»Wir sind ein erstklassiger Partner«
SPIEGEL: Herr Bundeskanzler, ohne Ihnen schmeicheln zu wollen, muß man sagen, daß Sie zu den drei oder fünf politischen Figuren auf dieser Welt gehören, deren Ausfall ad hoc nicht zu ersetzen wäre. Hat das mit Ihnen persönlich zu tun, hat das mit der SPD zu tun oder mit der Stellung der Bundesrepublik in der Welt?
SCHMIDT: Das wäre das erste Mal, daß der SPIEGEL einem schmeichelt. Infolgedessen möchte ich Ihre Frageformulierung auch nicht als ad personam gerichtet verstehen. Insofern haben Sie dann mit den drei Antwortmöglichkeiten, die Sie andeuteten, eine Antwort vorweggenommen: Es hat natürlich mit der Bundesrepublik Deutschland zu tun und sehr viel weniger mit der Person oder mit der Sozialdemokratischen Partei. Auf der anderen Seite bin ich nicht der Meinung, daß jemand, der das Amt des Bundeskanzlers ausübt, schwierig zu ersetzen sei. Das ist ein immer wiederkehrender Irrtum, dem in besonderem Maße die Amtsinhaber selber anheimfallen können. Dabei zeigt das Leben, daß manche für unersetzbar gehaltene Personen, wenn sie letztlich ersetzt werden müssen, von ihren Nachfolgern übertroffen werden, zum Teil allerdings ist auch der Nachfolger schwächer. Im Durchschnitt sind alle Nachfolger genauso gut wie die Vorgänger. Das ist eine statistische Wahrheit, die schwer zu bestreiten ist.
SPIEGEL: Immerhin, bisher hatte es kein Bonner Regierungschef unternommen, mit dem erklärten Ziel nach Washington zu fahren, zwischen den USA und Frankreich zu vermitteln. Keiner hat bisher wie Sie damit Erfolg gehabt, ja sogar Dank geerntet - wie das Treffen zwischen Ford und Giscard auf Martinique gezeigt hat. Ist diese erfolgreiche Vermittlungsaktion Zeichen für steigende Bedeutung und größeren Einfluß der Bundesrepublik?
SCHMIDT: Ich möchte die vermittelnden deutschen Aktivitäten nicht überzeichnet sehen, ich will sie allerdings auch nicht leugnen. Sie waren nicht so sehr ein Zeichen deutscher Stärke als vielmehr Ausfluß von zwei glücklichen Zufällen. Der erste glückliche Zufall besteht darin, daß Giscard und Schmidt befreundet sind und sich gegenseitig vertrauen, was nicht heißt, daß der eine oder der andere die nationalen Interessen des eigenen Landes hintanstellen könnte und daß Schmidt in Washington ein großes Vertrauen besitzt, unabhängig von dem Wechsel im Amt des Präsidenten. Der zweite Zufall ist, daß der gegenwärtige Bundeskanzler sich in den letzten drei Jahren sehr intensiv mit weltwirtschaftlichen und monetären Problemen beschäftigt hatte und insofern die glückliche Voraussetzung besonderer Urteilskraft auf diesem Felde mitgebracht hat.
SPIEGEL: Mag dies noch ein Zufall sein oder eine besonders glückliche Konstellation. Ihr Auftreten vor dem Labour-Parteitag Ende letzten Jahres hat doch nichts mit Zufall zu tun. Dort hat der Kontinental-Europäer Schmidt den Engländern die Lehre erteilt, daß sie in der EG bleiben sollen, ohne daß er ausgepfiffen worden wäre. Im Gegenteil, der deutsche Kanzler hat ein weiteres Stück deutschen Selbstbewußtseins von der Insel mitgebracht.
