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»Wir sind die halfforgotten Army«

aus DER SPIEGEL 3/1977

James Callaghan, das britische Pfund vor Augen, forderte Tribut: Wenn die Deutschen nicht endlich mehr für die englischen Truppen in der Bundesrepublik bezahlen, dann würden die eben abgezogen oder wenigstens abgebaut. »Die Lage in Großbritannien ist so ernst, daß der Ausgleich unserer Zahlungsbilanz Vorrang vor allem anderen hat«, forderte Callaghan -- vor ziemlich genau zehn Jahren.

Callaghan, damals Schatzkanzler, ist inzwischen Premier geworden. Die Lage, damals ernst, ist nun beinahe hoffnungslos; das Pfund, damals noch 11,20 Deutsche Mark wert, ist jetzt schon für vier Mark zu haben. Und so drohte Callaghan kürzlich erneut: Geld oder Rückzug.

Weniger denn je kann sich die einstige Weltmacht, die an allen Ecken und Enden militärisch präsent war, ein Berufsheer leisten, von dessen rund 160 000 Mann und 5800 Mädchen ein Drittel in Deutschland steht: the British Army of the Rhine (BAOR).

Ebensowenig jedoch kann Großbritannien die Rheinarmee (Kosten pro Jahr: 600 Millionen Pfund) abziehen oder einfach auflösen -- ganz abgesehen von den Vertragsverpflichtungen gegenüber der Nato, die solchen Radikallösungen entgegenstünden: Die entlassenen Soldaten würden das fast anderthalb Millionen Mann starke Arbeitslosen-Heer nur noch verstärken, und für eine zurückkommandierte Rheinarmee ist auf der Insel kein Platz.

Britische Zeitungen stuften die jüngste Callaghan-Drohung denn auch als »Wiederholung eines Bluffs« ein. Ein in der Bundesrepublik stationierter Briten-Kommandeur urteilte gar:« Die Deutschen wissen, daß eine Rückkehr der Rheinarmee nach Großbritannien das Ende der britischen Armee bedeuten könnte.«

Mit dem »Unternehmen Plunder« hatte, im März 1945, Glorie und Misere der britischen Rheinarmee begonnen. Damals, als der legendäre Feldmarschall Bernard Lord Montgomery zum letzten Gefecht gegen Groß-Deutschland antrat, da hatte er eine Streitmacht beisammen, die niemand mehr aufhalten konnte: 100 000 Mann, 3300 Geschütze, 250 000 Tonnen Munition.

Bevor diese Heeresgruppe zum Sprung über den Rhein ansetzte, schlugen britische Bomber im Angriffssektor alles kurz und klein. Selbst Wesel, obgleich schon ein unbewohnter Trümmerhaufen, war noch viermal Ziel massiver Luftangriffe. Zwischen Emmerich und Voerde lag, auf 40 Kilometer Breite, jeder Winkel unter schwerem Artilleriefeuer.

Am 24. März 1945, um 20.59 Uhr, war es dann soweit: Die Rheinarmee erkämpfte den ersten Brückenkopf jenseits des Rheins, bei Rees. Seitdem sind die Briten in Rees und Umgebung geblieben. Zwischen Rhein und Weser stehen nach offiziellen Angaben 55 000 Soldaten -- nach Schätzungen deutscher Experten sind es nur noch 30 000 bis 35 000. Rund 4000 Angehörige der Rheinarmee -- nach deutschen Schätzungen weit mehr -- seien ständig im Einsatz im Bürgerkriegsgebiet Nordirland.

Doch von der einst ruhmreichen Streitmacht blieb nur eine Nachhut -- schlecht ausgerüstet, schlecht untergebracht und nicht dort stationiert, wo sie im Ernstfall gebraucht wird. Das stellte bereits 1975 eine Kommission aus Abgeordneten der Unterhaus-Ausschüsse für Verteidigung und Auswärtiges nach Vor-Ort-Recherchen in der Bundesrepublik fest. Den einstigen Oberbefehlshaber der Rheinarmee, Harry Tuzo, plagt seither die Sorge, seine Truppe könnte »ihren Platz als beste Armee in Europa verlieren«.

Hat sie wohl schon. Die militärischen Stäbe büßten« heißt es in der Abgeordneten-Analyse weiter, mehr und mehr »ihren hohen Ausbildungsstand« ein, »um den uns unsere Verbündeten beneidet haben«. Brigade- und Divisionsmanöver hätten »seit Jahren nicht mehr stattgefunden, so daß eine ganze Generation von Kommandeuren keine Erfahrungen in der Führung großer Einheiten besitzt«.

