»Wir brauchen ein Apollo-Programm«
An der deutschen Küste, in den Seehäfen, stehen die Signale auf Sturm. Drei Jahre schon, meldet der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe, schrumpfte der Außenhandel über die nasse Grenze: von 1980 an um 16 Prozent.
Der Warenumschlag über See, besonders der ausgehende Stückgutverkehr, gilt als Meßziffer für die Exportherrlichkeit eines Landes - und diese Meßziffer zeigt nach unten. Selbst im Jahr der Wende, 1983, noch.
Nicht weit von den Umschlagstätten der Seehafenwirtschaft flaggt eine zweite Branche halbmast. Die Werften, einstiges Glamourgewerbe der Küstenregion, wären klinisch tot, würden sie nicht künstlich am Leben gehalten: durch Subventionen, Militärschiffsbau und Fusionen, die alle nur tarnen sollen, was wirklich ist - Liquidation, Stillegung, Pleite.
Außer mit den Werften und dem Güterumschlag steht es auch mit der dritten im Außenhandel beschäftigten Küstenbranche nicht zum besten: Die großen Linienreedereien, voran Hapag-Lloyd, melden Ladungsrückgang in den meisten Fahrtgebieten.
Zweihundert Kilometer binnenwärts schreibt Westdeutschlands dereinst erfolgreichster Autokonzern, das Volkswagenwerk in Wolfsburg, trotz bester Lage auf dem Binnenmarkt 300 Millionen Mark Verlust: Die Produktion in Übersee, besonders in den USA, Brasilien und Mexiko, ist zusammengebrochen. In Mexiko und Brasilien brachten landeseigene Schwierigkeiten die deutschen Autobauer zu Fall. In den USA mußte Volkswagen japanischer Konkurrenz weichen.
Japanische Konkurrenz auch brachte den niedersächsischen Autokonzern an einer zweiten Front ins Wanken: Die VW-Elektroniktochter Triumph-Adler, mit vielen Millionen gekauft, um auch in schlechten Autozeiten Geld verdienen zu können, steckt tief in den roten Zahlen.
Noch weiter südwärts, im fränkischen Fürth, ging der Radiokonzern des Max Grundig, Urbild unternehmerischer Leistungskraft in einem Fortschrittsgewerbe, mit dem System Video 2000 zu Boden. Grundig und sein Partner Philips beschlossen, künftig vorwiegend Geräte nach dem japanischen VHS-System zu bauen: Die für das japanische Konzept geeignete Software hat einen Marktanteil
von 63 Prozent erreicht, die für Video 2000 fiel auf 14 Prozent zurück.
»Bei Videorecordern, dem großen Wachstumsgebiet der achtziger Jahre«, beklagte Bernhard Plettner, Aufsichtsratsvorsitzender und einstiger Chef des Münchner Elektro-Multi Siemens, »dürften die Japaner heute schon einen Weltmarktanteil von über 90 Prozent haben.« In Deutschland schafften sie gut 70 Prozent.
Bei Schwarzweiß-Fernsehgeräten haben die Asiaten - neben Japan noch Hongkong, Singapur, Thailand und Korea - einen Weltmarktanteil von rund 75 Prozent erreicht. Bei Photo-, Phono- und Radiogeräten liegen sie einsam in Front. Auch beim Bau von Seeschiffen haben sie alle anderen hoffnungslos abgehängt: Rund 60 Prozent des Weltschiffbaus spielt sich im Fernen Osten ab. Seit 1980 sind die Japaner zudem Nummer eins im Automobilbau.
Was immer nach dem Zweiten Weltkrieg an technischen Massenerzeugnissen neu auf die Märkte kam, ist eine Sache hochentwickelter pazifischer Nationen geworden. Was immer an Uralt-Techniken ohne besondere Raffinesse hergestellt werden kann, erledigen die asiatischen Schwellenländer.
Schritt für Schritt und mit wachsendem Tempo haben sich Produktionszentren, Kapitalsammelstellen und Arbeitsplätze von der atlantischen in die pazifische Zone verlagert. »Japan«, so Bruce Nussbaum vom amerikanischen Wirtschafts-Magazin »Business Week«, »ist das Zentrum des ökonomischen Wirbelwindes.«
In seinem kürzlich erschienenen Buch »The World after Oil - The Shifting Axis of Power and Wealth«, läßt Nussbaum besonders die Deutschen, bislang noch das führende Industrievolk Europas, in diesem Wirbelwind umkommen. »Wenn es jemals eine Nation gab, die stolpern wird, während die Welt in die Nach-Opec-Ära fortschreitet«, behauptet er kühn, »dann ist es Deutschland.«
Deutschland könne »nicht konkurrieren, wenn es um High Technology geht, also Roboter, Telekommunikation, Bauelemente, Computer, Halbleiter, Consumer Electronics«. Die Japaner dagegen würden auch in sämtlichen anderen Zukunftsmärkten die Führung übernehmen, »genauso wie sie die Märkte für Fernsehen, Videorecorder, Halbleiter, Stahl, Schiffbau und Automobile erobert haben«.
Gerhard Prinz, der am 29. Oktober gestorbene Daimler-Benz-Vorsitzer, hieb noch am 26. Oktober 1983 vor der Deutschen Weltwirtschaftlichen Gesellschaft zu Berlin in die gleiche Kerbe. Bei seinem letzten öffentlichen Auftritt mahnte der Chef des reichsten und erfolgreichsten deutschen Industrieunternehmens, »daß unsere Wettbewerbsfähigkeit im Weltmaßstab in den letzten zehn Jahren erheblich nachgelassen hat. Wir haben Beschäftigung verloren - insbesondere an die Japaner«.
Verschläft das Industrievolk der Deutschen seine Zukunft? Ruht es sich darauf aus, die Technik der Vergangenheit zu beherrschen?