SCHMIDT: Das Ereignis, von dem Sie sprechen, zu dem ja auch die zweitägigen Beratungen mit Premierminister Wilson und der entsprechende Teil der anschließenden Konferenz der europäischen Premierminister und Staatspräsidenten in Paris gehören, beruht - ich muß Sie enttäuschen - zu einem erheblichen Teil auf dem glücklichen Zufall, daß ich in der Lage bin, mich in der englischen Sprache präzise und doch einigermaßen gefällig auszudrücken.
SPIEGEL: Das konnte Kanzler Brandt auch.
SCHMIDT: Ja, aber Kiesinger, Erhard und Adenauer hätten das nicht gekonnt. Brandt hätte möglicherweise einen größeren Erfolg in dieser Lage in England erbracht, das möchte ich sehr deutlich sagen. Natürlich hätte eine solche Anrede und natürlich hätte eine so ernsthafte Durchknetung und Betrachtung dieses Problemknäuels der englischen Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft von allen Seiten einen sehr viel geringeren Wirkungsgrad gehabt, wenn der Betreffende dort etwa als Privatmann hingegangen wäre. Daß er gleichzeitig in weitreichender Weise die Bundesrepublik Deutschland verpflichten kann, spielte sicherlich eine große Rolle. Ich bin allerdings der Meinung, daß Deutschland schon zu Adenauers Zeiten kein politischer Zwerg war.
SPIEGEL: Sie wollen aber nicht in Abrede stellen, daß das weltweite Ansehen der Bundesrepublik seither gestiegen ist.
SCHMIDT: Die Rolle Deutschlands ist im Laufe der sechziger Jahre und jetzt in der ersten Hälfte der siebziger Jahre aus drei Gründen gewachsen: aus strategisch-politischen Gründen erstens, weil andere europäische Partner des Nordatlantischen Bündnisses ihre Bündnisrolle verringert haben, die Bundesrepublik Deutschland dies aber aus wohlerwogenen Gründen keineswegs getan hat. Sie hat also innerhalb des Bündnisses an relativer Bedeutung gewonnen ...
SPIEGEL: ... militärisch-strategisch.
SCHMIDT: Nein, nicht militärisch-strategisch, ich sage mit Absicht politisch-strategisch. Der zweite Grund liegt in der durch Willy Brandt und Walter Scheel bewirkten weiteren Reduzierung der Gefahr, die in der offenen Flanke der deutschen Frage und in der gefährdeten Inselstellung Berlins lag, eine Gefährdung, die die ganze Welt betraf und nicht nur die Deutschen.
SPIEGEL: Sind wir handlungsfähiger geworden?
SCHMIDT: Das ist der richtige Ausdruck. Die Reduzierung der dort gegebenen Gefahren hat den Leuten die Sorge genommen, daß wir etwas Falsches machen könnten, was zu einem sie mitbetreffenden Konflikt würde führen können, und hat unsere Handlungsfähigkeit verstärkt. Das dritte Moment, aus dem heraus unser Gewicht zugenommen hat, liegt in dem für alle Welt - außerhalb Bayerns und außerhalb des Kopfes des christlich-demokratischen Oppositionsführers in Bonn - für alle Welt sonst frei und mühelos erkennbaren großen Erfolg der deutschen volkswirtschaftlichen Entwicklung und der deutschen ökonomischen Politik.
SPIEGEL: Helmut Kohl hat das also begriffen?
SCHMIDT: Ich glaube, Herr Kohl hat das begriffen, ja.
SPIEGEL: Versuchen wir, die Rolle der Bundesrepublik zu definieren: Wir sind keine Supermacht wie die USA und die UdSSR. Aber es gibt zwei Systeme, die sich überlagern: das bi-polare USA-UdSSR und darunter das multi-polare von mehreren großen und mittleren Mächten. In deren Reihen scheint uns die Bundesrepublik heute die stärkste Macht zu sein.
