US-Soldaten »Wir mußten die 7. Armee ruinieren«
Im Morgengrauen des 10. Juli 1943 stürmten amerikanische Soldaten von seewärts die Strände Siziliens. Es waren GIs einer Truppe, die erst Stunden zuvor aus einem gewaltigen Aufgebot von Truppentransportern erwachsen war, erst in dieser Nacht ihren Namen bekam und noch vor dem lichten Tag Tote zu Hunderten zählte: der 7. US-Armee. »Geboren auf See, getauft im Blut und gekrönt mit Ruhm«, so sprach General George 5. Patton von ihr, der erste Oberbefehlshaber.
2000 Kilometer mißt der blutige Weg, den sich die 7. US-Armee nach Norden kämpfte: über Messina nach Besancon, vom Rhein (25. März 1945) zum Obersalzberg Adolf Hitlers (4. Mai 1945). Verluste in 668 Kampftagen: 15 271 Tote, 58 342 Verwundete. Das Hauptquartier der Siebten über die Soldaten der Siebten: »Eine dankbare Nation wird sich der Heldentaten erinnern.«
Das ist lange her. Seit nahezu 27 Jahren weilen US-Soldaten in dem Land, das es einst zu besiegen galt, in Deutschland. Die Erinnerungen an die Heldentaten sind verblaßt, Patton ist nur für Veteranen noch ein Begriff. Und was die amerikanische Nation heute aus Europa über ihre 7. Armee erfährt, ist alles andere als ruhmreich.
Es sind, so das amerikanische Nachrichtenmagazin »Newsweek« im letzten Jahr, »immer schrecklichere Berichte über eine Armee, die von lähmenden Problemen geplagt wird": von Rauschgift-Verseuchung und Gewalttätigkeiten, kaum verdecktem Rassenhaß und Verfall der militärischen Disziplin. Der Specialist 4, Michael Montgrain, sagt, was viele denken: »Ich will nur noch eins -- raus aus der Armee.«
Die Väter der Montgrains waren einst nach Deutschland gekommen, um die »Kräfte der Barbarei« zu stoppen (so US-Präsident Franklin D. Roosevelt). »In Herz, Leib und Seele«, warnte die US-Soldatenzeitung »The Stars and Stripes« damals, »ist jeder Deutsche ein Hitler.« Sie verdammten die »Krauts« und warnten vor »Veronika Dankeschön**.
Sie demontierten und entnazifizierten -von Gruppe 1 (Hauptschuldige) bis Gruppe V (Entlastete). Sie suchten den Besiegten klarzumachen, »daß sie nicht der Verantwortung entgehen können für das, was sie selber auf sich geladen haben« (so die Direktive JCS 1067 der US-Militärregierung), und mühten sich, »das Denken des deutschen Volkes« mittels Reeducation »in demokratische Bahnen zu lenken«.
Das ist lange her. Seit den Vietnam-Massakern von My Lai und My Khe fragen sich immer mehr Amerikaner, was sie selber auf sich geladen haben. Ob amerikanisches Denken in demokratische Bahnen zu lenken sei, ist Gegenstand inneramerikanischer Kontroversen geworden.
Und daß der American Way of Life, der nach dem Zweiten Weltkrieg für die halbe Welt ein sicherer Pfad zu Freiheit, Frieden und Wohlstand zu sein schien, sich längst für viele US-Bürger, zumal der jüngeren Generation, eher wie eine Sackgasse ausnimmt -- wie kann das wundernehmen« seit sich die Nation des Sklavenbefreiers Abraham Lincoln in immer neue Rassenkonflikte verstrickt, seit im reichsten Land der Erde Millionen-Städte sozial verseuchen. Was Wunder auch, daß die Krise dieser Nation durchschlägt auf die Truppe, die sie fernab in Deutschland unterhält:
* Im Jahre 1971 verließen pro Monat
durchschnittlich 550 Gls der 7. Ar-
* Auf dem NS-Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.
** »Veronika Dankeschön": Armee-Slang für venereal disease (V. D.). Geschlechtskrankheiten.
mee unerlaubt die Truppe -- monatlich 200 mehr als im Jahr zuvor. Nahezu jeder fünfte von ihnen blieb länger als einen Monat aus, und zur Zeit fahndet die Armee nach etwa tausend Deserteuren.
* Im Jahre 1971 verübten amerikanische Soldaten in der Bundesrepublik 2319 Gewaltverbrechen (Körperverletzung, Mord und Totschlag, Notzucht, Raub) -- 40,5 Prozent mehr als im Vorjahr, 75 Prozent mehr als 1969.
* 46 Prozent der in der Bundesrepublik stationierten US-Soldaten haben Erfahrung mit Haschisch, 16 Prozent drehen sich zumindest dreimal pro Woche einen Joint. In jeder Kompanie gibt es wenigstens einen LSD-Süchtigen. »Rauschgift«, so der ehemalige Truppen-Psychiater im Heidelberger Hauptquartier Forest S. Termant, »ist unser soziales Problem Nummer eins.«
* Der Rassenkonflikt hat eine neue Dimension gewonnen: Schwarze Gis verweigern ihren weißen Vorgesetzten immer häufiger den Gehorsam, und zwei Drittel der Befehlsverweigerer wie nahezu die Hälfte der in den Militärgefängnissen Inhaftierten sind Schwarze. Weiße Rassisten formieren sich im Terrorbund Ku-Klux-Klan.
»Das »Ami go home' ist unterschwellig.«
»WeIl«, sagt General Michael S. Davison, der Chef der 7. US-Armee, zum SPIEGEL, »die Menschen, mit denen wir es in der Armee zu tun haben, kommen eben aus dem Sozial-Milieu unseres Landes. Es wäre doch mehr als ungewöhnlich, wenn all diese Probleme vor den Kasernentoren haltmachten.«
Verschärfend wirkte sich das militärische Engagement der Amerikaner in Südostasien aus. Immer wieder »wurde die 7. Armee für Vietnam ausgefloht« (so ein deutscher Nato-General). US-Garnisonen in Deutschland dienten vor allem als Rekrutierungsstätten und Etappe für die Frontsoldaten, und dieser häufige Wechsel von Kommandeuren und Unteroffizieren zehrte an der Substanz.