Selbstquälerisch, wie sie ist, hält sich die Nation der Gottlieb Daimler und Carl Benz, der Werner von Siemens und Justus von Liebig, der Max Planck, Hermann Staudinger und Werner Heisenberg neuerdings vor, wie schlecht sie nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Verteilung naturwissenschaftlicher Nobelpreise weggekommen sei. Hier sind es die USA, deren Wissenschaftler Neid und ohnmächtige Bewunderung ernten.
»Der Boden in Amerika«, gibt Siemens-Aufseher Plettner zu, »ist da sicher am fruchtbarsten.« Allein die privat finanzierte Stanford Universität im kalifornischen Palo Alto zählt in ihrem gegenwärtigen Lehrkörper neun Nobelpreisträger für Naturwissenschaften.
Die Bundesrepublik Deutschland erhielt nach dem Zweiten Weltkrieg kaum
mehr naturwissenschaftliche Preise als diese eine Universität in den USA - insgesamt zwölf, von denen einige noch mit Entdeckungen aus den zwanziger Jahren zu tun hatten.
Auf der US-Seite des pazifischen Raumes ist der nächste, der allerneueste Schub wissenschaftlich-technischer Entwicklung losgegangen - ohne die Deutschen: die Mikroelektronik und die Gen-Technik.
Die Früchte dieser Arbeiten brachten Amerikas Zukunftsindustrie rasch nach vorn. Schon bei den in Kalifornien ersonnenen elektronischen Bauelementen lagen die USA 1980 mit 35 Prozent Weltmarktanteil an der Spitze, gefolgt von den Japanern mit 29 Prozent. Die Europäer sind mit 15 Prozent weit abgehängt.
Bei den sogenannten integrierten Schaltkreisen, also den Bauelementen der Mikroelektronik, besitzen die US-Firmen einen Marktanteil von 60 Prozent, doppelt so hoch wie jener der Japaner. Für die Europäer blieben magere zehn Prozent.
In der elektronischen Datenverarbeitung ist der Vorsprung der USA noch dramatischer. Auf diesem Gelände beherrscht schon eine einzige US-Firma, der multinationale Konzern IBM, 55 Prozent des Weltmarktes. Für die elektronische Datenverabeitung sollen die Märkte nach Expertenrechnungen bis 1990 um jährlich fast zehn Prozent wachsen.
In der Gen-Technologie, deren industrielle Verwertung Anfang der siebziger Jahre im Westen Amerikas begann, stehen die Deutschen schwach da. Das Pionierland der künstlichen Düngemittel, der organischen und der anorganischen Chemie, der Kunststoff- und Chemiefasertechnik muß sich amerikanischen Know-hows bedienen: Für 50 Millionen Dollar holte sich der Chemiekonzern Hoechst bei der amerikanischen Harvard University einen gen-technischen Kooperationsvertrag. In Deutschlands Hochschulen war nichts zu holen.
Die Deutschen, spottet Nussbaum, stellten die besten Erzeugnisse der 19.-Jahrhundert-Technologie her - Automobile, Maschinen, Elektrogeräte -, sie »mögen es jetzt noch nicht wissen«, schreibt Nussbaum, »aber die gesamte industrielle Grundlage ihres Landes verkommt«.
In der Tat haben Deutschlands Großunternehmen, Siemens voran, in der Großcomputertechnik, in der Datenverarbeitung und in der Halbleitertechnik den Anschluß verpaßt. Sie sind von den Anrainern des Pazifiks überrollt worden. Sie müssen ihr Heil darin suchen, von anderen entwickeltes Wissen zu kaufen.
Trotz enormen öffentlichen Aufwands fehle den Deutschen, moniert auch Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber, »der Zugang zur Spitzenforschung, und bei einigen wichtigen Bereichen sind wir hinten runtergefallen«. Quick, wie er ist, forderte FDP-Partei-Chef Hans-Dietrich Genscher schon privat finanzierte Elite-Universitäten nach Stanford-Muster, um die Deutschen wissenschaftlich wieder nach vorn zu bringen.
Das aber, sagen die Industriekapitäne des Landes unisono, sei es nicht allein. Nicht nur der allseits beklagte Mangel an technischer Innovation zehre an der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen. Die sozialen Belastungen der Unternehmen, die im Vergleich zur auswärtigen Konkurrenz überhöhten Lohnstücckosten, überhaupt das extrem hohe Lohnniveau und die vergleichsweise geringe Ausnutzungszeit technischer Anlagen kämen hinzu.
Nicht nur in Qualität, Fortschrittlichkeit und Service gelte es mit anderen zu konkurrieren, auch der Preis-Kosten-Wettbewerb spiele im Wettkampf der Kontinente eine Rolle.
Tatsächlich sind die Personalkosten je geleistete Arbeitsstunde 1982 etwa in der deutschen Automobilindustrie um rund 35 Prozent höher gewesen als in Japan, die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden dagegen ist um 20 Prozent niedriger: 1600 Stunden im Jahr, im Gegensatz zu fast 2000 in Japan.
Dieser Unterschied macht für die Japaner einen doppelten Produktionskostenvorteil aus, mit dem sie den horrenden Transportkostenaufwand für die Ausfuhr ihrer Automobile nicht nur ausgleichen, sondern überdies noch billiger anbieten können.
