»Wir erwarten neue Angriffe«
SPIEGEL: Herr Präsident, der erste blutige Anschlag auf Litauens Unabhängigkeit hat sein Ziel nicht erreicht, ein Teil der Truppen Moskaus zieht wieder ab. Was erwarten Sie als nächstes?
LANDSBERGIS: Neue Angriffe.
SPIEGEL: Wieder mit Gewalt?
LANDSBERGIS: Auch darauf müssen wir vorbereitet sein.
SPIEGEL: Der reaktionäre Oberst Alksnis hat Gorbatschow vorgeworfen, den Einsatz gegen die Unabhängigkeit der Baltenrepubliken verpfuscht zu haben. Gab es denn einen präzisen Plan des Kreml, die Balten wieder unter seine Herrschaft zu zwingen?
LANDSBERGIS: Ja. Die unabhängigen Regierungen der baltischen Staaten sollten beseitigt werden. Aber zu dem Plan gehört auch der Ukas über die gemeinsamen Patrouillen von Militär und Polizei in den Städten der gesamten Union.
SPIEGEL: Die Zentrale wollte die ganze Macht wieder zurückgewinnen?
LANDSBERGIS: Ja, und die Durchführung dieses Planes wurde gezielt mit dem Beginn des Golfkriegs koordiniert.
SPIEGEL: Hat Schewardnadse davon gewußt, und ist er deshalb so spektakulär als Außenminister zurückgetreten?
LANDSBERGIS: Ich bin sicher, daß er davon wußte, und glaube auch, daß er deshalb so eindringlich vor einer heraufziehenden Diktatur warnte.
SPIEGEL: Das Blutbad in Vilnius kam offenbar zu früh. Wurden die Putschisten in den anderen Baltenrepubliken davon überrascht, waren sie noch nicht bereit? Kann es sein, daß der Plan, der eine Machtübernahme der reaktionären Kräfte im gesamten Baltikum vorsah, daran erst mal gescheitert ist?
LANDSBERGIS: Wir würden es als große Ehre für uns betrachten, wenn es so wäre. Aber endgültig wird das erst die Zukunft zeigen.
SPIEGEL: Sie selber haben nach der Blutnacht Gorbatschow angerufen und ihn gefragt, ob er denn überhaupt noch an der Macht sei. Ist er es?
LANDSBERGIS: Darauf gibt es erst dann eine Antwort, wenn klar ist, wen er letztlich für die Ereignisse zur Verantwortung ziehen wird. Ich glaube allerdings, daß die Toten auf das Konto _(* Vorn: Von Litauern abgelegte ) _(sowjetische Orden, Medaillen und ) _(Parteibücher. ) lokaler Kommandeure gehen. Aber natürlich ist dafür auch die höchste Autorität im Staat verantwortlich, vor allem, wenn sie nicht in der Lage ist, die Verantwortlichen dingfest zu machen.
SPIEGEL: Ihre Reaktion auf die Gewaltanwendung war die Verkündung einer Volksabstimmung über Litauens Unabhängigkeit, etwas, was Moskau seit langem verlangt. Warum sind Sie jetzt plötzlich dazu bereit?
LANDSBERGIS: Es ist ein Schritt zu unserer Staatsgründung.
SPIEGEL: Warum haben Sie ihn dann bisher abgelehnt?
LANDSBERGIS: Wir lösen unsere Probleme selber. Daher veranstalten wir auch keine Volksabstimmung, die von außen verlangt wird. Wenn wir ein Referendum abhielten, um aus der Sowjetunion auszutreten, hieße das ja, anzuerkennen, daß wir ein Teil der Sowjetunion wären. Wir sind aber der UdSSR nie aus eigenem Willen beigetreten, also brauchen wir auch nicht auszutreten.
SPIEGEL: Und doch lassen Sie jetzt abstimmen.
LANDSBERGIS: Das hat mit dem, was Gorbatschow von uns verlangt, nichts zu tun. Wir betrachten es als Meinungsbefragung, die den politischen Willen unserer Nation ausdrücken soll.
SPIEGEL: Sie hatten es von Anfang an auf Konfrontation mit Moskau angelegt, was Ihnen viele Vorwürfe eingetragen hat. Haben Sie heute, nach der Blutnacht, etwas zu bereuen, würden Sie rückblickend vielleicht etwas anders machen?
LANDSBERGIS: Ich sehe nichts von Bedeutung, was ich zu bereuen hätte oder anders machen würde.
SPIEGEL: Der Moskauer Oberbürgermeister Popow wirft Ihnen und Ihren baltischen Kollegen vor, Sie hätten nur an sich selber gedacht, statt mitzuhelfen, die Demokratie im ganzen Land zu stärken und erst dann Ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Ihr Rückzug aus dem Obersten Sowjet und dem Volkskongreß hätte die demokratischen Kräfte geschwächt.
LANDSBERGIS: Wir haben eine ganze Menge getan, um die Demokratie in der Sowjetunion zu stärken, haben ein Beispiel praktischer Demokratie gegeben. Aber zu verlangen, ausgerechnet wir Winzlinge sollten den Giganten UdSSR aus dem Sumpf ziehen, ist ebenso unrealistisch wie übertrieben.
SPIEGEL: Sie haben kein Zutrauen in die sowjetische Demokratiefähigkeit?
LANDSBERGIS: Das geht alles sehr, sehr langsam. Und die russischen Demokraten sind sich untereinander nicht einig. Deshalb suchen sie die Schuld für ihr Versagen auch lieber woanders.
SPIEGEL: Mit Ihrem Auszug aus dem Volkskongreß haben Sie sich aber Ihres Einflusses auf die Gesamtentwicklung beraubt.
LANDSBERGIS: Dieser Volkskongreß wurde von Anfang an von konservativen Kräften beherrscht. Die vom Kongreß verabschiedeten Gesetze stärkten allesamt das Zentrum und die Allmacht des Gesamtstaats. Wir konnten doch nicht unsere eigenen Rechte einer unbekannten Zukunft der Union opfern.
SPIEGEL: In wen setzen Sie noch Hoffnungen - in Boris Jelzin vielleicht?
LANDSBERGIS: Jelzins Weg läßt hoffen. Die Frage ist, ob er seine Linie und seine eigene Position durchhalten kann.
SPIEGEL: Hoffnung auf Hilfe aus dem Ausland wurde enttäuscht. Jetzt waren die baltischen Außenminister in Bonn - erwarten Sie Hilfe aus Deutschland?
LANDSBERGIS: Bisher sahen wir nicht, daß wir große Erwartungen in die Politik Deutschlands setzen konnten. Die Bundesregierung ist zu sehr auf die Sowjetunion ausgerichtet. Neuerdings glauben wir allerdings zu sehen, daß sich auch da etwas ändert.
SPIEGEL: Bonn unterstützt immer noch Moskau.
LANDSBERGIS: Ich halte es für falsch, jemanden zu unterstützen, der sich offenkundig so falsch benimmt.
SPIEGEL: Wenn wir nächstes Jahr wiederkommen, glauben Sie, daß wir dann mit Ihnen als Präsidenten eines souveränen Staates Litauen reden können?
LANDSBERGIS: Vielleicht. Vielleicht wird es dann aber nicht einmal dieses Gebäude mehr geben. o
* Vorn: Von Litauern abgelegte sowjetische Orden, Medaillen undParteibücher.