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BULGARIEN »Wir brauchen den Druck der EU«

Ivaylo Kalfin, 41, langjähriger sozialdemokratischer Wirtschaftsberater des Präsidenten und designierter Vize-Premier eines neuen Kabinetts unter Führung der sozialistischen Wahlsieger, über die Hängepartie bei der Regierungsbildung und die Auswirkungen auf den EU-Beitritt
aus DER SPIEGEL 33/2005

SPIEGEL: Seit inzwischen sieben Wochen feilschen Sozialisten und die anderen Parteien um die Bildung einer neuen Regierung. Gefährden sie damit nicht den Zeitplan für den geplanten EU-Beitritt Sofias 2007?

Kalfin: Wir hinken dem Fahrplan der EU und den von Brüssel gemachten Auflagen im Moment zugegebenermaßen ziemlich hinterher. Dies betrifft vor allem die neue demokratische Struktur der öffentlichen Verwaltung und die Reform des Justizwesens. Trotzdem bleiben wir zuversichtlich. Unser Kurs auf die euroatlantische Integration wird sich nicht ändern, wie immer die Regierung aussehen mag.

SPIEGEL: In wenigen Wochen wollen EU-Beobachter in Sofia eine Zwischenbilanz über den Stand der Vorbereitungen ziehen. Was ist, wenn die einen Aufschub des Beitritts empfehlen - was manchen Unionsmitgliedern durchaus recht wäre?

Kalfin: Der politische Schaden für Bulgarien wäre enorm, größer noch als der wirtschaftliche. Wir brauchen dringend den Druck der EU und den damit verbundenen Reformzwang. Nur dadurch wird unsere Wirtschaft stimuliert, und nur so können wir die nötigen Standards, auch die demokratischen, erreichen. Ein Aufschub unseres EU-Beitritts würde außerdem die nationalistischen Parteien, die ohnehin von einem Diktat Brüssels sprechen, erstarken lassen.

SPIEGEL: Radikale nationale Strömungen gibt es auch bei den Sozialisten. Einige würden Bulgarien gern wieder als Satelliten Moskaus sehen statt an der Seite Europas.

Kalfin: Das sind nur ein paar Außenseiter im Parlament. Wir haben unsere kommunistische Ideologie längst abgestreift. Aber zweifellos müssen unsere Beziehungen zu Russland verbessert werden. Weil wir Moskau zehn Jahre lang als Teufel gebrandmarkt haben, sind bulgarische Produkte vom russischen Markt fast verschwunden. Da wir aber von russischen Energielieferungen abhängen, wächst unser Handelsdefizit ins Uferlose.

SPIEGEL: Wenn eine sozialistisch geführte Regierung nur den politischen Kurs ihrer bürgerlichen Vorgänger fortsetzen will und sogar eine Zusammenarbeit mit der Partei von Ex-Premier Simeon Sakskoburggotski in Erwägung zieht, warum haben die bulgarischen Wähler dann überhaupt den Wechsel gewollt?

Kalfin: Wir haben bessere Konzepte für eine erfolgreiche Wirtschafts- und eine gerechtere Sozialpolitik, die bisher grob vernachlässigt wurden. Unser Gesundheitswesen, insbesondere der Zustand der Krankenhäuser, ist eine Blamage für ein künftiges EU-Mitgliedsland.

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