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»Wir marschieren unvermeidlich ins Unglück«

Monatelang hatte Präsident Carter versucht, die Geiseln in der Teheraner US-Botschaft durch Verhandlungen und Drohungen freizubekommen. Monatelang bereitete Carter ein Kommando-Unternehmen zur gewaltsamen Befreiung der gefangenen Amerikaner vor. Doch die Supermacht USA war auch dazu nicht in der Lage: Kläglich scheiterte vorigen Freitag der Versuch, die Erpressung durch einen militärischen Handstreich zu beenden.
aus DER SPIEGEL 18/1980

Die Salzwüste Dascht-i-Kawir zählt zu den trostlosesten Plätzen der Welt. Dort, rund fünfhundert Kilometer südöstlich der Hauptstadt Teheran, in der Verlassenheit von Sand, Steinen und Geröll, lief ein absurdes, in Washington verfaßtes Szenario ab, ein amerikanisches Trauerspiel.

Vergangene Woche, in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, landeten Transportmaschinen und Hubschrauber mit amerikanischen Spezialeinheiten in der finsteren persischen Einsamkeit. Noch bevor der Tag graute, hatten sie sich selbst schwere Verluste zugefügt und waren unverrichteterdinge wieder davongeflogen. Zurück blieben acht tote GIs, zwei Flugzeugwracks, ein defekter und vier intakte Hubschrauber sowie die gesamten Geheimpläne für das Entsatz-Unternehmen.

Schon wenig später erfuhr die Welt von einer der bestgeprobten und zugleich seltsamsten Aktionen, die je zur Befreiung von Geiseln unternommen worden waren: Von einem Flughafen bei Kairo, so meldete der israelische Rundfunk, seien amerikanische Transportmaschinen vom Typ C-130 »Hercules« aufgestiegen, hätten Kurs auf Bahrein im Persischen Golf genommen und seien nach einer Zwischenlandung von dort in den iranischen Luftraum eingedrungen.

Ziel der Aktion war es, in der Abgeschiedenheit der persischen Wüste eine Basis zu errichten, von der aus Hubschrauber die Geiseln aus der amerikanischen Botschaft in Teheran ausfliegen sollten.

Dazu kam es nicht. Laut Plan hätten sich acht CH-53-Hubschrauber vom Flugzeugträger »Nimitz« mit sechs von Kairo gestarteten »Hercules«-Maschinen in der Salzwüste treffen sollen.

Doch zwei der Helikopter schafften den Weg nicht, ein dritter hatte einen Schaden an der Hydraulik. Blieben nur noch fünf -- zu wenig für den Handstreich gegen Teheran. Das seit November trainierte Unternehmen wurde abgeblasen.

Als bei völliger Dunkelheit einer der Hubschrauber zum Rückflug startete, stieß er mit einer »Hercules« zusammen. Beide Maschinen gingen in Flammen auf.

Die Überlebenden luden ihre verwundeten Kameraden in die Transportmaschinen und verließen, nach Rücksprache mit Jimmy Carter, den Iran, ohne auch nur in die Nähe Teherans gelangt zu sein, wo die 50 US-Geiseln dem 174. Tag ihrer Gefangenschaft entgegenschliefen.

Am Freitagmorgen um sieben Uhr Washingtoner Zeit trat ein übernächtigter, blaß und deprimiert wirkender Jimmy Carter vor die Fernsehkameras, enthüllte der erstaunten Nation den neuesten Schlag gegen ihr Selbstbewußtsein und übernahm die volle Verantwortung für den Fehlschlag.

Es war gewiß eine der schwächsten Carter-Reden, gehalten in der »schwersten außenpolitischen Krise der USA«, wie Amerikas Kassandra vom Dienst, Henry Kissinger, bemerkte. Grund, laut Kissinger: Mangel an »klarer und eindeutiger Führung«.

So steht die Weltmacht USA in diesem Frühling da: Sie ist nicht in der Lage, dem Persien des Ajatollah Chomeini 50 US-Geiseln zu entreißen; nicht in der Lage, der sowjetischen Aggression in Afghanistan zu begegnen; nicht in der Lage, eine Weltkrise in den Griff zu bekommen, die seit Beginn des Jahres immer gefährlicher wird.

