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AFRIKA Wind des Wandels

Die meisten afrikanischen Staaten sind Diktaturen. Jetzt stellt sich ein leichter Trend in Richtung Demokratie ein.
aus DER SPIEGEL 46/1977

Dreimal gingen im Wahllokal die Lichter aus. Jedesmal, wenn sie wieder angingen, fehlten weitere 700 Stimmen in der Urne -- bis der von oben favorisierte Kandidat endlich die Mehrheit hatte. Gegen Mitternacht konnte der Wahlleiter verkünden: »Außenminister Munyua Waiyaki hat gewonnen.«

Die Anfechtungsklage der unterlegenen Kandidaten vor dem Wahlgericht der Kenia-Hauptstadt Nairobi wurde trotz der offensichtlichen Fälschung verworfen. Begründung: Wahrscheinlich sei die Stromrechnung des Wahllokals nicht bezahlt gewesen, die Verdunklung mithin höhere Gewalt und als Klagegrund nicht angängig.

Doch das war ein Sonderfall bei der letzten Wahl in Kenia. Kandidaten mit weniger guten Beziehungen als Außenminister Munyua Waiyaki, die den Wählerwillen manipuliert hatten, mußten ihr Mandat auf richterlichen Beschluß wieder hergeben, weil sie ganze Urnen mit Stimmzetteln entwendet hatten, das Wahlvolk unerlaubter Massenhypnose hatten unterwerfen oder gegnerische Wahlhelfer steinigen lassen.

Der Wahlsieger aus Meru am Mount Kenya etwa mußte zurücktreten, weil er 18jährige Jungwählerinnen gezwungen hatte, sich »zum Nachweis der Wahltauglichkeit« zu entblößen.

Von jenseits der Landesgrenzen schlugen Wogen von Hohn und Kritik über der kenianischen Demokratie zusammen. Beglückt funkte Idi Amins skandalgewohnte »Voice of Uganda« das Neueste über Kenias »Wahlskandale« in den Busch.

Dabei wären die Ugander schon dankbar für einen Bruchteil der Freiheiten, die ihre kenianischen Nachbarn genießen -- und ähnliche Vorgänge wie in Kenia gibt es in fast jedem dritten afrikanischen Staat.

Denn die Wahl zwischen zwei oder mehr demokratischen Alternativen haben nicht mehr als zwei Prozent aller Afrikaner. In nur 5 der 49 Mitgliedsstaaten der Organisation für afrikanische Einheit (OAU) amtieren Mehr-Parteien-Parlamente, die sich in regelmäßigem Turnus dem Volksentscheid zu stellen haben.

Die größte der schwarzafrikanischen Demokratien ist mit fünf Millionen Einwohnern der Senegal des frankophilen Dichterpräsidenten Sédar Senghor. Die anderen vier -- Gambia, Botswana, Dschibuti und die Insel Mauritius -- sind Ministaaten mit weniger als einer Million Einwohner. In allen übrigen schwarzafrikanischen Staaten herrschen Autokraten: Einheitsparteien, Monarchen oder Generäle.

Doch »der Wind des Wandels bläst neuerdings auch durch die Landschaften zwischen Sahara und Sambesi«, stellte das Nachrichtenmagazin »Jeune Afrique« fest. Eine Reihe afrikanischer Staaten scheint bereit, wieder mehr Demokratie zu wagen:

* In Nigeria trat Anfang Oktober eine verfassunggebende Versammlung zusammen, die bis zum Herbst kommenden Jahres ein Grundgesetz ausarbeiten soll. Nach 13 Jahren Militärherrschaft will der volkreichste Staat Afrikas spätestens 1979 zur Demokratie zurückkehren.

* In Ghana, dem ältesten unter den jungen unabhängigen Staaten Schwarzafrikas, trotzten rebellierende intellektuelle dem Juntachef Acheampong die Zusage ab, »unverzüglich« mit den Vorbereitungen für die Rückkehr der Zivilisten in die Staatsführung zu beginnen. > In Sierra Leone haben im vergangenen Sommer allgemeine Wahlen erstmals seit 1973 wieder Oppositionspolitiker ins Parlament gebracht.

* Die Einheitsparteien-Regierungen von Benin, Mosambik und Zaire wollen gleichfalls in diesem Jahr Volksvertreter wählen lassen. > Die Militärmachthaber Obervoltas wollen dieses Jahr Wahlen veranstalten, bei denen sogar mehrere Parteien zugelassen sein sollen. Mit einem Durchbruch der Demokratie ist aber günstigenfalls in Nigeria und Ghana, möglicherweise auch in Sierra Leone und Obervolta zu rechnen. In den übrigen Staaten beschränkt sich die Freiheit der Wähler auf die Wahl zwischen zwei oder mehreren Kandidaten derselben Partei.

Grundsätzlich wird in Afrika die eingeschränkte Bürgerfreiheit als nicht so bedrückend empfunden wie andernorts. Afrikaner vertrauen von alters her lieber dem Häuptling oder dein starken Mann, als daß sie sich selbst aus pluralistischen Parteien ihre Führer wählen.

Immerhin haben aber die Erfahrungen, die viele Staaten in den letzten zwei Jahrzehnten mit den starken Männern machen mußten, die Überzeugung gefördert, daß der von den Kolonialmächten importierte Parlamentarismus von allen denkbaren Regierungsformen nicht die schlechteste ist.

Vor allem hat sich auch gezeigt, daß Freiheit und materieller Wohlstand oft miteinander verbunden sind. Die barbarischsten Diktaturen des Kontinents wie Idi Amins Uganda, Macias Nguemas Äquatorial-Guinea, Sekou Tourés Guinea und Bokassas ("Papa Bok") Zentralafrikanisches Kaiserreich sind zugleich auch die wirtschaftlich rückständigsten Regionen Afrikas.

Allein, politische Willensbildung vollzieht sich auch in den freieren Ländern meist nur auf den unteren Etagen. Hoch oben geschieht die Wahl gleichsam automatisch -- so in Kenia, wo Staatschef Jomo Kenyatta mehrfach im Amt bestätigt wurde, »weil das Volk ihn nicht mit einem Gegenkandidaten beleidigen will« (so die »Suda Post"). Der zairische Potentat Mobutu ließ sich 1965 nach seiner gewaltsamen Machtübernahme gegen angeblich nur 157 Gegenstimmen (von insgesamt zehn Millionen) 1970 im Amt bestätigen.

Wenn man sie wählen läßt, drücken Afrikaner ihren politischen Willen häufig unmißverständlicher aus als die vom Parteienpluralismus verwöhnten Europäer. Letztes Frühjahr stimmten die schwarzen Wähler im nordsambischen Roan mit einer erdrückenden Mehrheit von 3933 Stimmen für den weißen Farmer Arthur Piers. Die zwei schwarzen Gegner des Europäers erhielten zusammen nur 644 Stimmen.

Für das Nachrichtenmagazin »African Development« war das ausgemachter Rassismus. Denn: »Alle Beweise sprechen dafür, daß sie ihn nur gewählt haben, weil er weiß ist.« Doch der oberste Wahlherr, Präsident Kenneth Kaunda, pries das Resultat als »Zeichen dafür, daß unsere multirassische Gesellschaft intakt ist«.

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