SCHMIDT: Ich kann dieses Bild nur sehr begrenzt akzeptieren, das Sie gebrauchen, als ob ein bi-polares System unterfüttert oder aber überlagert werde, wie immer Sie das sehen wollen, von einem multi-polaren. Nehmen Sie einmal solche Fragen, wie sie jetzt gelöst werden müssen, wenn wir nicht 1975 in eine tiefe weltwirtschaftliche Depression geraten wollen, zum Beispiel die Frage: Was muß auf seiten der Industriestaaten wie auf seiten der Überschußstaaten geschehen, damit das monetäre System der freien Weltwirtschaft aufrechterhalten bleibt? In einer solchen Frage ist natürlich die Bundesrepublik Deutschland eine Weltmacht. Und ihre Bedeutung ist hier nicht kategorisch verschieden von derjenigen der Vereinigten Staaten. Weltwirtschaftlich gehört die Bundesrepublik zusammen mit Amerika, Japan, Frankreich und England in die erste Kategorie. In Fragen, sagen wir atomarer Versuche, des Nichtverbreitungsvertrages, der Verhandlungen über Begrenzung strategischer Rüstung, der beiderseitigen Rüstungsverringerungen auf konventionellen Gebieten in Europa, auf solchem Feld ist die Bundesrepublik eine Mittelmacht. So ist das Gewicht von Feld zu Feld verschieden. Bei der Gestaltung des Finanzsystems der Welt, da sind wir ein erstklassiger Partner. Daran wird niemand zweifeln, nicht nur unseres Gewichts wegen, sondern auch unserer fachlichen und sachlichen Erfahrung und unseres Expertentums wegen. Wenn es dagegen um die Ordnung der Agrar- und Ernährungspolitik auf diesem Weltball geht - das ist ebenso eine Frage von weltumspannender großer Bedeutung -, dort sind wir weit davon entfernt, eine erstklassige Rolle zu spielen.
SPIEGEL: Können wir auf das Militärisch-Politische zurückkommen. Es ist doch heute so, daß außer den Streitkräften mit den Potentialen der beiden bi-polaren Mächte USA und UdSSR eigentlich nur noch eine Streitmacht innerhalb des westlichen Lagers ernst genommen wird, die Kontinental-Streitmacht der Bundesrepublik Deutschland. Alle anderen sind dabei, ihre Streitkräfte stiekum abzubauen.
SCHMIDT: Richtig ist, daß andere zum Teil verringern, und zwar aus ökonomischem Zwang heraus, weil sie in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung nicht so glücklich operiert haben wie wir. In Holland liegt das anders. Die Holländer sind ökonomisch nicht dazu gezwungen. Aber ich bitte doch, andererseits die englische und die französische Marine nicht zu unterschätzen. Das sind erstklassige Streitkräfte. Die englische und französische Nuklearstreitmacht ist zwar sehr klein und nicht von weltpolitischer Bedeutung, wie ich denke, aber in ihrer Begrenztheit doch von hoher Qualität. Wir dürfen hier nicht in den Fehler der Überheblichkeit verfallen.
SPIEGEL: Immerhin hat die Nato auf ihrer Dezember-Tagung die Bundeswehr als die nach den USA bestgerüstete Konventional-Streitmacht ausdrücklich gelobt.
SCHMIDT: Daß die Deutschen sowohl in Moskau als auch in westlichen Hauptstädten als auch in Washington so hoch eingestuft werden, hängt mehr damit zusammen, daß man uns anhand des eindeutigen volkswirtschaftlichen Erfolges, den jeder draußen in der Welt ablesen kann, zutraut, daß eben auch unsere Armee, unser Heer genauso effizient wäre, falls es darauf ankäme. Das wird ja nicht ausprobiert werden; infolgedessen beruht dies alles mehr auf psychisch fundierten Einschätzungen denn auf irgendwelchen objektiven Parametern, an denen man die Effizienz messen könnte.
SPIEGEL: Wie erklären Sie sich eigentlich, daß wir im Ausland auf eine Welle der Anerkennung stoßen, die Deutschen selber dagegen - verstrickt in innere Probleme - ihre Rolle anders verstehen?