»Das ist wirklich eine griechische Tragödie«, meinte ein Beamter des State Department, »wir marschieren unvermeidlich ins Unglück -- und haben doch die besten Absichten.«

Das neue Unglück für Amerika, die amerikanische Rettungsaktion, kam so S.127 unerwartet, daß Verbündete wie Gegner sich schwertaten, daran zu glauben. Hatten sich doch die europäischen Alliierten, wenn auch zögernd, zu Boykottmaßnahmen gegen den Iran bereit gefunden, zum Handelsembargo gegen den Iran und zum Olympia-Boykott gegen Moskau -- nicht zuletzt mit dem Hintergedanken, die USA damit von kriegerischen Aktionen abzuhalten.

Doch für Jimmy Carter waren die Demütigungen durch das revolutionäre Persien inzwischen so schwer und die Meinungsumfragen, nach denen sich immer mehr Amerikaner für militärische Aktionen zur Geiselbefreiung aussprachen, so eindeutig geworden, daß sich der Zauderer zum Handeln entschloß. Längst war im Indischen Ozean in Angriffsnähe zum Iran eine Armada von 27 US-Kriegsschiffen zusammengezogen worden.

Daß es aber zu einem unmittelbaren militärischen Eingreifen der USA kommen sollte, traf die Welt völlig überraschend. War dies der Funke am Pulverfaß Mittelost? Der erste Schritt der Vormacht des Westens, die Industriestaaten um das existenzerhaltende Öl zu bringen?

Sowjet-Außenminister Gromyko, in Paris zu Besuch: »Als ich das hörte, konnte ich es zunächst nicht glauben. Doch nun habe ich eine zweite Meldung gelesen, es stimmt.«

Die sowjetische Nachrichtenagentur »Tass« brauchte denn auch einige Zeit, um das Unternehmen als »Herausforderung des internationalen Rechts« zu brandmarken.

Und selbst Chomeinis militärisches Oberkommando weigerte sich zunächst, die Geschichte überhaupt zu glauben; ein Sprecher der Botschaftsbesetzer bezeichnete die Enthüllung Washingtons als »schamlose Lüge« und »psychologischen Trick« Carters.

Doch Stunden später hatten die Perser schon ihre Märchen-Version von den Ereignissen parat: Verfolgt von iranischen Flugzeugen, seien die amerikanischen Maschinen in heilloser Verwirrung gegeneinandergeflogen und bei der Wüstenstadt Tabas abgestürzt.

Nun loderte neues antiamerikanisches Revolutionsfeuer in den Persern auf. »Das die Welt verschlingende Amerika«, giftete Teherans Rundfunk, »hat voll Stolz auf sein satanisches Kriegsmaterial versucht, mit dem Feuer zu spielen, und deshalb Truppen in die Wüste geschickt.«

Vor der amerikanischen Botschaft feierten Tausende von Persern den neuen Sieg über die USA. Teherans Regierung ließ höhnend verkünden: »Ihre Flugzeuge sind abgestürzt, ihre Hubschrauber sind im Dreck liegengeblieben, und sie selbst wurden Gefangene des grenzenlosen Gefängnisses der Wüste.«

Was war das für eine Großmacht, die Milliarden für Rüstung und Technologie S.129 ausgibt, es aber nicht schafft, Flugzeuge in einer Wüste sicher landen zu lassen, bevor der Feind in Sicht ist?

Wie, so mußten sich Amerikas Verbündete fragen, mag es dann um die Fähigkeiten eines Präsidenten bestellt sein, wenn eine Zuspitzung der Konfrontation mit der UdSSR die Supermacht USA wirklich fordert? Wie muß es um einen Präsidenten bestellt sein, dem Lob letzten Freitag nur noch von einer Maggie Thatcher, einem Richard Nixon und einem Franz Josef Strauß zuteil wurde?

Gewiß -- nicht Amerika hatte Geiseln genommen, nicht Amerika war in Afghanistan eingefallen. Aber dieses Amerika scheint doch zwischen Zaudern und Zuschlagen, frommer Enthaltsamkeit und cowboyhaftem Draufschlagen unberechenbar zu schwanken.

Dabei kann niemand Carter vorwerfen, er habe nicht versucht, die Geiseln durch Verhandeln zurückzubekommen; doch in seiner Befreiungsstrategie beging er schwere Fehler. So gelobte er schon gleich nach der Botschaftsbesetzung vom 4. November über Rundfunk, die Vereinigten Staaten wollten sich nicht zu einer militärischen Antwort provozieren lassen.

So löblich die Absicht, so falsch wahrscheinlich, sie öffentlich zu verkünden, vor allem zu einem Zeitpunkt, da eine Rettungsaktion noch die größten Chancen gehabt hätte, weil die Geiselnehmer da noch nicht gut organisiert waren.