Vom Pentagon kam Ende der sechziger Jahre immer weniger Hilfe für die Streitkräfte in Europa. Für die 7. US-Armee begann »der Marsch in die Talsohle« (ein deutscher Führungsgeneral). Der Führung fehlte Geld: Geld für moderne Ausrüstung, Geld für die Renovierung der überalterten Kasernenbauten und Geld auch für militärische Übungen. General Davison: »Wir haben für Vietnam einen schrecklichen Preis bezahlt, einen schrecklichen. Wir mußten die Siebte Armee ruinieren.«
Solche Offenheit, immer noch gute amerikanische Tradition, gilt der größten Armee, die von den USA je zu Friedenszeiten im Ausland unterhalten wurde. Die 7. US-Armee zählt derzeit 185 000 Mann, rund 3300 Panzerfahrzeuge, mehr als 400 Geschütze. Ihre Vorräte an Munition, Treibstoff und Verpflegung reichen für 90 Kampftage (Bundeswehr: 14 Tage).
Diese Truppe, längst nicht mehr Besatzungsmacht und zwischen Rhön und Hunsrück ·bundesdeutsches Zubehör, versteht sich -- armeeoffiziell -- als »wichtigster Bestandteil im System der Abschreckung für die Sicherheit Westeuropas«, als »Eckpfeiler der Landstreitkräfte der Nato«. GI-Auftrag: »Soldat, du bist in Deutschland, um deine Aufgabe innerhalb der Nato zu erfüllen; den Deutschen ein guter Nachbar zu sein; wenn es notwendig wird, für die Rechte freier Menschen in einer freien Welt zu kämpfen« -- und dafür, für den Kriegsfall, wähnt sich die 7. Armee jederzeit gerüstet, »immer bereit loszuschlagen« und »jeder ihr gestellten Aufgabe gewachsen«.
Ist sie das? Oder ist ihre Kampfkraft tatsächlich beeinträchtigt -- wie namhafte liberale US-Zeitungen im Laufe des Jahres 1971 behaupteten? Noch im Dezember begann ein umfänglicher Bericht der »New York limes« über die 7. US-Armee mit den Worten: »Geplagt von Rassenspannungen, lax werdender Disziplin und zunehmenden Zweifeln in den Kampfauftrag ...«
Oder ist dies weniger Wahrheit denn Kampagne? Ist die 7. Armee nur ins Gerede gekommen, weil in den USA Politiker wie der demokratische Senator Mike Mansfield -- und die ihm gewogene Presse -- den Rückzug der amerikanischen Streitkräfte aus Europa fordern und damit der ohnehin latenten Isolationismus-Stimmung in den USA das Wort reden?
Springers »Welt« sah jedenfalls schon »Mansfields Schatten über Europa«, der »Bayernkurier« des Franz Josef Strauß gar eine »tödliche Gefahr«. Die »Stuttgarter Zeitung« warnte: »Ein Gespenst steht auf -- Nw-Isolation in Amerika«, und die »Wehrpolitische Information« barmte: »Ami bleib hier«.
Warum sie hier bleiben sollen, erschließt sich den jungen Amerikanern in einer Welt des Wandels, die den Kalten Krieg zwischen Ost und West für passe erklärt hat, manchmal überhaupt nicht mehr. Hinter den Kasernentoren läßt sich nur noch mühsam Stimmung für den Nato-Job machen -- bei Wehrpflichtigen ebenso wie bei Freiwilligen, die sich oft nur deshalb zur Armee gemeldet haben, weil sie zu Hause der Arbeitslosigkeit oder aber der Einberufung und mithin dem möglichen Einsatz in Vietnam entgehen wollten.
»Die Deutschen können sich doch allein verteidigen, die haben eine verdammt gute Armee und werden kämpfen wie die Teufel, um nicht zum drittenmal einen Krieg zu verlieren« -- so reimt sich Spec. 4 Henry A. Swilly, ein Südstaatler in Darmstadt, die Sache zurecht, und wie er denken und reden viele. Auch mit Pop-Postern« die neuerdings in den US-Garnisonen aushängen, dürfte es vielen nicht mehr verständlich zu machen sein, »weshalb sie in Deutschland sind«.
Das will so ohne weiteres nicht einmal den Bundesbürgern mehr einleuchten. Denn seit die deutsche Politik, im Ost-West-Verhältnis einen Wandel durch Annäherung herbeizuführen, ihre globale Entsprechung in sowjetischamerikanischen Abrüstungsgesprächen, im Vier-Mächte-Abkommen über West-Berlin und schließlich auch im US-chinesischen Techtelmechtel gefunden hat, schrumpft des deutschen Bürgers Schutzbedürfnis vor rotem Unheil.
Hinzukommt, daß die militärisch Besiegten sich längst als ökonomisch Arrivierte begreifen und ihr einstiges Minderwertigkeitsgefühl mittlerweile in Überheblichkeit ("Wir sind wieder wer") aufgewertet haben -- und das spätestens, seit der Sieger-Nimbus der Amis im Mekong-Delta und die Stabilität des Dollars an den Weltbörsen zerbröselten.
Daß in der Negerkneipe »Blue up« zu Neu-Ulm ein deutscher Polizist von Amis zusammengeschlagen wurde, ist keine Rarität in der Besatzungsgeschichte. Ein Novum aber ist, wie die Deutschen 1971 reagierten: »Die Stimmung«, so der Neu-Ulmer Kripo-Vize Kurt Weisemann, »ist hier so wie überall im Lande: Man ist der Amerikaner überdrüssig. Das »Ami go home« ist unterschwellig, das schwelt so. Daran ist nur die Kriminalität schuld. Die Leute sagen sich einfach: 26 Jahre sind genug.«
Einst war jeder Bob und Dick ein Weihnachtsmann.
