»Wir könnten die Sowjets schlucken«
Für den Falklandkrieg hatten die Briten schnell noch ihre »Harrier«-Senkrechtstarter mit US-Flugzeugabwehrraketen vom Typ »Sidewinder« bestückt - 24 argentinische Kampfflugzeuge wurden damit abgeschossen.
Über dem Libanon fielen syrische Jets, die israelischen Jägern ins elektronische Visier geraten waren, gleich serienweise den rasend schnellen Sidewindern zum Opfer.
Doch Ende Juli wurden im Testgebiet des China-Sees in Kalifornien die bislang nahezu unschlagbaren Raketen selber »abgeschossen": Gleich fünfmal hatte ein amerikanischer Jagdbomber vom Typ »Corsair 2« Sidewinder-Raketen abgefeuert. Doch ehe sie ihr Ziel erreichen konnten, traf sie der Blitz. Und das nicht nur sprichwörtlich - Laserstrahlen hatten Sensoren der mit 3200 Kilometer pro Stunde herandonnernden Raketen getroffen. Eine eigens dafür installierte Sprengladung zündete und zerstörte das Projektil.
Die vernichtenden Strahlen stammten aus einem schwerfälligen Transportflugzeug der U.S. Air Force. In einem markanten Buckel auf seinem Rumpf birgt das zum fliegenden Labor umgebaute Tankflugzeug die Versuchsanlage für einen Waffentyp, auf den die Amerikaner ihre strategische Planung für kommende Jahrzehnte konzentrieren: die Laser-Strahlen-Waffen, die mit Lichtgeschwindigkeit jede bekannte und denkbare militärische Bedrohung ausschalten könnten.
Ein friedvolles Leben - geschützt von einem undurchdringlichen Strahlenschirm, an dem schon im Weltraum, weitab von ihren Angriffszielen, sowjetische Raketen zerschellen sollen: So hatte US-Präsident Ronald Reagan der amerikanischen Fernsehnation am Abend des 23. März eine friedliche Zukunft ausgemalt.
»Wahnsinnig« nannte Reagan-Kontrahent Andropow diese Rüstungspläne und riet zum waffenfreien Weltraum. Die Absicht, durch ABM-Systeme _(Anti Ballistic Missile. )
den Kreml-Militärs die Möglichkeit zum nuklearen Zweitschlag zu nehmen, könne Moskau nicht tolerieren. »Das ist der Versuch, die Sowjet-Union angesichts der nuklearen Bedrohung durch die USA zu entwaffnen.«
Am Donnerstag voriger Woche klang es völlig anders: Der Kreml-Chef bot im Gespräch mit einer Gruppe von neun US-Senatoren den einseitigen Verzicht auf Killersatelliten an. »Solange andere
Staaten, auch die USA, von der Stationierung jeglicher Art von Satellitenabwehrwaffen im Weltraum absehen«, werde dies auch Moskau tun. Ziel der Sowjets sei, die Entwicklung und den Einsatz solcher Waffen vertraglich zu verbieten, berichtete ein amerikanischer Gesprächsteilnehmer.
US-Verteidigungsminister Weinberger zeigte sich »nicht sehr überrascht«. Immerhin seien die Sowjets die einzigen, die derartige Waffen bereits besäßen. Wiederholt hatten amerikanische Geheimdienste von erfolgreichen Tests der Sowjets mit Killersatelliten berichtet.
ABM-Diskussion paradox: 1967, während des Gipfeltreffens im amerikanischen Glassboro, hatte Sowjet-Premier Kossygin für Raketenabwehrsysteme geworben, für »humane Waffen«, welche »die Menschen beschützen«. Damals waren es Verteidigungsminister McNamara und Präsident Johnson, die den Moskauer Regierungschef vom Gegenteil zu überzeugen suchten. Ihre Warnung, daß derjenige, der zuerst über Abwehr- und Angriffswaffen verfüge, zum Erstschlag in der Lage sei, verfing bei den Sowjetrussen: Der Weg zum ABM-Vertrag von 1972 war eröffnet.
Verwirklicht Reagan seine Weltraumpläne, wären die »wertvollsten Ergebnisse der ansonsten ... für viele enttäuschenden sowjetisch-amerikanischen Rüstungskontrollverhandlungen« ("Time") hinfällig. Der Bruch der ABM-Vereinbarungen von 1972 wäre offensichtlich.