Aber auch bei kleineren Manövern hapert es. Oft sind Panzer und Fahrzeuge knapp. Dringend erforderliche Ersatzteile können wegen der Streiklust britischer Arbeiter nicht herbeigeschafft werden. »Wir haben Fahrzeuge. die sind älter als manche Soldaten«, sagt Captain Peter Wilton aus Osnabrück: »Die fahren aber noch ganz gut.«

»Die Bewaffnung stammt schon nicht mehr aus der Väter-, sondern aus der Großvätergeneration«, rügt ein hoher Bundeswehr-Offizier. Er fügt, väterlich, hinzu: »Die Briten bemühen sich redlich, aber die Finanzdecke reicht vorn und hinten nicht.« Manchmal ist sie so kurz, daß britische Soldaten in Manövern, wie unlängst beim

* 1976 in Gütersloh.

»Exercise Spearpoint«, mangels Munition »peng, peng« schreien müssen.

Die Mörser könnten, berichtete der Londoner »Daily Mirror«, die Jahresration an Munition leicht in sechs Minuten verschießen, Haubitzen durften in einem Jahr nur zwölfmal feuern, und die schwere Artillerie mußte gänzlich schweigen.

Lediglich einen Pluspunkt mögen deutsche Wehrexperten der britischen Rheinarmee zuerkennen: Die Kampfkraft der Kampfeinheiten, so heißt es, sei im Vergleich zur Bundeswehr immer noch höher einzuschätzen. Augenfälligster Grund: Die Rheinarmee ist eine Profi-Armee, jeder Soldat muß sich mindestens für drei Jahre verpflichten. »Die haben eine andere Einstellung«, heißt es im Bundesverteidigungsministerium, »Kriegsspiel und Krieg liegen bei denen immer noch dicht beieinander.«

Ein Bundeswehr-Offizier: »Unsere Männer wollen am Wochenende nach Hause, die Briten freuen sich, wenn sie zum Abenteuer-Training ins Gebirge fahren.« Im Bonner Verteidigungsministerium jedenfalls glaubt man, daß sich in der Rheinarmee »Burschen tummeln, die im Zweifel mehr an Entbehrungen auf sich zu nehmen bereit sind«. So ist es denn kein Wunder, daß die Manöverschäden, etwa in der Lüneburger Heide, bei den Briten stets viel höher sind als bei Bundeswehr-Übungen. »Die Tommies, die wenden auch schon mal mit ihren schweren Panzern mitten auf der Straße«, sagt ein Bundeswehroffizier: »Die Deutschen, die denken da gleich an die Straßenmeisterei.«

Verglichen mit den Briten, haben die Deutschen eine stocknüchterne Armee. »Wir haben viel mehr Zeremonie zur Zeit«, sagt ein Rheinarmee-Offizier vom Ersten Korps in Bielefeld. Aber was heißt schon zur Zeit, sie haben eben ihr Königshaus mit allem, was dazugehört. Während der prominenteste Soldat der in Deutschland stationierten 7. US-Armee zweifellos Elvis Presley gewesen ist, diente bei der Rheinarmee immerhin Mark Phillips, der Mann einer leibhaftigen Prinzessin.

Dessen Frau, Schwager und Schwiegervater kommen gelegentlich nach Deutschland, ihre Regimenter zu sehen. So ist Field Marshal H. R. H. The Prince Philip, Duke of Edinburgh, Ehrenoberst der Queen's Own Highlanders, bei denen er in Osnabrück öfter mal vorbeischaut. Schwager Charles, Chef des Royal Regiment of Wales, kam schon mit einem Wessex-Helikopter geflogen, um sich, während das Musikkorps »Hey, look me over« trommelte, eine kleine Formation Schützenpanzer anzugucken; danach nahm er die Huldigungen von Kommunalpolitikern entgegen.

Vater und Sohn sind oft in derselben Einheit.

Unvergessen sind in Osnabrück jene Feiern des Queen's Lancashire Regiment, dessen Fahne jedes Jahr einmal mit einem Lorbeerkranz geschmückt werden darf, weil sich das Regiment bei der Schlacht von Waterloo, ISIS, so tapfer geschlagen hat. Das ist dann immer die große Stunde der Zeremonienmeister und ihrer Offiziere, die von bestimmten Dienstgraden an so aussehen, wie sie, laut Protokoll, genannt werden: etwa wie der Ehrenoberst Major General The Honourable Sir Michael Fitzalan-Howard KCVO, CB, CBE, MC.