Weitere Vorteile der Japaner, so Gerhard Prinz in Berlin, kämen bei der Bewertung hinzu: »Hohes Engagement, große persönliche Bescheidenheit, großer Fleiß, hohe Leistungen, Betonung
der Gemeinsamkeit, weltwirtschaftlicher Eroberungswille.«
Es sind die mehr als preußisch, gar als imperialistisch bekannten Eigenheiten der Fernöstler, die dem Unternehmensführer da imponierten. Sein Stuttgarter Nachbar Peter W. Schutz, deutsch-amerikanischer Chef der Sportwagen- und Technologiefirma Porsche, hat indes auch auf der Unternehmensseite Lücken ausgemacht. Die Deutschen, sagt er, seien »sehr verwöhnte Verkäufer«, sie könnten nicht um den Kunden kämpfen. Gerhard Adler, Deutschland-Statthalter des US-Technologie-Experten John Diebold, drückte es vornehmer aus: Es gebe bei den Germanen eine »Marketing-Lücke«.
Der stete Hinweis nämlich auf die zu hohen Kosten, im Inland geeignet, um die Gewerkschaften zu disziplinieren, ruiniert im Ausland das Erscheinungsbild der deutschen Industrie. Eugen Seibold, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, warnte denn auch zu Recht vor allgemeiner Hysterie. In einer Fernsehdiskussion empfahl er knapp: »Das Gejammer muß etwas korrigiert werden.«
Bernhard Plettner von Siemens, der neuerdings ein optimistisches Bild der deutschen Wettbewerbslage zu zeichnen beginnt, durfte das Ergebnis so eifriger Selbstbezichtigung im feindlichen Japan ganz unmittelbar erfahren: »Da haben die Reporter mich gar nicht erst gefragt, ob die deutsche Elektroindustrie den Anschluß verpaßt hat, sondern was sie denn tun wolle, nachdem sie ihn nun verpaßt habe.«
Redet sich die Nation der Deutschen, kräftig unterstützt von auswärtigen Kommentatoren, um den guten Ruf des Made in Germany? Verliert sie auf den Weltmärkten an Ansehen und Respekt, nur weil sie drinnen die Gewerkschaften und die Bildungseinrichtungen, die Sozialpolitiker und die SPD-geführten Bundesländer disziplinieren will?
Erzeugt sie mit ihrer Kampagne gegen sich selbst, was sie eigentlich verhindern möchte: eine zweitrangige Industrienation zu werden?
Für Untergangsstimmung gibt es keinen Grund.
Die trostlosen Umschlagszahlen in den deutschen Häfen nämlich sagen nicht die ganze Wahrheit. Zunehmend geht der Güterexport über die Beneluxhäfen. Die Kalamitäten mit der modernen Technologie und die Ausrutscher des Volkswagenwerks sind bisher noch von anderen Branchen und anderen Firmen ausgeglichen worden.
Schon vor dem von der Wirtschaft mitinszenierten Regierungswechsel zu Bonn ist der westdeutsche Export Jahr für Jahr gestiegen. 1980, im Jahre des sozialliberalen Wahlsiegs, exportierten die Deutschen Waren und Dienstleistungen im Werte von 430,6 Milliarden Mark, 29 Prozent ihrer gesamten Produktion von Gütern und Dienstleistungen, genannt Bruttosozialprodukt.
1981 stieg die Ausfuhr auf 495,9 Milliarden Mark oder 32 Prozent des Bruttosozialprodukts, 1982 noch einmal auf 535,6 Milliarden Mark oder 33,5 Prozent.
Kein anderes unter den strukturell vergleichbaren Industrieländern exportiert gegenwärtig einen so hohen Anteil seines Bruttosozialprodukts wie die Bundesrepublik. Während nämlich die Deutschen 33 Prozent ihres Geldes im Ausland verdienten, kamen die allseits bewunderten Japaner auf 17, die technisch führenden Amerikaner gar nur auf zwölf Prozent.
Kein anderes Land auch mit Ausnahme der viermal so bevölkerungsstarken USA übertrifft die Bundesrepublik in den absoluten Zahlen ihrer Ausfuhren: Das zum Killer deutscher Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten hochgestylte Japan ist nur mit 7,6 Prozent am Weltexport beteiligt, die Deutschen mit 9,6 Prozent.
Noch besser sehen die Deutschen aus, wenn es um den Fertigwaren-Export geht, die eigentliche Stärke eines Industrielandes. Hier erreichte die westdeutsche Industrie schon 1980 einen Weltanteil von 19 Prozent, die Amerikaner erzielten 17 und die Japaner 14 Prozent.
Im Export von Automobilen, elektrotechnischen Erzeugnissen, Textilien, feinmechanischen und optischen Instrumenten, neuerdings von Flugzeugen und leider auch von Waffen, bringen die Deutschen erstklassige Werte.
Besonders prominente Umsatzträger im Exportgeschäft sind die Automobil- und die Elektroindustrie. In beiden Branchen ließen die Deutschen sämtliche anderen europäischen Nationen weit hinter sich.
Mit einem Gesamtwert von 75 Milliarden Mark rückte Westdeutschlands Autoindustrie 1982 zum größten Warenexporteur des Landes auf. Sie verkauft regelmäßig 55 bis 60 Prozent ihrer Personenwagen-Fertigung im Ausland und 60 Prozent der Lastwagen. Bei den Lkw der Klasse von 16 Tonnen aufwärts sind es sogar 70 Prozent.
Von 1973 bis 1982 haben die deutschen Autohersteller ihre Pkw-Exporte nach Westeuropa um 55 Prozent erhöht. Der Marktanteil deutscher Fahrzeuge im Europa außerhalb der Bundesrepublik stieg während dieser Zeit von 12 auf 19 Prozent.
In den Autoländern Frankreich und Italien haben die Westdeutschen ihren Marktanteil binnen eines Jahrzehnts von 11 auf 18 Prozent, in Großbritannien gar von 6 auf 24 Prozent hochgeschoben. Umgekehrt ist der Marktanteil französischer Automobile in Deutschland von 16 auf acht Prozent, der italienischer von sechs auf fünf Prozent und jener der Briten von einem auf 0,3 Prozent gesunken.