Nichts spricht dafür, daß die Deutschen nach einem Vierteljahrhundert Nachbarschaft für die Amis mehr als Vorurteile übrig hätten. Darüber können auch Pseudo-Identifikationen nicht hinwegtäuschen wie John F. Kennedys »Ich bin ein Berliner« und die Tatsache, daß allein zwischen 1959 und 1970 etwa 50000 deutsche Fräuleins US-Soldaten geehelicht haben.
Und auch den Amerikanern ist Germany ein fremdes Land geblieben. »Der Soldat«, sagt Forest S. Tennant, »lebt hier in einer Art Getto.« Die Getto-Bürger -- 185 000 Soldaten samt 140000 Familienangehörigen -- leben in Hessen, Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und West-Berlin. 114000 GIs, Zumeist untere Dienstgrade, wohnen in Kasernen, 42000 Offiziere, Unteroffiziere mit ihren Familien in abgeschiedenen US-Siedlungen ("Golden Ghettos") und nur 29 000 mit ihren Familien mitten unter den Deutschen, in Mietwohnungen.
Sie schicken ihre Kinder in amerikanische Schulen oder in die Dependencen amerikanischer Universitäten und kaufen sich Popcorn und »Pall Mali« (Stangen-Preis: 1,90 Dollar) in amerikanischen Warenhäusern, den »PX«-Lädden. Nach Feierabend spielen die Gastsoldaten in ihren Clubs Baseball, Bridge und Bingo« sehen in ihren Kinos, so im Baumholderer »Wagon Wheel Theater«, heimische Western oder feiern, wie in München, ihr eigenes »Little Oktoberfest«.
Auch das ist lange her: daß die Deutschen begierig waren, Zugang zu dieser geschlossenen Ami-Gesellschaft zu finden, in der es all das gab, was man nicht kaufen konnte: Kaugummi und Glenn-Miller-Platten, Kreppsohlen und Straßenkreuzer. Für Otto Normalverbraucher des Jahres 1947, der Kippen sammelte und hamstern ging, war jeder Bob
Heute müssen sich viele GIs in der Bundesrepublik eher wie Unterprivilegierte vorkommen -- trotz der zum Jahreswechsel verfügten Sold-Reform. die speziell den Längerdienenden Soldaten der unteren Dienstgrade erhebliche Zulagen bescherte. So verdient ein Gefreiter statt bislang 278 jetzt 442 Dollar monatlich.
Geldsorgen haben vor allem die etwa 112000 US-Soldaten der unteren Dienstgrade, die, ohne finanzielle Unterstützung durch die Armee, mit ihren Familien bei deutschen Hauswirten zur Miete wohnen, denn Zuschüsse für Wohnung und Essensgeld erhalten nur jene Soldaten, die sich für zumindest vier Jahre zum Armeedienst verpflichtet haben oder aber wenigstens Sergeants (Spec. 5) sind.
Spec. 4 Bill Bacher, etwa im Range eines Unteroffiziers, hingegen mußte im letzten Jahr von seinem 350-Dollar-Sold (1050 Mark) monatlich allein 100 Dollar (300 Mark) für seine Mannheimer Wohnung aufwenden. Mrs. Linda Bacher: »Ich konnte mir noch kein einziges Kleid kaufen, seit wir hier sind.«
Geld hinzuverdienen mußten sich Spec. 4 Steven Sparks und seine Frau Jennifer, die in Pfungstadt 111 Dollar für ihre Wohnung zahlen. Steven besserte die Haushaltskasse durch gelegentliche Nachtarbeit im Soldaten-Club seiner Garnison (50 Dollar pro Monat) auf, Jennifer durch ihren 100-Dollar-Job im Kinderhorst der Darmstädter Cambrai-Fritsch-Kaserne.
Und wenn es die Armeezeitung »The Stars and Stripes« nicht selber melden würde, wäre es kaum zu glauben: daß Ost-Berlin für US-Soldaten, die in West-Berlin stationiert sind, »attraktiv« geworden sei, »weil dort der Dollar noch immer vier Ostmark wert ist«. Das Blatt berichtete von einem Sergeanten, der regelmäßig mit seiner Frau nach drüben fährt, um »zu vernünftigen Preisen« Schnitzel zu essen.
Das mögen Extremfälle sein, die für das Gros der US-Soldaten, zumal für die Längerdienenden und Offiziere, keineswegs typisch sind. Aber sie zeigen, daß viele Soldaten keinen Dollar überhaben -- nicht selten Anlaß zu Neid und Verdruß angesichts einer prosperierenden deutschen Umwelt, die sich amerikanische Lehrer als Gastarbeiter holt und ihren eigenen Soldaten durchweg weit bessere Unterkünfte zur Verfügung stellt, als es die U. 5. Army vermag.
Ob in Baumholder oder Bamberg, Gelnhausen oder Aschaffenburg -- kaum eine der US-Kasernen ist jünger als 40 Jahre, kaum eine wurde nach dem Einzug der Besatzer renoviert, und »nahezu überall«, so Oberst Russell McGovern, Stabsoffizier im Hauptquartier, »bröckelt Putz von den Wänden und tropft Wasser durch die Dächer«.
»The Arrow« ("Der Pfeil"), die Truppen-Zeitung der 8. Infanterie-Division in Bad Kreuznach, über die Morgen-Sorgen eines GI: »Der Wind strich durch die zerbrochene Fensterscheibe und weckte ihn aus seinem behaglichen Schlaf. Als er über den zerborstenen Beton-Fußboden lief, wurden seine Füße kalt.«
Kasernen-Veteran ist die »Schloß Casern« in Butzbach (1648 als Residenz des hessischen Prinzen Philipp vollendet). In den »Lee Barracks« zu Mainz-Gonsenheim hausen rund 2500 US-Infanteristen in Unterkünften, die deutscher Kavallerie einst als Pferdeställe dienten. In Dachau wohnen 400 Artilleristen in verfallenen Quartieren, die bis 1945 mit KZ-Aufsehern belegt waren.