Der sonst sprunghafte Carter hielt seine Linie lange durch. Noch im März sagte er: »Ich habe mich entschieden, politische und wirtschaftliche Möglichkeiten zu nutzen und auf militärische Mittel zu verzichten.« Er rühmte sich bei der Gelegenheit wieder einmal der Tatsache, daß während seiner Amtszeit kein einziger Amerikaner bei Kampfhandlungen gefallen sei.

Der Kolumnist Jack Anderson nannte Carter deshalb noch in der vorletzten Woche »gun shy« -- ängstlich im Umgang mit Waffen. Und der konservative Kommentator William Safire hielt dem Präsidenten vor, Staatschefs mit wenig Gefechtstoten seien keineswegs immer die besten gewesen.

Die amerikanische Öffentlichkeit, sonst leicht fürs Draufschlagen zu haben, billigte zunächst Carters Zurückhaltung. Der Präsident genoß nie soviel Zustimmung wie im November/Dezember, obwohl es ihm die Iraner schon damals keineswegs leicht machten.

So verweigerten sie Carters Beauftragtem, dem ehemaligen Justizminister Ramsey Clark, die Einreise, obwohl Clark zu Schah-Zeiten gegen Menschenrechtsverletzungen im Iran protestiert hatte und das neue Regime durch sein Anwaltsbüro beriet, wie es den Schah auf Entschädigung verklagen könne.

Carter antwortete auf die Brüskierung am 9. November, indem er die Ausfuhr von Ersatzteilen für die iranischen Streitkräfte im Werte von 300 Millionen Dollar unterband. Er befahl den Flugzeugträger »Midway« mit einem Konvoi von acht anderen Schiffen in den nördlichen Indischen Ozean, erste Drohgebärde, daß Amerika notfalls auch anders könne.

Ganz gewiß beging Carter dann einen weiteren Fehler: Im Dezember wurde der Schah aus seinem New Yorker Krankenhaus in ein Militärhospital in Texas verlegt. In den Augen der Iraner hatte sich die US-Regierung damit noch eindeutiger als Schah-Beschützer entlarvt.

Präsidentschaftsfavorit Edward Kennedy kritisierte die Bereitschaft der Regierung, den Schah aufzunehmen -- und fiel in den Meinungsumfragen jäh, wenn auch nicht nur deswegen, weit hinter den Präsidenten zurück.

Der Sicherheitsrat der Uno und der Internationale Gerichtshof in Den Haag appellierten an den Iran, die Geiseln freizulassen. Das Weiße Haus sprach von der Möglichkeit einer »passiven militärischen Aktion«, etwa einer Seeblockade des Golfs.

Mit dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan am 27. Dezember sahen die Amerikaner ihre Chancen wieder steigen: Sicherheitsberater Brzezinski S.130 versuchte, den Iranern klarzumachen, daß ihr wahrer Feind an den Grenzen im Nachbarland stehe und nicht im 15 000 Kilometer entfernten Amerika -- das mochte vielen einleuchten.

Brzezinski versuchte aber auch, die Botschaftsbesetzer als »linke Sowjets« vom »nationalen und islamischen Volk« und von der Regierung des Iran zu unterscheiden -- das wurde als schnöder Spaltungsversuch gewertet.

Aber die Revolutions-Regierung schien gegenüber den radikalen Botschaftsbesetzern an Boden zu gewinnen. Der neue Präsident Banisadr nannte die Geiselaffäre »eine weniger wichtige Angelegenheit«, die leicht beigelegt werden könne.

Am 11. Februar, dem 100. Tag der Geiselnahme, deutete Banisadr an, daß die Auslieferung des Schah nicht länger notwendig sei. Carter erklärte sich mit einer internationalen Kommission zur Untersuchung der Vergehen Amerikas und des Pahlewi-Regimes einverstanden, ein Zugeständnis an Teheran, aber auch ein Zugeständnis Teherans, das bis dahin ein vorheriges Schuldbekenntnis der USA verlangt hatte. Banisadr stellte gar die Entlassung der Geiseln innerhalb von 48 Stunden in Aussicht.

Wahrscheinlich war Carter damals auch bereit, die in den Vereinigten Staaten eingefrorenen iranischen Einlagen freizugeben. Aber auf persischer Seite wurden nun tiefe Meinungsverschiedenheiten offenbar: Die Studenten wollten ihre Geiseln nur auf Befehl des Ajatollah Chomeini freilassen. Der aber gab diese Order nicht.

