»Wir haben hier einen Schlußstrich gezogen«
SPIEGEL: Graf Lambsdorff, sitzt vor uns der Sieger des dreitägigen Kabinettsgerangels um Ausgabenprogramme und Steuererleichterungen?
LAMBSDORFF: Nein. Hier geht es nicht um Sieger und Besiegte. Das Kabinett hat einstimmig verabschiedet.
SPIEGEL: Es geht aber um die Existenz der FDP. Kann Ihre Partei mit diesem Programm überleben?
LAMBSDORFF: Das kann sie. Aber das war nicht der Sinn dieser Beschlüsse.
SPIEGEL: Alles lief nach dem bekannten Konfliktmuster: Die FDP verliert Landtags-Wahlen, darauf lanciert sie Vorstellungen über Steuersenkungen nach draußen, und schließlich überfährt sie den Koalitionspartner mit einem detaillierten Programm.
LAMBSDORFF: Ich will nicht über die Vorgeschichte philosophieren. Auch nicht darüber, wer Konflikte sucht und Konflikte produziert. Gelegentlich habe ich den Eindruck, der SPIEGEL baut auch Konflikte auf. Und wenn er sie so richtig schön aufgebaut hat, schießt er den Pappkameraden nach einigen Monaten an oder ab.
SPIEGEL: Sie sind nun wahrlich kein Pappkamerad.
LAMBSDORFF: Ich empfinde mich auch nicht so. Aber manchmal versucht der eine oder andere, einen so aufzubauen.
SPIEGEL: Richtig ist aber doch, daß Sie beim Vorspiel für dieses Programm den liberalen Tonmeister gespielt haben. Vom FDP-Parteivorsitzenden Hans-Dietrich Genscher war da nichts zu hören.
LAMBSDORFF: Daß in Sachen Wirtschaftspolitik der von der FDP gestellte Wirtschaftsminister zu bestimmten Zeiten etwas in den Vordergrund rückt, ist völlig natürlich. Daraus weitergehende Schlüsse zu ziehen ist unstatthaft und vorwiegend auf den SPIEGEL zurückzuführen.
SPIEGEL: Sie haben kräftig am Bild vom Genscher-Konkurrenten mitgewirkt.
LAMBSDORFF: Der Wirtschaftsminister nimmt seine Verantwortung und seine Pflichten auf dem Gebiet wahr, das ihm ressortmäßig zusteht. Bald wird vielleicht die Außenpolitik in den Mittelpunkt treten, und dann tritt der Wirtschaftsminister wieder etwas zurück.
SPIEGEL: Hat Graf Lambsdorff keine weitergehenden Ambitionen als die des Wirtschaftsministers?
LAMBSDORFF: Nein, ich habe vor langer Zeit und schon zu Beginn meiner Tätigkeit gesagt, ich bemühe mich darum, jetzt ein anständiger und möglichst tüchtiger Wirtschaftsminister zu sein oder zu werden. Damit hat sich"s.
SPIEGEL: Zurück zum Programm: Was ist denn das eigentlich, was da im Kabinett in der letzten Woche zusammengebastelt worden ist: ein Konjunkturprogramm? oder sind das schlicht Steuergeschenke, ein Wahlhilfe-Programm?
LAMBSDORFF: Es ist sicherlich kein Konjunkturprogramm: Wir haben Rahmenbedingungen verbessert für die wirtschaftliche Entwicklung. Das Wort Steuergeschenke gehe ich zurück. [ch halte überhaupt nichts von der Rederei von Steuergeschenken. Dies sind alles Gelder der Bürger, und der Staat hat nichts zu verschenken.
SPIEGEL: Wenn es sich, wie Sie sagen, nicht um ein Konjunkturprogramm handelt, dann müßten Sie eigentlich recht unzufrieden sein. Noch in Ihrem Brief an den Bundeskanzler haben Sie finanzpolitische Impulse gefordert, damit ein drohender Wachstumseinbruch im nächsten Jahr verhindert wird.
