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PARTEIEN / NPD Wind im Wonnemond

aus DER SPIEGEL 13/1967

Ein Wasserglas voll Scharlachberg in der Hand, verdünnt mit Sprudelwasser aus der »Burg-Quelle«, nahm NPD-Führer Adolf von Thadden im Drehsessel des NDR-Fernsehstudios zu Hannover Platz, deutete auf seine rechte Körperhälfte und fragte: »Soll man hier nicht ein bißchen mehr Licht hinbringen?«

Die Nationaldemokraten wieder ins rechte Licht zu rücken, war Thadden in der Nacht zum Dienstag letzter Woche vor die Kamera geeilt. Auf seinem Schoß den jüngsten »Daily Mirror« -- Schlagzeile: »Die neuen Nazis holen sich eben einen neuen Adolf« -, versicherte der Edelmann für Englands BBC live und ungeschminkt: »Bei uns geht es völlig demokratisch zu.«

Das schien fraglich, weil am Freitag zuvor der NPD-Vorsitzende Fritz Thielen, 50, und sein Stellvertreter Adolf von Thadden, 45, im Hau-ruck-Verfahren aus der Partei -gestoßen worden waren (SPIEGEL 12/1967).

Thadden, Steuermann der Partei, war von Thielen ausgeschlossen worden, nachdem das Bremer Landgericht seine Wahl zum niedersächsischen NPD-Vorsitzenden für ungültig erklärt und dem pommerschen Junker Mißbrauch der Satzung vorgeworfen hatte. Thielen, treudeutsche Galionsfigur der Nationaldemokraten und durch die Hausmacht seines Vize schon seit Monaten isoliert, war daraufhin vom Bremer Landesvorstand aus der Partei entfernt worden (siehe Interviews Seite 60 und 61).

Deutschlands neue Rechte geriet an diesem schwarzen Freitag in ein »Stadium des Bestehens oder Nichtseins« (NPD-Führer Wilhelm Gutmann). Über die 30 000 Mitglieder der Partei, »Hoffnung für Millionen«, kam binnen Stunden Hoffnungslosigkeit. Und in Mainz faßte NPD-Funktionär Gerhard Gräbendorff das Unheil in drei Worte: »Wir sind kopflos.«

Doch schon tags darauf wuchs der Partei ein neues Haupt. Die Regeneration vollzog sich hinter der Polstertür des »Gesellschaftsraums« im Frankfurter Speiselokal »Uhland Eck«, wo sich zur Mittagszeit der Bundesvorstand der Nationaldemokraten versammelt hatte. Ständig gestärkt durch weichgekochte Eier, Himbeergeist und Pilsner Urquell in Seideln, ging die NPD-Spitze daran, die »erste aus dem Inneren kommende Bewährungsprobe« (NPD-Gutmann) zu meistern.

Hausherr und Gastwirt Karl Stoeck, ehemaliger Chefkoch der »Hanseatic« (Nennen Sie ja nicht meinen Namen. Hier verkehren auch Juden und Ausländer"), hatte sich draußen auf der Schwelle postiert und ließ nur Leute passieren, deren Gesicht ihm gefiel. Dann schlug er drinnen die Preise auf: »Alle Politiker sind Lumpen. Die in den Parteien auch.«

Gleichwohl labten sich die Vorstandsherren -- während Fritz Thielen noch von Bremen her auf der Autobahn unterwegs war -- an Entrecôte mit Pfifferlingen. Zurück im Gesellschaftsraum, wärmten sie ihren Partei-Kohl auf. Endlich, gegen 17.40 Uhr, fuhr auch Thielen im schwarzen Mercedes 250 mit der Nummer HB-DP 704 vor, stoppte kurz, sah das Journalisten-Rudel vor der Tür und gab wieder Gas.

51 Minuten später probierte er es ein zweites Mal, und jetzt gelang ihm der Durchbruch: Vor dem »Uhland Eck« hatte ein »Audi« einen englischen Kameramann angefahren, und im Tumult der Schlägerei, die sich daraus ergab, entwischte Thielen ins Lokal.

Dort aber stand der bürstenhaarige Kurt Stoeck. »Was wollen Sie denn hier?« fragte unwirsch der Küchenmeister. Darauf Thielen, den Hut forsch im Nacken: »Ich bin der Bundesvorsitzende der NPD.« Stoeck gab Pardon: »Na ja, aber Sie sind der letzte, der hier »reinkommt.«

Zwanzig Minuten später war Fritz Thielen schon wieder draußen, das Gesicht versteinert, als sei es aus seiner Betonfabrik. Der Vorstand hatte seinen Parteivorsitzenden bedrängt, den Sitzungsvorsitz abzugeben; Thielen hatte abgelehnt und war überstimmt worden.

Während der Führer ohne Gefolgschaft wütend gen Bremen fuhr, wurde im Lokal der Leitungsschaden repariert. Der Vorstandsrest

> hob die von Thielen verfügten Parteiausschlüsse Thaddens und sieben weiterer Funktionäre wieder auf;

> enthob »Herrn Thielen« mit sofortiger Wirkung aller Parteiämter und bestätigte den vom Bremer Landesvorstand verfügten Ausschluß;

> setzte den baden-württembergischen Landesvorsitzenden Wilhelm Gutmann als kommissarischen Bundeschef ein.

