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SCHWEIZ Wie Vieh

Die Behörden versuchen mit allen Mitteln, unerwünschte Asylbewerber loszuwerden. *
aus DER SPIEGEL 47/1985

Dichter Nebel lagerte über der vollgetankten DC-10 »Fribourg« der Swissair auf dem Standplatz »Charlie 22« des Zürcher Flughafens.

Plötzlich, um vier Uhr früh am Sonntag vor zwei Wochen, Radau an der Gangway: Afrikaner in Handschellen, links und rechts von hart zupackenden Polizisten gestoßen, stolpern laut schreiend zum Eingang der Sondermaschine.

»Wie ein Viehtransport« erschien einem Augenzeugen diese Abschiebung von 59 Emigranten aus Zaire und Angola, die mit falschen Papieren versucht hatten, in der Schweiz Asyl zu erhalten.

Die brutale Behandlung der Ausländer rechtfertigten die an der Aktion beteiligten Polizeikommandanten der Kantone Genf, Tessin und Zürich mit der Renitenz der Verhafteten: In Chiasso hatten Gefangene zwei Zellen demoliert und waren auf ihre Bewacher losgegangen, ein Polizist brach sich im Handgemenge einen Arm.

Die kraftmeierisch als »Schwarzer Herbst« bezeichnete Operation kostete die Eidgenossen nicht nur 320 000 Franken für den Jet plus Spesen für die 120 mitfliegenden Polizisten. Sie brachte die Schweiz auch um den Ruf, wenn überhaupt ein Staat, dann sei nur sie in der Lage, mit Asylbewerbern gelassen umzugehen.

Für die Schweiz besonders peinlich: Mindestens 15 der Ausgewiesenen, behauptete die Zeitung »La Suisse«, seien daheim verprügelt und gefoltert worden, sechs derart brutal, daß sie an den Mißhandlungen gestorben seien. Beweise dafür fehlten jedoch.

Der Justizministerin Elisabeth Kopp droht unterdessen eine noch schlimmere Verstrickung, weil sie auch 52 Chilenen, darunter 25 Kinder, in ihre Heimat zurückschicken will: Die Gruppe, von kirchlichen Flüchtlingshelfern unterstützt, fand im Zürcher Stadtteil Seebach Unterschlupf in einer evangelischen Kirche. Von dort aus demonstrierte sie mit einem Hungerstreik gegen ihre Heimschaffung.

Doch die Justizministerin blieb »hart und kaltherzig« ("Basler Zeitung"): Obwohl zum Teil seit Jahren in der Schweiz, müssen auch die Chilenen das Land verlassen. Die Ausweisungen, beschied die Ministerin die Bittsteller knapp, »mögen im Einzelfall hart sein, sind aber mit keinen unzumutbaren oder unmenschlichen Nachteilen verbunden«. Keinem der Chilenen sei es gelungen, »glaubhaft zu machen, daß er in seiner Heimat politisch verfolgt oder bei seiner Rückkehr in die Heimat gefährdet« würde.

Der Fall der Südamerikaner gilt mittlerweile als Prüfstein für die künftige Ausweisungspraxis des traditionellen Asyllandes Schweiz.

Prominente Schweizer protestierten, vorneweg die Schriftsteller Max Frisch und Adolf Muschg. Sie sagten eine offizielle Lesereise nach Moskau ab: »Es geht einfach nicht«, so Frisch, »daß wir von Schweizer Botschaften weiterhin uns vorführen lassen als Kultur-Mannequins fürs Ausland, während wir daheim, in Ohnmacht still, die bundesrätliche Politik mehr und mehr mißbilligen.«

Für die Chilenen unterzeichneten auf der Frankfurter Buchmesse mehrere Schriftsteller einen Aufruf an die Eidgenossen, »gerade in einer Zeit, wo in anderen europäischen Ländern das Recht auf Asyl zunehmend bedroht ist den besten humanitären Traditionen der Schweiz treu zu bleiben«.

