Spiegel des 20. Jahrhunderts »Wir hatten maßlose Angst«
Acht Stunden bevor die letzte Frist ablief, kurz nach Anbruch der Dunkelheit, landeten die Sturmkommandos des Bundesgrenzschutzes auf dem Flugfeld von Mogadischu. Staatsminister Wischnewski, seit dem Vormittag vom Kontrollturm aus mit den Hijackern im Gespräch, hatte gerade wieder mal Verlängerung erwirkt.
Drinnen waren, seit der Landung der »Landshut« in den frühen Morgenstunden, die verängstigten Geiseln von den Arabern unter Psychoterror gehalten worden. Mal mußten sie sich mit Strumpfstreifen fesseln, mal angeschnallt in den Sitzen mit Alkohol übergießen lassen. Derweil laborierten die Terroristen mit Zündmitteln und Sprengstoffpäckchen. Die Geiseln hatten, so eine 38jährige, »maßlose Angst, daß wir alle verbrannt werden sollten«. Doch schon nach zwei Stunden wurden die Passagiere wieder losgebunden, konfiszierte Taschen und Reisepässe wieder ausgeteilt. Vom Tower aus hatte Wischnewski »dies und das eingefüttert« und den Arabern bedeutet, die freigepreßten BM-Häftlinge seien bereits unterwegs zum Austausch in Mogadischu.
Nach einem detaillierten Plan, der später im Cockpit gefunden wurde, hatten die Hijacker für den Austausch mit den »deutschen Genossen« die Geiseln bereits in Gruppen eingeteilt; zu guter Letzt demontierten sie sogar Teile ihres Blow-up-Systems - ein Kilo Plastiksprengstoff und neun weitere Handgranaten, wie Fahnder später entdeckten.
Rund um die Aufbruchstimmung im Aluminiumkäfig lief längst der Countdown. Mediziner und Sanitäter, vorwiegend Italiener, gingen in der Flughafenhalle auf Position. Eine Lazarettmaschine der Bundeswehr-Flugbereitschaft querte derweil das Mittelmeer. Im münsterländischen Milte richtete sich eine 42 Meter hohe Antenne auf Somalia: Mit Direktleitung in Kanzlers Krisencenter wurde auf den Kurzwellensprechverkehr von Mogadischu geschaltet. Fachjargon: »Phonepatch«.
Nicht einmal der Pilot Jürgen Vietor hörte dann, was gegen Mitternacht heranschlich. Manche erinnerten sich später an »lautes Knacken«, an Stimmen, die »Kopf runter!« brüllten. »Wo sind die Schweine?« habe einer gefragt. »Das ist das Ende«, empfanden Augenzeugen im Moment des Sturms oder auch »wir sind gerettet«. Passagierin Simone Liedtke nahm »überall in der Maschine Männer« wahr, »mit weichen, fließenden Bewegungen - wie Schlangen«.
Doch was später als »Feuerzauber«, mit neuartigen Geheimwaffen und türbrechenden Haftladungen, in die Schlagzeilen kommt, ist eher nüchtern - ein »völlig normaler, militärisch ausgeführter Einsatz«, so ein Teilnehmer: freilich mit Perfektion ohnegleichen.
Um 23.50 Uhr zünden somalische Soldaten rund hundert Meter vor der »Landshut« ein Holzfeuer an. Die Terroristen lassen sich durch das simple Manöver ablenken und gehen zum Cockpit - wo GSG-Wegener sie auch gerne haben will. Die Elitetruppe - ohne Stahlhelme, in schußfester Nylonkluft - nähert sich von hinten der Maschine und bezieht zwei Minuten später in Höhe der Tragflächen unter der »Landshut« Stellung.
Um 0.05 Uhr, als feststeht, daß diese Aktion im Innern der Maschine unbemerkt geblieben ist, stürmen auf das Kommando »Go!« je vier Spezialisten über Leitern auf beide Tragflächen, stoßen die Notausstiege nach innen und eröffnen drei Sekunden später das Feuer. Von exakt vorausberechneten Positionen aus, mit denen gleichzeitig alle Teile der Kabine unter Beschuß gehalten werden, ohne Gefährdung der Angreifer und der Passagiere, töten die GSG-Leute die ersten beiden Terroristen. Einen dritten treffen die Kugeln im First-Class-Abteil. Zwei Handgranaten, die der Sterbende noch zündet, detonieren fast wirkungslos unter den Sitzen. Die letzte Terroristin, die aus der Bugtoilette das Feuer eröffnet, bringt einem GSG-Mann einen Halsdurchschuß bei, bevor sie schwer verletzt aufgibt.