Thielen, so fand die Vorstandsmehrheit, habe durch sein »diktatorisches Gebaren« dazu beigetragen, »jene Zweckpropaganda zu fordern, die der NPD undemokratisches Verhalten vorwirft«.

Das Phänomen, daß ein Parteivorsitzender unmittelbar vor erfolgversprechenden Landtagswahlen (in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein) eine Führungskrise heraufbeschwört, wurde klinisch gedeutet.

Wilhelm Gutmann: »Für mich ist Thielen ein mehr oder weniger medizinisches Problem.« Und Partei-Propagandist Otto Heß, den Thielen gleichzeitig mit Thadden ausgeschlossen hatte: »Der Psychiater, der hier eine klare Antwort gibt, muß noch gefunden werden.«

Dann aber gebot Gastwirt Stoeck Schluß der Debatte: »Mich interessiert keine Politik. Wer nicht freiwillig geht, den schmeiße ich eigenhändig »raus. Jetzt ist endgültig Feierabend.«

Die Rausschmeißer von der NPD parierten. In Adolf von Thaddens Zimmer im »Savoy«-Hotel knallten bald danach die Pfropfen -- aus Champagner-Flaschen der Marken »Heidsieck« und »Pommery«, die der NPD-Landesvorsitzende Adolf Sarg siegesgewiß von der Saar im Koffer herbeitransportiert hatte.

Und am folgenden Sonntag demonstrierte die NPD in Mainz, wie sie singt und lacht. Auf einer Wahlveranstaltung im Kurfürstlichen Schloß der Karnevalsstadt quittierte Adolf von Thadden lächelnd »das euphorische Getrampel« ("Süddeutsche Zeitung") des Parteivolks, das sich nun wieder geführt fühlte.

Der kommissarische Bundeschef Gutmann bedeutete den Rechtsvertretern im Saal, die NPD werde »ein Felsblock werden, an dem sich noch mancher den Schädel einrennt«. Hessens Landesvorsitzender Heinrich Fassbender mahnte: »Wir müssen für Deutschland kämpfen.« Beifall rauschte auf, und ein NPD-Mann zitierte überwältigt Richard Wagner: »Winterstürme wichen dem Wonnemond.«

Aber der Sturm, der die Nationaldemokraten beutelte, ist keineswegs abgeflaut. Denn noch macht Fritz Thielen Wind.

Montag letzter Woche zog er seine Unterschrift unter der NPD-Bankvollmacht zurück und sperrte damit der Partei die Konten; Partei-Schatzmeister Otto-Theodor Brouwer war dienstags in Hannover und Bremen unterwegs, um neue einzurichten.

Am gleichen Tag erhob Thielen bei der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bremen Feststellungsklage. Thielen glaubt, daß bei seiner Amtsenthebung in Frankfurt wie bei seinem Parteiausschluß in Bremen gegen die Satzung der NPD verstoßen worden und beides mithin nichtig sei.

Dabei gründen die Hinauswürfe der Thielens wie der Thaddens sämtlich auf den Paragraphen 4 der Satzung und den Paragraphen 3 des Statuts der Parteigerichtsbarkeit, wonach bei »Gefahr im Verzuge« und »in denjenigen Fällen, in denen eine schwere Schädigung der Partei durch schnelles Eingreifen verhindert werden muß«, ein fristloser Ausschluß statthaft ist.

Das »riecht ausgesprochen nach Führer-Prinzip«, argwöhnt der Hamburger Staatsrechtler Professor Dr. Hans Peter Ipsen. Und für den Tübinger Verwaltungsrechtler Professor Dr. Otto Bachoff ist der »Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit« im Parteileben »so fundamental, daß ein Ausschluß ohne Anhörung bedenklich ist«.

Doch wie immer die Bremer Richter die NPD-Satzung ausdeuten werden -- für Fritz Thielen führt kein Weg zurück. Denn das Partei-Proletariat aller Länder steht einig hinter Adolf von Thadden.

Zwar traten hier und da Mitglieder freiwillig aus der Partei aus. Aber der NPD-Landesvorstand in Nordrhein-Westfalen stellte sich »einstimmig hinter die (Frankfurter) Beschlüsse ... des Bundesvorstands«, der Landesvorstand in Schleswig-Holstein hat »Klarheit darüber, daß die einsamen Beschlüsse des Herrn Thielen den Wahlkampf stören«, und in Bayern gar dankten Landesverband und Landtagsfraktion »für die rasche Amtsenthebung des Bundesvorsitzenden«.

So denken die meisten Nationaldemokraten, und sie sehen es wie der rheinland-pfälzische Partei-Vize Gerald Hammer: »Selbst wenn Thielen vor Gericht recht bekommen würde, könnte er in der NPD niemals mehr eine Rolle spielen.«

Ob die Nationaldemokratische Partei »fester dasteht denn je«, wie der Mainzer Landeschef Fritz May wissen will, steht zwar dahin. Aber jene, die hofften, »jetzt sprengen sie sich selber in die Luft« (Wilhelm Gutmann) sind vorerst getäuscht. Und wie zuvor wird die neue Bewegung antreten, »deutsche Männer und Frauen heimzuführen nach Deutschland«.

Doch das wird schwerer sein. Denn die NPD kann, wie ihr Ideologe Otto Heß erkannt hat, »den Leuten doch schlecht sagen, daß wir es zwei Jahre lang mit einem Hohlkopf zu tun gehabt haben«.

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