In der Weltproduktion von Kraftfahrzeugen nehmen die Deutschen mit 4,1
Millionen Fahrzeugen aller Art einen sicheren dritten Platz ein - hinter den Japanern (10,7 Millionen) und den Amerikanern (knapp sieben Millionen).
»Der Ruf der deutschen Technologie«, freut sich Porsche-Chef Schutz, »liegt bei den vier süddeutschen Automobilfabriken« - bei Audi, BMW, Daimler-Benz und Porsche. Selbst Robert A. Lutz, gegenwärtig dritter Mann im internationalen Ford-Konzern, ist überzeugt: »Die besten Autos der Welt werden in Deutschland gebaut.«
Weltklasse blieben die Deutschen auch im Spezialmaschinenbau. In der Bundesrepublik, besonders in ihrem südwestlichen Teil, arbeiten rund 5500 meist mittelgroße Maschinenbauanstalten, oft Familienbetriebe, die sämtlich feste Verbindungen zu Kundengruppen überall in der Welt pflegen.
Ohne ein paar schwäbische Mittelbetriebe, so die gesicherte Kenntnis der Autobranche, wäre selbst Detroit nicht in der Lage, Automobile zu bauen. Denn aus Schwaben kommen Spezialitäten, die niemand sonst in der Welt so gut und so preiswürdig herstellen kann.
Dazu gehört etwa die Stuttgarter Firma des zur AEG-Sanierung abkommandierten Familienunternehmers Heinz Dürr. Ihre Lackierstraßen für Automobilfabriken und ihre Roboter werden selbst nach Japan geliefert.
Weltruf im Bau von Motorkühlern und Klimatisierungsanlagen hat die Süddeutsche Kühlerfabrik Julius Behr in Stuttgart. Durch weltweiten Export von großen Karosseriepressen brilliert die Maschinenfabrik Müller-Weingarten AG. Die Maschinenbaufirma Stotz AG in Kornwestheim liefert deutsche Fördertechnik, vor allem für automatische Fabrikstraßen, in alle Welt.
Die Werkzeugfabrik August Läpple in Heilbronn gehört ebenso zu den international anerkannten Spezialitätenherstellern wie der Walzlagerhersteller Schaeffler KG in Herzogenaurach und die Frankfurter Bremsenfabrik Teves. Die Robert Bosch GmbH in Stuttgart wuchs über Automobilzubehör und Elektronik selbst zu einem umsatzstarken Weltkonzern heran.
Auch im vernachlässigten Norden haben sich mittelständische Spitzenunternehmen gehalten. Marktführer im Bau von Zigarettenmaschinen ist der Hamburger Unternehmer und Mäzen Kurt A. Körber. Spitzentechnik im Pumpenbau liefert die Hamburger Pleuger Unterwasserpumpen GmbH. Führend in der Herstellung bestimmter medizinisch-technischer Apparate ist die Lübecker Drägerwerk AG.
Auch die größeren Maschinenbau-Unternehmen der Deutschen gelten als international erstklassige Partner. Diebold-Manager Adler sieht die besondere Stärke der Deutschen dabei in ihrer Sensibilität für spezielle Kundenwünsche. »Die sehen sich ein Maschinenbauproblem an und lösen es dann nach Wunsch.«
Als besonders begabt gelten die deutschen Ingenieure auch im Bau großer Industrieanlagen wie Raffinerien, chemischer Fabriken, Kraftwerke, Stahlwerke und kompletter Kommunikationsnetze.
In der heftig umstrittenen und auch nicht mehr so gut verkäuflichen Reaktortechnik haben sie sich dabei ganz nach vorn geschoben. In Deutschland oder von Deutschen gebaute Kernkraftwerke wiesen die geringsten Ausfallzeiten, also die größte Zuverlässigkeit aus. Klaus Barthelt, Chef der Siemens-Tochter Kraftwerk Union (KWU), stolz: »Wir sind halt besser.«
Im Anlagenbau treffen sich die großen Maschinenhersteller mit den Starkstromabteilungen
der Elektroindustrie. Diese Technik, eine besondere Stärke der westdeutschen Industrie, besitzt mit 32 Prozent den größten Anteil am Weltelektromarkt.
Seit 1973 haben die Elektrokonzerne und Maschinenbauanstalten in aller Welt Dampfturbinen mit einer Gesamtleistung von 342 000 Megawatt gebaut. Daran waren die Europäer mit 40 Prozent, die Amerikaner mit 23 und die Japaner mit 20 Prozent beteiligt. Die Staatshandelsländer lieferten zwölf Prozent.
An der Fertigung von Hochspannungsschaltanlagen, Gleichrichteranlagen
für die metallurgische und die chemische Industrie und von Walzwerksausrüstungen sind die Europäer in den vergangenen zehn Jahren mit 70 bis 80 Prozent dabeigewesen, die Japaner mit 20 bis 30 Prozent. Westdeutschlands Anlagenbau-Unternehmen, voran die GHH-Gruppe, die Deutsche Babcock, Krupp, Mannesmann und die Hamburger Firma Claudius Peters blieben auf Weltniveau.
Auch im Bau ganzer Nachrichtennetze haben sich Deutsche und Europäer gut gehalten. Ericsson (Schweden), Thomsen CSF (Frankreich) und Siemens, allerdings auch die deutsche ITT-Tochter Standard Elektrik Lorenz, liegen dabei vorn.
Seit der Siemens-Konzern sein neues EWSD-Telephonsystem erstmals in Südafrika installieren durfte, hat er Aufträge für 13 andere Länder-Telephonsysteme bekommen und steht damit in der Welt einzig da. Insgesamt ist die deutsche Kommunikationstechnik mit 19 Prozent am Elektromarkt beteiligt.
