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U-BOOT-AFFÄRE Wie Zitronen

Neue Unterlagen zeigen, daß Bundeskanzler Helmut Kohl viel mehr von dem Blaupausen-Geschäft mit Südafrika gewußt hat, als er bisher zugeben will. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Ursula Seiler-Albring, Diplomsoziologin und FDP-Abgeordnete, fiel im U-Boot-Untersuchungsausschuß bisher nur durch ihr Äußeres auf: eine von Kopf bis Fuß perfekt durch durchgestylte Mittvierzigerin.

Am vergangenen Donnerstag raffte sie sich zu einer Wertung auf: »Es ist wie beim Auspressen von Zitronen: Beim zweiten Mal funktioniert es nicht mehr.«

Der Vergleich aus der Küche hinkt: Die kleinen Zitronen, die Beamten, wurden bisher nicht ausgepreßt; die großen, die Politiker, sind noch nicht einmal gepflückt worden. Der vor Untersuchungsausschüssen zum Blackout neigende Bundeskanzler, der bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß und die Minister Hans-Dietrich Genscher und Gerhard Stoltenberg werden dank der geschickten Regie der Unionsparlamentarier erst in den nächsten Wochen vernommen.

Der Bundeskanzler aber steckt, wie sich in der vergangenen Woche herausstellte, tiefer in der Affäre, als es bisher den Anschein hatte. Kohl entfaltete ein Engagement, das selbst seine engsten Mitarbeiter bis heute nicht erklären können. Zeitweise wollte er sogar ganze U-Boote an das Apartheid-Regime liefern.

Als Horst Teltschik, der außenpolitische Berater, dem Bundeskanzler am 4. Juni 1984 mitteilte, der südafrikanische Premierminister Pieter Willem Botha werde nach Auskunft des Rüstungslobbyisten Siegfried Zoglmann bei seinem Besuch das U-Boot-Geschäft zur Sprache bringen, wußte der Kanzler bereits Bescheid. Von wem?

Als Botha bat, in dieser Angelegenheit bald eine Entscheidung zu treffen, antwortete Kohl, so hat es Protokollführer Teltschik notiert, er werde »sich persönlich darum kümmern«. Warum?

Bei den Nach-Gesprächen ging Kohl noch einen Schritt weiter: Er verlangte von seinen Mitarbeitern, sie sollten nicht nur prüfen, ob man Konstruktionsunterlagen, sondern ob man fertige U-Boote liefern könne.

Seinen damaligen Kanzleramtschef Waldemar Schreckenberger verblüffte er wenig später mit Detailkenntnissen. Kohl sprach von einer kleinen, mittleren und großen Lösung - Begriffe, die bis dahin nur in den Papieren Zoglmanns und der Industrievertreter Klaus Ahlers (Howaldtswerke-Deutsche Werft, HDW) und Lutz Nohse (Ingenieurkontor Lübeck, IKL) aufgetaucht waren.

Die U-Boot-Lieferanten jedenfalls schlossen zehn Tage nach dem Botha-Besuch einen Vertrag mit Südafrika. Knapp vier Monate später, am 10. Oktober 1984, begannen die Lieferungen genau nach jenem Modell, das schon 1983

von IKL und HDW ausgearbeitet worden war.

Die U-Boot-Spezialisten in einer »vertraulichen Notiz« vom 6. Oktober 1983 unter Punkt 6: »Die Unterlagen gehen als Mikrofilme im Diplomatengepäck über die Grenze (werden abgeholt).« Es seien nur noch einige »Umkonstruktionen« nötig.

Dieses Papier war - »persönlich/vertraulich« - am 28. Oktober 1983 an Finanzminister Gerhard Stoltenberg und einige Tage zuvor, so der HDW-Aufsichtsratsvorsitzende Ernst Pieper, an Außenminister Hans-Dietrich Genscher gegangen; Anfang 1984 lag es dann auch im Kanzleramt vor.

Obwohl nur eineinhalb Seiten lang, will Teltschik es nicht gelesen und nicht weitergegeben haben. Der engste Vertraute des Kanzlers kann sich nicht einmal erinnern, wann - nur: daß - er es später in den Reißwolf gesteckt hat. Aufzeichnungen über seine Gespräche mit den Lobbyisten und dem Kanzler existieren nicht.

Die Firmenvertreter fühlten sich nach dem Botha-Besuch jedenfalls so sicher, daß sie munter lieferten. Sie faßten die im Kanzleramt zugesagte »wohlwollende Prüfung« (Schreckenberger) als »grünes Licht« (Ahlers) auf.

Nohse beharrt noch heute darauf, er habe »an höchster Stelle« im Kanzleramt vorgetragen und »eine telephonische Zustimmung« erhalten. Als Beweis will er Aktennotizen vorlegen. Für Schreckenberger ist das nur ein »Mißverständnis«.

Der Bundeskanzler, längst über das Waffenembargo der Uno gegen Südafrika informiert, startete noch Monate nach dem angeblichen Nein aus dem Kanzleramt einen neuen Vorstoß für das Waffengeschäft. Am 15. Januar 1985 nahm er Genscher beiseite und fragte ihn, ob man nicht doch liefern könne. Genscher war strikt dagegen. Teltschik, der schon im Oktober 1984 abgelehnt haben will, mußte die Firmenvertreter noch einmal bestellen. Diesmal, am 22. Januar 1985, sei das Nein, so seine Aussage, »endgültig und definitiv« gewesen.

Die Firmenvertreter deuteten dies in einer Aktennotiz vom 1. Juli 1985 so: Es gebe »nunmehr politische Schwierigkeiten für diese Ausfuhr« - sie beabsichtigten daher den Rest des Vertrags über die Türkei« abzuwickeln.

Als die Lieferungen an Südafrika bekannt wurden, reagierte die Bundesregierung trotz dringender Empfehlung ihrer Beamten nicht etwa mit einer Strafanzeige gegen IKL und HDW. Sie schwieg einfach.

Das hat möglicherweise Folgen. »Mit einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft«, so die Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes am 3. Juli 1985, »muß gerechnet werden, in dem dann die Frage Bedeutung gewinnt, ob dieses Verfahren auf Hinweis von offizieller Seite bereits vor Bekanntwerden in der Öffentlichkeit eingeleitet worden ist.«

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