Mochte der Schah die USA verlassen und nach Panama gehen; mochten Arafats PLO oder Syrien, westeuropäische Regierungen oder Uno-Chef Waldheim als Vermittler wirken, letztlich scheiterten die Lösungsversuche immer daran, daß in Teheran drei Machtzentren mit völlig unklaren Kompetenzen und Einzugsbereichen existierten -der Revolutionsrat, die Botschaftsbesetzer und Chomeini.

Ob der Ajatollah persönlich und direkt den Auftrag zum Sturm auf die amerikanische Botschaft in Teheran gegeben hatte, blieb weiterhin ungeklärt.

Fest aber steht, daß der greise Revolutionsführer in den Wochen und Tagen unmittelbar vor der Botschafts-Besetzung seinen antiamerikanischen Kurs verschärfte und in zahllosen Wahlreden für die bevorstehende Volksabstimmung über die neue islamische Verfassung die USA als »satanische Macht« brandmarkte.

Vieles spricht auch dafür, daß die Hundertschaft der eigentlichen Besetzer in der Mehrheit sogenannte »Studenten der Heiligen Schrift« aus Chomeinis Hauptquartier Ghom und aus Teheran sind, junge, fanatische Anhänger des Ajatollah, die sich, wie in der Karriere vieler islamischer Geistlicher üblich, weniger als Akademiker denn als Lehrlinge eines selbstgewählten Meisters verstehen.

Jedenfalls paßte das Piratenstück dem Ajatollah in seine islamische Revolutions-Strategie. Er erklärte den Überfall zum »revolutionären Akt« und ließ in einer ersten Stellungnahme wissen, er könne »die berechtigte Wut der islamischen Jugend verstehen«.

Dabei ist er im Prinzip auch geblieben. Er erklärte die gegen die Normen des Völkerrechts ebenso wie gegen die Gesetze des Koran verstoßende Geiselnahme zum »Willen des revolutionären iranischen Volkes« -- die Proteste und Reaktionen der USA zum Versuch, »den Islam zu vernichten«.

Mit Hilfe solch schlichter demagogischer Formeln war es dem Ajatollah ein leichtes, Millionen von Iranern, die vergebens auf die Früchte der Revolution gewartet hatten, permanent gegen den »amerikanischen Teufel«, den »Scheitan«, zu mobilisieren.

Die hilf- und ratlosen Reaktionen des US-Präsidenten deuteten der Ajatollah und sein Anhang höhnisch als Beweis von Schwäche und Feigheit. Die Großmacht USA, die im Iran zu Zeiten des Schah als übermächtig gegolten hatte, sei, so der Ajatollah, in Wirklichkeit »in Papiertiger, der vor der islamischen Revolution zittert: Jimm« » Carter trommelt auf ein leeres Faß. Er hat nicht die Nerven » » zu einer militärischen Operation, und sein Volk hört nicht » » auf ihn. »

Das faszinierende Satyrspiel um die US-Geiseln war Balsam für die Revolutionäre, die mit ihrem Werk immer weniger zurechtkamen: Drei Millionen Arbeitslose, Aufbegehren der ethnischen Minderheiten, Streit über den künftigen Wirtschaftskurs, unklare Herrschaftsstruktur -- das alles ließ sich in wogenden Demonstrationen gegen die USA gut vergessen. Der islamische David, so mußte es Millionen von Persern erscheinen, triumphiert über den ungläubigen Goliath.

Sicher ist: Ohne das Dauer-Stimulans hätte Chomeini bei der Volksabstimmung über seine neue islamische Verfassung keine so überzeugende Mehrheit bekommen -- dafür waren und sind die Widerstände gegen die Allgewalt einer wie zu den Zeiten des Schah allein entscheidenden Autorität im Iran zu groß.

Welch wertvolles Faustpfand die US-Geiseln für die eigenen Machtansprüche sind, hat Ajatollah Chomeini weitaus schneller erkannt als seine Widersacher in Washington.

Der im Westen oft pathologisch anmutende Haß auf die USA ist alles andere als frommer Eifer. Dahinter steckt das wohlberechnete politische Kalkül, daß die Flammen der islamischen Revolution nur durch ein populäres Feindbild neue und immer neue Nahrung bekommen.

Nur einer im Führungsstab der islamischen Revolution hat, soweit bekannt, dem Eiferer aus Ghom bei dieser Strategie zu widersprechen gewagt: Abol Hassan Banisadr. Der Wirtschaftsexperte, der zum Zeitpunkt der Geiselnahme dreifacher Minister im Teheraner Kabinett war, trat nach Meinungsverschiedenheiten mit dem Ajatollah über das richtige Krisenmanagement als Außenminister zurück S.133 und bewarb sich als Alternativ-Kandidat zu Chomeinis Kurs um das Amt des Staatspräsidenten.