SCHMIDT: Daß nicht alle Deutschen diese uns zugewachsene größere Bedeutung spüren, darin gebe ich Ihnen recht. Wir führen dieses Gespräch hier in meiner Vaterstadt Hamburg. Hier gibt es sicherlich mehr Menschen, die das spüren, als sagen wir an der Isar oder in Mainz. Das hängt damit zusammen, daß hier ein größerer Teil der Menschen die Welt draußen kennt, auch regelmäßig im Ausland ist und Deutschland von draußen betrachtet und das relative oder das spezifische Gewicht Deutschlands auf all den Feldern viel leichter erkennen kann, als wenn man im Landtag zu Mainz die dortigen Debatten über den Haushalt des Landes Rheinland-Pfalz für eine zentrale Frage der deutschen Politik zu halten geneigt ist. Viele Deutsche sind Binnenländer, viele Generationen lang. Sie fangen eigentlich erst seit Ende der fünfziger Jahre an, die Welt zu bereisen. Wenn Sie das heutige Ausmaß zum Beispiel des Massentourismus über unsere Grenzen hinweg ansehen, dann ist es erstaunlich und auch dringend erwünscht.
SPIEGEL: Vor dem Ersten Weltkrieg hatten die Deutschen ein sehr viel ungebrocheneres Verhältnis - ob es angemessen war oder nicht, lassen wir dahingestellt - zur eigenen Größe, zur eigenen Bedeutung, zur Weltmachtstellung des Deutschen Reiches als heute, obwohl sie vielleicht jetzt eher Grund hätten, mehr nationales Selbstbewußtsein zu zeigen.
SCHMIDT: Wenn der SPIEGEL im Jahr 1905 oder im Jahre 1911 Wilhelm II. in einem Interview bescheinigt hätte, daß er das Staatsoberhaupt einer Weltmacht sei, hätte der sich sehr gefreut und hätte das mit den beiden Daumen in den Armlöchern seiner Weste quittiert und gesagt: Das muß ja auch so sein. In Wirklichkeit steckte darin eben ein schönes Maß an Überheblichkeit und an Provinzialität, die nicht nur auf Wilhelm II. beschränkt war. Ich glaube nicht, daß wir heute in der umgekehrten Gefahr sind, Minderwertigkeitskomplexe mit uns herumzuschleppen und die Rolle, die uns die Konstellation der Welt zuweist, aus Komplexen heraus nicht zu spielen. Das ist nicht der Fall.
SPIEGEL: Hängt die Reserve der Deutschen davor, für mächtig gehalten zu werden, vielleicht damit zusammen, daß sie sich vor den vor allem finanziellen Belastungen einer solchen Stellung fürchten, zu Recht fürchten?
SCHMIDT: Nein, das, glaube ich, spielt bei der Masse unserer Zeitgenossen keine so große Rolle. Bei ihnen spielen nach wie vor die tiefgreifenden Erschütterungen der Jahre 1933 bis 1945/48 die ausschlaggebende Rolle.
SPIEGEL: Wie stark schätzen Sie das Mißtrauen der Deutschen davor ein, nur deshalb für stark gehalten zu werden, weil man nachher um so besser zur Kasse gebeten werden kann?
SCHMIDT: Das gilt nicht für die Masse der Zeitgenossen. Das gilt sicher für Hans Apel oder für mich oder für Hans-Dietrich Genscher, der die Außenpolitik zu führen hat. Wir treten lieber ein bißchen schmaler auf.
SPIEGEL: Glauben Sie nicht, daß Hans Apels Wort »Wir sind nicht die Zahlmeister Europas« doch sehr populär war und auch durchgeschlagen hat?
SCHMIDT: Ja, es war auch nötig, daß das mal einer gesagt hat.
SPIEGEL: Inzwischen sind wir nicht nur die Zahlmeister Europas, wie der Italien-Kredit zeigt, wie die EG-Einigung über den Regionalfonds zeigt und was alles noch hinzukommt. Wir laufen Gefahr, auch Zahlmeister der Welt zu werden, denkt man mal an Kissingers Forderung von zehn Milliarden Mark für den Solidaritätsfonds der ölverbrauchenden Länder.
