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PERSONALIEN Willy Brandt, Dieter Hildebrandt, Gustav Heinemann, Bernhard Rayers, Stylianos Pattakos, Charles McCarty

aus DER SPIEGEL 53/1970

Willy Brandt, 57, Angler, möchte seinen Urlaub nicht durch Nahost-Querelen gefährden. Der Bundeskanzler, der vom 28. Dezember bis zum 15. Januar mit Frau Rut und Sohn Mathias im ostafrikanischen Kenia sonnenbaden, wandern, Gebirgsforellen fischen und Wildparks besichtigen will, ließ aus Rücksicht auf Israel seinen ursprünglichen Plan fallen, wie zur Jahreswende 1969/70 in Tunesien Ferien zu machen. Wegen des Nahost-Konflikts zieht Brandt es vor, statt mit einer Linienmaschine mit einem »Jetstar« der Bundeswehr nach Nairobi (Zwischenstationen: Tripolis und Fort Lamy) zu fliegen. Begleiter Wolf-Dietrich Schilling, ein persönlicher Referent des Kanzlers: »Wir wollen ja schließlich nicht entführt werden.«

Dieter Hildebrandt, 43, Kabarettist der »Münchner Lach- und Schießgesellschaft«, mokierte sich in einer Sendung für das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) über das Zweite Deutsche Fernsehen. In der vom Studio Hamburg für die Mainzer TV-Anstalt produzierten Unterhaltungssendung »Sie und Er im Kreuzverhör« (Sendetermin: Frühjahr nächsten Jahres) forderte Showmaster Peter ("Vergißmeinnicht") Frankenfeld den Kleinkünstler auf: »Nennen Sie mir ein Geräusch, das besonders an Ihren Nerven zerrt.« Hildebrandt: »Das Geräusch am Mittwoch um 20.15 Uhr.« Frankenfeld: »Was passiert denn da?« Hildebrandt: »Da hören wir immer Herrn Löwenthal, und diese Stimme, die geht mir so auf die Nerven.« Frankenfeld: »Können Sie Ihren Eindruck auch in ein oder zwei Worten zusammenfassen?« Hildebrandt: »Dürfen es auch drei Worte sein?« Frankenfeld: »Auch das.« Hildebrandt: »Wort zum Kotzen.«

Gustav Heinemann, 71, Bundespräsident, wurde zur gleichen Zeit an zwei verschiedenen Orten vermutet. Am 17. Dezember meldete Radio Moskau in den Abendnachrichten: »Die DDR erhob Protest gegen die Verletzung durch die Bundesrepublik Deutschland des selbständigen Status West-Berlins, wo heute Bundespräsident Heinemann eingetroffen ist.« Das Präsidialamt vermochte indes zwei »zuverlässige Zeugen« (Pressesprecher Peter Borowsky) zu benennen, die Heinemann zu jener Zeit in Bonn gesprochen hatten: König Hussein von Jordanien, der am 17. Dezember vom Präsidenten empfangen wurde, und Bundeskanzler Brandt, dem Heinemann am Vormittag des 18. seine Geburtstagswünsche überbrachte. »Auch von einem Doppelgänger des Bundespräsidenten«, so stellte Borowsky klar, sei »bisher nichts bekannt«.

Bernhard Rayers, 31, Vermögens-Verwalter, nahm späte Rache an seinem früheren Chef. Als die (IOS-eigene) »Orbis Bank« die 170 000 Mark teure Büro-Einrichtung des im Juli geschaßten IOS-Verwaltungsrats-Vorsitzers Erich Mende feilbot, griff der einstige (1964 bis 1969) Bonner IOS-Büroleiter für 10 000 Mark »mit Freude« (Rayers) zu. Er offerierte die Möbel per Annonce im Bonner »General-Anzeiger« als »Preiswert! Das Beste aus der IOS-Puppenstube« und machte »100 Prozent« Gewinn. Rayers-Rarität: Ein »Rosenholzschrank (halbrund) mit Marmorkonsole« für 1500 Mark (Neuwert: 6100 Mark). Der Möbel-Makler: »Es hat mir Spaß gemacht, das Zeug zu verschleudern. Viele Leute sahen eine Parallele zwischen Mende und dem Puppenhaus.«

Stylianos Pattakos, 58, Griechenlands Vize-Premier und Innenminister, zensierte die Zensur. Weil sich in Athen nach einwöchiger Spieldauer des US-Dokumentarfilms über das Pop-Festival »Woodstock« Zusammenstöße zwischen jugendlichen Zuschauern und der Polizei ereignet hatten, bei denen einige junge Kinogänger vorübergehend festgenommen worden waren, ließ Pattakos die Mitglieder der staatlichen Filmzensur-Kommission mit dem Funkstreifen-Wagen 100 in sein Büro schaffen. Der Panzergeneral a. D. attackierte die Zensoren, die nicht wußten, weshalb sie geholt worden waren, zunächst mit persönlichen Fragen: »Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder? Jungen oder Mädchen?« Dann brüllte der Minister die Versammelten an: »Sie sind alle Voyeure, pervers und korrupt. Auf Anordnung des Ministerpräsidenten entlasse ich Sie ab sofort aus der Filmkontroll-Kommission.« Zwei Tage später wurde die weitere Vorführung des Films »Woodstock« verboten.

Charles ("Big Daddy Blechhorn") McCarty, 50, Bürgermeister der 350 000-Einwohner-Stadt St. Paul (US-Bundesstaat Minnesota), wurde das Opfer seiner eigenen Popularität: Weil man sich -- so der Herausgeber des »St. Paul Dispatch«, William Sumner -- »über den Knaben gar nichts ausdenken kann«, veröffentlicht das Lokalblatt jeden Freitag leicht verfremdet eine authentische Comicstrip-Serie mit dem Titel »Abenteuer des Super-Bürgermeisters«. McCarty über die Bilder-Folge, die der Heroen-Reihe Superman nachempfunden ist: »Phantastisch, mal trage ich einen weißen, mal einen schwarzen Hut.« Der Ex-Hausmeister und Vater von sieben Kindern, Anfang Juni dieses Jahres zum Bürgermeister gewählt, wird seiner Rolle als Comic-Held auch auf dem Stuhl des Stadtoberhaupts gerecht: Er ließ an die Tür seines Dienstzimmers das Namensschild »Charlie« anbringen und stattete sich mit einem transportablen Polizeifunk-Empfänger aus, den er stets bei sich trägt. Sein Amts-Fahrzeug (Typ: Lincoln Continental) wurde mit Blaulicht und Sirenen sowie Polizei- und Feuerwehrfunk ausgerüstet. Damit erreicht Bürgermeister McCarty meist als erster Tat- und Unfallorte der Stadt. McCarty-Kritiker warten bereits jetzt auf den Ablauf seiner Dienstzeit Mitte 1972. Ein »Dispatch«-Reporter: »Dann wird sich endlich herausstellen, ob wir an ihm eine wirkliche oder nur eine potentielle Katastrophe hatten.«

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