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»Wir vertrauen den Deutschen«

aus DER SPIEGEL 44/1993

SPIEGEL: General, vor wenigen Tagen wurden Sie noch von Uno-Soldaten gejagt. Jetzt verstecken sich die 30 000 Blauhelme vor Ihnen und Ihrer Guerilla in den Kasernen. Die Uno drinnen und Sie draußen - ein Triumph für Sie? _(Das Gespräch führten die ) _(SPIEGEL-Redakteure Hans Hielscher und ) _(Erich Wiedemann in Mogadischu. )

Aidid: Ich habe mich nie versteckt. Ich war höchstens in einer Art Verteidigungsposition.

SPIEGEL: Nun steckt die Uno in der Verteidigungsposition. Man sieht in den Straßen Mogadischus gar keine Soldaten der Unosom und der U. S.-Army mehr.

Aidid: Die Uno hat seit dem 5. Juni in meinem Land mehr als 10 000 Frauen, Kinder und alte Leute getötet oder verwundet. Vergessen Sie nicht, was die erst alles kaputtgemacht haben. Dieser grundlose Krieg war absolut ungerecht.

SPIEGEL: Wie kommt es, daß eine so gut ausgerüstete Streitmacht wie die der Vereinten Nationen mit den Amerikanern als Vorhut Ihre paar schlecht ausgerüsteten Soldaten nicht niederringen konnte? Hatten Sie die bessere Strategie?

Aidid: Unser ganzes Geheimnis ist unser Glaube an Gott. Wir kämpfen für die gerechte Sache. Und unsere Feinde kämpfen für eine ungerechte Sache.

SPIEGEL: Ihre innersomalischen Gegner, vor allem Übergangspräsident Ali Mahdi, behaupten allerdings auch, für eine gerechte Sache zu kämpfen.

Aidid: Jedermann weiß, daß diese Leute Überbleibsel der Diktatur unter Siad Barre sind. Sie haben gegen den Willen des Volkes versucht, die Macht an sich zu reißen. Die Befreier des Landes, das sind wir.

SPIEGEL: Nach der Ankündigung von US-Präsident Clinton werden die Amerikaner Somalia bis Ende März verlassen. Inzwischen gab auch Uno-Generalsekretär Butros Butros Ghali zu verstehen, daß er sich an Clintons Zeitplan halten will. Was passiert, wenn die Blauhelme weg sind?

Aidid: Wenn Clinton seine Truppen abziehen will, warum verstärkt er sie denn gleichzeitig? Seine Erklärung dafür war zunächst, daß er die amerikanischen Gefangenen raushauen will. Aber die haben wir doch längst entlassen. Wir wollen Frieden, wir wollen Versöhnung. Aber die Unosom ist gegen die Versöhnung. Seien Sie sicher, wenn die Uno erst mal weg ist, werden wir uns nicht gegenseitig bekämpfen. Wir kämpfen für Brüderlichkeit und für Frieden.

SPIEGEL: Was sich da am letzten Montag beim sogenannten Friedensmarsch in Mogadischu abgespielt hat, sah aber gar nicht nach Versöhnung und Brüderlichkeit aus.

Aidid: Ach was. Wissen Sie, wer das alles angezettelt hat? Uno-Generalsekretär Butros Ghali und sein hiesiger Statthalter, US-Admiral Howe. Die haben diese Demonstration organisiert. Sie gaben den Leuten Geld, damit sie mitmachen. Zwei Untersekretäre von Butros Ghali suchten in Nord-Mogadischu die Leute aufzuwiegeln. Das war deren letzte Chance, den somalischen Bruderkrieg noch mal anzufachen. Aber es war kein Kampf. Das war doch alles Propaganda.

SPIEGEL: Es gab immerhin 10 Tote und 50 Verletzte.

Aidid: Das ist absolut falsch. Es waren nur 7 Tote. Und das waren auch alles isolierte Fälle, die auf das Konto aufgehetzter Menschen gingen.

SPIEGEL: Sie glauben also den Amerikanern nicht, daß sie Ende März abziehen, obwohl Clinton unter dem Druck des Kongresses steht?

Aidid: Der Druck kommt auch vom amerikanischen Volk. Das beginnt zu begreifen, daß die USA einen ungerechten Krieg führen. Es beginnt zu verstehen, daß ihre eigenen Leute Massaker verüben.