SCHMIDT: Kissinger hat nicht davon gesprochen, daß wir den Fonds zur Hauptsache finanzieren. Er weiß auch, daß wir das nicht tun werden. Wenn Sie den EG-Regionalfonds betrachten, dann sehen Sie, daß der im Prinzip zu früherer Zeit verabredet worden war. Das, was damals auf Deutschland zugekommen wäre, wenn wir es so gemacht hätten, wäre sehr viel mehr gewesen als das, was wir jetzt in Paris vor ein paar Wochen verabredet haben.
SPIEGEL: Die ölproduzierenden Länder re-investieren ihre Petro-Dollars statt in den Defizit-Ländern Frankreich, Italien und England immer stärker in dem relativen Überschußland Bundesrepublik, beispielsweise indem sie Daimler-Benz-Aktien kaufen. Unser Überschußproblem wird auf dem Umweg über die Energiekrise praktisch noch erhöht. Endergebnis: Die defizitären Industrienationen verlangen von uns, daß wir sie mit großzügigen Krediten alimentieren, von denen wir nicht wissen, wie wir sie je zurückbezahlt bekommen. Dies, meinen wir, ist die Kehrseite der relativen Stärke, von der viele Leute mehr ahnen, als daß sie von ihr wissen.
SCHMIDT: Das Bild, das Sie gezeichnet haben hinsichtlich der Konsequenzen eines Re-Investments überschüssiger arabischer Einkommen, ist ein sehr kleiner Teilausschnitt des Ganzen. Das, was die Sterntaler-Menschen in den Ölstaaten von heute von ihren im eigenen Land nicht verwendbaren überschüssigen Einkommen in den Kauf von Aktien oder auch Grundstücken im Ausland investieren, das ist ja nur der allerkleinste Teil. Den bei weitem größten Teil müssen sie auf die eine oder andere Weise kreditieren. Sie tun das bisher in einer sehr naiven, einfallslosen, für sie und für alle anderen gefährlichen Weise. Sie müssen einen Teil ihrer Überschüsse investieren, und ich hoffe, daß sie auf die Dauer auch in England und in Italien und anderswo investieren. Auf diese Weise erwerben sie ein eigenes Verständnis und Interesse für die Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit der ölabhängigen Volkswirtschaften, in die hinein sie investiert haben. Wenn die Kuweitis nicht erstmalig im Jahre 1974 ein paar Mercedes-Aktien gekauft hätten, sondern wenn sie schon im Jahre 1972 große Pakete von VW gekauft hätten, dann hätten sie inzwischen begriffen, was sie mit ihrer Ölpreispolitik für die Automobilwirtschaft der ganzen Welt angerichtet haben. Also ein gewisses Maß von industriellem Investment der Ölüberschußstaaten ist dringend erwünscht, weil sie anders nicht verstehen lernen, was sie anrichten.
SPIEGEL: Wenn Sie sie auch noch dazu bewegen könnten, British Leyland oder Citroën zu kaufen statt Daimler-Benz, dann wäre das schon besser.
SCHMIDT: Ich bin dafür, daß sie auch in Deutschland investieren. Es gibt natürlich Grenzen. Wir würden nicht zulassen wollen, daß sie die Kraftwerk Union aufkaufen. Da würden wir gesetzgeberisch einschreiten. Aber wenn sie eine deutsche Brauerei haben wollen, die können sie zu 100 Prozent kriegen, meinetwegen auch ein paar deutsche Brauereien. Einstweilen sind die Grenzen in keiner Weise erreicht. Die Leute meinen, die Welt gehe unter, wenn Ausländer einen Anteil erwerben an großen deutschen Industriefirmen. So ist das ja nicht. Gucken Sie sieh mal an, in wessen Händen sich etwa Opel befindet, oder Ford in Köln, das ist ja auch gutgegangen.
