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WOHNHEIME Wille zur Nacht

aus DER SPIEGEL 28/1962

Von 35 000 Studenten in München wissen nur tausend, ob sie Elite oder Niete sind.

Ausweis der Elite ist ein Mietvertrag, der Wohnkomfort zu Preisen unter den zulässigen Richtsätzen des sozialen Wohnungsbaus verheißt. Charaktere, die fünf »Vorbedingungen«, vier »Grundforderungen« und vier »persönliche Voraussetzungen« erfüllen, sind würdig, zum Vorzugssatz von monatlich vierzig bis sechzig Mark in »hygienisch einwandfreie, architektonisch zweckmäßig gestaltete Räumlichkeiten« einzuziehen: in die elf Wohnheime des Münchner Studentenwerks.

Aus der Wohnraumnot hat das Studentenwerk - eine Anstalt des öffentlichen Rechts - eine Tugend für Auserwählte gemacht. Jung-Akademiker auf Budensuche, die in Wohnheimen des Studentenwerks unterkommen wollen, werden in München gründlicher auf ihre. Eignung geprüft als habilitierte Doktoren, die einen Lehrstuhl suchen.

Nach den Auswahlprinzipien, wie sie der Vorstand des Studentenwerks für seine Wohnheime dekretiert hat (Studentenwerk-Geschäftsführer Dr. Eugen Hintermann: »Nur durch Indiskretion bekanntgeworden"), genügt es nicht, daß der Studiker Heimordnung und Heimsatzung befolgt.

Wer sich in ein vom Studentenwerk subventioniertes Bett legen möchte, braucht zunächst zwei Arten von Beständigkeit, nämlich »Gesinnungsstabilität« und »Ablenkungsstabilität«. Nur wer gegen Ablenkung gefeit ist, erträgt es offenbar, »durch die Gemeinschaft des Zusammenwohnens zu einer in sich lebendigen Gruppe zusammengefaßt« zu werden.

Ob potentielle Schläfer im Studentenheim »Selbstgefühl, Kontaktbereitschaft und -fähigkeit«, hingegen »keine extremen Lebensgewohnheiten« mitbringen, wird »durch Orientierung und Übung' in einem Schnellverfahren von zwanzig Minuten gecheckt - durch eine siebenköpfige Auswahlpythia, bestehend aus Heimleiter, Heimtutor (einem mit Stipendium und Gratiswohnung entlohnten zusätzlichen Betreuer), vier Stockwerksvertretern und einem Mitglied des Allgemeinen Studentenausschusses.

Diese jungen Leute, oft wenig älter als die Bettenkandidaten, durchforschen die Psyche ihrer Prüflinge nach Ablehnungsgründen wie

- »politischer Fanatismus, krasse Unselbständigkeit und Distanzlosigkeit, starke Arroganz, krankhafter Minderwertigkeitskomplex, krasser Egoismus, triebhafte Unbeherrschtheit, unsachliche Aggressivität, Ablehnung jeglicher ethischer Norm oder krankhafter Kritiksucht«.

Indes, die Eliteprüfer haben selbst erkannt, daß sie wohl »sehr schlechte Manieren«, aber kaum »extreme Introvertiertheit, Intoleranz, Intriganz und Kriecherei« durch ihr Testverfahren, eine »zwanglose« Unterhaltung, analysieren können.

Sie sichern deshalb ihr im sogenannten Protokollbuch fixiertes Vorurteil ab, indem sie den Heimanwärtern selbst bei bestandener Aufnahmeprüfung ein, bisweilen auch zwei »Probesemester« zur Auflage machen. Über die endgültige Aufnahme berät dann der Verlängerungsausschuß.

Ein »Ablehnungsgrund« ist nicht immer ein Grund zur Ablehnung - dann nämlich nicht, wenn der Ausschuß einstimmig glaubt, daß dem

»Bewerber durch das Zusammenleben im Heim bei der Überwindung einer von ihm selbst erkannten negativen Eigenschaft geholfen werden kann«.

Ehe der Student von der »Vormerk -Liste« nach bestandenem Schlafzimmer -Examen mit der nunmehr begründeten Hoffnung auf billiges Obdach in die »Warteliste« aufrückt, hat er per Fragebogen das Geheimnis zu lüften, »aus welchen Gründen« er - gegebenenfalls

- statt eines Doppelzimmers einen einschläfrigen Raum benötige.

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