Dem Buchstaben nach sind die nicht bedroht. Nicht einmal die fremdenfeindliche Nationale Aktion lehnt es ab, »an Leib und Leben gefährdeten Emigranten« Asyl zu geben. Doch die humanitären Bekenntnisse stehen nur noch auf dem Papier.

Die Bundesbehörden und auch viele Kantone sind heute nicht einmal mehr bereit, das völkerrechtliche Verbot der Rückschaffung abgewiesener Asylbewerber in ihr Herkunftsland, das sogenannte Non-Refoulement, zu beachten. Etliche Beamte behaupten, nicht mal die Aussicht auf eine Gefängnisstrafe wegen Republikflucht, wie etwa in der

CSSR, könne einen Einwanderer vor der Rückschaffung bewahren.

Der Schweizer Fremdenpolizei geriet der beängstigende Flüchtlingsstrom Anfang der 80er Jahre außer Kontrolle: Als die Bundesrepublik ihre Bestimmungen rigoros verschärfte, lenkte sie einen Teil der Asylbewerber damit automatisch in die Schweiz um. Von 2000 im Jahre 1980 stieg die Zahl der Anträge bis 1984 auf 8000 an. Im laufenden Jahr rechnen die Behörden sogar mit 12 000 neuen Gesuchen. Zur Zeit stapeln sich in Bern 23 000 unerledigte Asylanträge.

Tausende von Emigranten leben mittlerweile seit Jahren unter den Eidgenossen. Die meisten haben sichere Arbeitsplätze und genießen einen bescheidenen Wohlstand. Klar, daß sie sich mit allen Mitteln gegen Ausweisungsbescheide zur Wehr setzen, die ihnen vorwerfen, zu Hause nicht genügend verfolgt worden zu sein.

Für die seit Jahren ansässigen Emigranten schlug Justizministerin Kopp Mitte August eine Sonderregelung vor: Gesuchsteller, die ihre Anträge vor dem 1. Januar 1983 oder vor dem 1. Januar 1984 eingereicht hatten, sollten eine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Je nach Stichtag wären damit 4000 oder 11 000 Gesuche auf einen Schlag erledigt.

Doch die meisten Kantone lehnten die Idee ab. Sie fürchten einen Abstimmungskampf voller gefährlicher Emotionen über ein Referendum, das die Nationale Aktion sofort ankündigte.

In der Stadt Basel drängen sich zur Zeit rund 3400 Asylbewerber, meist Türken. Sie müssen in Massenunterkünften leben, etwa 180 in einer Zivilschutz-Anlage zusammen mit rund 40 einheimischen Stadtstreichern.

Nachdem die Basler Kantonsregierung das Problem lange als Polizei-Angelegenheit mißverstanden hatte, versucht sie jetzt verzweifelt, mit anderen Kantonen Abkommen über die bessere Verteilung von Asylbewerbern auszuhandeln.

Unterdessen steigt die Fremdenfeindlichkeit. In Lausanne gewann die Nationale Aktion bei Gemeindewahlen mehr Sitze, als sie Kandidaten aufgestellt hatte.

Der Staatsanwalt des Gerichtsbezirks Berner Oberland, Bernardo Moser, forderte sogar die Aufstellung von Bürgerwehren, »damit wir die Fremdlinge, die wir nicht wollen, wieder aus der Landschaft Schweiz hinausbringen«.

Aber auch der Widerstand gegen die harte, kopflose Asylpolitik wächst. Die Gemeinde von Zürich-Seebach gab das Signal, indem sie an die Tradition des Kirchen-Asyls erinnerte. In Genf suchten letzte Woche 32 Familien, Türken und Zairer, in zwei Kirchen Schutz vor der drohenden Abschiebung.

Und in Bern steht der Arzt Peter Zuber mit einer Hilfsaktion bereit, Asylanten zu verstecken, von deren Gefährdung er überzeugt ist: »Legitimität und Loyalität gehen vor Legalität.«

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