JAPAN Wille zur Macht
Die beiden Politiker traten zuversichtlich lächelnd vor die Kameras des Tokioter Fernsehens. gaben sich immer wieder freundschaftlich die Hand, sprachen gemeinsam von Harmonie und Besinnung. Ministerpräsident Takeo Miki, 69: »Ich glaube nicht, daß die beiden etwas unternehmen werden, was politische Verwirrung stiften könnte.«
Doch die beiden. Vize-Premier Takeo Fukuda, 71, und Finanzminister Masayoshi Ohira, 64, waren dabei, das größte und gewagteste politische Verwirrspiel der japanischen Nachkriegsgeschichte zu inszenieren. Obgleich sie derselben Partei angehören wie Miki und sogar Minister in seinem Kabinett sind, legten sie ihrem Partei- und Regierungschef öffentlich nahe, schnellstmöglich abzudanken: »Miki hat nicht mehr die Kraft, die Partei zu führen.« Am Dienstag vergangener Woche schien das politische Schicksal des professoralen Liberalkonservativen Miki besiegelt: Die Parlamentsfraktion seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) trat auf Drängen Fukudas und Ohiras zu einer Sondersitzung zusammen. Einziger Tagesordnungspunkt: die »Säuberung« der Regierungspartei -- sollte heißen, Mikis Sturz.
Obgleich die Fraktion noch vor einem offiziellen Mißtrauensvotum gegen den ungeliebten Chef zurückschreckte, entzogen in mündlicher Abstimmung doch mehr als zwei Drittel ihrer Mitglieder Miki die Unterstützung. Von 393 LDP-Abgeordneten bekennen sich offen nur noch knapp 60 zum Ministerpräsidenten. Gleichzeitig versagten 15 der insgesamt 21 Kabinettsminister dem Premier künftig die Mitarbeit -- blieben aber gleichwohl auf ihren Posten.
Takeo Miki, erst vor 20 Monaten von seiner Partei einmütig auf den Schild gehoben, blieb dennoch standhafter. als seine Gegner erwartet hatten -- denn bislang war noch jeder LDP-Premier einem Fraktionsbegehr nach Rücktritt prompt gefolgt: Nobusuke Kishi ebenso wie später sein Bruder Eisaku Sato oder dessen Nachfolger Kakuei Tanaka. Miki aber ließ die Fernseh-Nation wissen: »Mich zwingt niemand aus meinem Amt.«
Der Bruderzwist im LDP-Haus gemahnt an absurdes Theater: Miki sollte stürzen, weil er einen ihm erteilten Parteiauftrag mit missionarischem Eifer ausgeführt hat.
Als Ende 1974 Ministerpräsident Tanaka -- inzwischen wegen Bestechung und Amtsmißbrauch angeklagt- nach dubiosen, bis heute nicht geklärten Finanzmachenschaften zurücktreten mußte, präsentierte LDP-Vizepräsident Shiina, 78, den Überraschungs-Nachfolger Miki. Der, seit langem als politischer Saubermann bekannt, sollte das LDP-Image wieder aufpolieren, die Partei reformieren, sie vom Ruch der undurchdringlichen Verfilzung mit der Industrie befreien.
Miki tat, wie ihm geheißen. Mit zelotischem Elan ließ er per Gesetz Parteienspenden drastisch beschneiden. Auch Japans Industriekartellen, den traditionell wichtigsten Förderern der LDP, wollte er beikommen.
Auf taube Ohren aber stieß sein Plan. die rivalisierenden innerparteilichen Fraktionen der großen LDP aufzulösen und eine wirklich homogene Liberaldemokratische Partei zu bilden. Denn bislang besteht die LDP, vor 21 Jahren aus mehreren unabhängigen Parteien zusammengewürfelt, aus einer Vielzahl von Splittergruppen, die lediglich der gemeinsame Wille zur Macht zusammenhält.
Jeder Fraktionschef hält seine Gefolgschaft mit generösen Finanzzuwendungen bei Laune: Ex-Premier Tanaka verstand dies Spiel am besten, seine »Nanoka-kai« ist folglich die größte LDP-Fraktion. Miki selbst, von der Wirtschaft nicht mit Spenden verwöhnt, gebietet nur über die viertmächtigste Parlamentsgruppe.
In diesem Klima, wo Geldbündel politische Kraft haben, gedeiht Korruption, wie Saubermann Miki zornig vermerkte. Als herauskam, daß der amerikanische Flugzeugkonzern Lockheed 12,5 Millionen Dollar zur Verkaufsförderung nach Japan gepumpt hatte, ergriff der Premier die Gelegenheit zu beweisen, wie ernst er es mit seiner Säuberungskampagne hielt.
Doch so drastisch reformiert wollten die finanzstarken LDP-Oberen denn doch nicht werden. Schon im April verlangte Partei-Vize Shiina den Rücktritt seines einstigen Protegés: Miki »zeigt zuviel Enthusiasmus für die Skandal-Untersuchung«.
Sodann legte sich der Regierungschef in seinem Aufklärungseifer mit der Mehrheit seiner Partei an. Er förderte aktiv, was er kraft Amtes hätte verhindern können: Ex-Premier Tanaka wurde unter Bestechungsverdacht verhaftet, ein ehemaliger Minister und sein Stellvertreter folgten.
»Das hätte er nicht tun dürfen«, entsetzte sich der Abgeordnete Takeo Kimura, »merkt Miki denn nicht, wie schädlich es für die öffentliche Moral ist, wenn einem früheren Ministerpräsidenten Handschellen angelegt werden?«
Die öffentliche Moral hat nicht gelitten. Im Gegenteil: Als Einzelkämpfer für saubere Politik genießt Miki größere Sympathien in der Bevölkerung als je zuvor. In Hinblick auf die nächste Wahl, wahrscheinlich Anfang Dezember, war Miki noch nie so stark.
Doch die liberaldemokratische Partei sieht sich in ihrer Existenz bedroht; die mächtigen Wirtschaftsverbände fürchten um ihren Einfluß auf die Regierungspartei.
Denn nach Recherchen der Zeitung »Mainichi Shimbun« sind noch 16 weitere Parlamentsabgeordnete in den Bestechungsskandal verwickelt. Sollte sich das bewahrheiten, wäre eine Spaltung der LDP kaum noch abzuwenden.
Deshalb sieht Vize-Premier Eukuda, Vertreter des ultrakonservativen LDP-Flügels und bis vor kurzem noch Mikis stärkste Stütze, nun seine Chance, endlich das höchste Regierungsamt zu erringen, um das er sich seit fünf Jahren vergeblich bemüht hat.
Mit Tanakas Verhaftung, so Fukudas Überlegung, seien der Lockheed-Opfer genug gebracht. Miki habe sein Versprechen, den Skandal aufzudecken, also eingelöst. Nun aber brauche das Land wieder einen starken Mann an der Spitze -- Takeo Fukuda.