Zur Erinnerung daran, daß die Soldaten vom »38. zu Fuß«, einem der Stammregimenter der »Staffords«, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Westindien ihre Uniformen selber

* Posten vor britischem Gebäude nach einer Bombendrohung.

schneidern mußten, aus Zuckersäcken, tragen die Infanteristen des in Osnabrück stationierten »Ist Batallion The Staffordshire Regiment (The Prince of Wales's)« noch immer ein Stück Sackleinen hinter ihrem Regimentsabzeichen. Und immer noch wird eines Sergeanten gedacht, der bei einer Schlacht an der Grenze von Britisch-Indien eine Sikh-Standarte eroberte. Seither, seit 1845, wird diese Tat einmal im Jahr gewürdigt: Dann wird die Regimentsfahne feierlich von der Offiziersmesse in die Sergeantsmesse geleitet.

Meist kommen die Tommies schon in jungen Jahren zur Army, häufig weil der Vater auch schon Soldat war -- so wie Sergeant Edmond Woodthorpe, 31, beim 28th Signal Regiment in Tönisvorst bei Krefeld stationiert, der sich schon im Alter von 15 Jahren zur Fahne meldete. Seither war er in Singapur und Hongkong; in Deutschland ist er bereits zum zweitenmal.

Für Captain John Young, 31 ebenfalls beim 28th Signal Regiment, war der Vater, ein Richter, eher das abschreckende Beispiel: »Ich wollte nicht wie er vierzig Jahre meines Lebens in einem Ledersessel verbringen.« Die Army schien ihm das zu bieten, was er wünschte -- »die praktische Seite des Lebens«.

Als Keith Hoile, Enkel eines Marinesoldaten, geboren wurde, stand sein Vater gerade in Singapur. Seine Frau, aus dem Sudetenland. hat dem Oberstleutnant vom Regiment Royal Anglian in Iserlohn einen Sohn und in Nea-

* In Zeven bei Bremen.

pel eine Tochter geboren -- typischer Lebenslauf eines britischen Offiziers, der alles gesehen hat, was ein Soldat Ihrer Majestät in den letzten drei Jahrzehnten sehen konnte: Singapur und Hongkong, Korea, Malaysia, Ostafrika und Aden.

Nicht selten dienen Vater und Sohn in derselben Einheit, und in manchen Regimentern gibt es Dutzende von Brüderpaaren. Ein Freiwilliger, und das sind sie seit 1961 alle, geht oft dahin, wo schon der Vater gedient hat. Als etwa kürzlich nach einem Vierteljahrhundert der Sergeant Tom Heaps sein Mindener Bataillon beim »22nd (Cheshire) Regiment« verließ, da wurde zu seinem Abschied Sohn Leslie begrüßt, der fortan dabei ist.

Aber neben britischer Tradition treibt die britische Wirtschaftsmalaise gegenwärtig vor allem einfache Insulaner unter die Fahne, am liebsten in die Bundesrepublik.

Die Neuankömmlinge wähnen sich, wie Sergeant Woodthorpe, in einem »ökonomischen Wunderland«. Er würde auch nur ungern wieder nach England zurückkehren, denn: »Mein Lebensstandard wäre niedriger.« Wie hoch der Standard ist, erkannte Woodthorpes Frau unter anderem daran, »daß die Leute hier sauber gewaschen und in guten Kleidern von der Arbeit kommen, während sie in England verdreckt und in Arbeitsklamotten die Fabrik verlassen«.

Allan Neill aus Greenwock, 25, ist seit sieben Jahren Soldat. Vorher war er Schiffsbauer wie sein Vater. »Ich wollte nicht mehr jeden Morgen zur Werft gehen und abends wieder zurück, ich wollte die Welt sehen.«

Neill schreckt das eigene Zuhause. »Ich liebe nicht die Gegend von Glasgow«, sagt er, »das ist alles so düster und so dreckig.« Um die Arbeitsplätze war es in der Werft ohnehin noch nie gut bestellt. Außerdem hätte Neill, wenn er überhaupt etwas verdiente, zu Hause viel weniger Geld als bei den Streitkräften.

»Bei uns in England ist das Gras grün, aber auf der anderen Seite ist es noch grüner«, zitiert Oberstleutnant Hoile ein englisches Sprichwort. Und so hat die Rheinarmee denn auch keine Nachwuchssorgen. Sie bietet, sagt Major Ron Roberts, »finanzielle Sicherheit in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit« und zahlt nicht schlecht.