Der neue Rüstungs-Kurs ist vermutlich lange vor der Reagan-Rede festgelegt worden. Schon Anfang letzten Jahres hatte US-Verteidigungsminister Weinberger seine Teilstreitkräfte angewiesen, sich auf die Stationierung »voll entwickelter und operationsfähiger« Weltraumwaffen vorzubereiten. Schon sieht die Zeitschrift »Aviation Week & Space Technology« Amerikas Wissenschaft und Industrie nahe dem utopischen Ziel - in wenigen Jahren sollen Ronald Reagans Science-fiction-Waffen verfügbar sein.
Ein Riesenschritt in Richtung Weltraumbewaffnung könnte der Sidewinder-Abschuß durchaus sein. Zweimal war der Versuch zuvor gescheitert.
Die Stabilisierung des hochempfindlichen Lasers auf der beweglichen Plattform schien eine ebenso hohe Hürde wie die präzise Zielerfassung und -verfolgung. Jahre würden ins Land gehen, unkten Kritiker, ehe die Technik diese Probleme würde lösen können. Doch die US-Rüstungsindustrie war schneller.
Gleichwohl scheint alle Laserwaffen-Begeisterung verfrüht. Bislang fliegt lediglich ein Test-Laser - selbst nach Meinung von Pentagon-Experten noch lange kein brauchbarer ABM-Waffenprototyp.
Nicht einmal George A. Keyworth, wissenschaftlicher Berater des amerikanischen Präsidenten, und als solcher mitverantwortlich für die Laser-Rede Ronald Reagans, sieht derzeit eine Basis für eine triftige Waffensystem-Definition - Ausgangspunkt für jede Rüstungsforschung, an deren Ende eine neue Waffe stehen soll.
Unklar ist zum Beispiel, welche Strahlenart überhaupt geeignet ist, mit der gewünschten Präzision und Kraft Raketen zu zerstören. Am aussichtsreichsten scheint einigen Experten ein chemischer Laser, das technisch am weitesten entwickelte Konzept.
Er gewinnt seine Strahlkraft aus einer Reaktion von Wasserstoff und Fluor. Bislang ungelöstes Problem dieses Lasertyps: Er strahlt vornehmlich in wenig wirksamen Wellenlängen.
Nobelpreisträger Hans Bethe, ein Kritiker der geplanten Weltraumrüstung, hält daher den Röntgenlaser, den das kalifornische Lawrence-Livermore-Laboratorium entwickelt, für »den einzigen Vorschlag, der wissenschaftlich sinnvoll scheint«.
Eine Mini-Atombombe sorgt dabei für die gewaltige Energie, die Laser benötigen. Bis zu 50 Schwermetallstäbe sollen gleichzeitig die Bombenenergie zu tödlichen Röntgenstrahlen bündeln, die ihre Ziele regelrecht zertrümmern.
Hauptnachteil dieses bereits im Atomtestgelände von Nevada unterirdisch erprobten Verfahrens: Es funktioniert jeweils nur einmal - kaum hat der Nuklearsprengsatz die Energie für die Strahlung freigegeben, verdampft die Atomexplosion das ganze Gerät.
Andere Fragen sind ungelöst: Was geschieht, wenn der Massen-Blitz die Ziele nicht alle trifft? Wie reagiert man mit einem solchen System, wenn statt des befürchteten Salvenstarts russischer Raketen die Feind-Flugkörper nur einzeln auf ihre Vernichtungsreise gehen und so den 50 Röntgenlasern eines einzigen nuklear betriebenen Systems nur ganz wenige Ziele zur selben Zeit geboten werden?
Die Energieversorgung von mehrfach verwendbaren Laser-Systemen ist ebenfalls ungeklärt. Mini-Atommeiler, schon in den 50er Jahren im Atomforschungszentrum von Los Alamos in Kalifornien entwickelt und einzige hinlänglich erprobte Kraftquelle, erreichen immer noch Schrankgröße und Ein-Tonnen-Gewicht. Laser wie andere Weltraumfahrzeuge mit Sonnenlicht zu betreiben, erforderte Solar-Anlagen von der Größe mehrerer Fußballfelder. Andere Energiequellen sind bislang kaum erforscht.