SPIEGEL: Aber wir wollen doch auch bitte nicht vergessen, daß Hunderttausende Somalier am Hunger gestorben sind und heute in Somalia niemand mehr verhungert.

Aidid: Das ist wohl wahr. Doch daran war der Diktator Siad Barre schuld, als er sich auf seinem Rückzug im Westen des Landes festkrallte und dort alles zerstörte - das Vieh, die Ernten, einfach alles. Damals kamen in Somalia 500 000 Menschen um. Die Taktik war mit Butros Ghali abgesprochen, der seinerzeit Mitglied der ägyptischen Regierung war. Der wollte hier 30 000 Soldaten herbringen und eine Million Fellachen in Somalia ansiedeln.

SPIEGEL: Die Ägypter haben diese Behauptungen energisch bestritten.

Aidid: Ach, das stand doch sogar in den ägyptischen Zeitungen. Butros Ghali hat doch auch versucht, den Widerstand gegen Siad Barre zu sabotieren.

SPIEGEL: Wenn man Sie so reden hört, muß man den Eindruck gewinnen, daß Sie Butros Ghali persönlich hassen.

Aidid: Nein, nein, nein, ich habe keinerlei Haßgefühle gegen ihn. Ich sage nur, daß seine Aktionen schädlich für das somalische Volk sind. Ich denke doch nicht allein so, das sind die Gefühle des Volkes.

SPIEGEL: Sie äußern sich neuerdings auffällig positiv über die Amerikaner. Wollen Sie die Amerikaner und die Uno gegeneinander ausspielen?

Aidid: Wir Somalier haben gute Gefühle gegenüber den Amerikanern. Sie haben im Gegensatz zu Butros Ghali und seinen Bürokraten ihre Fehler eingesehen. Sie haben auch begriffen, daß ihre Operation schiefgegangen ist. Und sie haben ja auch Siad Barre, den sie anfangs unterstützten, schließlich fallengelassen.

SPIEGEL: Als die US-Soldaten im Dezember 1992 hier landeten, wurden sie wie Befreier gefeiert.

Aidid: Und sogar Präsident Bush wurde freundlich empfangen. Wir glaubten, die Amerikaner kämen, um uns zu helfen. Aber dann haben sie Barre-Freunden wie General Morgan geholfen. Und das hat das Volk sehr verärgert. Es sagte nein, wir wollen Frieden und Demokratie und Wohlstand. Als sie uns dann auch noch die Rundfunkstation wegnehmen wollten, kam es zu einer großen Demonstration. Die Uno-Soldaten schossen auf das Volk . . .

SPIEGEL: . . . das war am 5. Juni. Bei dieser Gelegenheit starben die 24 Pakistaner. Danach setzte die Uno Sie mit einem Kopfgeld von 25 000 Dollar auf die Fahndungsliste, und Sie mußten in den Untergrund abtauchen.

Aidid: Das war alles eine abgekartete Sache, um mich kaltzustellen. Von den 35 somalischen Toten und 73 Verwundeten hat die Uno nichts erwähnt. Schon am nächsten Tag wurde dann die Resolution gegen mich verabschiedet, ohne daß man die Sache geprüft hätte.

SPIEGEL: Warum konnten die Blauhelme Sie nie erwischen?

Aidid: Weil mein Volk mich beschützt hat.

SPIEGEL: Sie reden immer vom somalischen Volk. Aber auch durch Ihre Nation ziehen sich tiefe Risse, obwohl die Somalier das einzige afrikanische Volk sind, das durch eine gemeinsame Sprache, Kultur und Religion verbunden ist.

Aidid: Das liegt daran, daß zuerst die Kolonialmächte die Menschen gegeneinander aufgehetzt und dann bei ihrem Abzug die Macht an eine korrupte Regierung übergeben haben. Schließlich kam der Putsch von Siad Barre, und danach kamen noch mal 21 Jahre Korruption. Das hat dieses Land total ruiniert. Und über die Menschenrechtsverletzungen unter Siad Barre brauche ich ja wohl nichts zu erzählen.

SPIEGEL: Sie haben selbst darunter gelitten. Sie waren sechs Jahre lang im Gefängnis, zum Teil in einem Erdloch angekettet. Hat dieses Schicksal Sie selbst so hart gemacht? Ihre Gegner sagen, Sie seien ein grausamer Mensch.

