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BERLIN Wilde Sau

Die scharfe Gangart des CDU-Senats gegenüber Hausbesetzern provoziert neue Straßenschlachten. Die Militanten beider Seiten bereiten sich auf einen heißen Sommer vor.
aus DER SPIEGEL 27/1981

Vier Monate hatte der Senat des Sozialdemokraten Hans Jochen Vogel gebraucht, um einen Berliner Markenartikel ins politische Geschäft einzuführen: die »Linie der Vernunft« gegenüber den zumeist jugendlichen Besetzern von 165 Mietshäusern.

Amtsnachfolger Richard von Weizsäcker versicherte zwar wortreich, die »Berliner Linie« auch im christdemokratischen Politik-Sortiment nicht missen zu wollen. Aber sein Innensenator Heinrich Lummer schaffte es in nur zwei Wochen, die Vernunft fast vollständig zu verramschen und damit den mühsam angesponnenen Dialog mit der Instandbesetzer-Szene wieder auf Null zu bringen.

Kaum ein Tag, an dem nicht mal im Morgengrauen, mal in der Mittagsruhe Polizeieinsätze gegen besetzte Häuser gestartet werden. Fast immer geht es, »aufgrund staatsanwaltlicher Anordnung« (Polizeibericht), um eher geringfügige Delikte: etwa den Diebstahl von Strom, Gas oder Wasser, weil die Illegalen sich aus den öffentlichen Leitungen bedient haben, hin und wieder auch um ungenehmigte bauliche Veränderungen.

Am Montag letzter Woche beispielsweise wagte sich ein großes Polizeiaufgebot gleich morgens um vier Uhr an ein Symbol der Alternativbewegung heran, an das »Kommunikations- und Kultur-Centrum Kreuzberg« ("Kukuck") im besetzten Haus Anhalter Straße 4. Augenzeugen wußten später zu berichten, daß die Beamten eine Aufforderung der rund 40 Besetzer, doch lieber durch die aufgesperrte Tür hereinzukommen, ignoriert und sich statt dessen mit Äxten Zutritt verschafft hatten. »Die Polizei«, kommentierte das Berliner Linksblatt »Die Neue«, »spielt wilde Sau.«

Ein »Kukuck«-Aktivist, mit seinen Kollegen für einige Stunden zur erkennungsdienstlichen Behandlung abtransportiert, hatte nach seiner Rückkehr den »Eindruck von schlimmem Bullen-Vandalismus": Zahnbürsten seien abgebrochen, Seifenstücke auf dem Boden zerstampft, Lackdosen über Schreibtische geleert und Lebensmittel aus einem Kühlschrank über den Fußboden verstreut worden.

Eine »Durchsuchung« kündigten Polizei-Lautsprecher am selben Montag, eine Stunde später, auch den Besetzern des Kreuzberger Hauses Mittenwalder Straße 45 an. Doch nachdem die Beamten dort eingedrungen waren, warfen sie schwere Einrichtungsgegenstände kurzerhand auf den Hof und sicherten das Terrain für sofort nachrückende Bauarbeiter, die ihre Sanierungstätigkeit mit dem Einschlagen von Fensterscheiben begannen.

Für wessen Interessen Innensenator Lummer die Polizisten ins immer heftiger brodelnde Arbeiter- und Alternativler-Quartier Kreuzberg ausrücken ließ, glauben die auf Bezirksebene und in einem zentralen Rat organisierten Besetzer längst zu wissen: Der jetzt geräumte Block in der Mittenwalder Straße gehört einer »APH Projekt-Gesellschaft für Hausbesitz mbH und Co. KG«, deren fünfzehn Kommanditisten -- sämtlich Großverdiener, darunter acht Ärzte, aus Baden-Württemberg -zusammen 1,15 Millionen Mark steuersparend für das Abschreibungs- und Spekulationsobjekt gezeichnet haben.

Kapital-Akquisition für die APH betreibt neben anderen Prinz Johannes Maria Carl Alfons Friedrich Leopold zu Hohenlohe-Jagstberg, der auf S.27 Schloß Haltenbergstetten im badenwürttembergischen Niederstetten residiert. Gepflegtes Wohnen mit Fahrstuhl und Zentralheizung soll, nach durchgeführter »Luxus-Modernisierung, auch in der Mittenwalder Straße 45 möglich sein -- freilich nur um den Preis zumindest verdoppelter Mieten und der öffentlichen Finanzierung privater Profite.

Denn die landeseigene Wohnungsbaukreditanstalt bewilligt dem Sanierungsvorhaben weitere 1,35 Millionen Mark. Anschließend muß dann auch noch die Kostenmiete von 21,88 Mark pro Quadratmeter auf soziale 4,95 Mark heruntersubventioniert werden.

Kritiker einer solchen »Stadterneuerung« lassen sich kaum noch als prinzipiell eigentumsfeindliche Chaoten denunzieren. Der Kreuzberger Superintendent Gustav Roth, für die Mittenwalder Straße auch als Gemeindepfarrer zuständig, gerät angesichts der von Berliner Unionschristen durchgesetzten Kapitalinteressen in heiligen Zorn: »Wir haben seit Monaten versucht, das Haus aus der Modernisierung rauszukriegen, weil es sich um eines der besterhaltenen Häuser in der Gegend handelt; aber offensichtlich gehen die Interessen der APH vor das Bedürfnis nach bezahlbaren Wohnungen.«

Daß der Weizsäcker-Senat ausgerechnet den APH-Besitz als ersten von Besetzern räumen ließ, hat für Sanierungsgeschädigte wie für Spekulanten Signalwert. Denn bereits im April hatte die Gesellschaft sowohl beim Verwaltungsgericht als auch beim Oberverwaltungsgericht vergebens eine Einstweilige Anordnung auf polizeiliche Räumung zu erlangen versucht. Beide Instanzen wiesen das APH-Begehren kostenpflichtig ab.

