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Bonn »WIR ALLE HABEN DEN NOTSTAND SATT«

Der im Arbeiterwahlkreis Frankfurt-Nord-Ost direkt in den Bundestag gewählte Funktionär der notstandsfeindlichen IG Metall, Hans Matthöfer, 42, gilt als Wortführer der Linken in der Bonner SPD-Fraktion. Dem fünfsprachigen Fürsprecher der unter Francos Diktatur lebenden Spanier (Fraktions-Spitzname »Der Abgeordnete von Barcelona") gelang es im vergangenen Jahr, den Notstandsplänen der Großen Koalition mit Erfolg zu trotzen: Nachdem etwa hundert SPD-Abgeordnete einen von Matthofer und seinen Freunden vorgelegten Alternativentwurf unterzeichnet hatten, mußten die Fraktionsführer von der Regierungsvorlage abrücken.
aus DER SPIEGEL 16/1968

SPIEGEL: Herr Matthöfer, an Ihrem und Ihrer Fraktionsfreunde Widerstand ist im vergangenen Jahr die Kabinettsvorlage zur Notstandsverfassung gescheitert. Nun haben sich die Fraktionsspitzen der Großen Koalition auf einen neuen Kompromißentwurf geeinigt. Hat die CDU! CSU dabei Ihrer Partei nennenswerte Zugeständnisse gemacht oder nicht?

MATTHÖFER: Die SPD hat viele ihrer Vorstellungen durchsetzen können. Doch das Ergebnis befriedigt mich noch nicht. Meine Freunde und ich werden noch etwa zehn Änderungsanträge stellen müssen, bevor man wirklich mit unserer Zustimmung rechnen kann.

SPIEGEL: Sind denn die zehn Abänderungsanträge, die Sie noch stellen wollen, so gewichtig, daß sie für Sie eine Conditio sine qua non für die Zustimmung zur Notstandsverfassung sein könnten?

MATTHOFER: Nicht alle zehn, einige ja.

SPIEGEL: Welche?

MATTHOFER: Einmal meine ich, der neue Artikel 80a Absatz 3

SPIEGEL: ... das ist die Neufassung des Artikels. der die Rechte der Nato betrifft ...

MATTHÖFER: ... wo abweichend von unseren Vorstellungen vorgesehen ist, daß der Bundestag weder vorher zustimmen muß, noch nachträglich die Maßnahmen aufheben kann, welche die Regierung im Notstandsfall auf Beschluß internationaler Organe im Rahmen eines Bündnisvertrages trifft.

SPIEGEL: Sie meinen also, Absatz 3 hebt alles das wieder auf, was in den ersten beiden Absätzen des Artikels 80 gerade bestimmt worden ist

nämlich daß Dienstverpflichtungen, Beschränkung der Berufsausübung und Arbeitsplatzwechsel erst nach der Proklamation des Spannungsfalles mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag verfügt werden dürfen und wieder aufgehoben werden müssen, wenn das Parlament so beschließt?

MATTHOFER: Ja, und das ist neu. SPIEGEL: Aber das Problem ist doch so alt wie die ganze Notstandsfrage. Es war immer klar, daß wir als Nato-Mitglied, was militärische Alarmstufen anbelangt, den Anordnungen des Bündnisses unterstehen. Und es war auch immer Auffassung der Bundesregierung, daß solche Alarmstufen der Nato nur auf den militärischen Bereich »durchschlagen« und nicht auf unsere interne Notstandsregelung. Hat sich das jetzt geändert? MATTHÖFER: Dem militärischen Alarmkalender ist für jede Alarmstufe ein ziviler Alarmplan zugeordnet, der bei bestimmten Alarmstufen ausgelöst und durchgeführt wird. Ich kenne diese Alarmpläne nicht, aber ich vermute, daß dazu ohne weiteres auch Dienstverpflichtungen gehören können. Werden diese ausgesprochen, ohne daß das Parlament vorher mit qualifizierter Mehrheit zugestimmt hat, so widerspricht das den Parteitagsbeschlüssen der SPD.

SPIEGEL: Und dennoch hat Ihre Fraktionsspitze das sanktioniert?

MATTHÖFER: Ja. Aber manchmal werden im Zeitdruck solcher Verhandlungen Formulierungen gefunden, deren Sinn erst in der weiteren Diskussion voll erfaßt werden kann. Ich glaube, unsere Fraktionsführung wird sich überlegen müssen, ob darüber nicht noch ein neues Koalitionsgespräch erforderlich ist.

SPIEGEL: Das war einer Ihrer zehn Punkte. Was ist der zweite?

MATTHÖFER: Wir fordern das automatische Außerkrafttreten des Spannungs- und Verteidigungsfalles. Bei der vorgeschlagenen Regelung treten diese Zustände nicht automatisch außer Kraft. Wir wünschen aber ein automatisches Erlöschen nach vier Wochen, falls es bis dahin nicht zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen ist.

SPIEGEL: Was stört Sie an dem Koalitions-Kompromiß sonst noch?

MATTHÖFER: Die Regelung für den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Wir waren der Meinung, die Bundeswehr sollte gegen »bewaffnete Verbände« eingesetzt werden dürfen, und zwar zur Abwehr einer drohenden Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung, weil eben mit militärischen Verbänden niemand anders fertig werden kann als eine republiktreue Bundeswehr. Das hat man umgeändert in »Gruppen militärisch bewaffneter Aufständischer

SPIEGEL: Und dieser Begriff schreckt Sie?

MATTHÖFER: Aufständische könnten ja auch sein: mit als Waffen zu interpretierenden Geräten ausgerüstete Menschenzusammenballungen, mit denen eigentlich Polizei fertig werden kann. Wir wollen also nicht, daß die Bundeswehr in die Lage gerät, in der Bundesrepublik ...

SPIEGEL: ... auf Arbeiter zu schießen.

MATTHÖFER: Nicht das, sondern: Guerilla-Krieg zu üben, potentielle Terroristen aufzuspüren ...

SPIEGEL: ... oder die Wohnungen von Teufel-Kommunarden zu belagern, die dort Pudding panschen?

MATTHÖFER: Das ist natürlich übertrieben. Aber die Bundeswehr ist zur Verteidigung nach außen da. Man darf sie nicht in neue Zweifel stürzen über ihren Verteidigungsauftrag.

SPIEGEL: Wenn Sie mit allen diesen Forderungen nicht durchdringen, würden Sie es dann darauf anlegen, zusammen mit der FDP auch dem Koalitions-Kompromiß die nötige Zweidrittelmehrheit zu verweigern?

MATTHÖFER: Ich lasse bei meinen Überlegungen die FDP völlig aus dem Spiel. Wir müssen unsere eigene Entscheidung treffen. Und falls die SPD-Gesamtfraktion der Koalitionsvorlage in ihrer jetzigen Fassung mit Mehrheit zustimmt, müssen meine Freunde und ich uns überlegen, ob die Meinungsverschiedenheiten so groß sind, daß wir auch im Bundestag gegen den Beschluß unserer Fraktion stimmen. Diese Gewissensentscheidung kann uns niemand abnehmen. Sie würde uns sicher nicht leichtfallen.

SPIEGEL: Hat sich nicht mittlerweile auch auf der SPD-Linken zum Thema Notstand eine gewisse Müdigkeit breitgemacht?

MATTHÖFER: Ich glaube, wir alle haben den Notstand satt.

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