Schon vor der Wahl besuchte Banisadr die besetzte Botschaft und machte den Geiselnehmern unmißverständlich klar, daß er ihre Tat als völkerrechtswidrig und als Verstoß gegen den Koran betrachte: »Ihr schadet der guten Sache.«

Drei Monate später wurde Banisadr von 75 Prozent der Wähler in das Amt des Präsidenten gewählt -- für Chomeini eine Niederlage. Der Ajatollah hatte auf den Mann gesetzt, der im 13köpfigen Revolutionsrat am willigsten Chomeinis Linie verfolgte, auf den Ajatollah Mohammed Beheschti.

Auch dem Präsidenten Banisadr waren die Geiseln in der US-Botschaft im Prinzip nicht unwillkommen, nur hatte er im Gegensatz zu Chomeini ganz andere Perspektiven für eine Lösung des Konflikts mit den USA.

Die Maximalforderung der von Chomeini gestützten Geiselnehmer -- Auslieferung des Schah und dessen Auslandsvermögens, öffentliche Entschuldigung der USA für ihre imperialistische Politik -- hält Banisadr für unrealistisch. Er sieht in dem Konflikt aber eine Möglichkeit, die Abrechnung mit der Vergangenheit des Schah-Regimes auf öffentlicher Bühne mit größtmöglicher internationaler Aufmerksamkeit zu führen.

Für seinen Aufbau braucht der Iran nach den Vorstellungen von Banisadr auch künftig die Wirtschaftshilfe des Auslands -- aber als gleichberechtigter Partner. Der Präsident wollte vermeiden, die Geiselaffäre so weit zu treiben, daß den Industrienationen nichts anderes übrigblieb, als sich dem amerikanischen Boykott anzuschließen.

Die stolze Armut, der Verzicht auf Konsum, die reine Lehre auf Kosten einer massenhaften Askese, Ziele, wie sie mitunter Chomeini propagiert, gehören nicht zum Revolutionsprogramm Banisadrs.

Um das Drama zumindest außenpolitisch zu entschärfen, mußte der Präsident erst einmal die Geiselnehmer als drittes Machtzentrum der iranischen Revolution ausschalten. Und das gelang ihm nicht.

Denn die jugendlichen Botschaftsbesetzer sind längst von Chomeini-hörigen Polit-Profis abgelöst, die mit der Duldung des Ajatollah am Revolutionsrat vorbei ihre eigene Politik betreiben.

Trotz Zustimmung des Revolutionsrates wurde andererseits dem Generalsekretär der Uno, Waldheim, und der später von Waldheim eingesetzten Untersuchungskommission der Zutritt zur Botschaft verwehrt.

Erklärte Gegner dieser Anmaßung im Kabinett, wie den Informationsminister Minatschi und den Vizepremier Intesam aus der Regierung des früheren Premiers Basargan, erklärten die Kidnapper kurzerhand zu »amerikanischen Spionen« -- die Minister wurden verhaftet.

Nur durch die Drohung, den Revolutionsrat aufzulösen, gelang es Banisadr, die usurpierte Macht der Geiselnehmer wenigstens einzuschränken. Chomeini, wegen Kreislaufschwäche im Krankenhaus, mußte widerwillig zustimmen, daß Banisadr im Revolutionsrat den Vorsitz übernahm.

Doch das vorsichtige Taktieren der iranischen Führung überzeugte die ungeduldig S.134 aufgebrachten Amerikaner nicht. Carter, wie die übrige westliche Welt über die komplizierten Machtverhältnisse in Teheran nur unzulänglich informiert, hielt die weiche Welle Banisadrs nur für eine neue Finte.

Denn Ajatollah Chomeini machte in einer Rede vor islamischen Richtern noch einmal klar, daß er die offene Konfrontation allem Taktieren vorziehe: »Keine Supermacht, weder Amerika noch die Sowjet-Union, kann ihren Willen einem Land aufzwingen, in dem alle geeint sind.«

Ende März konnte sich die Carter-Administration nicht länger der Einsicht verschließen, daß alle ihre diplomatischen Bemühungen zu nichts geführt hatten.

Unübersehbar war auch, daß die Stimmung in der amerikanischen Öffentlichkeit umschlug und eine ständig wachsende Zahl von Amerikanern die zuvor gelobte Zurückhaltung des Präsidenten als Schwäche ansah.

