Bonn »WIR SCHIELEN JA NICHT«
SPIEGEL: Herr Minister, welche Gründe sehen Sie als ausschlaggebend für den überraschenden Wahlerfolg Ihrer Partei in Hessen an?
SCHEEL: Es war der erste Erfolg einer gradlinigen Politik. Die FDP hat weder eine Links- noch eine Rechtsorientierung vorgenommen, sondern sie hat eine eigenständige Position bezogen. In Hessen war der Wähler bei seiner Entscheidung klug genug. Er hat nicht nur die Landespolitik, sondern auch die Bundespolitik berücksichtigt und den Versuch der CDU, über eine Landtagswahl die Bundesregierung zu behindern, vereitelt.
SPIEGEL: Hat die FDP denn nicht versucht, sich in der Koalition nach rechts, als Bremser zu profilieren?
SCHEEL: Bremser sind nur beim Bobrennen besonders gefragte Leute. Die FDP hat in der Bonner Koalition präzise das getan, was in ihrem Parteiprogramm steht.
SPIEGEL: Sie haben doch den Entwurf eines neuen Betriebsverfassungsgesetzes verwässert.
SCHEEL: Was heißt hier »verwässert«? Verbessert müssen Sie sagen, Das Betriebsverfassungsgesetz, das wir mit unserem Partner verabschieden werden, wird sich präzise an das halten, was wir in der Regierungserklärung gesagt haben, nämlich in dem Rahmen, den meine liberale Partei verantworten kann.
SPIEGEL: Welchen Einfluß hatten Ihre Verhandlungen in Warschau in der Woche vor der Wahl?
SCHEEL: Keine, wie ich glaube. Erfahrungsgemäß setzt sich ein politischer Eindruck erst nach vielen Wochen beim Bürger in politisches Handeln um.
SPIEGEL: Wie stehen die Polen-Verhandlungen?
SCHEEL: Wir sind uns einig, daß wir eine umfassende Regelung unserer Beziehungen erreichen müssen. Dazu gehört auch eine Übereinstimmung über die humanitären Fragen, insbesondere die Familienzusammenführung. Die polnische Regierung hat mir inzwischen erklärt, daß sie diese menschlichen Probleme zu lösen bereit ist.
SPIEGEL: Wie viele Menschen werden im Rahmen der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik ausreisen dürfen?
SCHEEL: Da kann man keine Zahlen nennen, damit würden wir den Menschen, die ausreisen wollen, schaden.
SPIEGEL: Glauben Sie, daß nach der Hessenwahl die Kritik aus Ihren eigenen Reihen verstummen wird, Sie hätten sich nicht genügend um Ihre Partei gekümmert?
SCHEEL: Ich tue für die Partei, was meine Kräfte hergeben. Das soll auch so bleiben.
SPIEGEL: Die Berufung eines Generalsekretärs halten Sie nicht für notwendig?
SCHEEL: Ich selber bin ein Anhänger der Generalsekretär-Idee. Aber zum einen läßt es unsere Satzung zur Zeit nicht zu, und zum anderen kommt es immer auf die Personen an.
SPIEGEL: Folgern Sie aus dem schlechten Abschneiden des linken SPD-Flügels und der Jungsozialisten in Hessen, daß die FDP am besten fährt, wenn sie sich von den Linken noch stärker als bisher abhebt?
SCHEEL: Wir folgern daraus messerscharf das, was der viel klügere Wähler bereits gefolgert hat, daß wir eine Partei der Mitte sind. Und genau das wollen wir bleiben, nämlich eine Partei, die in der Politik für einen Fortschritt eintritt, aber unter Wahrung der Kontinuität und der Stabilität.
SPIEGEL: Wollen Sie also den Einfluß Ihrer Linken, der Jungdemokraten, eindämmen?
SCHEEL: Alle Parteien haben gelegentlich Schwierigkeiten mit ihren Jugendorganisationen. Das ist ein Generationenproblem. Es ist jedoch völlig falsch, anzunehmen, daß sämtliche Jungdemokraten nach linksaußen tendieren. Es gibt unter ihnen viele vernünftige junge Menschen. Wir sind auf sie als aktive und engagierte Helfer angewiesen. Wir sind eine Partei der Diskussion, und das ist gut so. Wir werden jedoch Abweichungen, die mit der politischen Zielsetzung der Partei nicht vereinbar sind, nicht dulden.
SPIEGEL: Ist die FDP auf Heiner Bremer, den Vorsitzenden der Jungdemokraten, angewiesen?
SCHEEL: Er ist in öffentlichen Äußerungen von der Parteilinie abgewichen. Das nutzt der Partei nicht.
SPIEGEL: Wenn sich die Mehrheit der Jungdemokraten unter der Führung Heiner Bremers weiter nach links entwickelt, können Sie sich dann als letztes Mittel auch die Trennung von den Jungdemokraten vorstellen?
SCHEEL: In Wirklichkeit gibt es bei den Jungdemokraten eine Entwicklung hin zu vernünftigem Verhalten und zu vernünftigen politischen Kompromissen. Sie haben gemerkt, daß man mit der Ideologie allein nicht Politik machen kann. Heiner Bremer ist ein politisch sehr begabter Mann, der in der jüngsten Zeit über Fragen der Sozialpolitik eine eigene Entwicklungsfähigkeit hat erkennen lassen. Er hat frühere Äußerungen korrigiert. Wir diskutieren mit unseren Leuten, auch mit Herrn Bremer. Nur, wenn sie den Interessen der Partei schaden, dann ist es Zeit, daß wir dagegen etwas unternehmen.
SPIEGEL: Sie wollen also nach der Trennung von den Nationalliberalen auf dem rechten Flügel mit Ihrem linken Flügel leben?
SCHEEL: Wenn die Belastung eine Form annehmen würde, die die Partei nicht trägt, dann gilt für links und rechts dasselbe. Wir schielen ja nicht.
SPIEGEL: Am nächsten Sonntag wird in Bayern gewählt. Wird sich dort, trotz einer völlig anderen Wählerstruktur, das Wunder von Hessen wiederholen?
SCHEEL: In Bayern ist zur selben Zeit wie in Hessen eine Bewegung der Wähler sichtbar geworden, die beweist, daß der Erfolg in Hessen nicht Lokalereignis war.
SPIEGEL: Kommt die FDP in den Bayerischen Landtag?
SCHEEL: Das ist mein Tip: ja.