Eine Zielvorrichtung von unerhörter Präzision muß entwickelt werden. Noch
ist nicht erwiesen, ob das »Talon Gold«-Projekt der Firma Lockheed, die zur Zeit wohl fortgeschrittenste Zieloptik, wirklich einen Laserstrahl über Tausende von Kilometern mit nur wenigen Zentimetern Abweichung ins Ziel bringen kann.
Denn treffen muß der Strahl. Verfehlt er das Ziel - und sei es nur um Zentimeter - bleibt er ganz ohne Wirkung. Herkömmliche Abwehrwaffen zerstören, je nach Sprengkraft, ihre Ziele auch noch in beträchtlichem Umkreis um ihren Explosionsort.
Über die Stationierungsart für Strahlenwaffen muß auch noch entschieden werden. Noch ist es nicht gelungen, einen Laser zu entwickeln, der ohne großen Energieverlust die störende Lufthülle der Erde überwindet. Im Weltraum müßten zudem Reflektoren die Strahlen umlenken und wie ein Brennspiegel auf ihre Ziele werfen.
Spiegel jedoch sind im All ebenso leicht verletzlich wie dort stationierte komplette Lasersysteme. Sie wären kaum wirkungsvoll zu schützen.
Schon eine Ladung Sand, gegen den Laser geschleudert, so erläutert ein US-Forscher, würde ausreichen, die Selbstzerstörung des Lasers zu provozieren: Die kleinste Verunreinigung des Spiegelsystems verhindert, daß die erzeugte Energie vollständig abgestrahlt werden kann. Der Laser »stürbe« an der selbsterzeugten Energie.
Dutzende, vermutlich gar Hunderte Satelliten müßten - wählt man den Weltraum als Stationierungsort - in Umlaufbahnen gebracht werden. Ein US-Wissenschaftler berechnete gar mehrere tausend ABM-Systeme, die mit fast 15 000 Flügen der Weltraumfähre »Space Shuttle« in den Zenit gebracht werden müßten.
Andere Planungen gehen von startbereit montierten ABM-Waffen aus, deren Raketen bei Alarm gezündet würden. Kritiker zweifeln, ob sie beizeiten Schußpositionen im Weltraum erreichen könnten.
Die Wirksamkeit der Strahlen-Schüsse ist zudem keineswegs gesichert. Rotation der Raketen, reflektierende Oberflächen, hitzebeständige Materialien könnten den Energiestrahlen die zerstörende Wirkung nehmen.
Edward Teller, »Vater der Wasserstoffbombe«, rechnet damit, »daß der Aufbau eines mit Lasern bestückten Satelliten-Systems, das anfliegende Sowjet-Raketen zerstören soll, viel mehr Geld kosten wird, als die Sowjets ausgeben müßten, um es zu überwinden.«
Wieviel Amerikas Steuerzahler für den »Krieg der Sterne« werden bezahlen müssen, wagen Militärs nicht einmal zu schätzen.
Generalmajor Donald Lamberson, im Pentagon verantwortlich für das Strahlenwaffen-Programm, räumte kürzlich vor dem Kongreß ein: »Wir wissen weder, wie solche Systeme aussehen werden, noch, was die wiegen, geschweige denn, wieviel sie kosten werden.«
Der jüngst verstorbene Futurologe Herman Kahn rechnete mit 200 Milliarden Dollar für den Aufbau des Systems und jährlich weiteren 50 Milliarden für dessen Unterhaltung. Der republikanische Senator Larry Presler veranschlagt gar »200 bis 300 Milliarden Dollar jährlich«. Der gesamte US-Verteidigungsetat für 1984, wie er jetzt vom Vermittlungsausschuß des Kongresses erarbeitet worden ist, beträgt rund 240 Milliarden Dollar.
Eingeweihte ahnten seit langem die einträglichen Perspektiven in diesem Sektor. Edward Teller, als wissenschaftlicher Berater im Weißen Haus wohl auch am neuesten Strategie-Konzept maßgeblich beteiligt, besitzt für 800 000 Dollar Aktien einer Laser-Firma.