Während der von den Europäern maßgeblich betriebene Großanlagenbau und die Kommunikationstechnik gut zur Hälfte am elektrotechnischen Weltumsatz beteiligt ist, haben die sehr viel populäreren elektrischen Konsumartikel - Haushaltsgeräte etwa - nur einen Anteil von 17 Prozent. Sie sind - ebenso wie einfache Elektromotoren - keine Exportwaren mehr, sie werden fast überall in den Verbraucherzentren selbst hergestellt.
Die großen Exportknüller der Rundfunk-, Fernseh- und Phono-Industrie sind an den Umsätzen der Elektroindustrie weit weniger beteiligt, als ihr Bekanntheitsgrad vermuten läßt: mit sieben Prozent. Auch elektronische Bauelemente machen nur sieben Prozent aller Elektroumsätze aus. Sie sind allerdings, gibt Siemens-Aufseher Plettner zu, »Schlüsseltechnologien, die man beherrschen sollte«, auch wenn sie woanders zuerst entwickelt worden sind.
Auch ein anderes Fortschrittserzeugnis der Amerikaner, die elektronische Datenverarbeitung, ist nur mit knapp sieben Prozent am Welt-Elektromarkt beteiligt. Hier allerdings haben die Europäer aufgeholt. Olivetti, Philips und Kienzle (Mannesmann) gelten inzwischen als international renommierte Hersteller.
Die Nixdorf-Gruppe des Paderborner Privatunternehmens Heinz Nixdorf ist dank verschiedener technologischer Durchbrüche eine zuweilen konkurrenzlose Firma geworden. Neuerdings brilliert sie auf dem Markt der Spezialrechner für das Bankengewerbe.
Am Gesamtumsatz der Welt-Elektroindustrie von 1500 Milliarden Mark (1982) waren die Amerikaner mit 33, die Europäer mit 23 und die Japaner mit 19 Prozent beteiligt. Den Rest von 25 Prozent brachten Staatshandels-, Schwellen- und Entwicklungsländer.
Die westdeutsche Elektroindustrie allein fertigte 1982 Waren im Wert von 100 Milliarden Mark, 30 Prozent der gesamten westeuropäischen Produktion und damit fast soviel wie die britische und französische Elektroindustrie zusammen. Kaspar Cassani, Europachef des US-Computer-Konzerns IBM, gibt den Deutschen besonders beim Bildschirmtext erstklassige Noten. Auf diesem Gebiet besitze die Bundesrepublik »eine Plattform, wie sie in keinem anderen Land einschließlich der USA und Japan realisiert ist«.
Weniger abgeschlagen, als die Welt vermutet, sind die Deutschen im Bau von Industrierobotern. Der Amerikaner Nussbaum rechnet fälschlich vor, die Japaner hätten 13 000, die Amerikaner 4000 und die Europäer 2500 Roboter installiert.
In Wahrheit haben allein die Deutschen inzwischen mehr als viertausend. Vier renommierte Hersteller, zugegeben zu spät gestartet, beliefern die heimischen Märkte und drängen neuerdings in den Export. Das Volkswagenwerk stellt seine Roboter selbst her. Die Halle 54 in Wolfsburg, wo der neue Golf gebaut wird, ist gegenwärtig die futuristischste Autofabrik der Welt.
Weit vorn in Umsatz und Qualität liegen auch die westdeutschen Chemieerzeugnisse und Pharma-Fabrikate. 1982 setzte die Chemieindustrie 118 Milliarden Mark um und exportierte 41 Prozent ihrer Fertigung. 1983 wird sie 125 Milliarden Mark Umsatz erreichen.
Mit den drei IG-Farben-Nachfolgern Bayer (Leverkusen), Hoechst (Frankfurt) und BASF (Ludwigshafen) sind die Deutschen gleichzeitig auch mit dem größten nationalen Chemie-Trio der Welt zur Stelle.
Denn die Großen Drei in Deutschland gelten hinter der US-Firma Du Pont de Nemours als Nummer zwei bis vier im internationalen Chemiegeschäft. Bevor der US-Dollar seine Klettertour von 1,75 auf 2,75 Mark antrat, waren die deutschen Chemiekonzerne im Dollar-Umsatz sogar als die drei größten der Welt geführt worden.
Mit dem hohen Dollarkurs liegen die deutschen Konzerne andererseits besonders gut im Wind. Selbst ihre teuren Produkte werden auf dem Weltmarkt dadurch relativ billig.
Der überbewertete Kurs der Leitwährung und die Unterbewertung der eigenen Devise wirken wie eine Exportsubvention. Mit solcher Droge sind auch Mehrkosten, die durch den Zukauf woanders entwickelter Technologie entstehen, glatt zu überwinden: Deutschland, ein Industrieland auf Abruf?
Noch immer und erkennbar für lange Zeit liegen die größten Industrieumsätze dort, wo es um konventionelle Technik geht, um die »19.-Jahrhundert-Technologie«, wie der Amerikaner Nussbaum griesgrämig vermerkt.
Auch künftig, so ein Spitzenmanager der deutschen Industrie, werden konventionelle Massenwaren die Hauptumsätze bringen. Automobile, Chemieartikel, Elektrogeräte für den Haushalt, sämtliche Produkte mit einer Lebensdauer von ungefähr zehn Jahren, treffen auf weitaus höhere Nachfrage als die Knüller aus dem Fernen Osten, die Apparate der Unterhaltungselektronik, die Photoausrüstungen und die Instrumente der Minitechnik.
Weiterhin auch wird der Großanlagenbau aller Art mehr Umsatz bringen als der Großcomputerbau. Und überhaupt, so ist in den Vorstandsetagen deutscher Unternehmen neuerdings zu hören, wird die Herrschaft über das Reich der Computer und der Kommunikationstechnik nicht das allein Entscheidende sein.
