KERNKRAFTGEGNER Wieder ausgegraben
Narren- oder Trachtenvereine, die heimisches Brauchtum pflegen, gelten dem Fiskus als gemeinnützig: Spenden für Bodenständiges sind von der Steuer absetzbar. Ebenso werden Organisationen, die sich etwa der »Förderung internationaler Gesinnung« oder der »Bekämpfung der Tierseuchen« verschrieben haben, von der Steuerverwaltung »als besonders förderungswürdig anerkannt«.
Auch Meditationsgesellschaften dürfen steuerwirksame Spendenquittungen ausstellen: Yogi-Gläubige« urteilte der Bundesfinanzhof, dienten der Verbreitung »geistig-seelischer Werte« wie »innerer Friede« und »Harmonie im Alltag«.
Kernkraftgegner freilich, die sich in Bürgerinitiativen zusammengeschlossen haben, verlieren neuerdings das steuermindernde Etikett »gemeinnützig« oder bekommen es erst gar nicht.
So entzog das Finanzamt Freiburg I zu Jahresbeginn der örtlichen »Aktionsgemeinschaft gegen Umweitgefährdung durch Atomkraftwerke« die 1972 erteilte fiskalische Anerkennung. Begründung: »Breite Kreise der Bevölkerung« hielten den Bau von Kernkraftwerken »für unerläßlich«.
Das Finanzamt im westfälischen Ahaus widerrief zur selben Zeit eine Gemeinnützigkeits-Bescheinigung, die es der Vereinigung »Kein Atommüll in Ahaus« erst anderthalb Monate zuvor ausgestellt hatte.
Mitte vorigen Jahres verweigerte das Finanzamt im oldenburgischen Cloppenburg der lokalen Bürgergruppe »Schutz der Umwelt« das begehrte Prädikat: »Die Nutzung der Kernenergie«, befanden die Steuerbeamten, sei »Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Wirtschaft«.
Und im badischen Emmendingen lehnte es die Steuerbehörde ab, der »Bürgerinitiative Weisweil«, die gegen den geplanten Reaktor im benachbarten Wyhl streitet, Gemeinnützigkeit zu attestieren: Ihre Tätigkeit sei nicht darauf gerichtet, »die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern«.
Die Weisweiler hatten sich in ihrem Antrag auf den Präzedenzfall der Freiburger Aktionsgemeinschaft berufen, die jahrelang steuerwirksame Belege für insgesamt rund 30 000 Mark Spenden ausgestellt hatte. Prompt prüfte das Freiburger Finanzamt nach, ob denn das Vorbild für das Weisweiler Ansinnen noch förderungswürdig sei.
Der negative Befund löste sogleich einen Parteienstreit aus -- der Leiter des Freiburger Finanzamtes, Conrad Schroeder, ist zugleich CDU-Abgeordneter im Stuttgarter Landtag. Der Offenburger SPD-Bundestagsabgeordnete Harald B. Schäfer hegte daher den Verdacht, Schroeder habe nicht als Steuerbeamter, sondern »im Sinne der Politik seines Ministerpräsidenten entschieden«. Und Schäfers Freiburger Fraktionskollege Rolf Böhme konnte sich den Entzug der Gemeinnützigkeit »nur mit politischem Entscheidungsdruck erklären
In der Tat läßt sich argwöhnen, mißliebigen Bürgerinitiativen sollte der Geldhahn zugedreht werden -- zumal die Freiburger Kernkraftgegner gerade begonnen haben« »Rechtsschutzbons« für die Finanzierung des Wyhl-Verfahrens auszugeben« das derzeit in zweiter Instanz beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim anhängig ist.
Solchen Verdacht weist Finanzamts-Chef Schroeder ("Ich bin doch nicht der Amtsbüttel des Ministerpräsidenten") indes von sich. Er halte sich lediglich an einen Beschluß der Körperschaftssteuer-Referenten aus Bund und Ländern, die 1972 festgestellt hatten, der Bau von Atomkraftwerken liege »im Interesse der Allgemeinheit«.
Das Referenten-Papier vergilbte freilich, ohne daß sich ein Steuerbeamter darum geschert hätte. Nun aber haben die Finanzämter in Ahaus, Cloppenburg und im Badischen das alte Referentenvotum »plötzlich wieder ausgegraben« (SPD-MdB Böhme). Und auch der Stuttgarter Finanzminister Robert Gleichauf entsann sich jener »bundeseinheitlichen« Regelung.
Gleichaufs Argument. »schutzwürdige Interessen mehrerer Bevölkerungsgruppen« stünden »miteinander in Konkurrenz«, lassen Atomgegner nicht gelten. Denn »in einer pluralistischen Gesellschaft«, meint der Freiburger Rechtsanwalt Siegfried de Witt, der landauf, landab Kernkraftgegnern juristisch beisteht, bleibe »nahezu keine Meinung ohne Widerspruch«.
Vollends absurd erscheint de Witt die Folgerung Gleichaufs. die Steuerverwaltung könne nicht »das Bestreben einer Gruppe als gemeinnützig« anerkennen, weil sie sonst »die Auffassung der anderen Gruppe negativ beurteilen« wurde. Genau dies aber wird praktiziert: Während Anti-Atom-Aktivisten der Steuervorteil abgesprochen wird, firmiert das »Deutsche Atomforum«. die »Propagandazentrale der Atomindustrie« (so Margot Harloff, die Vorsitzende der Freiburger Aktionsgemeinschaft), als gemeinnützig.
Neue Maßstäbe für Bürgerinitiativen setzte hingegen unlängst das Finanzgericht Baden-Württemberg, das einer »Aktionsgemeinschaft Schnellbahntrasse« die vom Finanzamt Ludwigsburg verweigerte Gemeinnützigkeit zusprach: »Die Übereinstimmung der gesamten Bevölkerung über die Notwendigkeit des Natur- und Umweltschutzes« sei »nicht zweifelhaft«. Dabei sei ohne Belang, daß es »im Einzelfall« zu »sehr voneinander abweichenden, sich häufig sogar ausschließenden Standpunkten« komme.
Vom Spruch des Bundesfinanzhofs« dem der Fall zur Revision vorliegt, erhofft sich der SPD-Politiker Böhme »in absehbarer Zeit eine juristische Klärung« -- auch für die Freiburger Bürgerinitiative, als deren Protektor er sich betätigte.
Der Rechtsunsicherheit soll obendrein auf politischer Ebene abgeholfen werden. Im März forderte der Bundestagsinnenausschuß Innenminister Werner Maihofer auf, »unverzüglich beim Bundesminister der Finanzen und/oder bei der Umweltministerkonferenz auf eine gleichmäßige Praxis der Finanzbehörden hinzuwirken«.
Einer der Adressaten des Beschlusses ist der Abgeordnete Böhme, der mittlerweile zum Finanz-Staatssekretär in Bonn avancierte.