SPIEGEL: Können wir eigentlich noch ein Interesse haben an einer institutionellen Verklammerung der westeuropäischen Staaten? Denn wenn es erst einmal Mehrheitsentscheidungen in Brüssel geben wird, dann müßte das doch eigentlich zu einer Koalition der vielen Schwachen gegen den einen Starken führen. Das heißt, wir würden immer wieder von dieser Koalition zum Zahlen gezwungen.
SCHMIDT: Niemand kann in der EG gegen seinen Willen zum Zahlen gezwungen werden. Außerdem glaube ich, daß im Verhältnis zu ihrem Volumen die Benelux-Staaten volkswirtschaftlich und finanzwirtschaftlich beinahe genauso stark sind wie die Bundesrepublik Deutschland - ich bitte, sie nicht zu unterschätzen - und daß Frankreich, das ja in mancher Beziehung reicher ist als Deutschland, durchaus die Chance hat, in wenigen Jahren in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit die gleiche Ebene zu erreichen wie die Bundesrepublik Deutschland.
SPIEGEL: Im Augenblick denken die Amerikaner, wenn sie von Europa sprechen, nur oder vornehmlich an die Bundesrepublik, müssen ihren Hauptverbündeten hier sehen, ob es nun politisch, strategisch oder wirtschaftlich ist. Die Folge davon könnte sein, daß wir nolens volens in amerikanische Engagements politischer, gar militärischer Art auch gegen unseren Willen hineingezogen werden.
SCHMIDT: Ich sehe eine gewisse Gefahr darin, daß gegenwärtig manche Amerikaner die Rolle und die Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik zu überschätzen geneigt sind. Es wird ihnen aber auseinandergesetzt, wo unsere Grenzen liegen. Daß wir in Konflikte hineingezogen werden könnten wider unseren Willen, ist ein Novum in der deutschen politischen Geschichte. Bis vor einer Generation waren wir an der Entstehung von Konflikten meistens ursächlich beteiligt. Nun erstmalig kann man sich vorstellen, daß das auch anders kommt.
SPIEGEL: Schon bei einem leider immer wahrscheinlicher werdenden Krieg zwischen Juden und Arabern können wir ja kaum noch so neutral bleiben, wie wir es beim Jom-Kippur-Krieg 1973 geschafft haben. Ganz konkret gefragt: Wie stark ist eigentlich der Druck der Amerikaner auf die Bundesrepublik, ihnen im Kriegsfall Flugplätze und Häfen für Nachschublieferungen an Israel bereitzustellen?
SCHMIDT: Ich weiß von keinem Druck. Wir würden uns darauf auch nicht einlassen. Da ich mich nicht als Kanzler einer Weltmacht fühle, werde ich über Ihre Frage nicht öffentlich philosophieren. Das wäre lebensgefährlich.
SPIEGEL: Bei einem möglichen neuen Ölembargo zeigt sich deutlich, wie schwach die sogenannte Großmacht Bundesrepublik ist, weil sie nicht über die Primär-Energie Öl verfügt.
SCHMIDT: Deswegen haben wir ja schon seit Beginn des Jahres 1974 in besonderem Maß mitgewirkt an der Vorbereitung der Pläne zur gegenseitigen Hilfe für einen solchen Embargo-Fall. Ich darf daran erinnern, daß ich damals noch als Finanzminister gemeinsam mit dem damaligen Außenminister Scheel auf der Washingtoner Energiekonferenz im Februar 1974 hingewirkt habe auf Verabredungen zu gegenseitiger Hilfe für solche Notfälle, nicht nur, weil wir uns unserer eigenen Verletzbarkeit auf diesem Felde bewußt waren, sondern auch der Verletzbarkeit Frankreichs oder Hollands. Gegenwärtig sind natürlich auch die Vereinigten Staaten von Amerika hoch verletzlich. Die werden aber auf die Dauer nicht so verletzlich bleiben.