Oppositionsführer Vogel, der damals als Regierender Bürgermeister bei gleicher Rechtslage auf Räumung verzichtete, sieht die von ihm verfolgte Vernunftslinie denn auch gefährdet: »Verbal wird die Berliner Linie von der CDU beschworen, aber real ist die schon beschädigt.« Den Einsatz in der Mittenwalder Straße qualifiziert Vogel als »rechtlich nicht gebotene Räumung«.

Die neue Stadtregierung will sich, so scheint es, zur Lösung des Konflikts auch in Zukunft nichts anderes einfallen lassen als die Uralt-Methode, soziale Unruhen mit Hilfe des Polizeiknüppels zu glätten. Schon hat der CDU-Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, Eberhard Diepgen, wissen lassen, es werde keine Verträge mit den Hausbesetzern zur Legalisierung ihrer wilden Mietverhältnisse geben. Die Vogel-Verwaltung dagegen hatte bis zuletzt an Stiftungs- und Treuhand-Konzepten gearbeitet, die in ruhigeren Zeiten für die Mehrheit der Besetzer akzeptabel gewesen wären.

Der heiße Berliner Sommer, den Szene-Kenner für den Fall prophezeien, daß der Senat seine Durchsuchungs- und Räumungsstrategie weiter eskaliert, kündigte sich letzte Woche bereits an. Als sich in der Nacht zum Dienstag knapp tausend jugendliche Demonstranten in der Innenstadt versammelten, trieb sie die Polizei ohne Vorwarnung und unter massivem Schlagstockeinsatz auseinander. Das Aufeinanderprallen von Staatsmacht und Gegengewalt reproduzierte die nun schon seit 1968 bekannten Berliner Jagdszenen: Steinhagel auf Polizisten, brennende Barrikaden, zahlreiche Verletzte auf beiden Seiten, 173 festgenommene Demonstranten.

Der wechselseitige Haß schaukelt sich immer schneller auf. Daß auch unerwünschte Beobachter mit Presseausweis zunehmend mit Prügel bedroht oder gar traktiert werden, weist jetzt eine Dokumentation der Berliner Journalisten-Union nach. Ein Polizist zu einem Photoreporter: »Wenn du einmal blitzt, schlag ich dir die Birne ein.«

Polizeibeamte wiederum, die am vergangenen Donnerstag den Bannkreis um das Schöneberger Rathaus stundenlang gegen den harten Schläger-Kern einer in ihrer zehntausendköpfigen Mehrheit friedlichen Protestdemonstration verteidigen mußten, stöhnten ein übers andere Mal: »Das ist Bürgerkrieg, reiner Bürgerkrieg.«

Während das Stadtparlament einen Amnestie-Antrag der »Alternativen Liste« verwarf, feierten draußen rund 800 behelmte und vermummte Jugendliche bis in die Nacht hinein eine Zerstörungs- und Plünderorgie: Mehrere hundert Scheiben, darunter die des Landeskriminalamtes, gingen zu Bruch, Lebensmittelgeschäfte wurden beraubt, eine Filiale der Ladenkette »Bolle« in Brand gesteckt. Privatautos mußten zum Barrikadenbau herhalten.

Als bei Sonnenaufgang am Freitag die Schäden gezählt wurden, reichte »Krawall« zur exakten Bestimmung der Eskalationsstufe nicht mehr aus. Der liberal-konservative »Tagesspiegel« klassifizierte das Geschehen als »Aufruhr«. 76 Polizisten und ungezählte Demonstranten waren verletzt, Sachwerte für knapp drei Millionen Mark zerstört worden.

Berlins neuer Wirtschaftssenator, der rheinland-pfälzische Weinhändler Elmar Pieroth, schürte Bürgerangst auf seine Weise, als er der »Bild-Zeitung« verriet, »so etwas« habe er »zuletzt bei der Schlacht um Saigon gesehen«.

Schon fordern im Deutschen Beamtenbund organisierte Polizeigewerkschafter die schnelle Einführung »distanzhaltender Polizeiwaffen« auch für den Kriegsschauplatz Berlin-West. Und auch die Gegenseite macht mobil. So werden die wichtigsten Berliner Polizeikasernen täglich zwischen drei und acht Uhr von »fahrbaren Nachtwachen« observiert, die jedes größere Ausrücken von grünen »Wannen« (Szene-Jargon für Mannschaftswagen) per Funk oder Telephon an die besetzten Häuser weitermelden.

Einmal in der Woche ist Funkertreff, bei dem jeweils nur sieben Tage gültige Funklisten mit den entsprechenden Kode-Worten -- für jedes besetzte Haus zwei -- festgelegt werden. Gesendet und empfangen wird auf einem nichtöffentlichen Kanal. Daß auch der Polizeifunk mit modernster Elektronik rund um die Uhr abgehört wird, das sei doch, sagt ein Techniker der Bewegung, »sowieso logo«.

Der jäh verstärkte Außendruck hat nicht nur die schon leicht gelockerte Festungsmentalität der Besetzerhausgemeinschaften S.28 wieder gestärkt, er zwingt auch die verhandlungsbereite Mehrheit zu erneuter Solidarisierung mit der militanten Minderheit.

»Ganz friedliche Typen von der 'Alternativen Liste'«, beschreibt ein Neuköllner Instandbesetzer die Stimmung in seinem Haus, »erkundigen sich mittlerweile schon, wie man Mollies abfüllt.«

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