Aidid: Ich hatte nur einen Wunsch: Somalia zu helfen, meinem Land Frieden und Wohlstand zu bringen. Bei uns sind viele Jahre lang die Menschen verhungert. Dabei haben wir wertvolle Naturschätze. Deren Nutzung war meine große Vision.

SPIEGEL: Noch einmal: Sind Sie grausam? Sie wurden mit folgender Bemerkung zitiert: Wenn ein Mann nur so viel Nahrung hat, um entweder sein Kind oder sein Kamel damit zu versorgen, dann soll er das Kamel füttern. Denn das Kamel hilft ihm zu überleben, das Kind kann das nicht.

Aidid: So was erfinden meine Feinde, um meinen guten Ruf zu zerstören. Ich hoffe, Sie werden meine Biographie lesen, die ich gerade abgeschlossen habe. Da steht alles über mich drin. 5000 Exemplare sind schon gedruckt. Der Titel lautet: »Die Vision des Mohammed Farah Aidid«. Ich beschreibe darin meinen Erfolg, wie ich mein Land von Siad Barre befreit habe und wie ich die nationalen Werte Somalias hochhalte. Wäre ich verrückt, hätte ich nicht soviel Erfolg gehabt. 70 Prozent der Somalier unterstützen mich.

SPIEGEL: Sie haben versprochen, daß Sie sich demokratischen Wahlen stellen wollen. Dabei kann man auch verlieren. Was passiert, wenn Sie nicht zum Präsidenten gewählt werden?

Aidid: Ich habe das Land befreit, um ihm eine gute Regierung zu geben und nicht, um selbst an die Macht zu kommen. Ich will die Macht nur, wenn ich sie auf demokratischem Weg erringe. Derjenige, den das Volk dazu wählt, soll Präsident werden.

SPIEGEL: Der Aufbau demokratischer Strukturen ist oft ein langer und komplizierter Vorgang. Würden Sie für eine Übergangszeit auch eine Art Protektorat für Somalia akzeptieren?

Aidid: Somalia ist traditionsgemäß demokratisch. Darüber sind viele Bücher geschrieben worden. Wir haben hier seit über 4000 Jahren Demokratie praktiziert. Man nennt das Hirtendemokratie: Die Leute kommen unter einem Baum zusammen und debattieren so lange, bis eine Entscheidung gefällt ist. 4000 Jahre. Eure westliche Demokratie ist gerade erst 200 Jahre alt. Nein, wir sind reif genug, um die Demokratie in unserem Land selbst wiederherzustellen. Wir wollen mit den Amerikanern in Frieden leben und auch mit den Deutschen.

SPIEGEL: In Bonn gibt es heftige Kritik der Opposition am Einsatz deutscher Bundeswehrsoldaten in Ihrer Heimat Belet Huen. Die Deutschen haben keinen militärischen Auftrag mehr zu erfüllen, bauen jetzt Schulen und Krankenhäuser. Das war so nicht geplant.

Aidid: Ich kenne Deutschland sehr gut. Ich war fünfmal dort und weiß, was die Deutschen alles für Somalia getan haben. Sie haben uns sehr bei unserer Entwicklung geholfen. Sie haben überhaupt keine Fehler gemacht und schon gar keine Verbrechen gegen das somalische Volk begangen. Deshalb vertrauen wir den Deutschen voll. Daß die Deutschen über ihren Einsatz diskutieren, ehrt sie. Es zeigt, daß sie begriffen haben, was hier schiefgegangen ist. Die Deutschen sind bei uns immer gern gesehen, auch wenn sie deswegen interne Probleme haben.

SPIEGEL: Aber in Belet Huen sind keine Entwicklungshelfer im Einsatz, sondern deutsche Soldaten.

Aidid: Das macht nichts. Sie haben gute Arbeit geleistet. Sie haben Aufbauarbeit in entlegenen Gebieten geleistet, die immer vernachlässigt worden waren und daher sehr rückständig sind. Die Menschen dort sind darüber sehr glücklich. Es gibt keinen Haß auf die Fremden, keine Zusammenstöße. Die Deutschen sind keine Besatzungsmacht, sie sind gekommen, um uns zu helfen. Deshalb sind sie uns herzlich willkommen.

SPIEGEL: General, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Y

»Wir wollen Frieden und Demokratie für unser Land«

Das Gespräch führten die SPIEGEL-Redakteure Hans Hielscher und ErichWiedemann in Mogadischu.

H. Hielscher, E. Wiedemann
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