Ein verheirateter Captain mit einem Kind beispielsweise bekommt 50,38 Mark pro Tag plus Übersee-Zulage in Höhe von 33,65 Mark. Einkommensteuer, Miete, Heizung und Licht ergeben einen Abzug von 30 Mark, so daß -- nach Unterkunft, Kleidung und Verpflegung -- insgesamt 53 Mark pro Tag übrigbleiben. Ein Sergeant, ebenfalls verheiratet, ein Kind, behält 45 Mark, ein unverheirateter Soldat immer noch zwischen 28 und 31 Mark. Wo britische Soldaten sind, bilden sie eine Insel.

Fast alle versuchen, »to save their pennies« -- etwa um sieh nach der Rückkehr auf die Insel »ein Haus kaufen zu können«, sagt Corporal Catherine Johnston, und mancher hat schon vorgesorgt. Staff Sergeant Leonard Cartwright, 44, seit 23 Jahren bei der Armee, hat im heimatlichen Stafford bereits zwei eigene Häuser stehen.

Auch Corporal Winter denkt an die Zukunft: »Wenn man die Armee verläßt, dann braucht man Geld, dann hat man gar nichts mehr, nicht einmal Möbel.« Denn die stellt die Armee.

Die verheirateten Soldaten werden in sogenannten »Quarters« außerhalb der Kasernen untergebracht, wo sie alles vorfinden, was sie zum Leben brauchen -- vom Bett über das Geschirr bis zu den Gardinen. Einige freilich wechseln die oft abgewetzten Standardmöbel gegen neu gekauftes Mobiliar aus -- wie Warrent Officer Webb in Tönisvorst, der sich mit grellen Möbeln von Allkauf und Horten komplett neu eingerichtet hat.

Vergeben werden die Wohnungen, von denen rund 25 000 zur Verfügung stehen, nach einem Punktsystem, bei dem Alter, Dienstzeit, Zahl der Kinder, Rang des Bewerbers eine Rolle spielen. Nicht selten müssen die Soldaten monatelange Wartezeiten in Kauf nehmen, die sie dann in den Baracken für »Single Soldiers« (Junggesellen) überbrücken, derweil ihre Familien auf der Insel warten.

Wo immer ein paar britische Soldaten beieinander sind, und allemal in einer Garnison, da ist Großbritannien. Von alters her bilden die Soldaten von der Insel Inseln, wo immer sie Gewehr bei Fuß stehen.

Die soziale und kulturelle Infrastruktur ist nahezu lückenlos. Die Rheinarmee hat eigene Krankenhäuser, eigene Schulen für die insgesamt 59 000 Schulkinder, eigene Kinos, Theater, Kirchen, Spiel- und Unterhaltungszentren, eigene Schwimmbäder, Sportplätze und -hallen sowie einen 31 000 Mann starken -- vornehmlich aus Deutschen bestehenden -»supporting-staff« (Fahrer, Köche, Handwerker).

Eigens für die Truppe strahlt der Soldatensender British Forces Broadcasting Services 128 Stunden pro Woche aus -- vor allem Unterhaltung und Sport. Demnächst, in etwa zwei Jahren, sollen alle britischen Garnisonen auch mit englischem Fernsehen versorgt werden, nachdem ein 14monatiger Testversuch in Celle als erfolgreich angesehen wird.

Jede der 14 großen Garnisonen hat mindestens ein eigenes Geschäft -- den sogenannten NAAFI-shop (NAA-FI -- Navy, Army, Airforce Institute), den die britischen Soldaten überall auf der Welt finden. Statt der NAAFIshops bevorzugen viele Briten allerdings den deutschen Supermarkt, weil es dort -- außer Schnaps und Zigaretten -- meist schon billiger ist. Schließlich haben die Briten auch eigene Zeitungen -- wie etwa »Berliner Bulletin«, »Sixth Sense« oder »Union Jack«.