Erst der sinnvolle Einsatz dieser »Hardware«, nämlich ihre Nutzung durch perfekt zubereitete »Software« mache den industriellen Rationalisierungseffekt aus. Und in der Fertigung von Software seien die jungen Deutschen äußerst phantasievoll. Cassani: »Bei den hoch ausgebildeten Fachkräften liegt die Bundesrepublik an der Spitze.«
Als weitere Stärken der Deutschen gelten neben Spitzenleistungen bei den 19.-Jahrhundert-Technologien pünktliche Ablieferung, zuverlässiger Service und harmonische Gesamtfertigung. Vor allem haben es westdeutsche Unternehmen geschafft, eigenentwickelte konventionelle Technik mit zugekauftem Knowhow zu kreuzen.
Stärken und Schwächen, unterschiedliche Talente und verschiedene Sozialtraditionen bekommen in Zeiten der Krise deutlichere Konturen als sonst. In der
neuen, nun seit 1973 währenden Weltwirtschaftskrise, die durch Marktsättigungen und ganz neue Produktionstechnologien geprägt ist, findet zwischen den Kontinenten eine Neuverteilung der Kräfte statt. Die Europäer, die Deutschen können dabei wegrutschen, wenn sie sich nicht vorsehen. Aber auch in den USA und Japan können Verwerfungen kommen: Der totgeglaubte kapitalistische Prozeß ist neu und elementar in Bewegung geraten.
In Globalprozessen solcher Größe gibt es den einen Gewinner und den einen Verlierer nicht. Auf verschiedenen Gebieten des technischen Angebots wird es unterschiedliche Spitzenreiter geben.
Die Europäer haben ihre von Nussbaum so genannte 19.-Jahrhundert-Technologie zu höchster Blüte entwickelt - Folge der vormals auf Europa konzentrierten Basiserfindungen; Folge auch der Struktur europäischer Hochschulen und mitteleuropäischer Breitenbildung.
Die Amerikaner haben ihren technologischen Wirbelwind ein halbes Jahrhundert später entfacht, weil die Voraussetzungen dafür gerade in den fünfziger Jahren ideal gewesen sind: Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte an Hochschulen, im mittleren Gewerbe und im militärindustriellen Komplex - Luft- und Raumfahrt - Hochstimmung.
Inzwischen aber, so Stanford-Präsident Donald Kennedy, seien diese Voraussetzungen längst nicht mehr so gut. Die Impulse des Jahres 2000 würden nicht unbedingt mehr an den US-Universitäten vorbereitet. Auch andere hätten wieder eine Chance.
Die Japaner schließlich haben, erstaunlich genug, noch nie eine Basiserfindung abgeliefert. Sie haben, bisher unwiderlegt, einen »creative gap« (Plettner), eine kreative Lücke, sie sind vorzügliche Vollender, aber keine Erfinder. Wie bei ihnen der Fortschritt aussieht, wenn sie anderen nichts mehr nachmachen können, ist noch nirgends sichtbar.
Was immer gegenwärtig als »japanisch« gilt, ist in Amerika und Europa erfunden worden: Die Hi-Fi-Technik in den USA, die Videotechnik ist bis zur Marktreife vom niederländischen Philips-Konzern entwickelt worden. Spiegelreflex-Kameras gab es zuerst in Deutschland, Mikroprozessoren in den USA. Die Farbfernsehtechniken stammen aus den USA (NTSC), Deutschland (Pal) und Frankreich (Secam).
In der technischen Phantasie sind sich bislang stets nur Amerikaner und Europäer kongenial gewesen. Ihre gemeinsamen Kulturtraditionen brachten den alten und neuen Kontinent immer wieder zusammen. Die äußeren Voraussetzungen des Fortschritts jedoch waren für Amerika in den vergangenen Jahrzehnten besonders gut. Die Pioniertraditionen des weiträumigen Landes zahlten sich aus.
Während in Europa, vor allem in Deutschland, Großtechnologie und Großunternehmen einseitig gefördert werden, obwohl die Kreativität bei beiden meist unterentwickelt ist, schossen in den USA massenhaft Kleinunternehmen aus dem Boden. Das Gründungsfieber nahm zu, als um 1970 die Arbeitsplätze in den großen Technologieunternehmen wegen des gekürzten Wehr- und Raumfahrt-Etats wackelten.
»Viele innovative Amerikaner«, bekannte ein deutscher Manager, »haben sich damals gesagt, was soll ich mich über Westinghouse ärgern - da mache ich lieber meinen eigenen Laden.« So entstanden quer durch den Kontinent,
gruppiert um die jeweiligen Universitäten, Tausende von Kreativunternehmen.
Technischen Auftrieb erhielten die Amerikaner bald darauf erneut durch ihren übermächtigen militärindustriellen Komplex und die Raumfahrt, beides staatlich subventionierte und unter dem Druck des Wettkampfs der Weltsysteme sehr effiziente Technologiebastionen. Weder Japaner noch Europäer besitzen ein Silicon Valley und ein so wild entwickeltes militärindustrielles Potential.
Was letztlich aus der schnell austauschbaren Technologie des Westens geholt wird, hängt nicht nur von innovativen Schüben ab. Die Japaner haben vorgeführt, wie rasch das Lernen und das Nachahmen geht. Die erfindungsreichen Amerikaner führen vor, wie schnell zuweilen ein Vorsprung wieder zu verspielen ist. Die Europäer versuchen zu demonstrieren, daß es dazwischen einen dritten Weg gibt: Wie immer die künftige Dreiteilung der industriellen Welt im Westen aussieht - die Kulturtraditionen spielen eine Rolle dabei.
