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»Wir können nicht 30000 Menschen lenken«

aus DER SPIEGEL 48/1976

SPIEGEL: Herr Hellerich, Ihre Bürgerinitiative hat am vorletzten Samstag rund 30 000 Menschen auf die Beine gebracht. Haben Sie den Bauernaufstand gegen das Kernkraftwerk Brokdorf noch unter Kontrolle?

HELLERICH: Viele von uns sind einfache Bauern wie ich. Niemand von uns kann 30 000 Menschen lenken. Wenn die Polizei uns dann noch daran hindert, unsere große Lautsprecheranlage für die Kundgebung mitzubringen, dann können wir schon gar nicht auf die Leute, die sich da am Bauzaun zu schaffen machten, einwirken.

SPIEGEL: Glauben Sie, daß Sie es mit dem Lautsprecher geschafft hätten, die Ausschreitungen zu verhindern«?

HELLERICH: Nach dem Verlauf der Dinge -- wohl kaum. Wir hatten ja auch keine Ordner, und wenn wir die gehabt hätten, dann hätten uns die Megaphone gefehlt. Uns ist das Ganze doch wohl über den Kopf weggelaufen.

SPIEGEL.: Immerhin gab es über 100 verletzte Demonstranten und 79 blessierte Polizisten. War das nicht abzusehen?

HELLERICH: Wir haben zu einer friedlichen Demonstration aufgerufen und haben dafür extra die Wiese von Bauer Reimers ausgesucht, die rund 2000 Meter von der Baustelle entfernt liegt. An dieser Demonstration haben sieh mehr als 28 000 Menschen beteiligt. Die restlichen, in der Mehrzahl wohl Kommunisten, haben von Anfang an versucht, die Polizei zu provozieren. Für das, was die getan haben, kann man uns doch nicht verantwortlich machen.

SPIEGEL: Wie wollen Sie denn die Radikalen auf Distanz halten?

HELLERICH: Aus unserer Bürgerinitiative haben wir alle ausgeschlossen, die ihr eigenes Süppchen kochen wollten. Wir wollen hier keine Politik.

SPIEGEL: Aber Ihre unpolitische Bürgerinitiative hat nach der ersten Kundgebung in Brokdorf, bei der sich Kommunisten auch schon mit der Polizei anlegten und in das Baugelände eindrangen, diesen Gruppen später für ihren Einsatz ausdrücklich gedankt.

HELLERICH: Wir hielten vor drei Wochen noch eine friedliche Besetzung des Bauplatzes für richtig.

SPIEGEL: Heute nicht mehr?

HELLERICH: Nein, da hat sich unsere Auffassung geändert. Wir würden jetzt Demonstranten davon abzuhalten versuchen, auf das Gelände vorzudringen. Die Polizei hat den Platz mittlerweile militärisch gesichert. Wer da eindringen will, riskiert Leben und Gesundheit. Das können wir nicht mehr verantworten.

SPIEGEL: Der massive Polizeieinsatz hat also sein Ziel erreicht?

HELLERICH: Wir werden nicht kuschen. Aber wir müssen bei künftigen Aktionen die Bürger, die Bauern, die hier ihre Höfe haben, heraushalten. Schon jetzt hören wir Stimmen, die sagen: Wir wollen lieber mit dem Kernkraftwerk leben als mit dieser Polizei und (lauernd mit Demonstranten, die unsere Weiden zertrampeln. Wir müssen uns was Neues ausdenken.

SPIEGEL: Ist Ihnen denn schon was eingefallen?

HELLERICH: Diskutiert wird mancherlei. Mir schwebte mal ein Hungerstreik vor. weil der völlig gewaltlos verlaufen würde. Aber wir Bauern können nicht hungern, wir müssen arbeiten. Wir können aber beispielsweise nach Kiel fahren und der Landesregierung direkt unseren Protest vortragen

SPIEGEL: ... und dabei mit Traktoren den Verkehr lahmlegen

HELLERICH: ... Wir könnten auch die Zufahrtsstraßen zum Baugelände blockieren. Nur, was wir auch tun, wir machen uns bei solchen Sachen strafbar.

SPIEGEL: Nehmen Sie das in Kauf?

HELLERICH: Wenn es in einem guten Sinn geschieht, ja. Schließlich muß man auch sehen, wer uns in diese Lage gebracht hat. Wir wollten uns mit der Landesregierung an einen Tisch setzen. Wir hätten auch eine gerichtliche Entscheidung abgewartet und ein Urteil gegen uns hingenommen ohne Protest. Aber einen Baubeginn bei Nacht und Nebel, brutalen Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstranten, das können die mit uns nicht machen.

SPIEGEL: Ihr Parteifreund Ministerpräsident Stoltenberg, spricht kaum mal von friedlichen Demonstranten, er sieht überall »Kommunisten« und »Gewalttäter« am Werk.

HELLERICH: Das ist ja gerade das Beleidigende an dem Polizeieinsatz gewesen, der richtete sich doch auch gegen friedliche Demonstranten. Auf meinem Hof, der fast zwei Kilometer von der Baustelle entfernt liegt, wurde ein junges Mädchen von einem Polizisten zusammengeschlagen. Ich bin ein durch und durch konservativer Mensch und sicherlich kein großer Widerstandskämpfer. Aber daß wir wenige hier nicht alleine stehen, sondern 30 000 Menschen uns zu Hilfe kommen, das müßte eigentlich auch einem Ministerpräsidenten zu denken geben.

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