In jeder Garnison werden Deutsch-Kurse angeboten; sie seien gut belegt, sagt Major Roberts, und die Schüler machten gute Fortschritte: »Die meisten können in einer deutschen Gaststätte schon ein Bier oder etwas zu essen bestellen.« Viel mehr auch nicht. »Stellen Sie sich doch mal einen 18jährigen Hüttenarbeiter aus Oberhausen vor«, gibt ein Bielefelder Briten-Offizier zu bedenken, »wenn er nach Frankreich käme, der würde doch auch keinen Satz rauskriegen.«

Die Briten freilich kriegen selbst dann kaum einen deutschen Satz raus, wenn sie schon seit Jahren in Deutschland leben -- so wie Corporal Winter, und offenbar ist ihm auch nicht viel daran gelegen: »Neuerdings«, sagt er zufrieden, »sind wir ohnedies mehr ans Haus gefesselt, weil wir ein Baby haben.« Auch Barbara Webb, seit drei

* Mit Sackleinen unterlegt, zur Erinnerung an britische Soldaten, die, im 18. Jahrhundert in Indien stationiert, selbstgeschneiderte Uniformen aus Zuckersäcken trugen.

Jahren in der Bundesrepublik, hat in dieser Zeit kaum ein Wort Deutsch gelernt -- sie wüßte auch nicht warum: »I can help myself in the supermarket.« Wenn sie mal ausgeht, dann in die Officer's mess beim 28th Signal Regiment in Tönisvorst, bei dem ihr Mann dient.

In diesen Messen vor allem spielt sich das gesellschaftliche Leben der Rheinarmee ab, hierarchisch streng gegliedert. Die Offiziere bewohnen gut ausgestattete Räume, der Wohntrakt, in Rheindahlen beispielsweise, ist durch -- einen wettergeschützten Durchgang mit dem Restaurationsbereich verbunden. Dort werden die Offiziere an weißgedeckten Tischen bedient. Im Sommer können sie in einem eigenen, idyllischen Rosengarten flanieren. Die untersten Chargen müssen sieh mit Schlafbaracken, Kantinen und wenig attraktiven Klubs begnügen.

Für Unterhaltung ist aber in jeder Rangstufe gesorgt: Aus den Gefreiten-Behausungen in Tönisvorst dringen schon mal heiße Sounds nach draußen, die Jungsoldaten auf Gitarren, Trompeten und Klavieren selber erzeugen. In der Sergeant's mess in Rheindahlen wird alljährlich ein Oktoberfest gefeiert -- »mit Brezln und Leberkäse«. Wenn die tollen Tage losgehen, dann treffen sich die Unteroffiziere gelegentlich zu einer »carnival night« in der dancing-bar, wo die Wände mit Photos vom Mönchengladbacher Karnevals-Komitee geschmückt sind.

Kaum ein Grund, der die Briten zum Verlassen ihrer Garnisonen bewegen könnte. Fast alle haben Fernsehen; besonders beliebt sind »Dalli, Dalli«, die »Hitparade« und »Die Sportschau« sowie englische oder amerikanische Krimiserien, die sie schon von Großbritannien her kennen. Den Text, den sie nicht verstehen, können sie so wenigstens erahnen.

Da ist es kein Wunder, daß es mit den deutsch-englischen Kontakten eher schlecht bestellt ist, obwohl offizielle Stellen stets das Gegenteil versichern und darauf verweisen, daß von den rund 200 Rheinarmee-Soldaten, die jedes Jahr heiraten, rund ein Drittel deutsche Frauen freit. Zaghafte Versuche von deutscher Seite beeinflussen im wesentlichen nur die Begegnungen auf oberer Ebene, vom Brigadier zum Regierungspräsidenten, vom Bataillonskommandeur zum Bürgermeister. Meistens »steht man da rum«, so ein Ratsherr aus Hameln, »langweilt sich und versichert einander, sich nun öfter zu sehen.

Die Kommune Osnabrück, die größte außerenglische Garnison, profitiert durchaus von der Gastgeberrolle. Mal rücken die Soldaten mit großem Gerät an, um einen Abenteuerspielplatz zu bauen, das spart dann fast 100 000 Mark. Mal haben sie, wenn Oberstadtdirektor Raimund Wimmer darum bittet, auch schnell einen Hubschrauber parat, wenn einem Landesminister seine Stadt von oben gezeigt werden soll, Aber viel mehr Kontakte gibt"s auch nicht: »Zwischen einfacher Bevölkerung und einfachen Soldaten ist das nicht ganz leicht.«

Gleichwohl -- an demonstrativen Freundschaften herrscht kein Mangel: Da üben sich beispielsweise Bielefelder Bürger gemeinsam mit englischen Soldaten am »Drivers Day« auf dem Gelände der Ripon Barracks im Geschicklichkeitsfahren, dann wieder trifft man sich bei der »Bielefelder Horse Show« oder beim deutsch-britischen Sportfest. Höhepunkt deutsch-britischer Kontaktversuche ist alljährlich eine Musikparade britischer Militärkapellen in der Bielefelder Radrennbahn. »Wir müssen denen sagen: Es ist nicht mehr 1945.«

In Münster bei der alljährlichen »königlich-militärischen Musikshow« beweisen die Briten ihre Verbundenheit mit den Deutschen, indem sie Schotten in Lederhosen auftreten lassen. Bei der Aktion »Saubere Landschaft« wühlen britische Soldaten einträchtig mit ihren deutschen Freunden im Dreck, und immer spenden sie Blut fürs »Deutsche Rote Kreuz«.