SPIEGEL: Wie groß ist die Gefahr, daß über die große Exportabhängigkeit der deutschen Industrie die weltweite Rezession die deutsche Wirtschaft weiter in Mitleidenschaft zieht?
SCHMIDT: Wir sind bereits in einer Weltrezession begriffen. Die Gefahr besteht, daß daraus wegen pro-zyklischen Handelns von Regierungen wichtiger Staaten eine Weltdepression werden könnte. Und daß diese Gefahr ein an Im- und Export sehr viel stärker beteiligtes Land wie die Bundesrepublik Deutschland stärker in Mitleidenschaft ziehen kann als etwa die USA, die nur vier Prozent ihres Bruttosozialprodukts exportieren gegenüber 23 Prozent bei uns. Deswegen muß eben auch die Bundesrepublik Deutschland die ihr zugewachsene Rolle spielen und auf andere Länder Einfluß auszuüben trachten, damit sie alle eine Wirtschaftspolitik führen, die eine solche weltwirtschaftliche Gefährdung vermeiden hilft. Wir hatten ja schon vor der Ölkrise eine schwerwiegende Verzerrung der ganzen Weltwirtschaft, etwa seit Anfang der siebziger Jahre, durch die Weltinflation, an der nun allerdings die Bundesrepublik Deutschland völlig unschuldig war ...
SPIEGEL: ... wobei es uns aber nicht gelungen ist, die übrige Welt auf einen stabileren Kurs zu bringen.
SCHMIDT: Nein; wir haben ihnen aber vorexerziert, wie man es macht. Sie bewundern das auch. Und nun sagen wir ihnen seit einer Reihe von Monaten, daß der wichtigere Feind jetzt die Rezession ist, und versuchen, ihnen gut zuzureden und ihnen auch hier ein Beispiel zu geben.
SPIEGEL: Wie groß ist denn die Chance, daß die Welt diesmal auf uns hört?
SCHMIDT: Diesmal etwas größer, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde. Die Bekämpfung der Weltinflation hätte verlangt, daß in einigen 25 Staaten der Welt Parlamente und Regierungen sich selber mehr Disziplin auferlegt hätten, um nicht am laufenden Bande Gesetze und Beschlüsse zu fassen, die das jeweils eigene Sozialprodukt des betreffenden Landes überfordern. Die Bekämpfung einer Rezession verlangt solche Disziplin nicht. Es ist populär in Parlamenten, etwas gegen die Arbeitslosigkeit zu tun. Infolgedessen kann man erwarten, daß in der Masse dieser industriellen Staaten diese Art von Aktivität eher die Zustimmung der Parlamente und der Politiker findet als die Inflationsbekämpfung.
SPIEGEL: Wie erklären Sie sich, daß, obwohl die Bundesrepublik wirtschaftlich besser dasteht als irgendein vergleichbares westliches Industrieland, die Bevölkerung bei uns nur in absoluten Werten zu denken scheint und daß der Regierung die Anerkennung, die sie möglicherweise verdient hat, nicht in den Schoß fällt?
SCHMIDT: Das hat viele Gründe. Einer davon: Die Opposition ist einerseits kaum fähig, den relativen Erfolg der deutschen Wirtschaftspolitik zu erkennen, andererseits jedenfalls bemüht sie sich mit aller Kraft, ihn zu negieren. Die Mehrzahl der deutschen Zeitungen leistet ihr dabei Schützenhilfe.
SPIEGEL: Das heißt im extremsten und nicht unwahrscheinlichen Fall, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in der Welt ein außerordentlich angesehener, hochgefeierter Mann ist, auf dessen Rat man hört, der im eigenen Land aber immer weniger Stimmen kriegt.
SCHMIDT: Ich glaube, daß, wenn es sich um eine Wahl handelte, in der er persönlich auch zur Wahl steht, die Sache anders aussehen könnte.
SPIEGEL: Herr Bundeskanzler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.