LAMBSDORFF: Wir schaffen die Lohnsummensteuer ab, wir helfen mit 300 Millionen kleineren und mittleren Unternehmen, Personalkosten zu tragen, wenn sie forschen und entwickeln. Das ist die Richtung, die ich angestrebt habe. Und deswegen bin ich mit diesen Beschlüssen voll zufrieden.
SPIEGEL: Aber hier werden doch im wesentlichen die Steuern für den Konsum und nicht für die Investitionen gesenkt.
LAMBSDORFF: Das sieht vordergründig so aus. Aber: Ein leistungsgerechtes Steuersystem im Bereich der Lohn- und Einkommensteuer bringt auch Wachstumsimpulse, weil mehr Leistung auch mehr Dynamik für den wirtschaftlichen Ablauf freisetzt. Ganz abgesehen davon, daß es ja auch eine Nachfragewirkung gibt.
SPIEGEL: Die kann man, das zeigen frühere Programme, vergessen. Aber was bringt denn nun das, was da auf dem Tisch liegt, an zusätzlichem Wachstum?
LAMBSDORFF: Ich halte nichts von diesem Abrakadabra, auf Stellen hinter dem Komma Wirtschaftswachstum anzugeben.
SPIEGEL: Bringt es Wachstum?
LAMBSDORFF: Ja, es wird Wachstum bringen.
SPIEGEL: Vor allem die Wirtschaft hat Bedenken, daß neue Staatsschulden die Zinsen hochtreiben könnten. Strapazieren Sie den Kapitalmarkt nicht zu sehr, zumal die Zinsen ohnehin schon steigen?
LAMBSDORFF: Genau das hat uns fast zwölf Stunden lang beschäftigt. Ist eine Nettokreditaufnahme, ist ein öffentliches Defizit der Gebietskörperschaften einschließlich Sozialversicherung von 60 Milliarden in der Bundesrepublik im Jahre 1979 ohne Verwerfung am Kapitalmarkt finanzierbar? Bundesbankpräsident Emminger hat das im Kabinett für vertretbar erklärt.
SPIEGEL: Allein die Schulden des Bundes sind von 61 Milliarden im Jahre 1973 auf inzwischen 161 Milliarden gestiegen. Jetzt kommen nochmals 13 Milliarden drauf. Ist das nicht beängstigend?
LAMBSDORFF: ]a, das ist ein relativ schneller Anstieg. Ich würde ihn nicht beängstigend nennen, aber er stellt uns die Aufgabe, den Abbau der öffentlichen Verschuldung mittelfristig im Auge zu behalten. Aber bei Stagnation können Sie öffentliche Defizite kaum zurückführen.
SPIEGEL: Die Konjunkturdaten haben sich jüngst spürbar verbessert. Trotzdem halten Sie das Programm für nötig?
LAMBSDORFF: Es wird schon sehr hilfreich und sehr notwendig sein, eine solch positive Entwicklung durch zusätzliche Maßnahmen zu unterstützen und abzufangen.
SPIEGEL: Dies ist nun das zehnte Konjunkturprogramm in kurzer Zeit ...
LAMBSDORFF: ... Nennen wir es mal lieber nicht Konjunkturprogramm. Wir haben gesagt: »Zusätzliche Maßnahmen auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Finanzpolitik.«
SPIEGEL: Na gut, das sind also nun zum zehnten Mal zusätzliche Maßnahmen auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik in vier Jahren. Offenbar wird die Bonner Wirtschaftspolitik immer kurzatmiger. Haben wir bald nur noch »stop and go«?
LAMBSDORFF: Das ist in der Tat die Gefahr. Deshalb haben wir diesmal was gemacht, das langfristig wirkt.
SPIEGEL: ist das nun alles für den Rest der Legislaturperiode?
LAMBSDORFF: Ja. Wir haben hier einen Schlußstrich gezogen.
SPIEGEL; Die Regierung hat sich also verausgabt, im wahrsten Sinne des Wortes?
LAMBSDORFF: Die Regierung hat sich finanziell verausgabt, nicht was ihre Entscheidungsfähigkeit anbelangt.