Die von ihren eigenen Erfindungen hochgetragenen Amerikaner leben in der Verhaltensweise ihrer Pionierväter. Äußerste Perfektion bei Sekundärtechnik ist nicht ihre Särke. Detroits Autos zeigen das ebenso wie Kühlschränke von Westinghouse, wie Farbfernsehgeräte von RCA oder sogar die winzigen Pannen des Space Shuttle.
Gewinne müssen beim US-Management schnell kommen, lange Anlaufzeiten bei technischen Neuerungen sind nicht populär. Sie schaden dem Ansehen der Unternehmensführer, die alle Vierteljahr an der New Yorker Börse ihre Bilanzen abliefern müssen und dafür positive Zahlen brauchen.
Das Bemühen ums schnelle Geld bringt gelegentlich aber auch sehr rasche Durchbrüche. Sie wiederum sind möglich, weil in Universitäten und Unternehmen über der oft sehr durchschnittlichen Basis eine dünne Schicht von Weltklasseleuten arbeitet.
Diesen Eigentümlichkeiten vor allem danken die Amerikaner ihren immer wieder hervorbrechenden technischen und wirtschaftlichen Vorsprung. Doch die so gewonnenen Vorteile setzen sie aus dem gleichen Grund leicht wieder aufs Spiel. Ihre Superleistungen müssen sie immer wieder mit dürftigem Durchschnittsniveau verknüpfen. Die Europäer - Deutsche, Franzosen, Italiener - mit weniger Spitzenprodukten, aber besserer Durchschnittsarbeit, holen folglich immer wieder auf.
Amerikaner und Europäer reichen beide nicht an die fanatische Perfektion der Japaner. Japanische Fertigungs- und Mikrotechnik schlägt alles - japanische Strategie der Markteroberung in bestimmten Segmenten ebenfalls.
»In der Fertigungstechnik für Automobile«, so Ford-Mann Lutz, »sind die Japaner unumstritten die Nummer eins.« Deshalb konnten sie den Wankel-Motor perfektionieren und jedes ihrer Autos konkurrenzlos gebrauchssicher machen. Deshalb haben Japan-Autos das beste Gütesiegel für Verläßlichkeit und Wirtschaftlichkeit. Einen besonderen Pfiff haben sie nicht.
»Die Japaner«, umreißt Porsche-Schutz die Grenzen der Fernöstler, »werden nicht die ganze Welt erobern. Die haben eine Kommandowirtschaft.« Sie haben, mit anderen Worten, Geduld, aber kein Genie.
»Das Merkmal japanischer Exportstrategie ist die Selektivität: Man sucht sich technisch anspruchsvolle Artikel aus, die sich für die Massenproduktion eignen und auf einen schnell wachsenden Markt gehen«, bemerkt Siemens-Aufseher Plettner.
Genau dieses haben die Deutschen bisher nicht gelernt. Die »verwöhnten Verkäufer« (Schutz) waren bislang nicht in der Lage, ihren Spürsinn zu 100 Prozent auf die Wünsche der Kundschaft zu richten. Viele Hersteller von Massenfabrikaten haben viel zu sehr ihrer eigenen Unfehlbarkeit statt den Kundenwünschen geglaubt. Die Kundschaft, meinten sie, würde ein gutes Produkt eben kaufen. Auf vielen Märkten aber will die Kundschaft offenbar nicht das teure Spitzenprodukt, sondern das preiswerte Dutzendprodukt.
Japans Industrie-Ministerium Miti hat das erfaßt. Es programmierte die Industriestruktur in einigen wenigen Branchen auf Exportkraft. Im Hintergrund der eindrucksvollen Großkonzerne stehen billige Zulieferer aus dem ärmlichen gewerblichen Mittelstand der Japaner und eine eisenharte Betriebsrationalisierung.
Die Exportoffensiven der Japaner brachten stets das stocksolide, verblüffend zuverlässige, mit hochkarätiger Qualitätskontrolle abgelieferte Produkt
- vom Supertanker bis zur Mikrooptik. Und für die Interessen Japans werben private, staatliche und als Diplomatenbüros verkleidete Verkaufsorganisationen mit zielgerichteter Schlagkraft: rationalisiert wie die Produktion selber und deshalb ideal für den Verkauf eines begrenzten Sortiments Massenware. Nicht weniger als das. Doch auch nicht mehr.
»Die Japaner haben früher erkannt als wir«, so Karl Grund, deutscher Manager des kalifornischen Elektronik-Konzerns Hewlett Packard, »daß nur mit hochgradiger Automation Massenprodukte herzustellen sind.« Und: »Wir brauchen wieder ein nationales Ziel, so wie die Amerikaner ihr Apollo-Programm hatten.«
Auch Helmuth Treiber, Geschäftsführer der Deutsch-Mexikanischen Handelskammer, warnt: »Die deutsche Wirtschaft ist gut im Produzieren, aber schlecht im Verkaufen.« Ein Auslandsrepräsentant der Deutschen Bank ergänzt: »Im Marketing sind die Deutschen schwach.«
Westdeutschlands industrielle Gesellschaft steht damit an der Wendemarke. Nach Kritikern wie Nussbaum wird sie zweitklassig werden wie die Ostblockwirtschaft und folglich nur noch nach dorthin Geschäfte betreiben können. Nach den Außenhandelsdaten und einer sichtbar neu entfachten Kreativität im mittleren Gewerbe wird sie den Gesellschaften in Nordamerika und Fernost standhalten. IBM-Statthalter Cassani: »Wir müssen uns in Europa nicht verstecken hinter Japan und Amerika.«
Dennoch wird für die Deutschen eine Periode des Nachsitzens beginnen. Denn nicht nur am oberen Ende, bei der technologischen Spitzenentwicklung, hapert es - auch am unteren Ende, bei den Uralttechnologien drohen Umsätze wegzubrechen. Und schließlich, so Diebold, sind da noch Fehler in der betrieblichen Organisation auszumerzen.