Auf einer Sitzung am 22. März in Camp David beschloß die Administration daher, die seit Anfang Februar angedrohten, aber immer wieder aufgeschobenen verschärften Sanktionen gegen den Iran in die Wege zu leiten.

Doch bevor das geschah, kam es noch einmal zu einem der typisch gewordenen Intermezzi in dem monatelangen Katz-und-Maus-Spiel: Ein kleiner Hoffnungsschimmer aus Teheran wurde von der Carter-Administration aus wahltaktischen Gründen zum »Licht am Ende des Tunnels« (so die gängige Formel aus dem Vietnamkrieg) aufgeblasen, das dann kläglich verlosch.

Am Dienstag vor Ostern hatte Banisadr nämlich verkündet, daß die Geiseln in die Obhut des Revolutionsrates überstellt werden sollten.

Minuten später schon, gerade rechtzeitig vor Eröffnung der Wahllokale in den Vorwahlstaaten Kansas und Wisconsin, unterrichtete Carter sein Volk von diesem »positiven Schritt« und kündigte an, daß die vorgesehenen Sanktionen noch einmal auf unbestimmte Zeit ausgesetzt würden.

Allerdings: Banisadr hatte an die Übergabe die Bedingung geknüpft, daß die Vereinigten Staaten sich jedweder »Propaganda, Agitation und Intrige« enthalten müßten, bis das neue iranische Parlament sich mit der Lösung der Geiselfrage beschäftigen werde -nicht vor Juni, für die USA unzumutbar.

So konnte Carter zwar die Vorwahlen in Kansas und Wisconsin gewinnen -- doch im Laufe der Woche blieb von Banisadrs »positivem Schritt« nichts mehr übrig.

Erst stimmte der Revolutionsrat dafür, die Entscheidung über die Geiseln dem künftigen Parlament zu überlassen, dann sprach der Ajatollah am Ostermontag das letzte Wort: Die Geiseln sollten weiterhin in der Gewalt der Besetzer bleiben.

Als Carter daraufhin seinen Osterurlaub in Camp David unterbrach, um nun doch seine verstärkten Sanktionen zu verhängen, hatte er, so ein Mitarbeiter, »Feuer in den Augen«.

Carters Beschluß: Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum Iran, Ausweisung der letzten 35 iranischen Diplomaten aus den USA, Verbot aller Exporte in den Iran bis auf ein Minimum von Lebensmitteln und Medikamenten und die mögliche Beschlagnahme der eingefrorenen iranischen Guthaben in den USA.

Carter trug dies so entschlossen vor, als sei nun endlich die Wunderwaffe gefunden, die den Iran gefügig machen werde. In Wahrheit waren es schulmeisterliche S.137 Strafmaßnahmen, von denen eine politische Wirkung nicht erwartet werden konnte.

Gleich mitangekündigt hatte Carter denn auch, daß die USA »weitere Maßnahmen« im Sinn hätten, wenn die bisherigen Maßnahmen »nicht zur prompten Freilassung der Geiseln« führten.

Immer offener wurde nun in den USA auch von den militärischen Möglichkeiten Amerikas geredet, etwa von der Verminung iranischer Häfen oder gar des ganzen Golfes durch die US-Schiffe und -Flugzeuge.

Doch mit Kommando-Unternehmen a la Entebbe oder Mogadischu haben die USA bislang keinerlei Erfolg gehabt.

Daß eine Befreiung der Geiseln in Teheran »technisch möglich« sei, glaubte Dan Schomron, der israelische General, der die Rettungsaktion von Entebbe geleitet hatte. Die zahlreichen bewaffneten Studenten, Miliz-Soldaten und anderen Waffenträger rund um die Botschaft könnten nach Schomrons Ansicht ein solches Vorhaben sogar erleichtern.

Ähnlich äußerte sich vorletzte Woche in TV-Interviews und einem Zeitungsartikel Miles Copeland, Ex-CIA-Agent im Nahen Osten, der 1953 den Putsch gegen Irans linken Premier Mossadegh mitorganisiert hatte.

Copeland regte an, Hubschrauber mit iranischen Hoheitszeichen und möglicherweise sogar in den USA ausgebildeten iranischen Chomeini-Feinden bei der Operation einzusetzen. In James-Bond-Art malte er aus, daß die Botschaftsbesetzer mit einem einschläfernden Gas unschädlich gemacht werden könnten.