600 Millionen für bessere Unterkünfte -- »Hallelujah«.
Als Armee-Befehlshaber Davison in der Zeitung davon las, daß Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt bis Ende 1973 600 Millionen Mark -- auch für bessere Unterkünfte -- spendieren will, empfand er: »Das ist ja wunderbar! Hallelujah.« Denn: »Wie kann, unter solchen Wohnbedingungen, ein Soldat seine Selbstachtung wahren? Wie soll er meinen, daß sich irgend jemand um ihn kümmert, wenn er leben muß wie ein Hund.«
In den Aschaffenburger »Fiori Barracks« ist regelmäßig die Hälfte der Toiletten verstopft, und ehe sie repariert sind, so Sergeant Dieter Windelken, »ist die andere Hälfte schon wieder verstopft«. Die »Merrell Barracks« am Nürnberger Dutzendteich, wo Himmlers SS zu Hause war und nun das Zweite US-Panzer-Regiment untergebracht ist, wurden 1971 in der »Washington Post« den US-Lesern als »Schande für das amerikanische Volk« beschrieben. »Warum«, so zitierte das Blatt einen Offizier der Einheit, »ist der Nürnberger Zoo in besserem Zustand als diese Kaserne, in der meine Leute leben?«
Was Wunder, daß Groll gegen die Deutschen erwächst. Sergeant Ralph E. Nicholson aus Stuttgart meint: »Das ist doch sonnenklar. Seit sich die Deutschen ihre Taschen mit guten US-Dollars vollgestopft haben, wollen die mit uns nichts mehr zu tun haben. Wir sollen sie hier beschützen, und die geben unsere Dollars aus.«
Was Wunder, daß Groll auch dem eigenen Militär gilt. In der Münchner GI-Kneipe »Traunsteiner Stüberl« steht von Soldaten-Hand an die Klo-Wand geschrieben: »Wir, die Unwilligen, geführt von den Unfähigen, tun Unnötiges für die undankbare Armee.«
In Nürnberg kokeln die Unwilligen gerne: Etwa zweimal monatlich steigt aus den Mullbehältern der Kaserne dichter Rauch. Rückt die deutsche Feuerwehr an, fliegen Flaschen und Bierbüchsen. Oberbrandrat Reinhard Mengel: »Für die Gis ist es wohl ein Feierabendspaß.«
»Es klopfte, und zwei schwarze Kerle kamen rein.
In der Karlsruher »Neurcut Casern« setzten Angehörige des 72. Fernmelde-Bataillons im Spätherbst 1971 die Garnisons-Kirche und die Amtsstube des stellvertretenden Bataillons-Kommandeurs in Brand. In Bamberg entspannten sich gelangweilte Soldaten beim Prügeln. Sie griffen zu Baseball-Schlägern, Gummiknüppeln und Billardstöcken, droschen auf jeden ein, der sich blicken ließ.
Doch das sind eher die Bagatellen unter den Problemen, die der 7. Armee aus Kasernen-Tristesse und Dollar-Mangel
* Schwarze US-Soldaten begrüßen sieh nach fest. gelegtem Ritus. um Solidarität zu bekunden.
erwachsen sind, aus Vietnam-Krieg und Etappen-Routine, individueller Langeweile und gesellschaftlicher Krise. Denn immer wieder kommt es zu Massenschlägereien zwischen Schwarzen und Weißen, zu schwarzer Rebellion gegen Vorgesetzte oder zu Brandanschlägen aufgebrachter Brothers auf Kommandeur-Büros.
Häufig resultieren die Zusammenstöße aus scheinbar nichtigen Anlässen. Immer jedoch bewirken sie wochenlang Unruhe und beschäftigen die gesamte Militär-Bürokratie -- von der Kompanie bis zum Pentagon.
Wegen der Musik prügelten sich schwarze und weiße GIs in der Mannschaftskantine der Cambrai-Fritsch-Kaserne zu Darmstadt. Während Schwarze Soul aus der Music-Box hörten, spielten Weiße ein Tonband mit Western- und Country-Musik ab. Prompt prügelten alle aufeinander ein, angeklagt wurden später nur Schwarze.
Die ritualisierten, umständlichen Shake-hands ("daps") der Schwarzen -- mal Solidaritäts-Bekundung, mal Begrüßung -- waren der Grund zum Streit im Frankfurter Militär-Hospital. Der Klinik-Chef hatte diese Zeremonie verboten, weil sie »so großen Lärm« verursachte und »die Arbeit gestört« worden sei; er ließ drei Brothers, die sich weiterhin auf ihre Weise einen guten Tag gewünscht hatten, von der Militärpolizei festnehmen. Die schwarzen Patientell antworteten mit einer Protest-Demonstration.
Die nächtliche Schimpfkanonade eines betrunkenen Weißen war es, die Mitte Oktober 1971 in den Heilbronner »Wheaton Barracks« wieder einmal die »Spannungen auf den Siedepunkt« ("The Overseas Weekly") brachte: Specialist 4 David O'Connor hatte »Nigger« und »Hundesöhne« aus dem offenen Fenster gebrüllt. Und schon »wenige Minuten später«, so erinnert sich der Schreier, »klopfte es an meiner Tür und zwei schwarze Kerle kamen rein.« Sie stachen O'Connor und einen weißen Sergeant mit Klappmessern nieder. In Heilbronn vermuten die Brothers seit langem einen Ku-Klux-Klan-Zirkel, weil sich dort weiße Soldaten mit einem merkwürdigen Handschlag begrüßen -- »so eine Art XXX -Handschlag«.
»Ein höherer Grad an Zorn, als wir erwartet hatten.«
Als im Herbst 1970 eine Pentagon-Kommission Rassenprobleme in den deutschen US-Basen untersuchte, bemerkte sie »einen höheren Grad an Frustration und Zorn, als wir erwartet hatten«. Denselben Eindruck gewannen wenige Monate später, im Frühjahr 1971, Abgesandte der ältesten amerikanischen Bürgerrechtsvereinigung, der liberalen National Association for the Advancement of Colored People.
