»Wir sichern nur uns selbst«
Das deutsche Feldlager Tetovo hat aufgerüstet. Meterhohe Nato-Stacheldrahtsperren sichern die mazedonische Infanteriekaserne an der Blagoja-Toska-Straße in der kleinen Stadt im Tal, 25 Kilometer von der Grenze zum Kosovo entfernt. Die Checkpoints am Eingang sind mit Sandsäcken befestigt, daneben stehen gepanzerte Radfahrzeuge als Bollwerk gegen serbische Angriffe.
Der Krieg findet hinter den Bergen statt, doch seit den täglichen Bombardements drüben im Kosovo fürchten die rund 1200 Soldaten, die in der Albaner-Hochburg Tetovo die Stellung halten, sie könnten womöglich selbst zum Ziel werden - so wie die drei US-Soldaten, angeblich auf Patrouille im zerklüfteten Grenzgebiet, die in einen Hinterhalt gerieten und gefangengenommen wurden.
Am meisten schrecken die Deutschen die Jagdkommandos der Serben, paramilitärische Einheiten, die unbemerkt aus dem Kosovo über die Grenze nach Mazedonien kommen und Anschläge auf das Camp verüben könnten.
»Die Vorstellung, daß sie hier einsickern, unseren Nachschub, Lebensmittel, Treibstoff, Munition zerstören und Menschen töten, macht angst«, sagt Hauptfeldwebel Alfred Kaufmann, 38, aus Regen in Bayern.
Rund um die Uhr bewacht der Zugführer mit seinen 27 Panzergrenadieren das Nachschubmaterial auf dem nahe gelegenen Erebino-Berg, am Fuß des Siroki-Rid-Gebirgszuges. Allnächtlich können sie von dort die Nato-Kampfjets auf ihrem Weg ins Kosovo beobachten.
Für alle Soldaten hat Brigadegeneral Helmut Harff die Sicherheitsvorkehrungen erheblich verschärft. Sie haben striktes Alkoholverbot, keiner darf das Camp ohne dienstlichen Auftrag verlassen, wer raus muß, soll die 11 Kilogramm schwere schußsichere Bristol-Weste am Leib tragen, den Helm griffbereit und die Waffe »am Mann« haben.
Ein Attentat, bei dem Bundeswehrangehörige verletzt oder getötet würden, könnte die Stimmung über die Beteiligung deutscher Soldaten am Nato-Einsatz schnell kippen lassen.
Jedes denkbare Bedrohungsszenario haben sie durchgespielt. Die Deutschen machen in den angrenzenden Bergen Infanterieverbände, Schützenpanzer und Transportpanzer der jugoslawischen Armee mit geschätzten 300 Mann aus. Doch würde ein Angriff vom mazedonischen Militär wohl rasch bemerkt, da in diesem Gelände selbst Kettenfahrzeuge nicht abseits der Straße rollen können.
Die Gefahr, von jugoslawischer Artillerie beschossen zu werden, schätzt die Truppe aus technischen Gründen als gering ein. Die serbischen Soldaten verfügen in Prizren im Kosovo, nur 20 Kilometer vom mazedonischen Nato-Quartier Kumanovo entfernt, über sogenannte D-30-Geschütze. Sie müßten die Rohrartillerie allerdings erst über Pässe auf Berge in 1100 Meter Höhe hieven, um die nötige Abschußhöhe zu erreichen. Derlei Vorkehrungen würden von den Drohnen entdeckt - unbemannten Aufklärungsflugkörpern, die aus der Luft das Kriegsgebiet überwachen.
Als ernsthaftes Risiko gilt den Deutschen die mobile Boden-Boden-Rakete Frog, die noch aus sowjetischen Zeiten stammt und über eine Reichweite von 65 Kilometern verfügt. Falls einige Frogs aus Belgrad in den Kosovo verlegt und von dort in Richtung Tetovo abgefeuert würden, könnte auch die Flugabwehr wenig dagegen ausrichten.
Immer um kurz nach acht Uhr abends, nach der Tagesschau im deutschen Fernsehen, klingeln im Camp die Handys. Die Angehörigen daheim sind zunehmend beunruhigt, oft kennen sie mehr Details über den Krieg als die Soldaten, die nur wenige Kilometer davon entfernt stationiert sind.
Das neue deutsche Kontingent traf Anfang März in Tetovo ein. Ein Teil sollte eigentlich die 1300 OSZE-Beobachter, die ins Kosovo entsandt worden waren, im Fall der Bedrohung schützen. Nach einer Einigung in Rambouillet hätte der Großteil der Deutschen an einer Friedenstruppe nach Bosnien-Muster teilnehmen sollen. Der erste Auftrag hat sich jedoch längst erledigt, die OSZE-Beobachter sind abgezogen worden, kurz bevor der Krieg ausbrach.
»Wir sichern aktuell nur das Material und uns selbst,« sagt Zugführer Kaufmann, der mit seinen Leuten, jungen Freiwilligen kaum über 20 Jahre alt, vom Krieg und der eigenen Gefährdung überrascht wurde. »Die Soldaten hinterfragen das hier natürlich, manche wissen nicht recht, was sie in Mazedonien eigentlich sollen.«
Sie müssen sich auf einen längeren Aufenthalt einrichten, und sie machen das Beste daraus. Neben einem Containerdorf stehen inzwischen viele neue Zelte, die Straßen heißen »Passau« oder »Highway to hell« und sind mit Deutschland- und Bayernfahnen geschmückt. Die Soldaten zimmern sich Veranden aus Holz und genießen in der Freizeit die mazedonische Frühlingssonne.
Immer wieder fällt in den Gesprächen das Stichwort »Bodentruppen« - auch wenn Verteidigungsminister Rudolf Scharping diese Eskalation des Krieges derzeit ausschließt. »Niemand hätte gedacht, daß das Ding so heiß wird. Aber wenn der Einsatzbefehl kommt«, sagt Oberfeldwebel Volker Spickermann, 28, aus Xanten in Nordrhein-Westfalen, »dann gehen wir.« SUSANNE KOELBL