Tatsächlich werden solche Einsätze von Kommandotruppen in Zivil auch in den USA keineswegs nur bei den Geheimdiensten geübt: Im Truppenausbildungsgelände Fort Bragg in North Carolina etwa machen sich zwei Sondereinheiten Soldaten für Kommando-Aufgaben fit.

Erfahrungen aus aller Welt bringt das »John F. Kennedy Center for Military Assistance« in Fort Bragg ein. Es tauscht Informationen aus mit Spezialisten aus befreundeten Ländern, unter anderem aus Israel.

Denn gestützt auf die Erfahrungen zweier Weltkriege verharrten die Amerikaner jahrzehntelang in dem Irrglauben, jedes Problem sei zu lösen, wenn man nur genügend Material in die Schlacht werfe.

Für konventionelle Kriege klassischer Art war das auch zutreffend: Amerikas nahezu unerschöpfliche Materialreserven bestimmten schließlich den Ausgang des Zweiten Weltkrieges.

Für den modernen Partisanenkrieg hingegen und überraschende Kommandounternehmen gelten andere Maßstäbe -- was die Amerikaner, wenn überhaupt, erst erkannten, nachdem sie in Vietnam fast 50 000 Mann und einen Krieg verloren hatten.

Sie schickten die am besten ausgerüstete Armee der modernen Geschichte nach Indochina, entwickelten immer neue, immer schrecklichere Waffen, bauten gigantische Militärflugplätze.

Israels Mosche Dajan, zu Besuch in Vietnam, beobachtete etwa, wie »die amerikanische Artillerie einen 200 Meter breiten Streifen ... mit nicht weniger als 21 000 Granaten belegte -mehr als die gesamte Artilleriemunition, die von der israelischen Armee im S.140 Suez-Feldzug und im Unabhängigkeitskrieg zusammen verbraucht wurde«.

Doch zu schwerfällig war die Maschinerie, als daß sie sich auf einen beweglichen Gegner, auf den plötzlichen Wechsel des Frontgeschehens hätte einstellen können.

Und nichts geschah oder geschieht spontan, alles wird von einer Vielzahl von Stäben, Experten, neuen Stäben, neuen Experten bis ins letzte Detail geplant und zerredet. Da bleibt kein Spielraum für Improvisation, da hilft nur der Glaube, der Feind werde sich so verhalten, wie es im amerikanischen Drehbuch nun einmal vorgesehen ist.

So scheiterten die Amerikaner denn auch, als sie im November 1970 versuchten, knapp 70 amerikanische Kriegsgefangene in Nordvietnam zu befreien.

Aufgrund von Berichten der Geheimdienste wurde das Gefangenenlager Son Tay nahe Hanoi als Ziel ausgewählt; eine eigens gegründete »Joint Contingency Task Group Ivory Coast« unter Führung eines Brigadegenerals und eines Obersten arbeitete die Details aus. Als Tag X wurde der 13. November 1970 bestimmt.

Im Juli 1970 ergab sich zwar aus Aufklärungsphotos, daß die Nordvietnamesen das Lager inzwischen geräumt hatten. Aber die Maschine lief -- und so gingen die Vorbereitungen weiter. Nach der Landung mußten die Stoßtruppler feststellen, daß es im Lager Son Tay niemanden zu befreien gab.

In Persien gab es Amerikaner zu befreien -- aber auch für den amerikanischen Präsidenten viel zu verlieren. Gewiß würde Jimmy Carter in den USA heute als Held gefeiert werden, wäre die Befreiungsaktion geglückt -- und Amerika hätte selbst dann noch gewonnen, wenn die Geiseln bei einem Rettungsversuch umgekommen wären: Die Weltmacht USA befände sich nicht länger in den Händen einer quirligen revolutionären Szene, deren Einfallsreichtum und Exzessen möglicherweise auch ein klügerer, zielbewußterer Präsident nicht gewachsen gewesen wäre.

So aber war der Schaden unabsehbar: eine blamierte Weltmacht, nun erst recht wohl kein Gesprächspartner für die Falken in der Kremlführung; ein Persien, das sich an die Seite der Sowjet-Union gedrängt sehen könnte, wodurch sich Moskaus Position in Mittelost abermals schlagartig bessern würde; Verbündete, die sich, weil nicht informiert, abermals übergangen fühlen, und schließlich ein Präsident -was für ein Präsident]

Er könnte sich getrieben sehen, neue, vielleicht verzweifelte außenpolitische Züge zu tun, um daheim seine Wahlen zu gewinnen, die er vielleicht dennoch verliert, oder er resigniert -- eine Reprise des Schicksals des Vietnam-Präsidenten Lyndon B. Johnson und eine Reprise des Vietnam-Traumas für Amerika.