Beide Teams ermittelten, daß
* Weiße viel schneller befördert werden als Schwarze, auch wenn diese gleiche Voraussetzungen mitbringen, schwarze Offiziere wie Unteroffiziere häufig Schreibtischarbeit statt Truppendienst verrichten;
* Schwarze viel häufiger in Untersuchungshaft genommen und sehr viel rascher unehrenhaft aus der Armee ausgestoßen werden als Weiße, auch wenn diese der gleichen Vergehen verdächtigt oder überführt sind. Die Rechercheure begegneten Gruppen schwarzer Soldaten, die nicht zuletzt wegen solcher Zustände, aber auch wegen der deprimierenden Situation in den »schmutzigen, stinkenden Gettos« zu Hause keinen Grund mehr sahen, »in einer Armee der Weißen einen Krieg für die Weißen« zu führen, und statt dessen Waffen für die »Befreiung ihrer Brüder und Schwestern« zu Haus verlangten.
Initiatoren dieser weithin radikalen Bewegung waren oftmals Vietnam-Veteranen, die unter dem Eindruck der Gleichheit an der Front als erste gegen Kasernendrill und Rassendiskriminierung in der Etappe rebellierten. Sie formierten, wie in Stuttgart, die »Black Action Group«, oder, in Heidelberg, die »United Black Soldiers«.
Mitunter geben solche Gruppen, zu denen linke deutsche Studenten gern Kontakt suchen, Zeitungen heraus, die mal für die »Black Panthers«, mal für Che Guevara, immer aber für die Gleichberechtigung der Schwarzen plädieren. Die Untergrund-Blätter nennen sich »Voice of The Lumpen« (Frankfurt), »The Road« (Bad Kreuznach), »Forward« (West-Berlin) oder einfach »Propagander« (Kaiserslautern). Sie sind antikapitalistisch und fordern »Wahl der Offiziere« durch die Mannschaften -- so eine Heidelberger 01-Gazette mit dem anspruchsvollen Namen »Fuck The Army With Pride«.
Nur in einer Frage stimmen die Army-Agitatoren mit ihrer weißen Armee-Führung überein -- im Kampf gegen »das Ding, das dich benommen, passiv, gleichgültig, lethargisch macht«, im Kampf gegen das Rauschgift. Das Heidelberger Untergrund-Blatt an seine Leser: »Ihr solltet, statt aus dieser Welt zu fliehen, für eine bessere kämpfen.«
»Miss Emma« in die Venen. »Rote Teufel« ins Buchsenbier.
Das ist leichter gesagt als getan. Denn immer wieder greifen Gis zum Joint. Immer mehr spritzen sich »Miss Emma« (Army-Jargon für das Opiat Methadon) in die Venen. Immer mehr schlucken das »Heilige Sakrament« (LSD), mixen »Rote Teufel« (ein Barbiturat) ins Büchsenbier.
Mitunter flüchten sie aus ihren Problemen allein mitunter aber rauchen GIs. wie etwa in den Bad Kreuznacher »Rose Barracks"« gruppenweise. Dort quoll, bemerkte Special 4 John Fagan, »aus nahezu jeder Stubentür Haschischduft -- unverkennbar«. Das war im Sommer letzten Jahres so und Anfang Februar 1972 nicht viel anders: 85 Prozent der Soldaten des V. Army Corps haben, so der Feldkaplan Captain John C. Britcher, Drogenerfahrung.
Das »schwerwiegende Rauschgiftproblem« (Davison) hat vereinzelt sogar Truppenführer und Elite-Soldaten erfaßt, die als immun gelten: Luftwaffenpiloten. Selbst die Military Police (MP) blieb nicht verschont -- in der Augsburger Reese-Kaserne wurde der MP-Spec. 4 Jones vom Schreibtisch weg verhaftet, er hatte vier Kilo Haschisch im Spind.
Sollten Neuankömmlinge aus den USA noch keine Hasch-Erfahrung haben, wissen sie bald, woran sie sind. Ein 17jähriger GI in Nürnberg: »Das erste, was einem hier passiert, ist, daß ein Pusher (Army-Jargon für Hasch-Händler) einen anhaut und sagt, daß er das Zeug hat.«
Drogensüchtige, die kein Geld für das Zeug haben, bestehlen ihre Kameraden. In der Aschaffenburger Fiori-Kaserne beispielsweise, so berichtet Sergeant Dieter Windelken, »konnte man Rasierwasser nicht rumstehen lassen, Transistoren verschwanden -- irgendwo wurden die Sachen verhökert«.
Gelegentlich gehen die Gis »dazu über, das Zeug kompanieweise zu kaufen, um bessere Kilopreise zu erzielen« -- so die Erfahrung von Kriminal-Bezirkskommissar Gerhard Damm, Leiter des Frankfurter Rauschgiftkommissariats.
Für durchschnittlich drei Mark das Gramm ist Haschisch, für rund 25 Mark je Gramm ist Opium und für 10 bis 30 Mark pro Trip ist LSD in fast allen Garnisonsstädten zu haben -- meist von deutschen Händlern. An bevorzugten Handelsplätzen gehen die Kunden gleich an Ort und Stelle auf die Reise: auf der »Haschwiese« in der Backenheimer Anlage zu Frankfurt, in Bars wie dem Münchner »Song Parnass« und dem Augsburger »Big Apple«, am Bamberger Dom oder an der Heidelberger Heilig-Geist-Kirche.
Gerade vor dieser Art deutsch-amerikanischer Verbrüderung freilich warnt die Armee-Führung. Sie warnt vor »Herman the German«, dem bösen Deutschen, der personifizierten Rauschgiftgefahr. Der Teutone ziert Aufklärungs-Hefte ("Danger") und Klebezettel ("Achtet auf sein mieses Zeug").
