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OSTPOLITIK Wieder Bewegung

SPD-Fraktionschef Wehner riskiert einen neuen Koalitionsstreit um ein altes Thema: Er wirft Außenminister Genscher vor, durch Untätigkeit den Fortgang der Bonner Ostpolitik zu behindern.
aus DER SPIEGEL 8/1978

Herbert Wehner kam wieder einmal auf sein Lieblingsthema. Wer Ostpolitik betreiben wolle, grollte der SPD-Fraktionsvorsitzende vor Genossen, der dürfe »Verträge nicht einfach sich selbst überlassen« und schon gar nicht »irgendwelchen Beamten«.

Die allgemeine Kritik war genau gezielt: Sie gilt insbesondere AA-Chef Hans-Dietrich Genscher und dessen Parteifreund im Wirtschaftsministerium, Otto Graf Lambsdorff. Den Freidemokraten lastet der alte Ost-Stratege schon seit geraumer Zeit an, den einstigen Schwerpunkt sozialliberaler Außenpolitik nur noch phantasielos verwalten zu lassen. Wehners Forderung dagegen: »Wir müssen unseren Vertragspartnern im Osten deutlich machen, daß wir aufnahmefähig und aufnahmebegierig sind für alles, was sie uns sagen möchten.«

Daß die Bundesregierung diesen Eindruck vor allem den Tschechoslowa-

* ZK-Sekretär Bilák (vorn links).

ken bisher nicht habe vermitteln können, war das Fazit des Berichts, den der Vorsitzende am Dienstag letzter Woche vor zwei Arbeitskreisen der SPD-Fraktion über seinen Prag-Besuch vom Januar abstattete. Im Vergleich zu der Art, wie Bonn mit der CSSR umgehe, so Wehner und zwei seiner Reise-Begleiter, die Abgeordneten Hans-Jürgen Junghans und Jürgen Schmude, könnten die deutsch-polnischen Beziehungen trotz aller Schwierigkeiten im Detail nachgerade als vorbildlich gelten.

Stehe den Polen als Gesprächspartner in der gemeinsamen Wirtschaftskommission mit Graf Lambsdorff immerhin ein leibhaftiger Bundesminister zur Verfügung, würden die deutschtschechoslowakischen Verhandlungen auf der Ebene von Ministerialdirektoren abgewickelt.

Noch immer warte Gustav Husák auf seine Visite in Bonn. Und der im AA vorsorglich vorbereitete Themenkatalog erwecke mit seiner zentralen Forderung nach Freilassung westdeutscher Häftlinge und größeren Ausreisekontingenten für deutschstämmige (SSR-Bürger den Eindruck, Bonn sei immer nur dann verhandlungsbereit, wenn es um eigene Ansprüche gehe.

Dabei ist der gute Wille Prags zu besseren Kontakten deutlich erkennbar. Ohne Zögern hatten die Herren im Hradschin die Bedingung der Wehner-Reise erfüllt: Der SPD-Politiker ohne Regierungsamt wollte, wenn er komme, nur mit den Spitzen von Staat und Partei, von Husák bis zum KP-Sekretär Vasil Bilák reden. Und mit der von Wehner während des Besuchs angemahnten Freilassung des 1974 wegen angeblicher Spionage verurteilten West-Journalisten Werner Gengenbach sorgten die Tschechoslowaken von sich aus für eine Klimaverbesserung.

Dagegen hat Prag mit seinen Wünschen in Bonn bislang noch kein Lob gefunden. So würde sich die CSSR, referierte die Wehner-Crew, über die Aufwertung der gemeinsamen Wirtschaftskommission freuen, sähe sie

nach deutsch-polnischem Muster -- mehr Kooperation zwischen westdeutschen und eigenen Firmen in Drittländen gern. Und schließlich erhofft sie sieh von Bonns Unterstützung der Verhandlungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihrem Ost-Gegenstück Comecon bessere Exportchancen und eine Verringerung des 1977 hei über 500 Millionen Mark liegenden Handelsbilanzdefizits.

Hans-Dietrich Genscher und die gescholtenen Beamten fühlen sich freilich von der Kritik des Geheimdiplomaten nicht getroffen. Vielmehr befürchten sie, daß der auf eigene Faust in Ost-Angelegenheiten tätige Wehner bei seinen Gesprächspartnern allenfalls überhöhte Erwartungen weckt.

Und wie dem SPD-Altvorderen. aber mit umgekehrtem Vorzeichen, dient ihnen dabei Polen als Exempel. Mit der deutsch-polnischen Kooperation in Drittländern sei es nicht weit her, weil sich westdeutsche Unternehmen nur ungern mit planabhängigen Ostblock-Firmen zusammentäten. Und der Wunsch Warschaus, Kohle und Stahl zu liefern, kollidiere mit westdeutscher Überproduktion.

Schließlich fahre Anfang April zur nächsten Kommissionssitzung zwar tatsächlich ein Minister nach Warschau und kein niederer Charge, aber eines stehe schon heute fest: Graf Lambsdorff reise mit fast leeren Händen.

Außerdem, kontern AA-Beamte und Wirtschaftsministeriale die Mängelrüge der Fraktionsreisenden, erschwerten die zunehmenden protektionistischen Tendenzen innerhalb der EG jeden Handel mit Ostblockländern.

Auch daß zwischen Bonn und Prag wirtschaftlich nicht alle Möglichkeiten des Vertrages von 1974 ausgenutzt würden, könne Wehner nicht dem Außen- oder Wirtschaftsminister anlasten. Dies liege allein im Ermessen deutscher Unternehmen . »Wer ein ertragreiches Geschäft sieht«, erläutert ein beamteter Ost-Unterhändler, »der kann sich doch jederzeit aufs Fahrrad setzen und die Sache mit Prag unter Dach und Fach bringen.« Offenkundig aber mangele es am Anreiz.

Die erste Probe aufs Exempel, ob sich Herbert Wehners Ziel, »wieder Bewegung« in die Ostpolitik zu bringen, angesichts der unerfreulichen Wirtschaftswirklichkeit erreichen läßt, steht schon an: Noch in dieser Woche wird der tschechische Außenminister Bohuslav Chnoupek in Bonn erwartet, und vorerst für den 10. April ist der Besuch von Parteichef Husák terminiert.

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