Wenn einem britischen Kommandeur die Abschiedsstunde schlägt, fehlt es nur selten an öffentlichem Bedauern. Lieutenant General Sir Roland Gibbs machte der Abschied von Bielefeld »sehr, sehr traurig«, keine Frage, daß er »am liebsten hierbleiben« würde. Um den Bielefeldern die Trennung zu erleichtern, pflegen scheidende Generale der Stadt Holzbänke zu hinterlassen. Ein verchromtes Schild erinnert fortan an den Spender: »Den Bürgern der Stadt gestiftet von Lieutenant General Sir John Sharp.«

Doch der offizielle Austausch von Geschenken und Artigkeiten hat die Kontakte zwischen britischen Soldaten und deutscher Bevölkerung bislang kaum gefördert. Als einmal die Stadt Bielefeld dazu aufrief, die uniformierten Gäste zu Weihnachten nach Hause einzuladen, meldeten sich nur sechs Familien. Ein Briten-Offizier: »Wir sind die halfforgotten Army.«

Bei einer Befragung britischer Soldaten durch eine Bielefelder Zeitung meinte ein Gefreiter, »daß die Leute hier ein bißchen antibritisch eingestellt sind«. Ein anderer Gefreiter: »Ich besuche seit einem Jahr regelmäßig eine bestimmte Gaststätte, und erst jetzt fangen die Leute an, mit uns einmal ein Gespräch zu versuchen.«

Als 34 Kollegiaten des Oberstufenkollegs der Universität Bielefeld britische Soldaten über ihre Situation und ihre Kontakte zu Deutschen befragten, äußerten sich die meisten zurückhaltend: Deutsche Kneipen charakterisierten sie als »unpersönlich«, die Deutschen kamen ihnen vielfach »kühl« vor.

Solche Frostigkeit könnte einen einfachen Grund haben: Der Bevölkerung leuchtet vielfach nicht ein, was britische Truppen drei Jahrzehnte nach dem Kriege in Deutschland überhaupt noch wollen. »Gegen die können wir nichts machen«, antwortete ein Bielefelder den Kollegiaten, »das ist doch eine Besatzungsmacht.« Oder: »Deutschland hat den Krieg verloren, deshalb haben die das Recht, hier zu sein.

Aber auch das Deutschlandbild mancher britischer Soldaten stammt eher aus der Besatzungszeit als aus der Nato-Ära. »Wenn die Jungen aus England kommen«, sagt Major Roger Garnett aus Hameln, »dann müssen wir denen erst mal sagen, es ist nicht mehr 1945.«

Die Briten sind Fremde geblieben, aber weg wollen sie auch nicht mehr; die meisten Familien, umschrieb ein Offizier, möchten lieber an die Insel denken als dort wohnen. Die jüngste Rückzugsdrohung ihres Premiers nahmen die Tommies kaum ernst. »Ich hoffe, er hat es nicht so gemeint«, sagt Brigadier Mike Reynolds, Standortkommandant in Osnabrück.

Ein Offizier in Tönisvorst hält den Vorstoß für »a political maneuver«. Er weiß, daß ein Abzug gar nicht realisiert werden kann: »In Großbritannien ist gar kein Platz für diese Armee.«

Diese Meinung teilen Kenner der Rheinarmee im Bonner Verteidigungsministerium: »England ist auf die Aufnahme seiner Auslandstruppen nicht vorbereitet«, heißt es da. Man könne die Rückkehrer »ja nicht in Zelte stecken«, und außerdem: »Die Armee kostet in Großbritannien womöglich mehr, als wenn sie in Deutschland bliebe.«

Über die Folgen eines Rückzugs scheint sich auch die britische Regierung klar zu sein. Kurz nach der Callaghan-Äußerung war Großbritanniens neuer Verteidigungsminister, Frederick Mulley, bei seinem Kollegen Georg Leber in Bonn: »Von einer Drohung kann keine Rede sein.«

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