Daß die GIs in Europa fast soviel Drogen nehmen wie GIs in Vietnam, war vor etwa drei Jahren entdeckt worden -- durch einen Zufall: Im Oktober 1968 erschienen vier GIs im Alter von 18 und 19 Jahren bei Truppen-Psychiater Tennant, damals Armee-Arzt im Aschaffenburger US-Hospital. Sie entblößten ihre Oberkörper und klagten dem Doktor: »Wir haben Ausschlag.«
Es waren rote Flecken, die »wie Masern oder Wespenstiche aussahen« (Tennant). Doch bei näherer Untersuchung stellte der Mediziner test: Der Ausschlag rührte von verunreinigtem Hasch. Tennant alarmierte das Heidelberger Hauptquartier: »Doch die dachten damals, ich wäre verrückt.«
Zweieinhalb Jahre lang experimentierten die Ärzte in der Armeeführung mit Drogen-Beratungszentren, mit Be-
* Appell an US-Soldaten. Rauschgift in die eigens bereitgestellte Drug box zu werfen.
fragungs- und Aufklärungsaktionen ("Don't ask what you can do for your pusher, ask your pusher what he can do for you"). Im Juli letzten Jahres gründete das US-Hauptquartier in Heidelberg die »Spezialabteilung Drogenmißbrauch«, richtete sechs »Behandlungszentren« sowie in den größeren Garnisonen 18 Informationsstellen ("Drug Information Center") ein und versuchte es mit der »sanften Methode« (Tennant).
Die Methode: Drogen-Konsumenten können, bei freiwilliger Meldung, mit geringer Strafe rechnen oder gar amnestiert werden, sich einer Entwöhnungskur unterziehen oder sich, wie im Bereich des 5. Corps (Sitz: Frankfurt) über die US-Telephonnummer 2314/ 5425 rund um die Uhr psychiatrisch oder medizinisch beraten lassen. Überdies läßt die Armee wöchentlich in der Drogen-Postille »The Cosmic Flash« abschreckende Vorfälle veröffentlichen.
Etwa: »Am 8. und 9. September war das Würzburger Hospital Endstation für sieben »Brüder« aus Schweinfurt, die sich Hermans braunes, flüssiges Opium gespritzt hatten. Alle bekamen einen Koller. Werden sie überleben?«
Doch immer noch, so der Psychiater der 8. Infanterie-Division in Bad Kreuznach, Major Lowell S. Husband, »nimmt der Konsum zu«. Husband: »Spritzen wird immer beliebter, die nehmen, was sie gerade kriegen, wir haben Leute, die Erdnußbutter injizieren.« GIs strecken Hasch mit Schuhcreme, Kaffeesatz und Mayonnaise -- und landen zumeist im Krankenhaus. Noch immer beschäftigen Husband »im Monat rund 16 Problemfälle«.
Noch immer ist jeder zweite der von der Armee unehrenhaft Entlassenen ein Drogensüchtiger. »Etwa 40 Prozent der Straftäter unter den 01«, klagte Army-Chef Davison, »nehmen Drogen oder stehen im Verdacht, es zu tun.« Und die Armee weiß auch, so Army-Psychiater Tennant, »daß das Rauschgift auch weiterhin Raub und sogar Totschlag verursachen wird«.
Beides, Rauschgiftkonsum und Kriminalität, ist für Polizisten wie Pusher, deutsche Gastwirte wie Animiermädchen auf ein Datum fixiert: auf den Pay day, den Zahltag der Armee. »Vor dem Pay day«, gesteht Gendarmeriehauptmeister Albin Meschenmoser aus Baumholder, »da fang' ich an zu zittern, da hab' ich immer Angst.« Denn dann steigt der Umsatz in Pinten und Puffs ebenso sprunghaft wie der Handel mit Haschisch und Heroin -- und die Zahl der Verbrechen.
»Schlagereien, Überfälle und andere Gewalttaten«.
Die hohe Verbrechensrate bei US-Soldaten erklärt der Mannheimer Polizeipräsident Willi Menz als »Generations-Problem«, das »in der Überrepräsentation kriminalanfälliger Jahrgänge zwischen 17 und 25 Jahren« begründet liege. »Mit Ausgehverbot und Einbuchten«, so Menz, »kriegen die Amerikaner das nicht mehr hin, dann hätten die Kommandeure die permanente Revolte in .der Kaserne.«
In der fränkischen Domstadt Bamberg, mit 10000 Soldaten eine der größten US-Garnisonen, mußte der Standort-Chef zeitweise die Zahl seiner MP-Soldaten fast verdreifachen. Nach einer Serie von Gewalttaten redeten sozialdemokratische Stadträte der antiamerikanischen Stimmung das Wort. »Hier sind Zustände eingerissen«, schimpfte SPD-Fraktionschef Max Reichelt, »die nicht länger hingenommen werden können.« SPD-Rat Heinz Sauer fragte gar die CSU-Stadtspitze, »ob es nicht an der Zeit ist, die sogenannten freundschaftlichen Beziehungen zu dem US-Standort abzubrechen«.
Im mittelfränkischen Bad Windsheim protestierten im Dezember letzten Jahres Bürgermeister und Stadtrat »mit Abscheu und Empörung« gegen den »gemeinen Mord eines amerikanischen Soldaten an ihrem Jungbürger Helmuth Guthmann« -- Der deutsche Maschinenschlosser war von dem US-Sergeanten Benjamin Heider auf offener Straße erschossen worden. Und »alle sahen darin«, so schrieben die Windsheimer Honoratioren ans Heidelberger Hauptquartier«,... die letzte Auswirkung sich häufender Schlägereien, Überfälle, Messerstechereien, Schießereien und anderer Gewalttaten«.
So auch im Spätsommer 1971, als in der Hanauer Lamboystraße rund 80 Schwarze vor der »Gaslicht«-Bar mit Schnaps- und Bierflaschen auf Windschutzscheiben und Scheinwerfer vorbeifahrender Autos zielten und dabei eine Frau schwer verletzten. »Das Maß ist voll«, schrieb tags darauf der »Hanauer Anzeiger« und appellierte an die Bürger, die Polizei nicht »im Stich« zu lassen: »Man kann es ihr nicht mehr zumuten, allein »Dreckarbeit« zu verrichten.«
Überall im Lande versucht deshalb die Armee, bei ihren Angehörigen Verständnis für die Deutschen und bei den Gastgebern Sympathie für die GIs zu wecken -- bislang mit geringem Erfolg. Die einst sprichwörtlich deutsch-amerikanische Freundschaft ist zunehmender Entfremdung oder doch der Gleichgültigkeit gewichen.