Während die großen amerikanischen Unternehmen ihre Hierarchien auflockern und die Kommunikation im Betrieb und zu der Kundschaft hin bessern, während die Japaner Rationalität mit strammer Disziplin verknüpfen, wissen sich Deutschlands Manager zwischen beidem nicht zu entscheiden. Unschlüssig blicken sie nach der einen wie der anderen Seite und suchen ihre Identität.
»Die alte Rationalität ist nach unserer Meinung unmittelbar aus Frederick Taylors Schule der wissenschaftlichen Unternehmensführung hervorgegangen«, schrieben kürzlich die Amerikaner Thomas Peters/Robert Waterman (SPIEGEL 51/1983), »und ist mittlerweile nicht mehr brauchbar.« Zu enge rationale Sicht der Dinge, oft nur auf das Verhindern von Fehlern bedacht, führe zu »übergroßer Kompliziertheit und Inflexibilität«.
Diese Schule des Denkens ist vom deutschen Top-Management über die Maßen kopiert worden. Bürokratie und Risikofeindlichkeit haben neben der öffentlichen Verwaltung auch die der großen Konzerne überwuchert. Sie erreichten auch die Banken, wenn es um die Finanzierung der Exporte geht. Sämtliche internationalen Anbieter kommen der Kundschaft beim Finanzieren weiter entgegen als die Deutschen.
Das sind konservative Grundhaltungen, die dem Gang der Geschäfte mehr
schaden als kürzere Arbeitszeiten oder eine wegen der Währungskursschwankungen ohnehin fragwürdige Stückkosten-Vergleichsrechnung.
Westdeutschlands Industrie, anerkannte Spitze im Fertigen konventioneller Hochleistungstechnik, wird sich halten können, wenn sie Management und Marketing verbessert. Noch ist der Abstand zu den pazifischen Spitzentechnologien der Luft- und Raumfahrt, der Elektronik, dem Industrieroboterbau so deklassierend nicht. Noch ist die Bundesrepublik Deutschland das Land mit einem der größten Pro-Kopf-Einkommen auf der Welt und der eindrucksvollsten Exportintensität im industriellen Westen.
Aber die Entwicklungskiller sind deutlich: Öffentliche Subventionen fließen in sterbende Branchen wie Stahl, Kohle, Schiffbau. Öffentliche Entwicklungsgelder fließen in die industriellen Großorganisationen wie Siemens, Bosch, Mannesmann. Steuererleichterung fließt in Abschreibungsgesellschaften, nicht in Technologie-Finanzierung. Risikokapital wandert ins Nichts, kreative Denker oder gar Genies landen zu oft im bürokratischen Stumpfsinn der Großorganisationen.
In den USA leben Universitäten und Technikfirmen oft nebeneinander, ihre Kommunikationsstränge sind kurz und intensiv.
Eines der führenden Unternehmen dieser Art, Hewlett Packard, siedelt unmittelbar neben dem Gelände der Stanford University in Palo Alto, die w ederum von Dutzenden ähnlicher Unternehmen mitfinanziert wird.
In Japan arbeiten Staat und Privatindustrie zusammen, als seien sie eine einzige Firma. Die einen bringen die technische Entwicklung, die anderen die Märkte in Bewegung. Was wollen die Deutschen? Von jedem etwas und im Ergebnis nichts?
Den Repräsentanten der westdeutschen Industrie- und der Staatsbürokratie ist die Zukunftsangst anzumerken. Während immerhin die als technikfeindlich verschriene Jugend fanatisch ihre Computer- und Bildschirmspiele treibt, empfiehlt Siemens-Aufsichtsrat Plettner: »Wir brauchen in der Industrie viel mehr Spinner.«
Während in Stabsabteilungen und genormten Kongressen Wissen verwaltet, aber kaum in Bewegung gebracht wird, empfiehlt Technologie-Minister Heinz Riesenhuber den Herren aus Bürokratie, Wissenschaft und Wirtschaft »lieber mal einen Waldspaziergang« zu machen.
Nutzen die Deutschen ihre Talente nicht? Verschläft die mächtigste Industrienation Europas die eigene Zukunft? Einen Gottlieb Daimler und Werner von Siemens gehabt zu haben reicht nicht mehr für das 21. Jahrhundert, einen Heinz Nixdorf zu haben nicht für 61 Millionen Deutsche.
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WETTLAUF DER EXPORT-NATIONEN Anteile der drei größten Ausfuhr-Länder an der Weltausfuhr in Prozent USA Bundesrepublik Japan Anteile an der jeweiligen Gesamt-Ausfuhr nach Ländergruppen in Prozent USA Bundesrepublik Japan Westliche Industrienationen 1. Halbjahr 1. Halbjahr 1. Halbjahr Entwicklungsländer und übrige Erdölexportierende Länder Staatshandelsländer DER GROSSE EXPORTEUR Entwicklung des Außenhandels der Bundesrepublik (Warenhandel) in Milliarden Mark; 1983 geschätzt Ausfuhr Einfuhr Exportanteile Zusammensetzung der Ausfuhr aus der Bundesrepublik im ersten Halbjahr 1983 in Prozent nach Branchen Auto-Industrie Maschinenbau Sonstige Eisen, Stahl Chemische Industrie Elektrotechnik Textilien, Bekleidung Nahrungs- und Genußmittel Exportabhängigkeit Beispiele für die Exportabhängigkeit der Bundesrepublik (Auslandsumsatz in Prozent des Gesamtumsatzes 1982, nach Branchen) Büromaschinen, EDV Auto-Industrie Maschinenbau Flugzeugbau Schiffbau Chemische Industrie Eisenschaffende Industrie Feinkeramik Feinmechanik, Optik Papier- und Pappe Elektrotechnik alle Branchen
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