Die »New York Times« deckte diese Zusammenhänge kürzlich auf und warf dem Forscher unzulässige Vermischung von Beratertätigkeit und privatwirtschaftlichem Nießnutz vor. Teller, anläßlich der »Weltraum-Rede« des Präsidenten am 23. März eigens zum Abendessen ins Weiße Haus geladen, wehrte sich per Zeitungsanzeige gegen den Vorwurf.
Doch klar ist jetzt schon: Unabhängig davon, ob jemals einsatzfähige Strahlenwaffen auf, unter oder gar hoch über der Erde stationiert werden und ob sich das ganze als teurer Alptraum entpuppt - das große Geschäft macht in jedem Fall, wie stets, die US-Rüstungsindustrie.
»Die sogenannten Star-Wars-Waffen«, schätzt Industrieberater Wolfgang H. Demisch aus Boston, »eröffnen der Weltraumindustrie die Aussicht auf Geschäfte im Weltraum von 500 Milliarden Dollar.«
Ein neuer gigantischer Wettlauf zwischen den Supermächten scheint unvermeidlich. Schon heute behaupten US-Geheimdienste, daß die Sowjet-Union ein Mehrfaches dessen für Strahlenwaffen ausgibt, was Washington in diese Systeme investiert.
Wiederholt wurden US-Aufklärungs-Satelliten aus unbekannten Strahlungsquellen geblendet - Experten vermuten, bodenstationierte sowjetische Laser hätten die empfindliche Aufklärungsoptik »blind geblitzt«.
Im Pentagon ist man jedoch felsenfest davon überzeugt, den Sowjets dennoch wieder einmal voraus zu sein. Richard DeLauer, Staatssekretär im Pentagon, glaubt, daß die US-Wissenschaftler in nahezu allen einschlägigen Technologien führen.
Nicht nur am Einsatz, auch an der Abwehr von Laserstrahlen arbeiten die Amerikaner. Eine Spezialabteilung des Verteidigungsministeriums setzte wiederholt amerikanische Raketenteile dem Beschuß mit Strahlen aus, die denen sowjetischer Laser entsprechen sollen.
Fazit von Richard Ruffine, Pentagon-Analytiker: »Wenn beide Seiten alle verfügbaren Technologien der Raketenabwehr und für die Überwindung der gegnerischen Abwehr einsetzen würden, könnten wir die Sowjets schlucken. Sie würden enorme Schwierigkeiten mit unseren Abwehrsystemen haben.«
Er warnt aber vor dem Gedanken, Moskau wenn schon nicht auf Erden, dann wenigstens im Weltraum totrüsten zu können. Die Sowjet-Union sei in der Lage, in jeweils zwei bis drei Jahren einen US-Vorsprung aufzuholen.
Sollte es einem der beiden Weltmachtkonkurrenten gelingen, auch nur einige wenige Weltraumwaffen mit Raketenabwehr-Kapazität in einer Umlaufbahn zu
stationieren, geriete das strategische Gleichgewicht aus den Angeln.
Diese Aussicht schreckte wohl auch den US-Senat, als er am Abend des 18. Juli ohne Gegenstimmen alle Versuche mit Weltraumwaffen ablehnte, solange der Präsident nicht »eindeutige Sicherheitsgründe« dafür geltend mache.
»Das führt zum Krieg im Weltraum, nicht als Alternative zum Krieg auf der Erde, sondern als Vorspiel dazu«, rügt der angesehene Rüstungsforscher und Regierungsberater Richard Garwin den Eintritt in die neue Rüstungsrunde.
Der Gefahr eines strategischen Ungleichgewichts müßte das technologisch rückständige Moskau zuvorkommen, fürchtet Victor Weisskopf, Physiker am weltberühmten Massachusetts Institute of Technology. Nach einem Laser-Briefing im Weißen Haus sagte er: »Die Sowjets werden einen Krieg anfangen, um die Stationierung eines solchen Systems zu verhindern.«
[Grafiktext]
Denkbares Raketen-Abwehrsystem mit Laser-Strahlen Satellit mit Reflektor Ein Laser-Reflektor, im Weltall stationiert, soll einen von der Erde ausgesendeten Laser-Strahl auf anfliegende Interkontinentalraketen umlenken. Interkontinentalrakete Laser-Batterie (auf der Erde)
[GrafiktextEnde]
Anti Ballistic Missile.