»Wir müssen erwachsen werden«
Am 8. August noch zeigte US-Präsident George Bush im Telefonat mit Helmut Kohl Verständnis für dessen Schwierigkeiten mit dem Bonner Grundgesetz, die einen Militäreinsatz der Bundeswehr außerhalb des Nato-Gebiets behindern. Damals sagte der Kanzler als deutschen Beitrag in der Golf-Krise strengste Beachtung des UN-Wirtschaftsembargos gegen den Irak zu und obendrein den Ersatz amerikanischer Marineeinheiten im Nato-Schutzgebiet um Kreta durch fünf Minensuchboote und zwei Versorgungsschiffe der Bundeswehr. Bush war zufrieden.
Ende voriger Woche fragten die Amerikaner inoffiziell bei der Bonner Regierung an, ob die Deutschen nicht doch etwas mehr tun könnten - ein wenig außerhalb der vom Grundgesetz gezogenen Grenzen. Ob die deutschen Minensucher, einmal im östlichen Mittelmeer, sich an der Sicherung der gesamten Suez-Kanal-Zone beteiligen könnten?
Einsatzgebiet der deutschen Minenräumer, so der US-Vorschlag, sollen der Kanal sowie die beiden Mündungsgebiete im Norden und Süden sein - Gewässer zwar außerhalb des Nato-Areals, aber immer noch weit von der eigentlichen Krisenregion am Persischen Golf entfernt. Schließlich sichere die Lebensader Suezkanal ja auch existentielle Interessen der Bundesrepublik.
Kohl steckt in der Klemme. Die Amerikaner mag er nicht enttäuschen, nachdem die »durch dick und dünn« (Kohl) den deutschen Einheitsprozeß unterstützten. Doch er weiß nicht recht, wie er den USA entgegenkommen kann.
Nach der gemeinsamen Überzeugung des Kanzlers und konservativer Völkerrechtler erlaubt Artikel 24 des Grundgesetzes einen Einsatz der Bundeswehr im Krisengebiet, auch wenn nach Artikel 87a »Streitkräfte zur Verteidigung« dienen und nur eingesetzt werden dürfen, »soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt«. Nach Bonner Ansicht gehe es auch um Leib und Leben von etwa 1000 Deutschen, die den Irak nicht verlassen dürfen.
Tatsächlich ist der Wortlaut von Artikel 24, der den Bund _(* Vor dem Auslaufen in Wilhelmshaven am ) _(16. August. ) ermächtigt, »durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen« zu übertragen, nicht eindeutig: _____« Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem » _____« System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er » _____« wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte » _____« einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung » _____« in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen » _____« und sichern. »
Während Kohl einen deutschen Militäreinsatz außerhalb des Nato-Gebiets zur Chefsache machen wollte ("Das ist nun wirklich eine Entscheidung, die ganz wesentlich vom Regierungschef mitgeprägt werden muß"), sah es sein Koalitionspartner exakt andersherum.
Die Liberalen, in der Interpretation der Verfassung einig mit der SPD, versprachen, sie würden Kohl »stoppen«, falls er »einen Durchmarsch« versuche. Der FDP-Abgeordnete Olaf Feldmann warnte Kohl, »durch einsamen Beschluß in einer verfassungsrechtlichen Grauzone das Leben junger Soldaten aufs Spiel« zu setzen. Und Außenminister Hans-Dietrich Genscher paßt die ganze Richtung nicht. Er will - wie die SPD - einem UN-Einsatz der Bundeswehr nur zustimmen, wenn zuvor das Grundgesetz ergänzt wird.
Der Vize-Kanzler, dessen Parteifreund Burkhard Hirsch den Einsatz der deutschen Minensuchboote selbst im östlichen Mittelmeer als »trost- und sinnlose Symbolhandlung« kritisierte, ist tief besorgt, daß Glaubwürdigkeit und Spielraum der Bonner Außenpolitik in der arabischen Welt durch das Flaggezeigen der Bundesmarine eingeschränkt werden könnten. Militärisches Engagement der Deutschen in der Krisenregion berge das Risiko, daß die Bundesrepublik als Helfershelfer der USA und Israels dastehe.
Der Bonner Kanzler war durch ein vertrauliches Telefonat mit Italiens Ministerpräsident Giulio Andreotti in die Diskussion um einen Einsatz der Bundesmarine außerhalb des Nato-Gebietes gezogen worden. Andreotti fragte an, ob Bonn sich an einer Aktion der Westeuropäischen Union (WEU) in der Krisenregion beteiligen wolle. Kohl sagte bedingt ja: wenn die Deutschen das könnten und dem Gesetz nach dürften.
