen im eigenen Politbüro nachgab.
Als erste erfuhren am Mittwochabend letzter Woche die ostdeutschen Fernsehzuschauer die Nachricht. Lapidar teilte das Ministerium für Außenhandel mit, daß die DDR-Bürger ihr gehortetes Westgeld künftig nicht mehr zum Einkauf in der landesweiten Intershop-Kette benutzen dürfen.
»Mit Wirkung vom 16. April 1979«, so stand es am nächsten Tag auch in allen Tageszeitungen der DDR, erfolge »der Verkauf von Waren in den Einrichtungen des Außenhandels (Intertank, Genex, Intershop) an Bürger der DDR nur mit Scheck der Forum Außenhandelsgesellschaft mbH«.
Die neuen Gutscheine, die in Format und Größe an das Spielgeld beim Monopoly erinnern, könnten ab sofort gegen »frei konvertierbare Währungen bei Bankinstituten der DDR« eingetauscht werden; sie seien »nicht übertragbar und nicht rücktauschbar«. Ausländische Besucher, also auch West-Berliner und Bundesdeutsche, behielten dagegen wie bisher das Recht, in den Intershop-Läden mit Bargeld zu bezahlen -- einzige Änderung: Sie müssen künftig ihren Paß vorzeigen.
Die Bevölkerung reagierte prompt. Noch bevor die Geschäfte öffneten, bildeten sich vor den Devisen-Märkten Schlangen von Kauflustigen, die ihr Bargeld West vorerst lieber in Waren statt in Gutscheinen anlegen wollten.
Ungeniert äußerte eine wartende Frau ihren Unmut darüber, daß »Erich nun Ernst macht«. Eine andere empörte sich: »Daß ick wegen einer Tafel Schokolade extra zur Bank rennen muß -- nee, det is mir nischt.«
Wie die DDR-Bürger das Devisen-Edikt ihrer Oberen aufnahmen, konnten die Fernseher gesamtdeutsch am selben Abend in den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF hören und sehen. Denn selbst vor den West-Kameras machten die Intershop-Käufer aus ihrer Empörung keinen Hehl. »Eine Entmündigung, das ist keine Freiheit mehr«, beschwerte sieh eine Kundin. Und ein älterer Mann höhnte: Das war notwendig, weil sonst die DDR umfällt.«
Doch die Aufregung scheint zumindest verfrüht, Denn mit seiner Scheck-Verordnung betreibt der SED-Chef vor allem geschickte Augenwischerei: Das neue Intershop-System nimmt zwar der innerkommunistischen Kritik die Spitze, in der Sache aber ändert sich wenig.
Zwar kann die SED den Umlauf von Westgeld künftig besser kontrollieren und die begehrten Devisen schneller als bisher aus dem Sparstrumpf der Bürger in die Kassen der Staatsbank lenken. Doch die D-Mark wird auch weiterhin Zweitwährung der ostdeutschen Verbraucher bleiben.
Honecker weiß nur zu gut: Hätte er die DDR-Bürger, wie von Moskau und den Puristen im Ost-Berliner Politbüro verlangt, aus den Intershops ausgesperrt, wäre dies einer Bankrotterklärung seines Konsum-Sozialismus gleichgekommen -- mit unabsehbaren Konsequenzen für die ohnehin abbröckelnde innere Stabilität.
Auf die Devisen-Einnahmen aus dem Intershop-Geschäft ist der ostdeutsche Staat, der in der Bundesrepublik mit 3,7 Milliarden Mark in der Kreide steht, dringend angewiesen. Auf etwa 700 Millionen Mark bezifferte Politbüro-Mitglied Joachim Herrmann in einem ZK-Bericht den Umsatz der Westwaren-Läden für 1978. Westdeutsche Wirtschaftsexperten vermuten, daß in Wirklichkeit die Milliardengrenze schon überschritten wurde. Knapp die Hälfte dürfte die Staatskasse als Nettogewinn verbuchen.
Intershop-Mitarbeiter und Beamte der Staatsbank beschwichtigten denn auch argwöhnische Kunden, niemand müsse beim Umtausch von Westgeld in Schecks seine Ausweispapiere vorzeigen, obwohl auf den Bons der Hinweis aufgedruckt ist: »Nicht übertragbar«. Weder sei geplant, Auskunft über die Herkunft der Sorten zu verlangen, noch solle der Name des Besitzers auf dem Scheck vermerkt werden.
Tatsächlich deuten die lockeren Bestimmungen darauf hin, daß die Partei lediglich die schlimmsten Auswüchse beschneiden will. Vor allem selbständige Handwerker hatten sich angewöhnt, Dienstleistungen und rare Güter nur gegen Westmark abzugeben. Wer bislang ohne Schwierigkeiten ein paar Tausender im Jahr nebenher an harter Währung einsäckeln konnte, dürfte jetzt das Vergnügen am lukrativen Nebenjob verloren haben,
Denn jeder DDR-Bürger, der bei den Banken ungewöhnlich hohe Devisen-Summen in Coupons wechselt, muß darauf gefaßt sein, daß sich der Staatssicherheitsdienst für seine Westgeld-Quellen interessiert.
Für Schwarzmarkt-Geschäfte im großen Stil hat sich das Risiko damit erheblich verschärft. Ein DDR-Experte: »Über jedem, der privat mit Westmark und Wertschecks handelt, hängt jetzt ein Damoklesschwert.«
Neben der psychologischen Abschreckung bietet das neue System nach Ansieht östlicher Wirtschaftsfunktionäre eine Reihe weiterer, durchaus erwünschter Vorteile.
Da nicht alle Schecks sofort nach Erwerb in die Intershops getragen werden, erhoffen sich die Staatshändler Zusatz-Profit aus den zinslosen Darlehen ihrer Kunden: Nach der Formel »Geld sofort, Ware später« schöpfen sie Kaufkraft ab und liefern die Gegenleistung erst mit Zeitverzug.
Auch eine politische Verwendung der Wertmarken scheint nicht ausge:schlossen: Betriebe und Parteiorganisationen könnten statt Prämien in Ostmark künftig Intershop-Schecks an jene Genossen ausschütten, die sich durch besonderen Arbeitseifer oder ideologische Standfestigkeit das Wohlwollen ihrer Oberen erworben haben.
Damit würde zugleich den schärfsten Kritikern des Intershop-Systems der Mund gestopft: mittleren SED-Kadern, die bisher aus Gründen der ideologischen Abgrenzung keinen Kontakt zu Westverwandten pflegen durften, in der Parteihierarchie aber auch noch nicht hoch genug gestiegen waren, um die Privilegien von Spitzenfunktionären zu genießen. Mit den Schecks kann die SED, ohne direkt in die Devisen-Truhe zu greifen, das Selbstgefühl ihrer treuesten Genossen heben, indem sie ihnen die Tür zum Intershop öffnet -- und so die Klassengegensätze zwischen Habenichtsen und Devisenbesitzern mildern.
Die Strenggläubigen unter den Genossen wird Honecker damit freilich kaum ruhigstellen. Der Ost-Berliner Philosoph Wolfgang Harich über die »korrumpierende und demoralisierende« Wirkung der Doppelwährung: »Die Grundformel des Sozialismus lautet: »Jedem nach seinen Leistungen!' und nicht: »Jedem nach dem Wohnsitz seiner Tante.«