Auch wenn die Iran-Aktion militärisch gelungen wäre -- die politische Härte zeugte keineswegs von Entschlossenheit S.142 und Konzeptionsklarheit in der Regierung. Bis ins Weiße Haus hinein herrschten Zweifel an der Zweckmäßigkeit einer Militäraktion, und diese Zweifel drangen sogar nach außen: Am Dienstag offenbarten leitende Mitarbeiter des Weißen Hauses ihr »bedrohliches Gefühl, in eine militärische Konfrontation zu schlittern«, wie es Carters Reden-Schreiber Hendrik Hertzberg formulierte.

So gelobte denn Jimmy Carter in seiner Fernsehansprache, er wolle sich weiterhin um die Befreiung der Geiseln bemühen -- aber »mit friedlichen Mitteln«. Wenn das nicht Täuschung war, dann war es die Kapitulation.

Wie sehr die Verschärfung den Wünschen Chomeinis entsprach, hatte der Ajatollah schon zwei Wochen vor dem amerikanischen Unternehmen »ber Funk und Fernsehen überdeutlich gemacht: Die kämpfende Natio« » des Iran hat jeden Grund, diese gute Nachricht des » » endgültigen Sieges zu feiern, der eine grausame Supermacht » » gezwungen hat, ihre Beziehungen abzubrechen und ihren » » Plünderungen ein Ende zu machen ... »

Auch die heimliche Allianz zwischen dem Ajatollah und den Geiselnehmern ist voll wiederhergestellt. Im 14köpfigen Revolutionsrat sind seit dem offenen Bruch mit Amerika die Stimmen, die zu einer vernünftigen Regelung der Geiselfrage mahnen, eindeutig in der Minderheit. Außer Banisadr und Ghotbsadeh ist aus Überzeugung nur noch Ex-Premier Basargan gegen die Verschärfung des Kurses.

Die Macht der Gemäßigten wird zusätzlich beschnitten durch die Propaganda der klerikalen Chomeini-Anhänger um Beheschti, die sich von einem Hochputschen der antiamerikanischen Sentiments im Land zusätzliche Stimmen für den zweiten Weltkrieg der Parlamentswahlen am 9. Mai versprechen.

Im ersten Wahlgang Mitte März hatten von 270 möglichen Abgeordneten nur 79 die geforderte absolute Mehrheit erreicht, davon gehören schon jetzt 37 der »Islamischen Republikanischen Partei« des Ajatollah Beheschti. Sie lehnt jede Freigabe der Geiseln ab.

Am 10. April warnten die Botschaftsbesetzer das letztemal vor einer »ewaltsamen Befreiung der Geiseln: Im Namen Gottes, des Rächers, » » warnen wir die Verbrecherregierung Amerikas ausdrücklich, » » daß, wenn sie auch nur die geringste militärische » » Intervention gegen den Iran unternimmt, wir alle Geiseln auf » » der Stelle töten werden. »

Vorigen Freitag erklärte in Teheran ein ängstlich wirkender Außenminister Ghotbsadeh: »Ich hoffe, dies führt nicht zu einem Unglück für die Geiseln.« Das war eine Mahnung an die Botschaftsbesetzer, ihren Sieg nicht rauschhaft zu genießen.

Aber der Minister warnte auch die USA: Sollten die Amerikaner einen neuen Rettungsversuch unternehmen, werde der Iran sein Öl in den Persischen Golf fließen lassen.

Ghotbsadeh: »Das Öl auf dem Wasser wird dann angezündet.«

S.130

Jimmy Carter trommelt auf ein leeres Faß. Er hat nicht die Nerven zu

einer militärischen Operation, und sein Volk hört nicht auf ihn.

*

S.142

Die kämpfende Nation des Iran hat jeden Grund, diese gute Nachricht

des endgültigen Sieges zu feiern, der eine grausame Supermacht

gezwungen hat, ihre Beziehungen abzubrechen und ihren Plünderungen

ein Ende zu machen ...

*

Im Namen Gottes, des Rächers, warnen wir die Verbrecherregierung

Amerikas ausdrücklich, daß, wenn sie auch nur die geringste

militärische Intervention gegen den Iran unternimmt, wir alle

Geiseln auf der Stelle töten werden.

*

S.126Am vorigen Freitag.*S.130Beim Ostergottesdienst mit Erzbischof Capucci und US-Pastor Bremer.*S.142Am vorigen Freitag.*

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