Es war lange Jahre in Bonn unumstritten, daß die Verfassung einen Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Nato-Gebiets verbiete. Doch schon Ende 1987, auf dem Höhepunkt des iranisch-irakischen Krieges, kam dieser zuletzt im November 1982 vom Bundessicherheitsrat bekräftigte Grundsatz ins Rutschen.
Damals ersann das Verteidigungsministerium Szenarien, in denen die Beteiligung der Bundesmarine an »Minenräumaktionen« durchgespielt und über bewaffneten Geleitschutz für deutsche Handelsschiffe in Kriegsgebieten ("z. B. Iran/ Irak") nachgedacht wurde (SPIEGEL 49/1987).
Konkreter Hintergrund war auch damals das Verlangen der USA, Bonn solle Minensucher in den Persischen Golf entsenden und überdies im Mittelmeer für Entsatz sorgen - Teile der 6. US-Flotte operierten längst mit Schießbefehl im Golf. Damals demonstrierte die Bundesregierung Solidarität auf dem kleinsten Nenner: Sie schickte nur den Zerstörer »Mölders«, die Fregatte »Niedersachsen« und einen Versorger zu einer Nato-Flotte ins Mittelmeer.
Unterstützt vom damaligen Verteidigungsminister Manfred Wörner forderte Kohls Sicherheitsberater Horst Teltschik mehr: Die Bundesregierung müsse darüber nachdenken, wie sie »im stärkeren Maße internationale Verantwortung« übernehmen könne; das Grundgesetz jedenfalls biete »viel mehr Möglichkeiten« als gemeinhin angenommen.
Und schon bei der Golf-Krise 1987 war die SPD-Opposition alarmiert. Um zu verhindern, daß die Bundesrepublik im Fahrwasser der USA in Konflikte gezogen werden könnte, schlugen die Sicherheitspolitiker der Fraktion vor, den Artikel 24 so zu ergänzen, daß ein Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Nato-Gebiets »nur im Rahmen der Satzung der Vereinten Nationen und zur humanitären Hilfeleistung« möglich sein solle.
Genau deshalb will sich Kohl einen deutschen Militäreinsatz von der Uno, einem »System kollektiver Sicherheit«, legitimieren lassen. Die Bundesrepublik, argumentiert Sicherheitsberater Teltschik, sei der Weltorganisation ohne Vorbehalte beigetreten. Sollte die Uno deutsche Soldaten zu den Waffen fordern, ist dies nach seiner Meinung schon jetzt vom Grundgesetz gedeckt.
Allerdings beschränkt der Vertrag zur Westeuropäischen Union den Verteidigungsfall auf einen »bewaffneten Angriff in Europa«, die Allianz bestimmt als südliche Grenze des Operationsgebiets den Wendekreis des Krebses: Nach gängiger Meinung bieten beide Verträge keine Handhabe für deutsche Marineoperationen im Golf.
In dieser Woche wird der Auswärtige Ausschuß des Bundestags das Problem diskutieren. CSU-Landesgruppenchef Wolfgang Bötsch ebenso wie der Staatsrechtler und Ex-Verteidigungsminister Rupert Scholz halten dafür, Artikel 24 sei auch »für Uno-Truppen gedacht«.
Der Christsoziale sagt ungeschminkt, welche Rolle er deutschen Streitkräften zuweisen möchte: Bisher habe die Bundeswehr geholfen, »die Kriegsgefahr in Europa« zu bannen; »in den nächsten Jahren« werde es die Aufgabe sein, »in anderen Regionen eine mögliche Kriegsgefahr schon im Keim zu ersticken«.
Ähnlich klingt es von der Hardthöhe. Fixiert auf den Ost-West-Konflikt, hätten die Deutschen Gefahren aus dem Süden allzulange verdrängt. Nun, da sich mit dem Ende der Feindschaft zwischen Moskau und Washington die Chance biete, die Uno als Konfliktregelungsorgan handlungsfähig zu machen, könne sich Bonn vor der Verantwortung nicht länger drücken. Ein General: »Wir müssen erwachsen werden.«
Daß sich die Deutschen einem Uno-Mandat nicht auf Dauer werden entziehen können, sehen auch die Sozialdemokraten. Aber sie bestehen - ganz auf Genscher-Linie - auf einer klaren Regelung.
Auf gar keinen Fall, warnt SPD-Sicherheitspolitiker Horst Ehmke, dürfe sich Bonn in den Aufmarsch am Golf hineinziehen lassen. Erst wenn die Siegermächte Deutschland in die Souveränität entlassen haben, sollte festgelegt werden, welche militärischen Verpflichtungen die Streitkräfte des Bundes unter Uno-Befehl übernehmen könnten.
Ehmke: »Laßt uns bloß nicht mitten in diesem komplizierten Prozeß der Einigung die Finger in die Wurstmaschine stecken.«
* Vor dem Auslaufen in Wilhelmshaven am 16. August.