Bagatellen machen das deutlich: In Gelnhausen brach der US-Standort-Kommandant, Oberst Smithers, ein Gespräch mit dem Bürgermeister ab, weil sich das Stadtoberhaupt über den Lärm von Übungsflügen über dem nahen Truppenübungsplatz Freigericht-Bernbach beschwert hatte. Das »Gelnhäuser Tageblatt« zum Stil des Obersten: »Ein Cowboy aus dem wohl noch immer Wilden Westen legt »seine Stiefel auf die Spitzendeckchen des Kleinstadttisches.«
Und überall, wo die U.S. Army neues Gelände für Truppenübungs-Plätze beansprucht oder auf Exerzier-Plätzen lärmt, protestieren die Anrainer -- etwa mit Hupkonzerten vor US-Kasernen. Aber wahr ist auch, daß solche Querelen typisch für fremde Truppen in fremdem Lande -- aufgewogen werden, wenn vitale Interessen oder sogar Abhängigkeiten im Spiele sind.
Ein Beispiel liefert Baumholder (GI-Jargon: Fuckholder), die Kleinstadt zwischen Nahe und Glan am Rande des fünftgrößten Truppenübungsplatzes der Bundesrepublik, wo seit 20 Jahren rund 20 000 Amerikaner mit 5000 Deutschen zusammenleben. »Das Sein« erklärt Verbandsbürgermeister Gerhard Dingert, SPD, »bestimmt eben das Bewußtsein.«
Das Sein: 1971 registrierten die Gemeinde-Gendarmen 172 GIs als Beteiligte an 15 Raubüberfällen, 34 gefährlichen Körperverletzungen, 82 schweren Diebstählen sowie 20 Notzucht-Delikten; abends nach neun Uhr gehen Baumholderinnen nicht mehr auf die Straße, und deutsch-amerikanische Freundschaft findet nur noch in den Amtsstuben statt, denn selbst mit der evangelischen Kirche, in der früher regelmäßig Garnisons-Chore gastierten und dem »Verein für Rasensport«, in dem US-Soldaten eine eigene Fußballmannschaft stellten, haben die Amerikaner 1970 kommentarlos die Beziehungen abgebrochen.
Doch 3000 Baumholderer verdienen ihren Lohn -- als Handwerker, Heizer oder Hilfsarbeiter -- in der Garnison; nahezu alle Geschäftsleute der Stadt, vom Möbelhändler Wolfgang Pees bis zum Souvenir-Verkäufer Franz Maier verdienen an den Gästen; und die Gemeinde sparte erst 1971 wieder 160 000 Mark, weil die Amerikaner bei der Anlage eines Sportplatzes wie beim Bau eines Krankenhauses halfen.
Das Bewußtsein: »Einem möglichen Truppenabzug« sieht Bürgermeister Dingert »mit Sorge entgegen«, der Honoratioren-Stammtisch im Hotel »Zur Post« glaubt ausnahmsweise fest daran, »daß auch die Frauen Schuld haben, wenn sie von Soldaten vergewaltigt werden«, und »Post«-Wirt Martin Kastirr gar meint: »Wären die Amerikaner nicht hier, dann müßte Baumhol -- der Besen binden.«
Mit Toleranz begegnen die Kleinstädter denn auch den 98 zumeist etwas angejahrten Animier-Mädchen (durchschnittliches Monatseinkommen: 1100 Mark), die in 22 schäbigen GI-Kneipen den Soldaten Drinks, Striptease und mitunter auch ein bißchen Liebe verkaufen und die jungen Amerikaner so von den Bürgertöchtern ablenken. »Gäbe es nicht als Blitzableiter für die zwanzigtausend Mann leichte Mädchen und so weiter, wären unsere Frauen dran« -- so der (inzwischen verstorbene) Gemeinde-Poet Ernst Skrupke, der sich »Pipifax« nannte.
Diese Art des Arrangements, weit hinten in den Pfälzer Bergen, scheint 1972 ebenso typisch für die Qualität der Beziehungen zwischen Bundesdeutschen und US-Soldaten wie die gelangweilte Cocktail-Courtoisie des Establishments und die vehemente Pflasterstein-Attitüde des akademischen Nachwuchses. Die anomale Einfalt der Nachkriegsbeziehungen -- erst Sieger und Besiegte, dann Waffenbrüder im Kalten Krieg -- ist der normalen Vielfalt gewichen.
»Was wir brauchen ist vor allem Profi-Atmosphäre.«
Der schlichte GI (Army-Jargon: »Private Schmuck") trifft mit schlichten Deutschen in der Regel ohnehin nur zufällig zusammen, bei Karambolagen im Straßenverkehr etwa (ein GI in »The Stars and Stripes": »Die Deutschen fahren wie Wahnsinnige"), bei der Partnerwahl im Bordell oder bei »Gemütlichkeit« im »Hofbräuhaus«. Planvoll machen es nur die Militärs: Im Rahmen des Projektes »Partnerschaft« läßt man Gis und Bundeswehrsoldaten gemeinsam auf Scheiben schießen.
Erkennbar sind die Probleme, die Deutsche und Amerikaner miteinander haben, geringer als die Probleme, die Amerikaner mit Amerikanern haben; »Partnerschaft« ist schwierig unter den US-Soldaten selber -- in einer »innerlich angeschlagenen Armee« ("Handelsblatt").
Um diesem -- dem gesamten US-Heer nachgesagten -- Verfall zu begegnen, verfügte das Heidelberger US-Hauptquartier für die 7. US-Armee schon zu Beginn letzten Jahres ein breitgefächertes Programm. Sie führte die Fünf-Tage-Woche ein, gewährte täglichen Ausgang bis zum Dienstbeginn, verzichtete auf Bettenbau und Hochglanz-Stiefel, gab in einigen Kasernen den Bierverkauf (Flaschenpreis: 20 Cent) frei, befahl den Truppenführern regelmäßige Stunden der »Offenen Tür« für Beschwerdeführer und Ratsuchende und bekam endlich Geld für die Renovierung der Kasernen, animierte aber gleichwohl -- die Mittel reichten nicht hin -- die Soldaten zur Selbsthilfe: Erneuerung der Armee-Unterkünfte durch armeeigene Zimmerleute und Klempner. Ziel des Plans: Ausbesserung von »Bug bis Achtern« ("Stern to Stern").
Seither malen und mauern, löten und betonieren Infanteristen und Panzergrenadiere, Nachrichten-Soldaten und Artilleristen. Sie reparieren Toiletten und Waschräume, verglasen ihre Fenster, pinseln die Stubenwände oder legen vor den Stabsgebäuden Vorgärten mit kunstvollen Mosaiken an.
Derlei Experimente, die auch der moralischen Aufrüstung dienen sollen, zählt die Armee ebenso wie die Lockerung des früher strengeren Kasernen-Reglements zu den Elementen des vom Pentagon 1970 entworfenen Programms für die Umwandlung der alten Army (Anteil der US-Wehrpflichtigen in Deutschland: etwa 30 Prozent) in eine Freiwilligen-Armee, die »Modern Volunteer Army« (Volar).
»Was wir brauchen«, erläutert ein Volar-Experte der Dritten Infanterie-Division, Ranger-Major Thomas Johnson aus Kitzingen, »ist vor allem eine Profi-Atmosphäre.« Profi-verdächtige GIs werden deshalb von der Armee immer wieder aufgefordert, sich für wenigstens vier weitere Jahre zum Wehrdienst zu verpflichten. Kernpunkte des neuen Programms:
* »Abenteuer-Training« wie Bootsfahrten auf Wildbächen oder Bergtouren in den Alpen;
* »Härte-Übungen« wie »Flucht aus der Kriegsgefangenschaft«, Tauch-Lehrgänge oder Überlebens-Training nach Ranger- Muster;
* Auslese nach Profi-Kategorien: Wer sich nicht in einer für jeden Dienstgrad vorgegebenen Zeit für eine Reforderung qualifiziert hat« muß die Armee verlassen -- nach der Devise: »Steig auf oder hau ab« (Army-Slang: »Up or out").
Dieses Programm, vor allem aber der Abbau der amerikanischen Präsenz in Südostasien, haben mittlerweile in der ausgeflöhten, strapazierten 7. U. 5. Army wieder Optimismus einziehen lassen. Armee-Befehlshaber Davison zum SPIEGEL: »Ich sage, die Krise liegt hinter uns.«
Während die »Washington Post« noch im September letzten Jahres fürchtete, die Armee werde »austrocknen oder gar untergehen«, und »Time« noch im Oktober »mehr Geld und erfahrene Männer« forderte, bekam die Armee eben dies: Geld vom Pentagon (das Budget für Truppentraining ist 1972 doppelt so hoch wie das für 1971) und erfahrene Offiziere aus Vietnam.
Der US-General James H. Polk, Davison-Vorgänger im Heidelberger US-Hauptquartier, wähnt die Truppe besser bewaffnet als die Sowjet-Armee: »Ihre Panzer sind nicht so gut wie unsere, ihre Panzer-Kanonen sind nicht so gut wie unsere, ihre Artillerie ist nicht so gut wie unsere,« US-Heeresstabschef William G. Westmoreland versprach bei einem Besuch im hessischen Gelnhausen: »In meinem Buch steht die 7. Armee wieder an erster Stelle.«
Und auch manche der amerikanischen Zeitungen, die vor allem während des Jahres 1971 die schwindende Kampfkraft und die sinkende Moral der US-Streitkräfte in Europa beklagt hatten, sehen jetzt Zeichen der Besserung. »Zum ersten Male seit Jahren hat die 7. Armee ihre Sollstärke -- 96,8 Prozent der Zielziffer von 185 000«, notierte Anfang Februar der »Christian Science Monitor«. Und: »Es geht wieder aufwärts mit der Moral der Truppe.«
Die internen Nato-Noten zur Qualifizierung der Bündnisstreitkräfte fielen für die 7. Armee zum ersten Male seit Jahren wieder besser aus und lagen Ende 1971 zwischen »1« und »2« -- zwischen »high« und »sufficient« (Bundeswehr: »3« = »minor deficiency").
»Die Armee wird kämpfen, wenn"s ums Überleben geht.«
Diese Zensuren bewerten freilich nur den Fehlbestand der Mannschaften, Offizieren, Waffen und Gerät, die Mobilmachungs-Bevorratung und die Qualifikation der Armee -- kurzum Ausrüstung und Kopfzahl. Die Disziplin der Truppe, aufschlußreich für die Kampfmoral, wird nicht benotet.
Was die 185 000 GIs im Ernstfall wert sind, können die Heidelberger Stabsoffiziere mithin nur vermuten. General Davison hält sich an seine Kriegserfahrungen: »Diese Armee wird kämpfen, wenn sie kämpfen muß -- wenn"s ums Überleben geht.«
Doch so schnell wie ein Waffensystem läßt sich der lädierte »sense of mission« nicht erneuern. 1971 registrierte die Armeefuhrung nahezu wöchentlich einen Fall von »Gruppenwiderstand« gegen Vorgesetzte, im Mannheimer Militärgefängnis sind 280 der 340 Inhaftierten Befehlsverweigerer, und in den Garnisonen bestimmen Drogensucht und Rassenspannungen noch immer das Kasernen-Klima mit.
Ob das Reformprogramm des Pentagon neuen Profi-Geist wecken und die Armeeführung dem Disziplinverfall auf die Dauer wirksam begegnen kann, hängt deshalb davon ab, wie die amerikanische »social fabric« (Davison) ihre Probleme bewältigt und in welcher Verfassung sie die jungen Amerikaner in die Armee entläßt. Die heute kommen, malen vorerst noch an Klotüren und Stubenwände »FTA« -- Fuck the Army.